Lebendige Erde 6/2002:

Ernährung

Alles Frauensache?

Gesundheit aus der Küche

Petra Forster
Einzelberatung, Seminare, Weiterbildung
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Versorgen von Leib und Seele: vor allem Aufgabe von Frauen

"Eine ausgewogene Ernährung ist und bleibt die beste Lösung, um bei guter Gesundheit ein hohes Alter zu erreichen", so lautete jüngst das Fazit einer internationalen Tagung in Bern, in der die Bedeutung neuartiger Lebensmittel diskutiert wurde. Doch warum kommt die Losung "ausgewogene Ernährung" nicht an? Was und wer wurde in der Vermittlung vergessen? Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz steigen ernährungsbedingte Erkrankungen weiter an, während die Lust, sich mit natürlichen Lebensmitteln Gesundheit und Genuss zu verschaffen, schwindet und der Marktanteil von Nahrungsergänzungsmittel stetig anwächst. An Thesen zur gesunden Ernährung hat es keinen Mangel. Dabei fällt auf, dass "Päpste" das Sagen haben - ein Vitamin-Papst, ein Fett-Papst, ein Fitness-Papst usw. buhlen in Deutschland um die Gunst der Medien. Gebote wie "5 am Tag" fordern uns. Wer den Kohlenhydratanteil in seiner täglichen Ernährung auf 55% anzuheben will muss fitter Rechenkünstler oder Fachmann sein, denn zu Hause abschauen kann man sich das nicht. Was bleibt, ist nobles Wissen, wenig Kenntnis und letztlich Diätpläne.

Gemüsekapseln gegen Zeitmangel
Ähnliches finden wir im Bereich der Heilkunde. Früher überwiegend in Frauenhand, vermarkten heute in Wellnesscentern Manager Ganzheitlichkeit als teure Anwendungen und Gemüse in SPS-Kapseln. Gesundheit wird konsumiert, nicht "von der Hand in den Mund" erlernt. Wie könnten wir es lernen?

In einem alten Kochbuch fand ich folgende Aufforderung: "...oft sind Züchter bekannt, deren Rettiche oder Krautarten besser gedeihen, was nicht nur mit der Pflege sondern auch mit der Bodenart und anderem zusammenhängt. Aufgabe der Hausfrau ist es, im Laufe der Jahre diese besondere Quellen ausfindig zu machen!" Fehlen also die geschulten Hausfrauen? Oder fehlt uns nicht vielmehr die Zeit zum Erwerb von Kenntnissen? In dieser alten Anleitung steckte zumindest die Aufforderung sich selbst zu fördern, über Jahre hinweg hin zu einer gewachsenen, erlebten Küchen- und Lebenskunst.

Es ist ein sensibles Wissen, das hier verlangt wird. Diese Saat sollte schon in der Kindheit gelegt werden. Wichtig dabei ist, Kreisläufe zu erkennen, nicht Detailwissen zu sammeln: gesunder Boden, Gesundheit im Lebensmittel, Küchentaglichkeit und Lagerstabilität hängen zusammen. Über letzteres erschloss sich mir als Kind der Wert dieser sogenannten SPS, den sekundären Pflanzenstoffen, die Pflanze und Mensch widerstandsfähig machen. Je stärker ein Pflänzlein den Naturkräften trotzen musste, um so geeigneter war sie für die Einlagerung. Wintersorte, winterhart, Abwehrkraft für den Winter, Eintopfgericht - das war kinderleicht und mit allen Sinnen nachzuvollziehen. Heute können wir wissenschaflich erklären warum verhätschelte schnellwüchsige Treibhaussorten kaum Schutz- und Abwehrstoffe bilden und warum sie den Stress der Lagerung, den Angriff von Fäulnisbakterien schlecht widerstehen. Feldfrüchten aus ökologischem Anbau enthalten mehr heilkräftige SPS. Wir brauchen also jemand mit Erfahrung, der uns in das geheime Küchen- und Heilwissen einweiht.

Geschmack ist Erinnerung
Was schürt die Lust auf griechischen Salat im Juli und auf Gänsebraten im November? Das Klima? Nein, es sind Bilder die wir mitsamt den leckren Speisen in uns abgespeichert haben, verknüpft mit Erinnerungen an nette Menschen und frohes Schaffen in der Küche. Überwiegend sind es Frauen, Omas und Tanten, die im Gedanken vor uns auftauchen, die von Generation zu Generation Ihre Rezepte und Tricks weitergaben. Die Dreifruchtmarmelade von Tante Josefin, der Sauerbraten von Oma Frida..., Frauen sind das fehlende Bindeglied zwischen - noch männlich dominierter - wissenschaftlicher Erkenntnis und appetitanregender Küchenpraxis. Bäuerinnen, die in der Selbstvermarktung ihrer Produkte alte Geheimnisse der Heil- und Kochkunst weitergeben schließen eine wichtige Wissenslücke und bieten ihren Kunden geldwerten Zusatznutzen. Ist den Frauen diese wichtige Position bewusst?

