editorial

Lebendige Erde 5/2005:

Editorial

Michael Obrich-Majer

Dem Wandel ins Auge schauen

Viele Wege führen in die Landwirtschaft, und es gibt ebensoviele Gründe, an ihr zu leiden. Meist hängt das eine mit dem anderen zusammen.

Wer einst Alternativen im Landbau suchte, der steht heute fast im Mainstream, wer biologisch arbeiten wollte, fühlt sich heute durch Vorschriften und Normen gegängelt und wer eine Nische gefunden hatte, den weht heute der Wind des Marktes kalt an. In dem Moment, wo Ökolandbau gesellschaftliche Anerkennung erfährt, sind auch viele andere Mitspieler dabei und so verschieben sich die Regeln. Für viele Ökolandwirte ist das eine Art Rollenverlust - und der Wunsch taucht auf, die eigene Orientierung neu zu überdenken. Auch betrieblich. Für manche kommt das Nachdenken einfach auch nur in der Mitte des Lebens, das gröbste ist geschafft, Umstellung, Betriebsaufbau, Finanzen, und was kommt jetzt? Vor lauter Alltagsproblemen verliert man schonmal das Ziel aus den Augen. Oder einfach nur die Lust, wenn nichts recht voran geht, wenn die Begeisterung in Routine übergegangen ist. Bei manchen steht der Generationswechsel an, und für andere zeichnen sich magere Jahre ab, was tun?

Kurzum, es gibt viele Gründe, als Landwirt sich nicht nur um Feld, Vieh und Formulare zu kümmern, sondern auch um sich selbst, um Fähigkeiten und Einstellungen. Weniger in Form eines Updates, eher als Innehalten: eine realistische Selbsteinschätzung vornehmen, aussprechen, wo´s hängt und sich selbst neu motivieren, vielleicht sogar neu aufstellen, wie es im Unternehmerdeutsch heißt. Diesen Weg geht man am besten in Begleitung. Freunde, Kollegen, oder eigens dafür ausgebildete Berater - Coaches genannt - hören zu, stellen Fragen, halten nach, stärken einem den Rücken. Veranstaltungsreihen wie Unternehmerschulungen oder Gruppencoaching sind in den letzten Jahren gefragt, auch biologisch-dynamisch waren ähnliche Themen in Projekten (Mit Idealen wirtschaften, Hessen) und einer Dornacher Tagung zum inneren Motiv angesagt - 2006 geht es auf der Landwirtschaftstagung um Identität. Berührt wird bei diesen Fragen eben nicht nur der Betrieb, die Arbeit, sondern vor allem, wie ich sie mache.

Und: mit welcher Perspektive. Die gilt es zu klären, ob nun für den ganzen Betrieb, die Familie oder nur für einen problematischen Arbeitsablauf. Ist man hier konkret, wird es auch mit Mitarbeitern, Kunden, Familie einfacher. Aber das bedeutet in den meisten Fällen, sich ein bisschen zu ändern. Denn wie in wenigen anderen Berufen sind in der Landwirtschaft Betriebsentwicklung und persönliche Entwicklung miteinander verknüpft. Eigentlich ist das ja das schöne am Unternehmertum. Sich etwas vornehmen und dann hinterherstreben. Das ist immer Veränderung. Personalentwicklung und Change-Management, ist in Großunternehmen selbstverständlich, warum nicht auch in der Landwirtschaft. Die Umsetzung sollte dann innere Bilder und äußere Anforderungen zusammenbringen, Berufung und Beruf neu versöhnen, oder weitere Türen, betrieblich wie persönlich auftun.

Denn auch Bauern sind nicht allein Landwirte - sondern haben heute viel mehr Interessen und Neigungen. Lässt sich daraus nicht etwas für den Betrieb gewinnen? Und sei's nur, dass der Betriebsleiter zufriedener und ausgeglichener seinen Hof führt? Sowohl das in die Tiefe gehen, wie das in die Breite streben bereichert das Leben. Ob nun der Bauer zum Meditanten oder der Hof zum Veranstaltungsort wird, liegt an jedem selbst und dem Mut, sich für die Qualitäten seiner Umgebungen zu öffnen.

Bio hat es bis zu Aldi geschafft, das ist (auch) ein Erfolg der Öko-Bewegung! Das macht allerdings den Weg frei für Neues, regionale, kulturelle oder fair-trade Aspekte zum Beispiel. Oder dafür, die vielen biologisch-dynamischen Anregungen für die Landwirtschaft auszuarbeiten, für sich zu erschließen und zu vermitteln.

Ihr
Michael Olbrich-Majer