Lebendige Erde 4/2001:

Ernährung

Trägt die Homogenisierung zur Allergie gegen Kuhmilch bei?

Renate Dylla, Alexander Beck
Büro Lebensmittelkunde & Qualität
Zum Pilsterhof 7
97789 Oberleichtersbach

Milch ist ein vollwertiges und gesundes Lebensmittel. Eine Art qualitatives Optimum hat die Milch beim Abmelken. Alle Anstrengungen, die dann folgen, sind darauf gerichtet, diese Reinheit und Frische möglichst zu bewahren, sofern sie als Trinkmilch Verwendung finden soll. Jede mögliche Bearbeitung der Milch bedeutet aber ein Zurückdrängen des Lebendigen. Dies findet bei der Homogenisierung in erheblichem Ausmaß statt, nachgewiesen durch bildschaffende Methoden. Die Homogenisierung ist auch eine Art Schönung und trägt nebenbei zur Verschleierung des wirklichen Alters der Milch bei. Durch die Homogenisierung wird dem Verbraucher nicht aufgerahmte, also frische Milch vorgetäuscht.

Die durch die Homogenisierung erleichterte Aufnahme des Milchfettes wird zwar üblicherweise positiv eingeschätzt, ist jedoch nicht unumstritten. Inwieweit nämlich die schnellere Aufnahme der Fettkügelchen dazu führt, dass bei Kindern Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Kuhmilch verursacht werden, ist nicht endgültig geklärt. Bei der Verdauung und Resorption von Kohlenhydraten zum Beispiel ist die schnelle Resorption als Nachteil wissenschaftlich belegt. Das langsamere Anfluten von Glucose aus ballaststoffreichen Lebensmitteln ins Blut ist vorteilhafter, da es für eine gleichmäßige Verfügbarkeit der Glucose sorgt und damit zu andauernder Leistungsfähigkeit führt. Im Gegensatz dazu bewirkt leicht verfügbare Glucose aus stark verarbeiteten, meist ballaststoffarmen Lebensmitteln einen schnellen Glucoseanstieg im Blut, der dann sehr schnell wieder abgebaut wird. In der Folge ist der Mensch nach einem kurzen Hoch wieder schnell ermüdet, da dann keine Glucose mehr im Blut zur Verfügung steht.

Der Arzt Hans-Kaspar Mittelstraß hat sich dem Thema bereits mehrfach angenommen, unter anderem in in der Lebendigen Erde ("Zunahme der Milchallergie", 2/1997). Hierbei wirft er die Frage auf, ob das gehäufte Auftreten von Kuhmilchallergien und der Unverträglichkeit von Milch bei Kindern durch die Homogenisierung der Milch verursacht wird. Die praktische Relevanz dieser Frage ergibt sich daraus, dass fast alle Milch homogenisiert wird und selbst Öko-Milch heute sehr oft einer Homogenisierung unterzogen wird. Die Demeter-Organisation ist die einzige, die am Verbot der Homogenisierung von Demeter Milch-Erzeugnissen festgehalten hat. Im Auftrag des Forschungsrings e.V. wurden deshalb mittels einer Literaturstudie Hinweise zur Erhärtung dieser Vermutung gesucht.

Wie kommt es zu dem Problem der Allergie? Welche Verzehrsempfehlungen können insbesondere Eltern gegeben werden, um eine Sensibilisierung oder den Ausbruch einer Kuhmilchallergie ihrer Kinder zu vermeiden? Auch für die Milchwirtschaft und Säuglingsnahrungshersteller sind Aussagen über die Auswirkungen der Homogenisierung von großer Bedeutung . Erzeugnisse könnten optimiert, ein möglicher Imageschaden der Kuhmilch vermieden werden.
 

Was sagt die Forschung?
Ergebnisse der Studie

Bereits mit der Einführung von homogenisierten Milchen in die Kinderernährung in den 50 Jahren bestanden Zweifel an deren uneingeschränkten Nutzen. Sehr früh schon wurde überlegt, ob nicht auch negative Einflüsse denkbar seien. Eine Arbeitsgruppe aus Dänemark um den Wissenschaftler Poulsen (1987/1990) konnte in mehreren Studien in Tierversuchen zeigen, dass homogenisierte Milch eine höhere Fähigkeit besitzt, Allergien gegen Kuhmilch auszulösen als nicht homogenisierte Milch. Poulsen beschreibt auch einen möglichen Zusammenhang zwischen der Sensibilisierung von Kleinkindern gegenüber Kuhmilch und dem Einsatz von homogenisierten Milchen bei der Herstellung von Muttermilchersatznahrung.

