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Lebendige Erde 6/2003:ErnährungLebensmittelqualität mit den Sinnen begreifenQualität er-tasten, er-riechen, er-schmecken, bewusst hören und fühlenvon Angelika Meier-Ploeger
"Der Mensch ist was er isst" dieser Satz des Philosophen Ludwig Feuerbach (1804-1872) beschreibt die Bedeutung der Ernährung für den Menschen. Das Verständnis von der Gesundheit des Menschen bezieht neben der körperlichen Ebene auch das soziale Wohlbefinden mit ein (WHO). Gesundheit ist kein Status, sondern ein tägliches Bemühen zur Erreichung eines körperlichen und seelischen Wohlbefindens. Essen und Trinken als tägliche, physiologische Notwendigkeit, können aber gerade durch die bewusste Auswahl sowie Zubereitung und durch die soziale Umgebung in der sie stattfinden, zum Wohlfühlen, ja zum Genießen dieser Alltäglichkeit beitragen. Dieses wäre sicher die beste Motivation zur gesunden Ernährung. "Klasse statt Masse" - Qualität schmecken will
gelernt sein Unser Verhalten allgemein, insbesondere aber das Essverhalten, wird nachhaltig von den Ereignissen beeinflusst, die es auslöst 5,6. Für das Kind positive Konsequenzen stabilisieren das Verhalten, negative unterdrücken es. Ein guter Geschmack, z.B. süß, ist ein starkes Motiv. Die Androhung, dass bei zu vielen Süßigkeiten Karies entsteht, ist für Kinder als negative Konsequenz so weit weg, dass dieser Appell ins Leere laufen muss. Insgesamt haben es Eltern heute schwer, gegen die Versprechungen der Fernsehwerbung insbesondere für "Kinderprodukte" anzukommen. Kinder sind für den Markt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Dies verdeutlicht nicht nur die Anzahl der Werbespots in den Medien 7,8, auch im Bereich des Marketings werden Kinder offen als "Kaufmotoren der Familie" oder auch "Markenspeicher" bezeichnet. Die Werbung setzt bewusst auf junge Zielgruppen, junge Eltern, bei
Kindern von drei bis sechs Jahren bewusst auf die Empfindungen der Kinder
selbst und bei Schulkindern zwischen sechs und neun Jahren auf das,
was in der Altersgruppe gerade "in" ist 9.
In ihrem Artikel "Kinder im Visier der Werbung" weist die Arbeitsgemeinschaft
der Verbraucherverbände 10 darauf hin,
dass es in Bildungseinrichtungen sog. Konsumpädagogen geben sollte.
Sie fordert als politische und pädagogische Konsequenz "die Stärkung
der Identität von Kindern, die Förderung ihrer Kreativität sowie das
Ermöglichen kritischer und verantwortungsbewusster Kompetenzen".11
Doch wie können Kinder oder auch Erwachsene diese Kompetenzen erwerben,
wenn gleichzeitig sowohl die Vorstellung von Qualität in der Wissenschaft
als auch in der Konsumentendiskussion stark variiert bzw. die Kompetenz
im Bereich Essen und Trinken nicht in der Schule vermittelt wird? |
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"Natur auf dem Teller?" Der Boden als Produktionsort für Lebensmittel ist heute nicht mehr zwingend, z.B. Hydrokultur im Gemüsebereich. Daneben geht die Region und damit auch der Bezug zur zeitlichen Verfügbarkeit von Lebensmitteln zunehmend verloren. Die Forderung der Konsumenten bzw. des Marktes "Alles zu jeder Zeit an jedem Ort", verknüpft mit der Notwendigkeit, bei sinkender Bevölkerung dennoch den Lebensmittelabsatz zu steigern, verstärkt die Innovationsfreude in der Produktentwicklung bei Lebensmitteln. In den Industrieländern stellt sich heute die Herausforderung, die "Satten wieder hungrig zu machen". Nach Gerhard Neumann 13 steht das tägliche Essen, die biologische Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung sowie die agrartechnische und industrielle Beherrschbarkeit der Nahrungsproduktion heute vielfach im Konflikt mit der kulturellen Bedeutung des Nahrungsgeschehens und Wertemustern, die sich u.a. in Lebensstilen äußern. Das Problem heute ist die Trennung von Natur und Kultur. Neumann stellt die Forderung nach einem die Natur- und Geisteswissenschaft verbindenden Forschungsfeld für die Wissenschaft vom Essen
