Lebendige Erde 3/2004:

Editorial

Den Horizont erweitern

Meist haben wir keine Zeit mehr für den Blick über den Tellerrand. Unsere eigenen Sorgen, die Probleme des Ökolandbaus hierzulande plagen uns, ja manchmal nehmen sie uns fast den Mut. Auch in anderen Ländern und Weltregionen ist es nicht einfach: Know­how gibt es meist nur in weiter Ferne und in fremden Sprachen, keine Inlandsmärkte, die sozialen Verhältnisse in der Regel eine größere Hürde als hierzulande und dennoch: im Weltmaßstab werden es von Jahr zu Jahr mehr Ökolandwirte, (auf zurzeit 24 Mio. ha) ja es gibt sogar Öko-Boomregionen und "Schwellenländer" z.B. China oder Ägypten. Die Ausbreitung ökologischer Bewirtschaftung ist eine wichtige Maßnahme des Bodenschutzes und der nachhaltigen Nahrungsversorgung. Weltweit sind 15% der Böden von Degradation betroffen. Vieles geht auf das Konto ungelernter Landnutzung und jahrzehntelang falscher Schwerpunkte: Agrarchemie statt Bodenfruchtbarkeit, Importabhängigkeit statt selbst und nachhaltig entwickelnd. Dabei ist es schon 99 Jahre her, dass Sir Albert Howard Bodenverbesserung mit Kompost betrieb. Schon 80 Jahre gibt es jetzt Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise, die, wie Forschung und Praxis belegen, für die Bodenfruchtbarkeit das Beste ist, was ein Bauer tun kann, Erosionsschutz vorausgesetzt. Das Beispiel Sekem in Ägypten zeigt das sogar auf Wüstenböden.

Dennoch ist die Ausbreitung des Ökolandbaus eher im hochpreisigen Nischenexportmarkt begründet als im Bemühen um eine umfassende ländliche Bildung zur Eigenversorgung, wichtig gerade für die Länder der Tropen und Subtropen, denen auf dem Land die Böden fortrinnen und die Menschen ebenfalls. Bildung passt nicht ins quartalsmäßige Economy- Denken: es dauert eben, bis etwas wirklich verstanden und gelernt ist, und ein Produkt verkaufen kann man damit nicht – Bildung ist eine Investition. Sogar Entwicklungsorganisationen halten den Rat zu Ökobewirtschaftung manchmal für Bevormundung. Doch ist die an den Böden erfahrene Not am größten, wie im Beitrag von Tadeu Caldas zu lesen. Wer hier etwas bieten kann, gewinnt die Zukunft, nachhaltig. Die Menschen brauchen das Rad nicht neu erfinden und sicher muss ökologisches Wirtschaften aus dem regionalen Kontext heraus modifiziert werden. Doch in der Landwirtschaft der Tropen und Subtropen den Agromultis und Gentechnikunternehmen das Feld zu überlassen ist verantwortungslos.

Die Alternative fällt nicht vom Himmel und entwickelt sich selten von alleine aus dem lokalen Boden heraus. In der Regel braucht es überzeugte und überzeugende Menschen, die die Mühe auf sich nehmen und ihr Wissen mitteilen, nach Übersee oder den ehemaligen Ostblock reisen und, meist für wenig Geld, Bildungsarbeit zum Überleben auf dem Land betreiben. Der biologisch-dynamische Landbau hat es besonders schwer: man muss ihn wirklich lernen und begreifen, ihn regional z.T. neu entwickeln, mehr, als nur Mittel anwenden. Dazu braucht es eine unterstützende Gemeinschaft, wo man Fragen los wird, nicht nur ein Methodenbuch. Auch wir können von den Ökobauern und- bäuerinnen in diesen Gegenden lernen, nicht nur Anregungen für Verfahren oder Pflanzepflegemittel hierzulande wie Neem, Pyrethrum, Agroforstwirtschaft. Uns etwas von ihrem Mut abschauen, von ihrem teils erfolgreichen Kampf gegen die Hegemonie von Agrokonzernen, uns von der Konsequenz anstecken lassen, mit der z.B. in Indien biologisch-dynamisch gewirtschaftet wird. Oder etwas über den Dialog der Kulturen lernen, wenn wir auf Sekem in Ägypten schauen.

Das Überzeugende: die Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft gelten und funktionieren auch hier – unter­ jeweils völlig anderen Gegebenheiten, in knapp 40 Ländern auf allen Kontinenten. Der Austausch über das "wie", bisher noch spärlich, dürfte sich lohnen. Die vorliegende Ausgabe kann nur ein erster Anfang sein.

Ihr
Michael Olbrich-Majer