Lebendige Erde 6/2000:

Ernährung

Vegetarisch leben - eine Frage für die Öko-Landbau Bewegung?

Die Zahl der Menschen, die vegetarisch leben bzw. ihren Fleischkonsum reduzieren, nimmt stetig zu. So essen laut einer repräsentativen Erhebung des Institutes GFM 6,9 % der Befragten kein Fleisch mehr, immerhin etwa 5,5 Millionen in Deutschland. 9% können nach einer Untersuchung von FORSA als "Fastvegetarier/innen" bezeichnet werden, d.h. sie essen seltener als einmal im Monat Fleisch oder gar kein Fleisch. Jede/r Vierte ist laut FORSA "Fleischreduzierer/in". Die Faktoren Alter, Geschlecht und Bildungsstand spielen eine wesentliche Rolle. Salopp formuliert: Je jünger, weiblicher und gebildeter, umso stärker die Emanzipation vom Fleischkonsum.

Abb. 1: Thomas Schönberger,
Vorsitzender des Vegetarier-Bund Deutschlands e.V.

 

Was sind die Gründe für diese Entwicklung ?
An erster Stelle ist hier ganz sicher die Kette von Skandalen in der Fleischindustrie zu nennen, die den Werbespruch "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft" nachhaltig erschüttert hat. Vor diesem Hintergrund hat das gesundheitliche Argument eine wesentliche Bedeutung. Zahlreiche Studien haben unabhängig voneinander die gesundheitlichen Vorteile des vegetarischen Lebensstiles nachgewiesen. Nur zwei aktuelle Beispiele seien hier genannt: Laut einer englischen Studie mit über 11.000 Teilnehmer/innen ist die Krebstodesrate bei den vegetarisch lebenden Menschen um 40% niedriger als bei den "Normalköstlern". Eine Untersuchung mit über 76.000 Probanden ergab ein um 24% geringeres Risiko für die Vegetarier/innen, an einer Herz - Kreislauferkrankung zu sterben.

Gerade für junge Menschen ist häufig das ethische Argument sehr wichtig. Die goldene Regel "Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füg'auch keinem And'ren zu" bringt dieses Anliegen auf den Punkt. Warum dürfen wir Tiere einsperren und töten, wenn wir wissen, dass sie Schmerzen empfinden und Angst haben können? Tiere haben Interessen und aus Interessen leiten sich Rechte ab, dies ist mittlerweile auch Gegenstand in der philosophischen ethischen Debatte. Sie haben z.B. das Interesse, Leiden zu vermeiden und nicht getötet zu werden. Haben wir als Menschen das Recht oder vielleicht nur die Macht, ihnen dies zu verweigern?

Schließlich ist das ökologisch - ökonomische Argument zu nennen. Grundsätzlich ist der Aufwand der tierischen Produktion um ein Vielfaches höher als bei einer pflanzlichen Wirtschaftsweise. Die gilt für den Flächenbedarf, den Energieeinsatz, den Wasserverbrauch und die klimatischen Folgen. Beispielhaft sei nur hervorgehoben, dass für die Produktion eines Hamburgers nach Untersuchungen des US - Agrarprofessors David Pimentel etwa 100 mal (!) soviel Wasser aufgewendet werden muss, wie für die Erzeugung eines Getreidebratlings. Wesentliche Ursache hierfür ist die Bewässerung der Futtermittelfelder, aber auch die Tränkung des Viehs und der Verbrauch beim Transport und in der Verarbeitung bzw. im Schlachthof.

Das ökologische Argument ist durch die Praxis des ökologischen Landbaus in Teilen - jedoch nicht durchgängig - entschärft, aber die ethische Frage kann auch er nicht lösen. Was ist mit den Kälbern, die aus ökonomischen Gründen in die konventionelle Mast gehen? Wie ist die ethische Frage des Tötens von Tierkindern (z.B. Spanferkel) zu beantworten? Wie ist generell das Töten von leidensfähigen Lebewesen zu rechtfertigen?