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Jugendliche: Kaum Beziehung zur Natur Fühlen wie´s schmeckt - ein Lernmodell Ziel ist, die Aufmerksamkeit, den Forscherdrang der Kinder und Jugendlichen
für das alltägliche Essen und Trinken zu wecken, Lebensmittel als Erlebnis
für Auge, Hand, Nase und Zunge verbunden mit kleinen Experimenten zu
erfahren, Essen und Trinken als Mittelpunkt des Spielens oder des Unterrichts
(und nicht als Ablenkung) zu erleben und Probieren nicht als Machtkampf
in der Familie, sondern als Spielwiese der Sinne zu genießen. Kurz:
Die Qualität von Lebensmitteln auf der Zunge, in der Nase, in
der Berührung mit Hand und Gaumen zu be-greifen. Da die Werbung
in erster Linie verarbeitete Lebensmittel bewirbt und damit den Verkauf
und Verzehr dieser Produkte anheizt, ist es notwendig, von öffentlicher
Seite (Politik, Verbraucherschutz, Bildungseinrichtungen) gerade die
Qualität unverarbeiteter Lebensmittel, ihre Vielfalt in Form, Farbe,
Geruch und Geschmack wieder in das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen
zu rücken. |
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Dimensionen der Naturerfahrung von Jugendlichen
Dr. Armin Lude (Kiel), empirische Studie 17 |
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Ergebnisse der Lernpsychologie nutzen "Erkläre mir, und ich werde vergessen. Zeige mir, und ich werde mich erinnern. Beteilige mich, und ich werde verstehen!" (Konfuzius) Im Sinnesschulungsprogramm für den Vorschulbereich wurden die folgenden fünf Prinzipien aus der Erlebnispädagogik 16 berücksichtigt:
Die inhaltliche Gestaltung des Programms orientiert sich an folgenden von uns formulierten langfristigen Zielen, die auf dem Kindergartenteil des Konzeptes aufbauend mit dem sinnesorientierten Unterricht bis zur Sekundarstufe I fortgeführt werden sollen:
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Sinnesparcours als Übungsfeld Beim Sehen erfahren Kinder, dass die Farbe von Lebensmitteln etwas über den Reifezustand aussagt oder über den Verderb. Farbe kann ebenso Rückschlüsse auf einen bestimmten Geschmackseindruck zulassen. Auch die Manipulation mit Farben (z.B. Vortäuschung eines hohen Fruchtgehaltes durch Zusatz von Farbstoffen oder die Beleuchtung der Obst-, Gemüse- und Fleischtheke mit roten/gelben Lampen) wird spielerisch aufbereitet. Für das Riechen werden typische Gewürze und Pflanzen bereitgestellt und die entsprechenden ätherischen Öle in Riechfläschchen. Die Kinder ordnen die Pflanzen und die Gewürz- und Riechfläschchen einander zu. Fragen nach Assoziationen mit den erfahrenen Gerüchen bringen Kinder dazu, aus dem Alltag und über Gefühle und Erfahrungen mit Lebensmittel zu reden (z.B. Nelke: Zahnarzt oder auch Weihnachtszeit). Typische Kombinationen von Gewürzen und Lebensmitteln werden präsentiert (z.B. Rotkraut mit Nelke). Das Er-tasten von Oberflächen bekannter Obst- und Gemüsesorten oder von Nüssen in Tastbeuteln oder