 

Was auf den Tisch kommt entscheiden nach wie vor die Frauen 

Frauenwissen als Zugangsweg
Frauen wird nachgesagt, sie seien kommunikativer als Männer, schöpfen mehr aus dem Bauch, aus Erfahrung mit allen Sinnen. Wie wichtig es ist, dass diese Mittlerfunktion eingenommen und ausgefüllt wird, zeigt sich täglich in Gesprächen mit Gesundheitswilligen bei der Ernährungsberatung. Immer mehr Ratsuchende, gleich ob übergewichtig oder untergewichtig, beklagen ihren mangelnden Zugang zum Lebensmittel selbst. Rezeptdienst aufs Handy, Ernährungstipps aus dem Journal, kein Tag ohne Kochsendung im Fernsehen - Informationen gibt es genug, doch sie bleiben Informationen. Die Lust, am Gemüsestand auszuwählen zwischen verschiedenen Sorten, passend zu ganz bestimmten Rezepturen und Vorhaben, kann sich nicht entfalten - eigenes praxisnahes Wissen scheint immer mehr von verzerrten Ratgeber-Tipps verdrängt zu werden. Können sie das Fleisch von Färsen von dem gleichaltriger Jungbullen unterscheiden oder verlangen sie einfach nur Fleisch zum Dünsten oder aus der Schulter? Wenn sie die Wahl haben, nehmen sie Ersteres. Das Fleisch der weiblichen Tiere ist bereits kräftig rot, aber zart marmoriert, während das Jungbullenfleisch zart und hellrot erscheint, aber leichter trocken werden kann. Meine Oma, väterlicherseits, nahm es immer sehr genau mit den Fleischsorten und war stolz darauf, wenn sie wieder mal ein gutes, aber preiswertes Stück erstehen konnte.

Überhaupt waren die Begründungen was, wann und wie zu kochen sei, früher pragmatischer - mit Gesundheit wurde wenig argumentiert, Gesundheit war die Folge einer vernünftigen Jahreszeitenküche. Kräftige Erbseneintöpfe oder vegetarische Frikadellen gab es weniger aus ethischen Gründen, sondern um zu sparen und "weil sie Kraft gaben", das spürt man. Hülsenfrüchte wurden in ihrem Einweichwasser gekocht, dem man dann noch eine Prise Haushaltsnatron zugab. "Sie liegen dann nicht so schwer im Magen", meinte Oma, was heute mit "Aufschluss der Hülsenfruchteiweiße durch pflanzeneigene, wasserlösliche Enzyme" erklärt werden dürfte.

Vor allem die sinnlichen Handfertigkeiten der Frau am Herd waren es, die ich so bewunderte und die Sicherheit ausstrahlten: Was ein griffiges Mehl ist, habe ich von meiner Oma Berta, mütterlicherseits, gelernt und auch, wie sich daraus im Handumdrehen ein fettarmer Strudelteig ziehen läßt. Welches Öl wirklich gut und fein ist und welches schon beim Kauf zu viel Säure enthält, das hat mich Tante Elfriede fühlen und riechen lassen. Aus unmittelbarer Anschauung habe ich so vieles leichter gelernt als durch hundert lange Worte.

Langzeitkost gegen Kurzzeitgerichte
Der Umgang mit Lebensmittel, das Kochen und Essen hat immer mehrere Dimensionen, die gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit Gutes auch gut wird. Zeit, Geld und Kochkenntnisse sind die in der Gesundheitsberatung am häufigsten genannten Argumente, warum der gute Wille nicht zur Durchsetzung kommt und Gelesenes doch als "Hintergrundinformation" stecken bleibt. Auch Rezepte bleiben abstrakt, wo der Einbau in den Alltag dem Einzelnen überlassen bleibt. Dem verlockend frischen Angebot von Gemüsen kommen entsprechend wenige nach. "Es wird doch wieder alt bei mir" oder "Ich hab da keine Zeit zum Gemüseputzen" wird argumentiert. Ein Vorurteil schwingt hier mit, das durch manche Kochstudios und Gourmetzeitschriften kräftig genährt wird: "Gaumenfreuden sind aufwendig". Doch das Gegenteil ist der Fall - Zeit kann durch "Langzeit"-Gerichte" gewonnen werden. Das klingt paradox, doch beim Backen von Schnitzel oder zwanzig Pfannkuchen steht sich die Köchin die Beine in den Bauch, kommt ziemlich ins Schwitzen und darf erst essen, wenn die Teilchen schon wieder weich werden. Spaghetti gehen nur schnell, wenn ich die Vollwertigkeit außer Acht lasse und nur ein Nudel-up drüber schütte.