Zur näheren Betrachtung der von Poulsen aufgeworfenen Fragestellungen legten Host und Samuelsson 1988 eine Fallstudie mit 5 Kindern vor. Sie konnten jedoch in ihren Untersuchungen keine echten Unterschiede in Bezug auf die Sensibilisierung bei den Säuglinge ermitteln. Die australischen Wissenschaftler C.G. Feng und A.M. Collins (1999) konnten die Ergebnisse von Poulsen mit anderen Versuchsanstellungen im Prinzip bestätigen und kommen zu dem Schluss, dass diese Versuche am Tiermodell mit der gegebenen Wiederholbarkeit Fragen aufwerfen, die unbedingt weiterverfolgt werden müssen. Wissenschaftlich abgesicherte Beobachtungen an Kleinkindern liegen jedoch nicht vor. Solche Untersuchungen wurden nur anfänglich durchgeführt bzw. sind schwierig anzulegen.

Aufgrund der vorliegenden, wiederholt beobachteten Ergebnisse ist es dringend geboten, in dieser Indizienkette nachzuforschen. Zudem stimmen die Ergebnisse überein mit früheren Veröffentlichungen und mit Beobachtungen von Verbrauchern und Kinderärzten.
 

Mögliche Entstehung einer Kuhmilch-Allergie:
Es gibt tatsächlich sehr viele Menschen, die Kuhmilch nicht vertragen bzw. eine Allergie gegen Kuhmilch ausgebildet haben. Kuhmilch ist heute bei Kindern das Lebensmittel, das am häufigsten für eine Nahrungsmittelallergie verantwortlich ist.

Die Auswirkungen der Homogenisierung auf die Milch und ihre Zusammensetzung sind erheblich. Es handelt sich dabei um ein technologisches Hochdruckverfahren, das zunächst einmal dazu führt, dass die Fettkügelchen der Milch um den Faktor zehn verkleinert werden. Dies geschieht mit der Absicht, ein Aufrahmen der Milch zu verhindern und ist insbesondere bei länger haltbarer Milch notwendig. Die Homogenisierung verursacht aber nicht nur wie gewünscht eine Veränderung des Milchfetts, sondern auch eine weitergehende Veränderung der Verteilung des Eiweißes. Es ist sehr viel mehr Eiweiß an die Fettkügelchen gebunden, als bei nicht homogenisierter Milch, vor allem auch Kasein, das normalerweise dort nicht zu finden ist.

Die homogenisierte Milch hat nun zusätzlich die Eigenschaft, im Magen sehr viel schneller verdaut zu werden als nicht homogenisierte Milch. Dies ist mit ein Grund, weshalb homogenisierte Milch bzw. Trockenprodukte daraus auch in der Herstellung von Säuglings- und Kindernahrung eingesetzt werden. Die schnelle Verdauung von homogenisierter Milch, die schnelle Magenpassage, wird verursacht durch die geringere Ausbildung von Kaseinklumpen im Magen. Dieser Klumpen verursacht bei Frischmilch unter anderem das Völlegefühl, das sich einstellt, wenn man sehr viel Milch zu sich genommen hat. Sie wirkt praktisch wie feste Nahrung.

Dass die schnelle Magenpassage, die deutliche Erhöhung der Proteingehalte und die Veränderung der Proteinzusammensetzung in ihrem Zusammenspiel Auswirkungen auf den kindlichen Organismus haben, davon ist auszugehen. Diese kurzzeitigen physiologischen Wirkungen der homogenisierten Milch können bei einem für Allergien empfänglichen Kleinkind zum Ausbilden einer Allergie gegen Milcheiweiß führen. Dazu schreibt der Allergologe Wahn (1987) in seinem Standardwerk: "Die Kuhmilchallergie beruht auf einer im frühen Säuglingsalter hervorgerufenen Sensibilisierung des darmassoziierten Lymphgewebes. Die erhöhte Permeabilität (=Durchlässigkeit) des unreifen Darmes gegenüber Makromolekülen und die hohe Proteinbelastung bei Formelernährung (bis 20g/Tag) werden ursächlich für die Entwicklung dieser Erkrankung verantwortlich gemacht". Das heißt, der empfindliche Darm des Säuglings ist beim Zurückhalten der Eiweiße überfordert, worauf das Immunsystem nachhaltig reagiert. (Weiter ausgeführt in der Studie.)

