Lebendige Erde 6/2002:

Editorial

Ein Schwerpunkt zu Frauen?

Bemerkenswert: die Idee für dieses Themenheft kam von einem Mann - ein sprechendes Bild?

Lange Gespräche am Telefon mit "Demeter- Frauen", in denen ich viel Engagement aber auch Frust wahrnahm, viele Fragen von der Meinen und die spontane Reaktion einiger männlicher Kollegen: "dann aber auch ein Heft über Männer" - all das bestärkte mich mit dem Thema. Frauen kommen in der Darstellung und im öffentlichen Bewusstsein unserer Art von Wirtschaftsweise oft zu kurz - sogar in den Hofportraits. Dabei tragen sie genau wie die Männer auch an der Last der Höfe, ja oft müssen sie noch flexibler sein, nicht nur den Männern deren Arbeit ermöglichen. Sie sind der Puffer zwischen Produktions- und Privatleben, zwischen Kunden und Familie. In Hofgemeinschaften ist das nicht einfacher. Gefragt sind auch in der biologisch-dynamischen Szene auf den ersten Blick die Eigenschaften von Machern, Tüftlern, Denkern. Die Frauen sind es häufig selbst, die das Reden den Männern überlassen, sich eher scheuen, im Mittelpunkt zu stehen.

Dabei sind es vor allem auch die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten der Frauen, die zum Zuge kommen, privat wie im Betrieb. Von der Direktvermarktung oder den Feriengästen bis hin zur Beratung: Im Ökolandbausegment ist der Frauenanteil relativ hoch - man schaue sich an, wer die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände macht - doch in Leitungsfunktionen noch ausbaufähig. Eine Chefin aber ist auch auf den Betrieben noch eine Seltenheit (In diesem Heft haben wir gleich drei). Immerhin: der Bundesminister, der für Landwirtschaft verantwortlich ist, ist eine Frau. Und in Renate Künast´s Amtszeit hat sich ja schon einiges zum Positiven gewendet. Auch die Lebendige Erde wird übrigens von Frauen getragen: Büroservice, Satz, Titelbild, Versand und Abonnentenbetreuung - Ausnahme: der Redakteur. Und wer verkauft die ganzen Bio- und Demeter-Lebensmittel? Wer kauft sie? Jede Wette dass der Anteil der Frauen hier weit über siebzig Prozent liegt.

Gerade in der biologisch-dynamischen Bewegung haben von Anfang an Frauen mitgewirkt - über die Unterstützung der Männer hinaus - und entscheidend zur Entwicklung und Ausbreitung beigetragen, forschend, beratend, propagierend - bis heute. Bildschaffende Methoden (von Lili Kolisko bis Ursula Balzer-Graf), Rhythmus und Tierkreis (Maria Thun), Saatgutvermehrung (z.B. Ingeborg Haensel ), Backferment (Adele Pokorny), Aufbau der biologisch-dynamischen Arbeit (Willy Schilthuis in Holland, oder Ingeborg Obermaier - Auskunftsstelle) hier kamen und kommen entscheidende Anregungen, die vielleicht besonders Frauen geben können. Hoffen wir alle auf mehr davon - und achten wir darauf, Chancen einzuräumen, die Frauen sich selbst und die Männer den Frauen. Auch wenn damit nicht immer eine Pionierin erwächst - dass Frauen sich in die Land-Wirtschaft einmischen, macht heute mehr Sinn denn je, jede auf ihrem Weg, und ist eine Bereicherung für´s Ganze.

In diesem Heft wird der Sicht von Frauen auf die biologisch-dynamische Landwirtschaft Raum gegeben - ihrem Erleben, ihren Fragen, aber auch den Fakten. So vielfältig die Biologisch-dynamische Wirtschaftsweise im Konkreten ist, so unterschiedlich sind die Lebenssituationen. Was die Frauen daraus machen, ist genauso spannend wie die Wege der Männer. Und genauso lesenswert.

Ihr
Michael Olbrich-Majer