Lebendige Erde 1/2005:

Editorial

Michael Obrich-Majer

Lernen auf neuen Feldern

Landwirtschaft, Medizin, Pädagogik, drei Arbeitsrichtungen, die, geht man vom Menschen aus, eng zusammen gehören. Das mutet zunächst ungewöhnlich an. Aber ganzheitlich betrachtet, bietet die Landwirtschaft sowohl der Medizin Unterstützung in Form von Heilmitteln oder wertvollen Lebensmitteln, als auch der Pädagogik mit einem Angebot an praktischen Erfahrungsfeldern. Auch umgekehrt ist eine Anregung möglich, nämlich, wenn man sich in der Landwirtschaft um das "Lebendige" bemüht, kann man von der Medizin lernen. Und wenn man die soziale und wirtschaftliche Seite der Landwirtschaft im Focus hat, ist pädagogische Einfühlung oder Erfahrung von Nutzen, um sich verständlich zu machen.

Auf vielen biologisch-dynamischen Betrieben ist die pädagogische Seite präsent, ja manche pädagogischen Einrichtungen legen sich sogar eine Demeter- Landwirtschaft zu. Kein Wunder: Rudolf Steiner hat beide Arbeitsrichtungen zeitgleich inspiriert. In der Waldorfschule sind Gartenbauunterrricht und Landwirtschaftspraktikum fest verankert, die Heilpädagogik häufig mindestens mit Gärtnerei verbunden. Ja, Landwirtschaft und Gartenbau haben pädagogische Qualitäten. Die meisten Bauern und Gärtner haben sie so tief verinnerlicht, dass sie diese Tatsache aus ihren Lehrjahren längst vergessen haben. Und der Ökolandbau ist ja professionell geworden. Vielseitiges Lernen passt nicht mehr zur Spezialisierung.

Doch wird das pädagogische Potenzial in unserer Zeit der Naturentfremdung gerade entdeckt: In der Lebenswelt der meisten Kinder kommt Landwirtschaft nicht vor; Zebras kennen sie besser als Kühe oder Feldhasen. Verstädterte Kinder (die es auch auf dem Land gibt) lernen seit einigen Jahren auf Höfen die Grundlagen der Ernährung kennen, üben Verantwortung zu übernehmen für Natur und Kreatur, auch den eigenen Körper. Schul-Bauernhöfe sind gefragte Orte für angewandte Naturpädagogik.

Vielleicht erschließt sich daraus auch eine Option für die Bauern: der Landwirt als Lehrer der Natur­zusammenhänge, als Vermittler des Wertes von Natur und der Arbeit an und mit ihr. Er könnte als Pendant zur Wegwerfgesellschaft ein nachhaltiges Angebot auch in der Erwachsenenbildung sein. Wer könnte das besser als die Biodynamiker - da dürfte es nicht nur lehrreich, sondern spannend werden.

Dann kommt Demeter vielleicht auch weniger ins Gerede (wie in kritischen Beiträgen in Info3 vom Dezember oder Erziehungskunst vom November 2004), sondern eher ins Gespräch mit anderen, um Antworten zu suchen auf die nicht einfache Lage der Landwirtschaft.

Eine Antwort auf die finanziell nicht einfache Lage unserer Zeitschrift haben Sie schon in der Hand. Wir hoffen, sie gefällt Ihnen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer