Lebendige Erde 5/2004:

Editorial

Neue Menschen braucht das Land

Was wäre der Ökolandbau, was wäre die Biologisch-dynamische Bewegung ohne Neueinsteiger in die Landwirtschaft? Ich kenne viele fähige und erfolgreiche Bauern, die nicht auf einem Hof geboren wurden, keinen Hof erben konnten und dennoch einiges zur Ausstrahlung des biologisch-dynamischen bzw. ökologischen Landbaus beigetragen haben oder es noch tun. Manch ein Demeter-Pionier kam aus der Stadt und wurde, überzeugt von der Notwendigkeit, die Erde zu pflegen, ein begeisterter und tüchtiger Landwirt.

Die Zeiten haben sich geändert, statt um fachliche Anerkennung kämpfen Ökobauern heute um ihr wirtschaftliches Auskommen. Doch erstaunlicherweise träumen nach wie vor junge Leute vom eigenen (ökologischen) landwirtschaftlichen Unternehmen, viele davon ohne Hoferbe zu sein.

Ausbildungsplätze bietet die Landwirtschaft, die biologisch-dynamische bietet auch eigene Ausbildungsgänge - aber danach heißt es, einen Hof finden, nicht als Angestellter oder "Zweitbauer", sondern in eigener oder mindestens geteilter Verantwortung. Neue Organisationsformen neben dem klassischen Familienbetrieb bieten hierzu eine Chance und werden im Wandel der Landwirtschaft weiter zunehmen. Inzwischen gibt es auch Hofbörsen, die versuchen, Einsteiger und Höfe-Abgebende zusammen zu bringen.

Viele Betriebsleiter der ersten Umstellungswelle aus den siebziger Jahren sind heute in dem Alter, wo sie sich Gedanken machen müssen, wer den Hof weiterführt. Die Frage nach der Person hängt auch mit dem "Wie" zusammen. Die Hofübergabe beginnt bereits zehn Jahre vorher: Welche Ausbildung sollen/wollen die Kinder oder die den Hof übernehmenden erhalten? Welche Bedingungen bestehen, wie soll der Übergang aussehen? Egal wer den Hof übernimmt, Verantwortlichkeiten, rechtliche und steuerliche Aspekte, Ansprüche weichender Erben, die Alterssicherung der Übergebenden und die Zukunftssicherung der Einsteiger, das sind Fragen, die sauber geklärt werden müssen.

Die Jungen, auch wenn es die eigenen sind, haben immer andere Vorstellungen, auch wenn sie diese vielleicht noch nicht aussprechen können: in der heutigen, sich rasch wandelnden Zeit sind sie meist näher dran an den Erfordernissen als die Alten. Die Landwirtschaft wandelt sich hierzulande vom reinen Produzieren hin zu einer Vielfalt von Angeboten und Erwerbschancen. Das kann neue Menschen auf´s Land locken.

Daher geht es nicht nur um das Zusammenarbeiten: die Bilder von der Zukunft des Betriebes in Zeiten multifunktionaler Landwirtschaft können weit auseinandergehen, Lebenspartner bzw. Ehefrauen arbeiten nicht mehr selbstverständlich im Betrieb mit, haben oft eigene Berufe. Auch das Zusammenleben auf dem Hof ist zu klären bzw. zu trennen. Zuviel Nähe kann für beide Seiten einengend sein. Und es braucht (herzlichen) Respekt vor dem Anderen: vor dem, was aufgebaut ist und vor dem, was werden will. Es gilt, neben den Potenzialen des Betriebs, die der Menschen zu entdecken. Und wenn man auch mal fragen kann, wie es mit dem Acker dort oder der Vorschrift hier war, ohne "dumm" dazustehen, ist das immer hilfreich. Es geht also nicht nur ums Abgeben und Übernehmen, sondern auch um Loslassen und Einlassen, sich neu finden: das müssen beide Seiten üben.

Bleibt zu wünschen, dass möglichst viele Einsteiger einen Betrieb auftun, und dass die Menschen, die sich heute neu oder selbstverständlich auf Landwirtschaft einlassen, vernünftige Rahmenbedingungen für ihre Ideen und ihre Tatkraft bekommen bzw. sie erstreiten. Es kann dem Land nur nutzen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer