editorial

Lebendige Erde 6/2005:

Editorial

Michael Obrich-Majer

Meine Kuh ist krank?

Ehrlich gesagt sind Kuhkrankheiten nicht das, womit ich mich gut auskenne. Da ich mehr vom Boden her komme, gehören für mich die Kühe zwar als wichtiger Faktor der Fruchtbarkeit zum Betrieb und ich war und bin gerne im Stall. Im Studium war der Focus dennoch auf den Pflanzenbau gerichtet. So ähnlich wird es auch manchem ökologischen oder biologisch-dynamischen Gemischtbetrieb gehen. Generell ist die Linie im Ökolandbau: gesunder Boden, gesunde Pflanze, gesunde Lebensmittel. An's Vieh denkt man zuletzt. Und schon gar nicht wurde Ökolandbau erfunden, um die Nutztiere zu gesunden, sondern auch hier ging vieles vom Boden aus, manches immerhin von einem ganzheitlichen Konzept - Stichwort Betriebsorganismus, Weide, Aufzucht etc.

Das spiegelt sich auch in der Vermarktung. Pflanzliche Ökoerzeugnisse lassen sich zu 100% ökologisch vermarkten, das heißt mit Preisausgleich für den Mehraufwand. Lebensmittel von Öko-Tieren werden zu einem bedeutenden Teil konventionell vermarktet, der Öko-Milchpreis ist kaum noch kostendeckend. Der Aufwand in der Tierhaltung dagegen ist größer als im Pflanzenbau, man denke nur an die Investitionskosten. Es wundert also nicht, wenn Öko-Betriebe im Schnitt nur wenig besser bei der Tiergesundheit abschneiden als konventionelle.

Dabei steht gerade die Tierhaltung im Zentrum des Verbraucherbewusstseins, auch wenn sich das nicht so deutlich im Kaufverhalten zeigt. Und wie viel mehr als bei der Pflanze gilt, dass nur gesunde Tier auch gesunde Lebensmittel hervorbringen. Und schließlich: das Tier kann an seinen Haltungsbedingungen nichts ändern, es ist vollständig in die Hand des Menschen gegeben.

Noch mehr Kosten also, die auf die Öko-Tierhalter zukommen? Wovon soll das bezahlt werden, rechnet sich das?

Wenn man so denkt, hat man schon aufgegeben: denn wenn man gute Betriebe anschaut, zeigt sich - es geht. Und es lohnt sich. Viele Erkrankungen sind eher schleichend, gehen auf mehrere Faktoren zurück und mindern die Naturalerträge, ohne dass man es richtig bemerkt. Aber wenn man die Bedingungen der Haltung, Fütterung oder des Umgangs (bis hin zur Melkarbeit) auf den Prüfstand stellt und verbessert, vielleicht selbst beginnt, geeignete Tiere zu züchten und sich von der "Arbeitsfalle Milchviehbetrieb" nicht bannen lässt, dann kann man sicher auch die Leistungsfreude der Nutztiere steigern, inklusive deren Wohlbefinden.

So gibt es eine Reihe von Demeter-Betrieben, auf denen doch recht alte Kühe stehen: nicht nur dass die Lebensleistung ein wichtiger Maßstab ist, es steigt auch die Rentabilität mit längerer Nutzungsdauer. Und, wie Untersuchungen zeigen: die Milchqualität steigt ebenfalls, wenn man nicht allein auf die Zellzahl schaut. Jedenfalls sind 5,8 Jahre Lebensdauer (nicht Nutzungsdauer!) im Öko-Durchschnitt kein Ruhmesblatt.

Letztlich kommt es also auf darauf an, wie ich mich zum Bereich Tierhaltung einstelle, auf mein Programm im Kopf. Die direkte Beziehung Mensch-Tier ist in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen, wie Prof. Ton Baars im Interview darstellt. Doch wenn sie so nicht leistbar ist - warum nicht delegieren? Und wenn ich es nicht schaffe, die Erkrankungen stets auf dem Radarschirm zu haben, warum dann nicht mit dem Arzt zusammen ein Tiergesundheitsprogramm angehen, bei dem dann vieles zur Routine wird, was jetzt noch nicht gelingt?

Kurzum: die Tierhaltung verdient künftig mehr Aufmerksamkeit im Ökolandbau, von der Haltung bis zur Zucht. Wer hier investiert, auch mit professioneller Hilfe, der macht den Betrieb sicherer für die Zukunft. Vor allem aber steigt die Freude an der Landwirtschaft für alle: Landwirte, Kunden, Tiere.

Ihr
Michael Olbrich-Majer