Tastkästen (mit Händen und ohne Sichtkontakt) macht Kindern immer wieder große Freude und lässt sie auf einen Sinneseindruck konzentrieren. Das Er-tasten mit der Zunge, dem Gaumen von Körnern, selbst hergestellten Flocken, Schmelzflocken oder Gries vermittelt Kindern spielerisch die Erzeugung verschiedener Verarbeitungsgrade eines Lebensmittels (z.B. Hafer, Weizen). Auch die Zuordnung bekannter Lebensmittel wie Nudeln, Brot, Bier zu Getreidesorten (geerntete Büschel vom Feld) unterstützt diese "Warenkunde". Die Frage "Kann man Lebensmittel hören?" erstaunt Kinder zuerst, schnell aber fallen ihnen Chips, Kekse, Sprudelflasche, Bierflasche beim Öffnen ein. Das Beispiel frischer und gelagerter Möhren und deren Geräusch beim Kauen verdeutlicht die Wichtigkeit dieses Sinneseindrucks zur Qualitätsbeurteilung von Lebensmitteln. Die Erfahrung des Schmeckens verschiedener Lebensmittel wird anhand typisch saurer, süßer, bitterer und salziger Lebensmittel (Auswahl nach Saison) vermittelt. Mit Pipettenfläschchen werden Standardlösungen auf die Zunge geträufelt und Kinder erfahren wo sie am besten "süß" schmecken (Zungenspitze) bzw. "bitter" (Zungengrund). Das Entdecken der Geschmacksknospen mit der Lupe lässt Kinder staunen ebenso wie die Erfahrung, dass Mund und Nase zusammen den Geschmack (Aroma) eines Lebensmittels prägen. Dazu kaut ein Kind mit geschlossener Nase eine gesalzene Nuss und merkt sich den Geschmack (salzig). Dann wird die Nase geöffnet. Nach Öffnung entwickelt sich beim Weiterkauen das typische Nussaroma. Kinder kennen die Erfahrung, dass mit einer verstopften Nase "alles nicht so richtig schmeckt". Bei kleineren Kindern kann über (Grimm´sche) Märchen, in denen
Lebensmittel vorkommen, das Interesse für diese Lebensmittel und ihre
Verarbeitung geweckt werden (z.B. "Der süße Brei"). Auch der Bezug zur
Landwirtschaft ist hier spielerisch zu vermitteln. So wird mit dem Märchen
der "Bauer und der Teufel" erzählt, dass es Lebensmittel gibt, die über,
und solche, die unter der Erde wachsen. Bei einem Spaziergang über den
Wochenmarkt suchen nun Kinder oberirdisch und unterirdisch wachsende
Lebensmittel aus, die anschließend besprochen, zubereitet und verzehrt
werden. Sowohl für Schulkinder bis zur Sekundarstufe I als auch Kindergartenkinder
sind Exkursionen zu Bauernhöfen, Bäckereien, Käsereien etc. eine Notwendigkeit,
um die emotionale Bindung zur Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung
zu bekommen. Für diese Bildung im Bereich Ernährungskultur sind Mitstreiter
wie Anbauverbände, Verbraucherinitiativen und auch Verarbeiter und Handel
gesucht. Die Bewegung Slow Food fördert mit ihrer Aktion "Arche des
Geschmacks" regionale Lebensmittel und Rezepte nach dem Motto "Essen
was man retten will". |
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Fühlen wie's schmeckt - Sinnesschulung für Kinder
Fühlen wie's schmeckt - Sinnesschulung für Kinder
und Jugendliche |
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Literatur 1 ALVENSLEBEN, R. v., BRUHN, M. (2001):
Verbrauchereinstellungen zu Bioprodukten Ergebnisse einer neuen Langfriststudie,
Vorträge zur Hochschultagung, Schriftenreihe der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Kiel, Heft 92, S. 91-100 |
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. Prof. Dr. Angelika Meier-Ploeger, Universität Kassel, FG Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur, Nordbahnhofstr. 1a, 37213 Witzenhausen. |