Der ökologische Landbau klammert die Frage des Tötens in seiner öffentlichen Argumentation aus. Die artgerechte Haltung der Tiere wird dagegen sehr hervorgehoben - doch gibt es auch Demeter-Höfe, die den Schweinen keinen Auslauf bieten. Und schließlich muss auch das Demeter-Rind den Gang zum Schlachthof antreten: Diese Tatsache wird nahezu vollständig ausgeblendet. Für Ökobauern ist die Vermarktung des Fleisches vor allem eine ökonomische Chance. Nichts gegen ökonomisches Denken, aber gerade aus dieser Sichtweise heraus wäre eine intensive und systematische Auseinandersetzung mit der Zukunft einer rein pflanzlich orientierten Produktion dringend notwendig. "Kein Sonntagsbraten im Jahr 2050" lautet die Schlagzeile eines Berichtes, der sich mit der Zukunft unseres Ernährungsstiles auseinandersetzt. Der Agrarforscher Pimentel geht davon aus, dass sich zukünftige Generationen auf Grund der Verknappung und damit Verteuerung lebenswichtiger Ressourcen weitgehend vegetarisch ernähren werden. Aber er hat auch einen "Trost" parat: Die pflanzlich orientierte Ernährung wird viele gesundheitliche Probleme zurückdrängen oder ganz beseitigen.

Dem vegetarischen Lebensstil gehört die Zukunft, dafür sprechen viele Argumente. Der ökologische Landbau wäre gut beraten, sich offensiv und vorausschauend mit einer überwiegend pflanzlich orientierten Produktionsweise stärker als bisher auseinander zu setzen.

Bei Interesse sind weitere Informationen zur vegetarischen Ernährung gegen die Einsendung von 5.-DM in Briefmarken beim Vegetarier-Bund Deutschland e.V., Blumenstr. 3, 30159 Hannover erhältlich.

Buchtipp:
John Robbins: Ernährung für ein neues Jahrtausend, Hans-Nietsch-Verlag 1995, 409 Seiten, 38,- DM, ISBN 3-929475-08-1

 

"Rein pflanzlich wirtschaften? Die Tiere und der ökologische Landbau"
Ende September fand in Ammersbek bei Hamburg mit einer erfreulich großen Nachfrage ein Seminar statt. Das der Frage nachging, inwieweit Formen des ökologisches Landbaus denkbar sind bzw. schon praktiziert werden, die das Lebensrecht der Tiere berücksichtigen, d.h., die ohne oder nur mit sehr wenig Tieren arbeiten. Ein Bericht in "Lebendige Erde" folgt.
 

Ab und zu esse ich Fleisch und Fisch

Der Hecht
Ein Hecht, vom heiligen Antõn
Bekehrt, beschloß, samt Frau und Sohn,
am vegetarischen Gedanken
moralisch sich emporzuranken.

Er aß seit jenem nur noch dies:
Seegras, Seerose und Seegrieß.
Doch Grieß, Gras, Rose floß, o Graus,
entsetzlich wieder hinten aus.

Der ganze Teich ward angesteckt.
Fünfhundert Fische sind verreckt.
Doch Sankt Antõn, gerufen eilig,
sprach nichts als: "Heilig! heilig! heilig!"

