Lebendige Erde 5/2003:

Editorial

Mehr und anders forschen!

Phospatdünger aus dem All erwartete vor 25 Jahren ein angesehener Lehrstuhlinhaber, aktuell wird nach Wasser auf dem Mars gesucht. Doch was nutzt solche Wissenschaft den geplagten Landwirten? Landwirtschaftsforschung ist meist konkret, sie taugt nicht für Mythen – entsprechend dünn fließt das Geld – außer es wird ein Nimbus generiert – siehe Grüne Revolution oder Grüne Gentechnik. Doch wenn es um unsere Lebensgrundlagen geht, zeigt unsere materialistische Zivilisation meist fehlendes materielles Verständnis.

Auch um die biologisch-dynamische Forschung rankt sich Mythisches: „Bah, Esoterik” rufen die einen, andere sehen immer ihren Glauben bestätigt. Beide schauen nicht hin. Forschung für den biologisch-dynamischen Landbau ist solides wissenschaftliches und landbauliches Handwerk, selten spektakulär, und läßt, wie jede Forschung, viele Fragen offen. Aber sie arbeitet an anderen Fragen, beantwortet sie manchmal mit anderen Mitteln und stellt die Ergebnisse in einen anderen, weiteren Kontext. Manchmal hinterfragt sie auch Denkverbote und Paradigmen.

Da wird hervorragende Forschung gemacht – neue Gedanken zu den Grundlagen der Landwirtschaft, neue Verfahren für die Praxis entwickelt – aber zu wenige gucken hin, auch die Bauern nicht. Das allermeiste der biologisch-dynamischen Forschung schlummert in Eigenpublikationen, kaum findbar für die allgemeine wissenschaftliche Community. Die interessiert sich ohnehin kaum dafür, „zu speziell“, auch gibt es zu wenige, die das Gefundene durch Wiederholung wissenschaftlich betätigen möchten, was zu vielen Ergebnissen noch aussteht. Dafür ist nur privates Geld zu bekommen und es ist kein Blumentopf zu gewinnen. Also bleibt Biologisch-dynamisches in der Ecke und bekommt das teilweise noch als Vorwurf präsentiert.

Dabei ist eine eigene Forschung nötiger denn je: die Entwicklung der allgemeinen Landwirtschaft wird intensivst durch die Wissenschaft vorgespurt: bis vor kurzem war das im Ökolandbau noch umgekehrt, innovative Landwirte trieben ihn gemeinsam mit engagierten Forschern voran. Doch auch hier erfolgt eine Wende.

Für die Demeter Bauern gibt es seit Beginn dieser Wirtschaftsweise ein probates Entwicklungszentrum: sie alle sind über die Ländervereinigungen auch im Forschungsring organisiert: hier könnten Erfahrungen zusammentragen werden, ein Austausch stattfinden, Erkenntnisse gemeinsam erhärtet und fortentwickelt werden und schließlich weitergetragen werden. Doch ist dieses Modell des auch forschenden biologisch-dynamischen Landwirtes in Zeiten höchsten Marktdruckes eher auf die lange Bank geschoben – wiewohl der Austausch der Bauern mit der Wissenschaft intensiviert werden müsste.

Denn zahlreiche biologisch-dynamische Ideen und Praktiken bedürfen weiterer Forschung und entsprechender Zusammenarbeit, um fruchtbar zu werden – von der Erzeugung bis hin zu ökonomisch-sozialen Fragen. Was es bisher gibt, ist ein ansehnliches Potenzial, ob es nun die Frage nach der Wirkung z.B. von Kornblumenrandstreifen oder biologisch-dynamischen Präparaten auf Qualität ist, Kriterien der Tierzucht gefragt sind oder die Idee der Gemeinschaftsgetragenen Landwirtschaft bzw. aktuelle Probleme eines Betriebes: Mit diesen Themen und den bisherigen Ergebnissen ließe sich auch Begeisterung wecken bei denen, die bisher nur Öko beforschen. Denn wir brauchen 100 Forscher statt eines Dutzends, die sich auch unseren biologisch-dynamischen Fragen widmen. Immerhin, ab 2004 wird es in Witzenhausen eine biologisch-dynamische Stiftungsprofessur geben.

Zur Wissenschaft gehört die Reflektion über ihre eigenen Grenzen: Zwei Symposien (mehr im Heft) zeigten dies kürzlich mit besonderer Pointe: die Agrarwissenschaft als Leitwissenschaft? Dazu müssen sich die Landbauwissenschaften erstmal öffnen, weg vom alleinigen Blick auf die Produktion und hin zu mehr Grundlagen- und sozial -ökonomischer Forschung. Denn mehr und mehr geht es um die Existenzberechtigung der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft. Vielleicht liegt die Zukunft ja in der Rolle der Landwirte als Vermittler des konkret Lebendigen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer