Lebendige Erde 4/2004:

Editorial

Profil durch eigene Ökosorten

Ökobauern brauchen eigene Sorten - das wissen wir seit einigen Jahren. Der ökologische Anbau stellt höhere und andere Anforderungen an Pflanze (und an Landwirte bzw. Gärtner) als der konventionelle, bei Getreide zum Beispiel an Stickstoffausnutzung und Eiweiß - sprich Klebergehalt, Standfestigkeit und Unterdrückung des Unkrauts durch Beschattung, hohe Widerstandsfähigkeit vor allem gegen Pilzkrankheiten und natürlich Ertragssicherheit. Manches davon bringen auch die konventionell gezüchteten Sorten, auf die müssen die Ökobauern zur Zeit meist zurückgreifen, doch sind die weder auf Öko-Verhältnisse hin gezüchtet, noch prüft die Sortenzulassung die Eignung für ökologische Bewirtschaftung. So ist die Auswahl beschränkt und spätestens beim Thema Backqualität der Getreide kann die ein oder andere Verbesserung mittels Züchtung nichts schaden.

Die Ökozüchtung allerdings steckt noch in den Anfängen, auch wenn vor allem biologisch-dynamische Züchter hier frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt haben und heute mit Sorten vor allem im Gemüsebereich aufwarten können. Sie könnten mit ihren Sorten dem Ökolandbau neues Profil verleihen: Bisher wird von der EU- Öko-Verordnung nur ökologisch vermehrtes Saatgut verlangt, die Züchtung ist nicht geregelt. Doch haben Forscher, Berater und Züchter aus dem Ökolandbau inzwischen eine Art Kodex für die Ökozüchtung erarbeitet, der zulässige Methoden beschränkt. Denn nicht nur Gentechnik widerspricht den Grundgedanken des Ökolandbaus, auch eine Anzahl weiterer Labormethoden.

Mit Züchtung eigens für Ökobauern lassen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das System ist durch mehr Geschlossenheit von der Züchtung an optimiert, die Pflanze ist auf den Anbau abgestimmt und die Qualität ist höher, zumal die biologisch-dynamischen Züchter insbesondere auf diesen Faktor viel Wert legen: bei Getreide ist das die Backfähigkeit (auch mit Vollkorn), bei Möhren z.B. die verschiedenen Formen der Verarbeitung und der Frischverzehr. Bei allen Pflanzen spielen dazu Geschmack, harmonischer Wuchs, Reifequalität und die ätherische Kräftekonstituion eine Rolle - schließlich sollen sie den Menschen über die Physis hinaus nähren. So gibt es bereits mehr als 30 biologisch-dynamisch gezüchtete Gemüsesorten und die ersten Getreidesorten sind im Handel.

Am Markt können sich diese Vorleistungen als ein gutes Argument erweisen: Neue Sorten, das wird verstanden: Konsequentes Qualitätsstreben, Originalität, für die verschiedenen Abnehmerbedürfnisse optimiert, Geschmacksauslese dazu. Hierin steckt Potenzial zur Kommunikation und Verbindlichkeit in der Lieferkette am Markt, bis hin zum Verbraucher. Wie die Züchtung auf den Teller kommt, beschreiben zwei Projekte hier im Heft, Sativa mit Getreide und die Bingenheimer Saatgut AG mit Möhren.

Es wäre doch schön, wenn mit einer neuen Vielfalt aus eigener Züchtung der Ökolandbau der Gentechnik ein Schnippchen schlagen könnte. Das wird aber nicht von alleine geschehen - denn die Agrogentechnik bekommt schätzungsweise fünfzehnmal mehr staatliche Forschungs- und Projektförderung als der Ökolandbau insgesamt . Die Finanzierung der biologisch-dynamischen Züchtung muss daher auch neue Wege suchen und gehen.

Es ist zu wünschen, dass sich viel mehr Menschen für das Thema Züchtung interessieren, sei es als Förderer, z.B. über den Saatgutfonds oder als aktive Züchter. Das kann schon mit der Saatgutgewinnung im Garten losgehen. Noch sind erst wenige Pflanzen und Varietäten bearbeitet, es fehlen z.B. die ganzen Futterpflanzen, Kartoffel, usw. In der Züchtung steckt noch Musik drin, wie man so sagt (dazu übrigens mehr auf S.38), hier liegt eine Chance für den Ökolandbau und speziell für Demeter: Denn im Biologisch-Dynamischen kommt es im Gedeihen wie in der Ernährung auf das Fördern des Kräftezusammenhangs an, die Züchtung kann hier einen großen Beitrag bringen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer