Lebendige Erde 2/2003:

Editorial

... meck, meck, meck

So klingt es uns im Ohr, das Klischee der mageren, störrischen Ziege, mit dem man manch einen Zeitgenossen hochnehmen kann - wie es Max und Moritz taten. Das typische Nutztier für den Selbstversorger, für Handwerker wie den Schneider, für kleine Leute, war die Ziege. Zum Futter waren der Wegrand und ein paar Sträucher gut genug, oder die Wiesen armer Böden und Regionen. Meine Großeltern hatten Ziegen und einen kleinen Gasthof, weitab, irgendwo im Riesengebirge. In vielen Gegenden der Welt sind Ziegenherden noch heute die selbstverständliche Möglichkeit, Land zu nutzen, besonders in trockenen Ländern und Gebirgen, oft mit jahreszeitlicher Wanderung verbunden.

Mäeh, mäeh, ich bin so satt, ich mag kein Blatt: Ziegen sind bei aller Genügsamkeit anspruchsvoll - fordern den Tierhalter auch schon mal heraus, anders als die meist ruhige Kuh oder das Schaf. An den sieben Geißlein lernen wir, wie aufgeweckt Ziegen sein können, und ... neugierig wie die Kinder: Kein Wunder, dass sich beide gut verstehen. Den Kindern waren sie oft zum Hüten anvertraut.

Doch zurück zu Wilhelm Busch: Warum haben Schneider Ziegenbärte? (auch in manchem Märchenbuch). Und warum hat das den Hauch des Abseits-stehenden? Etwa wegen des Ziegenbockes? Der ist ein wenig Außenseiter in der matriarchal geführten Herde. Und er stinkt! Ganz klar kein Symbol für bodenständige Kuhbauern - da punktet eher der Stierkult. Dennoch sind die Ziegenbärte - im weiteren Sinne der Kinnbart - präsent (s. Foto oben): Nicht nur der Gehörnte (Teufel) wird mit diesem Wesensmerkmal der Ziege dargestellt, auch Faunen, Pharaonen und Assyrerkönige trugen eine haarige Kinnverlängerung - Symbol für Keckheit? In der Moderne steht dieser Gesichtsschmuck mehr für den Revolutionär - siehe Lenin. Vielleicht zählt da die bockige Durchsetzungskraft der gesenkten Hörner. Oder sind es die Augen, wenn sie uns, anders als andere Wiederkäuer, genau anschauen, mit ihren strichfömigen Pupillen?

In der Landwirtschaft ist es mit Ziegen relativ einfach, einen Betrieb aufzubauen - klein anfangen und erweitern ist zunächst ohne große Investition möglich - mit Arbeit. Öko-Ziegenmilchprodukte boomen, sie sind eine kulinarische Marktnische, und Hoffnung für Allergiker. Daneben eignen sich Ziegen zur Landschaftspflege. Es gibt einige biologisch-dynamische Bauern, die als Ziegenhalter so nebenbei in die Landwirtschaft geraten sind , die als "kleine" Männer bzw. Frauen anfingen.

Sicher: man muss Ziegen mögen, muss sie aushalten können. Sie sind eben anders als Schafe oder Kühe, auch in vielen praktischen Dingen muss man anders denken. Ziegenhalter sind keine Schäfer, keine Kuhbauern. Als Mensch muss man mit diesen Tieren wirkliche Gelassenheit, aber auch Wachheit und Einfallsreichtum entwickeln, und bereit sein, etwas anders als die andern zu sein. Das gilt bis hin zu r Vermarktung. Wie ein psychologischer Ratgeber für Tierärzte schreibt: Wer sich zu einer bestimmten Tierart hingezogen fühlt, steht mit der entsprechenden Energie in Resonanz.

Wir dürfen also gespannt sein - denn China feiert 2003 als das Jahr der Ziege.

Ihr
Michael Olbrich-Majer