Lebendige Erde 3/2002:

Ernährung

Ist Vollkorn schädlich? Wie Aussagen entstehen....

Petra Kühne

Ein Bericht über die Schädlichkeit von Vollkorn in der Ernährung, der in verschiedenen Medien verbreitet wurde, verunsicherte viele Menschen. Die Aussage lautete, dass Vollkorn aufgrund enthaltender Lektine, Enzyminhibitoren und Phytinsäure gesundheitsschädlich sei. Dass dabei nur Weizen gemeint war, fiel kaum jemanden auf.1) Die drei Substanzen sind den meisten Menschen unbekannt und führten natürlich zu Besorgnis. Inzwischen sind verschiedene fundierte Gegendarstellungen erschienen.2) Es sollte aber noch ein Blick auf diese Art von Journalismus geworfen werden.
 

In allen Nahrungsmitteln gibt es unerwünschte Inhaltsstoffe. Die Beurteilung solche Stoffe ist immer abhängig vom Stand der Wissenschaft. So galten beispielsweise Glucosinolate (in Kreuzblütlern wie Kohl, Rettich) lange Zeit als toxische Stoffe, weil sie bei extremem Verzehr (ca. 1-2 kg Kohl täglich) und gleichzeitigem Mangel an Jod und Vitamin A die Bildung eines Kropfes begünstigen können. Bei dem heutigen Verzehr von durchschnittlich 32 g Kohl pro Tag und Person in Deutschland wird über die "kropferzeugenden" Substanzen ganz anders geurteilt. So gelten sie als antimikrobiell und antikanzerogen, haben also eine gesundheitsförderliche Wirkung. Die kropferzeugende Wirkung, die bei extrem einseitiger Ernährung in Hungerzeiten auftreten konnte, wird nur noch selten erwähnt. Es kommt eben sehr auf die Rahmenbedingungen an.

Bei den Lektinen im Weizen findet man ebenso einseitige Aussagen. Lektine hießen früher Agglutinine. Unter diesem Namen findet man sie noch in den meisten Lehrbüchern, da sie in Laborversuchen Blutplättchen verklumpen können. Sie sind häufig Gegenstand von Untersuchungen, da im Augenblick die sekundären Pflanzenstoffe, zu denen die Lektine zählen, im wissenschaftlichen Interesse stehen. Solche Studien werden weniger an Himbeeren, Zwiebeln oder Bananen gemacht, wo sie auch in ähnlicher Menge vorhanden sind, sondern an dem leicht verfügbaren Weizen, den man gut untersuchen kann. Daher gibt es keine Aussagen zu Lektinen in Himbeeren, Hirse oder Katoffeln etc., sondern fast nur zu Lektinen in Weizen. Tierversuche, bei denen hohe Konzentrationen dieser Lektine verfüttert wurden, ergaben eine schädliche Wirkung auf die Darmschleimhaut. Unter anderem stellte man aber auch eine insektizide Wirkung fest. Eine andere Forschergruppe nutzte diese Ergebnisse, um damit zu versuchen, Weizen resistenter gegen Insektenfraß zu machen. Durch Gentechnik wurde die Produktion von Lektin im Weizen um den Faktor 100 erhöht. Die Frage, wie die Wirkung auf die Ernährung sein könnte, stellte man sich erst einmal nicht, denn man wollte ja Resistenzen schaffen.

Später als man diesen Lektin-Weizen erzeugt hatte, wurde auch auf Nahrungsqualität untersucht. Da fielen die gesundheitsschädlichen Wirkungen durch den hohen Lektingehalt auf, der wie gesagt nun 10.000 mg Lektin pro 1 kg Weizen anstelle von 100 mg/kg ausmachte. Vielleicht hätten sich die Gentechniker schon vorher überlegen können, dass dieser Weg der Resistenzzüchtung der Nahrungsqualität sicherlich nicht förderlich sein kann. Nun fiel anderen Wissenschaftlern aufgrund dieser Ergebnisse auf, dass dieser Weizen aufgrund seines Lektingehaltes bedenklich sei. Jetzt schaute man nur auf die Lektine, deren Vorkommen im Weizen eben schon intensiver untersucht wurde, als in anderen Lebensmitteln. Es kam zu der Aussage, dass (jeder) Vollkornweizen wegen des Lektingehaltes gesundheitsschädlich sei. In den Medienberichten wurde daraus verkürzt, dass Vollkorn schädlich sei. In dieser Abfolge zeigt die Aussage gleich ihre Unsinnigkeit, weil isolierte Ergebnisse ohne Beachtung der Untersuchungsbedingungen aneinander gereiht wurden. Die Hintergründe waren den Medienberichten aber nicht zu entnehmen. Dass die Veröffentlichung erst einmal große Verunsicherung bewirkte, wurde von manchem Weißmehl-Befürworter vielleicht sogar gern gesehen. Es stellt sich aber die Frage, welche Form einseitiger Forschung wir eigentlich fördern? Muss ein Gentechniker nichts von der Ernährungswirkung wissen, wenn er Resistenzen züchten will? Muss ein Fachjournalist nicht die Bedingungen einer Studie prüfen, bevor er Aussagen verallgemeinert? Wenn dann diese Ergebnisse auch noch wie eine Waffe gegen missliebige Ernährungsformen oder Lebensmittel benutzt werden, muss die Frage nach der Überprüfung solcher Berichte ernsthaft gestellt werden.

 

 

1) Mediziner warnen vor Vollkornbrot. Stoffe in der Hülle enthalten giftige Substanzen. "Münchner Abendzeitung" 18.1.
2) 2002 B. Watzl: Stellungnahme "Gesundheitliche Risiken von Vollkorn" in: Ernährung im Fokus 3/02, in: Ernährungsrundbrief 1-02