Lebendige Erde 4/2000:

Ernährung

Kann man Boden schmecken?
Gespräch mit dem biologisch-dynamischen Winzer Rudolf Trossen

Michael Olbrich-Majer

 
Herr Trossen, Sie sind Winzer an der Mosel, kann man den Boden im Wein schmecken?
Winzer haben da ein besonderes Organ: Wir gehen noch häufig mit den Füßen über den Boden, spüren, ob der Boden elastisch ist und ob die Beine abends mehr oder weniger müde sind. Je härter der Boden, je weniger fruchtbar, desto müder ist der Winzer. Einen nicht ermüdenden Boden aufzubauen, dauert meist eine Generation. Das merkt man natürlich auch am Wein. Beim Verkosten nimmt man das nicht nur am Geschmack, sondern auch über die Struktur des Weins wahr, daran, wie er über die Zunge rollt: über Dichte und Konsistenz nimmt man Kontakt auf zum Ausdruck und zum Charakter des Weines. Ist er lebendig, spricht er mich an? Auch die Bekömmlichkeit ist ein Thema. Inzwischen baue ich z. B. ein wenig Rotwein an: Der Wein aus sandigem Lehm, Ablagerungen der Mosel, als geologischer Grundlage, kommt eher stämmiger, gedrungener daher, wie ein Gutsherr, während er auf dem Schiefer eher fein, duftig, tänzerischer wird. Die Zisterziensermönche übrigens, die im Burgund den Ruhm der dortigen Weine begründet haben, probierten den Boden tatsächlich mit dem Mund, um zu prüfen, ob sich eine Lage eignet.

 


 
Der Winzer hat ja mit der Kellerwirtschaft viele Möglichkeiten, kann man denn überhaupt den Boden zum Ausdruck bringen?
Der Wein ist ein Extrakt einer bestimmten Örtlichkeit, neudeutsch "Terroir". Bei uns gibt es einen Spruch, "Des Winzers Schritt düngt den Weinberg mit". Mit welcher Einstellung der Winzer im Weinberg arbeitet, das spielt eben auch eine Rolle! Die Natur unterstützt einen dann, wie wenn man die richtige Saite streicht. Ohne Sorgfalt im Weinberg wird ein Wein nicht unbedingt schlecht, aber einsilbig, langweilig, nichtssagend. Wenn Experten einen Wein aus Baden und einen von der Ahr verkosten würden, gleiche Sorte, Jahrgang und Qualitätsstufe, würden sie den mit hohem Skelettanteil im Boden, an der Ahr ist es der Schiefer, herausfinden. Er wird schlanker, filigraner sein und mehr Spielraum geben. Früher hieß es: "Wo ein Pflug kann gehen, soll kein Rebstock stehen". Ich glaube, dass eine Rebe, die etwas unter Stress steht, zum Beispiel in trockenen Sommern auf Schieferböden, mehr gefordert ist. Auf Lehm wird sie eher gelangweilt und satt einen zufriedenstellenden Wein ergeben. Aber wir Moselaner sind da vielleicht etwas voreingenommen.

 

Was hat Bodenfruchtbarkeit mit dem Geschmack des Weines zu tun?
Bei der Umstellung habe ich gemerkt, dass sich die biologische Aktivität im Weinberg deutlich erhöht, viel mehr Regenwürmer zu finden waren. Und so verändern sich auch die Weine. Das stoffliche Geschehen im Boden teilt sich ja über die Saft- und Kraftströmung der Pflanze und den Früchten, dem Wein mit. Und Wein ist eine komplexe Substanz, mehr als tausend Inhaltsstoffe hat man gefunden, das heißt, da ist eine Klaviatur, auf der man spielen kann. Ist der Boden resonanzfähig, wirkt sich das auch auf den Wein aus! Wenn zum Beispiel die biologisch-dynamischen Präparate besser den Unterboden erschließen, die Pflanze so intensiver sich mit dem Boden verbindet, kann sie ihr Aromaspektrum vergrößern. Wenn ich zurückblickend alle Maßnahmen zusammen sehe, merke ich, dass im Laufe der Jahre meine Weine immer besser werden, obwohl ich im Keller eher konservativ bin, nur wenig lenke.

Abb.: fruchtbare Böden - der Mensch hat es in der Hand

 

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich das stofflich der Pflanze und dem Wein mitteilt?
"Wingert geht über Mostgewicht", darin drückt sich die Erfahrung von Generationen von Moselwinzern aus. Boden und Lage sind für den Charakter, die Eigenständigkeit eines Weins entscheidender als der Zuckergehalt der Trauben. Ich habe den Eindruck, dass die schwindende Lebendigkeit der meisten Böden und der Einfluss der unverwechselbaren lokalen Situation auf den Geschmack des Weines geringer wird, zunehmend durch Zuckergehalt, Heferassen und kellertechnische Maßnahmen überlagert wird: Überall die gleichen Maschinen, die gleichen Behandlungsschritte, das führt zu weltweiter Gleichförmigkeit. Ich interessiere mich mehr für die Vielfalt, die Unterschiede, das ist anregender. Indem ich den Boden in Bewegung bringe, fördere ich die Präsenz der Örtlichkeit. Das heute geschmähte Hacken z. B. fördert die Fruchtigkeit der Weine, die Dauerbegrünung bringt eher grüne, vegetative Aromen in den Wein.

 

Rudolf Trossen arbeitet biologisch-dynamisch im Weinberg und ist Gründungsmitglied von ecovin, Bahnhofstraße 2, 54538 Kinheim-Kindel.

Wer mehr über den Zusammenhang zwischen Boden und Wein lesen will, sich für Geologie und für Wein gleichermaßen interessiert, dem sei das Buch von James E. Wilson "Terroir - Schlüssel zum Wein" empfohlen. Hallwag Verlag, DM 98,-. Es behandelt allerdings nur französische Weine.