Lebendige Erde 3/2005:

Editorial

Michael Obrich-Majer

Ostwärts geblickt

Die Geschichte hat es uns mehrfach ins Buch geschrieben, Deutschland liegt zwischen dem westlichen und dem östlichen Pol der abendländischen Welt. Auch wenn das im Westen Deutschlands immer noch nicht gefühlte Realität ist. Die Menschen in den neuen Bundesländern sind da mit Hilfe von Geografie und DDR etwas weiter, Europa jenseits der Elbe bzw. der Oder ist ihnen nicht fremd.

Für biologisch-dynamische Landwirte liegt der Ursprung ihrer Idee im Osten: Schloss Koberwitz bei Breslau, ist der Ort, an dem Steiner erstmals über die Grundlagen einer nicht nur stofflich gestalteten Landwirtschaft sprach. Vielleicht deshalb gibt und gab es eine Reihe von Initiativen privater Natur, die bereits unmittelbar nach der Wende dem biologisch-dynamischen Landbau in ehemaligen Ostblockländern auf den Weg helfen wollten. Nicht einfach, wie sich zeigte. Angesichts der Verhältnisse und der politischen Erfahrungen der Menschen hat sich dort erst wenig entwickelt, trotz der Reisen und Seminare vieler. Zudem hat Bio hier keine Tradition. Aber die Saat ist ausgebracht und trägt erste Früchte, z.B. in Slowenien, Polen oder Russland.

Vor allem dank staatlicher Förderung verzeichnet der Ökolandbau in Osteuropa in den letzen fünf Jahren ein stürmisches Wachstum. Besorgt schauen Ökobauern hierzulande auf den Markt und die Preisentwicklung: Werden die Ökobauern Ost zur billigen Konkurrenz? Die Angst ist nicht unberechtigt, denn die Bionachfrage steht in den Ländern Osteuropas erst am Anfang, Zielmarkt ist Mitteleuropa. Auch wenn das nicht so schnell und einfach gehen wird, hiesige Ökolandwirte sollten gewappnet sein, über effektive Zusammenschlüsse und ihr Profil am Markt nachdenken.

Auch hierin sind uns die Menschen der neuen Bundesländer voraus: Nach der Wende gab es alles, nur keinen Biomarkt. Noch heute, fünfzehn Jahre später, ist die Nachfrage nach Biolebensmitteln im Osten geringer als die Erzeugung. Wie man den Markt dennoch aufbaut, haben die vorgemacht, die sich auf die Menschen und die Region einließen, inspiriert und engagiert Ökolandbau vorantrieben, sei es als tatkräftige, zur Sache stehende "Ossis" oder als wagemutig mit aufbauende "Wessis". So kann die Uni Berlin heute feststellen, dass Ökolandbau auch ein probater Weg zur Regionalentwicklung sein kann - Modell auch für Osteuropa?

Der Osten Europas ist im Schnitt deutlich dünner besiedelt und braucht Lösungen für die Menschen, die auf dem Land bleiben wollen. Und das Land ist es wert, gibt es doch herrliche Landschaften, Natur in einer Größe und Unberührtheit, wie wir sie hier nicht mehr kennen. Und Menschen, die nach neuen Wegen suchen, sich dabei auch am Westen orientieren. Einen Teil Osterweiterung haben wir übrigens schon lange: polnische Saisonarbeiter, dort wo in der Landwirtschaft viel Handarbeit anfällt.

Künftig wird es wohl weder für die Ökobauern hier noch dort einfacher, die Veränderung könnte auch als gemeinsame Chance begriffen werden. Dass deutsche Demeter-Bauern polnische Kollegen beim Beginn mit der biologisch-dynamischen Arbeit rührig unterstützen, ist auch ein Zeichen, dass Marktaspekte nicht alles sind: Kultur ist, wenn man's trotzdem macht.

Ihr
Michael Olbrich-Majer