Die wichtigsten Faktoren für eine mögliche Begünstigung der Allergieausbildung sind:

  • Zeitlich deutlich schnelleres Anfluten der Milchproteine im Dünndarm durch unterschiedliches Gerinnungsverhalten im Magen
  • Unterschiede bei der Aufspaltung der Proteine im Magen
  • Deutliche Verschiebung der Verteilung der Proteine in der Milch
  • Deutliche Verkleinerung der Fettkügelchen und Deformation anderer Milchbestandteile wie Kaseinagglomerationen
  • Mögliche Veränderungen bei den Persorptionsvorgängen (Passiver Transport durch die Darmwand)

 
Fazit
Unsere Literaturstudie verdeutlicht, dass die Homogenisierung durchaus eine Rolle bei der Zunahme (Sensibilisierung) von Milchallergien bei Kindern spielen kann. Sowohl die konkreten Versuche, als auch die Überlegungen zur möglichen Entstehung des Problems legen diese Schlussfolgerung nahe. Die von Mittelstraß bereits aufgeworfene Problematik wird dadurch unterstrichen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Menschen mit einer Allergie gegen Milchproteine homogenisierte Milch in der Tendenz schlechter vertragen als nicht homogenisierte Milch.

Zur Vorbeugung kann schwangeren Frauen bzw. stillenden Müttern geraten werden, möglichst nicht homogenisierte Milch zu sich zu nehmen. Auch wenn für Säuglinge z.B. Zweidrittel-Milch oder für Kinder Brei unter Verwendung von Milch hergestellt wird, sollte vorsichtshalber auf nicht homogensierte Milch zurückgegriffen werden.

Es wird vermutet, dass bereits Muttermilch ein möglicher Träger von Antigenen sein kann. (Freier, Wahn). Um eine eventuelle Übertragung auf den Säugling zu umgehen, kann schwangeren Frauen bzw. stillenden Müttern geraten werden, möglichst nicht homogenisierte Milch zu sich zu nehmen. Deshalb sollten Milch verarbeitende Betriebe für Kinder und stillende Mütter Milchprodukte anbieten, die nicht homogenisiert sind. Es liegt in ihrem ureigenstem Interesse, an dieser Stelle Sorgfalt walten zu lassen. Die Milch ist heute das wichtigste häufigste Nahrungsallergen im Säuglingsalter (Elmadfa, Leitzmann). Es kommt daher auch darauf an, den Ruf der Milch als besonders wertvollem Lebensmittel zu erhalten. Nicht homogenisierte Milch, wie sie unter dem Demeter-Verbandszeichen angeboten wird, ist ein Beispiel dafür. Weiterhin sollte von den Herstellern von Säuglingsanfangs- und Folgenahrung überprüft werden, ob die von ihnen eingesetzten Trockenmilcherzeugnisse aus nicht homogenisierten Milchen und Milchfetten hergestellt werden können, um mögliche Risiken zu vermeiden.
 

Wie Allergien entstehen
Nahrungsmittelallergien gehören zum Formenkreis der sogenannten atopischen Erkrankungen. Das Wort "atopisch" bedeutet "abartig" und bezeichnet damit zurecht die für den Erhalt eines Lebewesens ungeeignete Abwehrreaktion gegen ganz normale Lebensmittel. Was treibt den Organismus eines kleinen Kindes dazu, gegen Grundnahrungsmittel wie Milch, Ei, Fisch, Nüsse u.ä. in Abwehrstellung zu gehen? Primär darf die Allergie nicht als Kampf gegen etwas Schlechtes gesehen werden. Der Organismus zeigt vielmehr eine Überempfindlichkeit, d.h. er ist "hell-wach", tut zu viel, ist nicht mehr flexibel in der Unterscheidung, ist überfordert.
Zur allergischen Reaktion kommt es erst, wenn mehrere Faktoren zusammentreffen. Die Vererbung oder genetische Disposition spielt eine große Rolle. Auch Umweltfaktoren unterschiedlichster Art - unsichere Familienverhältnisse genauso wie das Immunsystem beeinflussende Chemikalien - sind an der Entstehungsgeschichte beteiligt. Doch selbst wenn diese Grundvoraussetzungen gegeben sind, und fördernde Faktoren wie Rauchen während der Schwangerschaft oder im Beisein des Kindes hinzukommen - der allergische Durchbruch findet erst nach einer Sensibilisierung statt. Dieser Kernschritt in der Entstehung von Allergien wird leider noch nicht ausreichend verstanden. Zur Sensibilisierung kommt es, wenn beispielsweise ein Reiz wiederholt auftritt und dabei gleichzeitig entzündliche Reaktionsschritte aktiviert werden. Das kann der ständig reibende, die Haut aufscheuernde Jeansknopf sein oder Frühblüher, welche die Schleimhaut reizen. In beiden Beispielen wird der allergische Durchbruch durch die zeitliche Verknüpfung von Chemikalie, Eiweiß und Entzündung ausgelöst (im ersten Fall Nickel aus dem Jeansknopf plus Eiweiß aus den Hautsekreten, im zweiten Beispiel Umweltschmutz, der sich den Winter über auf den Knospen angesammelt hat plus Eiweiß aus den Blütenpollen).
Da der Faktor Zeit im allergischen Geschehen eine wichtige Rolle spielt - wann trifft was in welcher Folge zusammen - müssen bei der Lebensmittelverarbeitung nicht nur toxikologische Aspekte, also rein stoffliche Veränderungen betrachtet werden, sondern auch kinetische, wie beispielsweise Resorptionsraten oder Sättigungen von Carriern (Trägersysteme).
 