Entscheidend für den Zeitverbrauch ist nicht die absolute Zeit, die ein Teig oder Braten braucht, sondern in wie viele kleine Handgriffe eine Tätigkeit zersplittert ist bzw. ob nebenbei noch anderes in Ruhe erledigt werden kann.

Wer hat Angst vorm Hefeteig?
Ein Hefeteig für Rohrnudeln läßt sich hingegen gut vorbereiten und gönnt auch uns drei Stunden Zeit, die als Einheit besser genützt werden können. Ganz nebenbei erhöht die Hefe die biologische Wertigkeit von Weizenmehleiweiß - Genuss und Gesundheit wächst mit dem Teigvolumen. Auch Braten von gut ausgemästeten Tieren schmoren im Ofenrohr bei milder Hitze mit Wurzelgemüse gerne alleine vor sich hin und geben uns ihre Zeit. Meine Oma hatte immer irgend ein Bratenstück in Beize als Vorrat, der ohne großen Aufwand zu einem Meisterstück wurde. Gerne aßen wir die Reste als Kalter Braten zu Meerettichsoße oder im Gemüsesalat - aus Eins mach Drei!

 

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Zeitnot läßt manchen Start in die getreidereiche Vollwertküche scheitern. Denn gerade Getreide braucht Zeit, nicht Hitze, um gar zu werden! Doch dieser Umstand kann auch ausgenützt werden. Generationen vor uns packten das angekochte Getreide in eine Kochkiste
Öko-Lebensmittel: Kauf und Verkauf meint in der Hand von Frauen

und ließen es unbeaufsichtigt langsam ausquellen. Moderne Vegetarier und gemäßigte Mischköstler von heute können die Nachwärme der Elektroplatte ausnützen, um sich einen Grützevorrat für zwei bis drei Tage anlegen. Zwischen Zähneputzen und Morgentoilette köchelt die Grütze ca. fünfzehn Minuten vor sich hin, dann wenn Frau, Kind und Kegel das Haus verlassen, darf die Hirse- oder Grünkerngrütze bei abgeschaltetem Herd "nachziehen" bis Mittag oder Abend. Wer einen Gasherd hat, packt den Topf in Handtücher und stellt in ins Bett oder gibt dem Schlafsack eine zweite Verwendung. Das spart Strom und Fingernägel, denn es brennt nichts an. Gemäß "aus Eins mach Drei" wird daraus ein köstlicher geschichteter Auflauf mit Blattspinat und Mozzarella, ein andermal zusammen mit feingeraspeltem Gemüse und ein Ei Grünkernküchlein oder ein "Falscher Hase".

Was haben wir Älteren von unseren Müttern noch gelernt, wenn wir in der Küche mitgearbeitet haben? Es waren nicht nur die Rezepte, sondern wir konnten in Erfahrungen hineinwachsen, wie Lebensmittel zu handhaben sind, die nicht alle Jahre gleich sind. Oft erinnere ich mich an den bissigen Ausspruch einer Nachbarin, die über eine neu Zugezogene abschätzig bemerkte "...die kann ja net mal kochen, die braucht ja a Kochbuch!" Erst heute versteh ich, was sie damit wirklich meinte: Rezepte abändern können, wenn das Mehl noch zu frisch oder schon älter war, die Eier zu groß oder der Dotter zu klein, das Fleisch nicht ausreichend und die Gäste reichlich waren. Dies zeigt kein Fernsehkoch, passt nicht in ein Rezept und ist für Aufklärungskampagnen zu variantenreich.

Produkte aus dem ökologischen Anbau haben es besonders schwer, ihre inneren Werte Neukunden anzutragen. Die sogenannten küchentechnischen Eigenschaften eines Lebensmittels, die damit verbundene Vereinfachung in der Zubereitung und der eigentliche Genusswert erschließen sich dem Käufer doch erst in der Anwendung. Wie auch soll der Genusswert von Freilandgemüse, von Brot mit 3-Stufen-Sauerteig mediengerecht übermittelt werden, von Lebensmittel also, die einfach nicht viel Zusätzliches brauchen? Etwa über Duftproben auf Rubbelfelder? Viele bunte Bilder?

Es sind vorwiegend Frauen, denen der Einkauf, das Kochen und die Gesundheitsvorsorge obliegt. Ihre Hand-Fertigkeiten und ihr Organisationsgeschick entscheiden über den Geschmack, das Gelingen des Rezeptes und letztlich darüber was wir weiterhin kochen und essen werden. Und hoffentlich erkennen Wissenschaftler wie Hersteller bald, dass Wissensvermittlung und Produktentwicklung auch umgekehrt fließen kann - vom Küchenalltag in die Labor - ein Ping-Pong-Spiel mit Zugewinn, praxisnah und generationen-übergreifend. Spielen sie mit!