Lebendige Erde 4/2002:

Editorial

Heile Welt

Auch der Ökolandbau hat Schwächen. Der aktuelle Nitrofen-Skandal hat gezeigt, dass eine davon das Vertrauen in andere ist, in den Staat, bzw. dessen Kontrollen und in die Redlichkeit des konventionellen Landhandels. Eimerweise Pestizidstaub, der nicht beseitigt wird, grobe Fahrlässigkeit, eine altlastverseuchte Halle für die Lagerung von Lebensmitteln freizugeben bzw. zu vermieten, fortgesetzter Betrug von Futtermittelherstellern, trotz bekannter Nitrofenbelastung das Getreide vermischt als Futter zu verkaufen, sogar nach Bekanntwerden des Skandals - das sind derzeit die Fakten. Der Ökolandbau war als Betroffender nur Überbringer der üblen Nachricht. Trotzdem wird es Folgen auch für die Ökobauern haben (siehe EXTRA, S. 58). Die Landwirtschaft verkauft heile Welt - die konventionelle ebenso wie die ökologische. Die Verbraucher fahren im einen Fall ab auf Etiketten mit ländlicher Idylle, im anderen Fall suchen sie meist 200prozentige Sicherheit. Daraus folgt unter anderem: Der Ökolandbau muss nachbessern - auch wenn er nicht Verursacher ist. Intensivere Analysen, in einem privaten und staatlichen Kontrollnetz werden wohl kommen. Die Kosten müsste die konventionelle Landwirtschaft tragen - hier gilt das Verursacherprinzip. Das gleich gilt für Verluste wegen zurückgezogener Ökoprodukte. Die Welt ist eben nicht heil, doch tragen wir unterschiedlich dazu bei, wie sie wird.

Das ist auch bei den Bienen so. Romantische Naturbilder steigen in uns auf, wenn wir Honig schlürfen, doch ist Imkerei kein Zuckerschlecken, sondern ein aussterbender Pflegeberuf. Der Nachwuchs fehlt! Dabei ist es eine richtig spannende Sache, wenn man sich mal traut, und eine einfache dazu. Ein paar Bienenvölker sind ein überschaubares und sehr lebendiges Hobby, das sogar eine Ernte bringt. Ein Welt kleiner Wunder des Lebens und seiner Organisation kann man da erleben. Ein Wunder allerdings auch, dass sich niemand mehr dafür interessiert. Dabei gibt es so viel zu entdecken, vom Bienentanz oder dem Gebrause an einem Drohnenflugplatz bis zum faszinierenden Sozialverhalten - neueste Forschung zum Hofstaat der Bienenkönigin lesen Sie auf S. 40. In der Schule bieten sie hervorragendes Anschauungsobjekt im Fach Biologie (ein Beispiel auf S.50). Auch auf den Höfen ist die Imkerei eher selten. Denn es muss sich jemand drum kümmern, und das schafft der Landwirt heute selten selber. Bienen muhen und quieken nicht, sie sterben leise.

Seit knapp zehn Jahren gibt es Honig nach ökologischen Richtlinien. Ich weiß noch, mit welcher Begeisterung und Hartnäckigkeit die Bundesfachgruppe ökologische Bienenhaltung, aus der die Demeter-Imker hervorgingen, sich dafür eingesetzt hat. Es war nicht ganz selbstverständlich, auch die Bienen Richtlinien zu unterwerfen, denn im Alltagsverständnis sind sie ja heile Welt. Andrerseits doch nicht sicher genug, denn man kann sie nicht hindern, auch konventionelle Felder zu befliegen. Die Demeter-Imker haben eine ganz eigene Betriebsweise entwickelt, die mehr ist als der Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide. Die Bienen dürfen bauen, wie sie wollen, sich natürlich vermehren und schwärmen, es gibt eine spezielle Winterfütterung und sogar die biologisch-dynamischen Präparate kommen zum Einsatz. An einem neuen für die Bienen wird gearbeitet (S. 51), Bienen und Kunst sind schon seit Beuys ein Begriff.
Vielleicht können die Demeter-Imker insofern Anstöße für die biologisch-dynamischen Landwirte geben. Nicht nur, dass Bienen jeden Hof bereichern, das Bemühen um eine wesensgemäße Weiterentwicklung der Wirtschaftsweise wirkt anregend: Es lenkt unseren Blick darauf, was in der Landwirtschaft angesichts von Nitrofen und dem Fixiert-Sein auf Zahlen an der Zeit ist: den Ökolandbau und vor allem das Biologisch-Dynamische qualitativ weiter zu entwickeln. Nicht Rückstände sind das Thema, sondern neue Zustände: in unserem Bewusstsein und in der von uns genutzten Natur. Die liegen in unserer Hand.

Ihr
Michael Olbrich-Majer