Literatur (Auswahl):
  • Elmadfa I, Leitzmann C. 1998; Ernährung des Menschen, 3. Auflage, Ulmer Verlag, Stuttgart
  • Mittelstraß H.K. 1997; Zunahme der Milchallergie, Lebendige Erde, 2
  • Poulsen O.M. u.a. 1987; Effect of homogenisation and pasteurisation on the allergenicity of bovine milk analysed by a murine anaphylactic shock model Clinical Allergy, Volume 17
  • Poulsen O.M. u.a. 1987; Homogenisierung der Milch und ihre mögliche allergiefördernde Wirkung auf Kinder, north European food and dairy journal NR. 7
  • Poulsen O.M. u.a. 1990; Comparison of intestinal anaphylactic reactions in sensitised mice challenged with untreated bovine milk and homogenised bovine milk Allergy, 45
  • Feng C.G. Collins A.M. 1999; Pasteurisation and Homogenisation of Milk Enhances the Immunogenicity of Milk Plasma Proteins in a Rat Model. Food and Agricultural Immunology, 11
  • Banks W. 1993; Milk proteins on fat surfaces Milk industry 95 (7)
  • Meisel H., Hagemeister H. 1984; Zum Einfluß unterschiedlicher technologischer Behandlungen von Milch auf die Verdauungsvorgänge im Magen. II. Magenpassage verschiedener Milchinhaltsstoffe, Milchwissenschaft 39 (5)
  • Buchheim W. 1984; Zum Einfluß unterschiedlicher technologischer Behandlungen von Milchen auf die Verdauungsvorgänge im Magen. IV. Elektronenmikroskopische Charakterisierung des Koagulums und lipolytischer Vorgänge im Magen Milchwissenschaft 39 (5)
  • Pfeil R. 1984; Zum Einfluß unterschiedlicher technologischer Behandlungen von Milchen auf die Verdauungsvorgänge im Magen. III. Proteolyse im Magen Milchwissenschaft 39 (5)
  • Pimenteira-Thomaz A.C. u.a. 1999; Effects of human milk homogenisation on fat absorption in very low birth weight infants, Nutrition Research Vol. 19 No. 4
  • Kaufmann W. 1984; Zum Einfluß unterschiedlicher technologischer Behandlungen von Milch auf die Verdauungsvorgänge im Magen. VI. Messungen von Aminosäure- und Harnstoffgehalt im Blut; Schlußfolgerungen zur ernährungsphysiologischen Bewertung Milchwissenschaft 39 (5)
  • Wahn U. 1988; Antigens in Cow's Milk and Hen's Egg Allergy, in Schmidt E. 1988; Food Allergy, Nestlé Nutrition Workshop Series Vol. 17. Nestlé Ltd. Raven Press. Ltd New York
  • Wahn U., Seger R. u. Wahn V. 1987; Pädiatrische Allergologie und Immunologie, Gustav Fischer Verlag Stuttgart
  • Schmitz J. u. Bresson J.L. 1988; Prevention of allergy trough nutrition regimes in infancy, in Schmidt E. Food Allergy, Nestlé Nutrition Workshop Series Vol. 17. Nestlé Ltd. Raven Press. Ltd New York
  • Freier S. u.a. 1988; Antigen Presentation, in Schmidt E. 1988; Food Allergy,Nestlé Nutrition Workshop Series Vol 17. Nestlé Ltd. Raven Press. Ltd New York