Christian Morgenstern

Fleisch zu essen war und ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Als Demeter-Landwirt helfe ich ja auch, es zu erzeugen. Vor einigen Jahren lernte ich erstmals Vegetarier und Veganer kennen, die nicht still ihre Möhren aßen, sondern auch noch mit mir über Ernährung reden wollten. In meiner Naivität verstand ich lange Zeit nicht mal ihre Fragen. Später fing eine Veganerin, zu meiner nicht geringen Verlegenheit, sogar an zu weinen, während wir diskutierten. Damals schaute ich - irgendwo zwischen ungläubig und boshaft - auf ihre Schuhe und sagte "sie lassen also Tiere töten, nur fürs Leder; ob das so richtig ist?" Dann wurde ich - grob wie wir Fleischesser nun mal sind - vollends polemisch: "eigentlich dürften Veganer und Vegetarier nur hormon- und giftbehandeltes Grünzeug oder Gentechnikmüsli essen. Man sollte ihnen das Betreten von Demeter-Hofläden und Ökoläden per Verordnung verbieten." Denn mit ihrer Haltung geben sie den Haustieren keine Chance und gerade diese bilden die Grundlage einer dauerhaften Bodenfruchtbarkeit: ohne Dung keine Demeter-Qualität, ohne Töten von Tieren keine Hirschblasen, Hörner, Därme für die Präparate. Ein bis zweimaliges Fleischessen pro Woche entspricht der landwirtschaftlichen Produktion eines geschlossenen Betriebsorganismus.

Abb. 2: Marcus Sperlich, Bismarckstraße 69, 14109 Berlin,
Demeter Landwirt,
pendelt zur Zeit zwischen Berlin und Jochuwo in Polen.

Wer Milch und Käse liebt, dem sei gesagt: Kühe geben Milch nur nach dem Kalben. Jedes zweite Kalb ist männlich. Wenn wir unsere Bullen an Altersschwäche sterben ließen, würden sie womöglich dreißig Jahre alt. Der 10 ha Hof mit acht Kühen hat nach dreißig Jahren 120 Ochsen. Die fressen was weg. Da bleibt für menschliche Nahrung keine Anbaufläche mehr. Also: schlachten und die Steaks genießen, natürlich mit Demeter Gemüse. So opfern wir uns gern zur Rettung der von Vegetariern benötigten Anbaufläche für zum Beispiel Mangold oder Kohlrabi.

Ich schlachte auch selbst Kaninchen oder versorge das von mir erlegte Stück Wild. Beides finde ich weder schön noch abstoßend, es ist eben Arbeit. Es sind ur-menschliche Tätigkeiten. Die erhoffte Weiterentwicklung des Menschen vermute ich im geistig-seelischen Bereich und nicht in einer Umbildung unseres Allesfresser-Daseins.

Zum Wohl des Lesers verzichte ich auf einen langatmigen Exkurs zu den Schäden durch überhöhte Wildbestände, die unsere Wälder gefährden und der daraus folgenden Wichtigkeit der Jagdausübung in Folge fehlender Wölfe und Bären. Und ökologische Landwirtschaft ganz ohne Vieh? Bisher konnten wir die daraus resultierenden Fragen nicht schlüssig beantworten: wie sichern wir die Bodenfruchtbarkeit über große Zeiträume? Wenn wir Klee anbauen, wie verwerten wir ihn?

Auch als Fleischesser achte ich die Kreatur und behandle unsere Tiere gut. Manche Haustiere betrachte ich mehr sachlich - neutral, andere schließe ich ins Herz. Wichtig sind für mich die Einhaltung der Regeln von Tierhaltung, Jagd, Tiertransport und Schlachtung, um unnötiges Leid zu verhindern. Zu erlegtem Wild tritt der Jäger nach altem Ritual mit einem Gebet der Dankbarkeit und übergibt dem toten Stück einen Zweig als "letzten Bissen". Darin kommt der Respekt vor der Schöpfung zum Ausdruck.

Jeder Vergleich mit Krieg oder Mord ist für mich gänzlich absurd und erst durch entsprechende Diskussionen wurde mir klar, dass manche diesen Vergleich ziehen. In Kenntnis der Wesensglieder von Tier und Mensch zeigt sich die Fragwürdigkeit solcher Vergleiche. Da auch Pflanzen bei der Ernte leiden, müssten wir sonst auch auf pflanzliche Nahrung verzichten. Aber was soll's: jeder Narr liebt seine Kappe und in Mitteleuropa werden die meisten Menschen satt - jeder nach seiner Facon.