Lebendige Erde 1/2004:

Ernährung

Agrarwende ohne Ernährungswende?

Anders ernähren anders einkaufen - ohne aktive Verbraucher keine Wende

von Petra Kühne

Was darf´s sein auf dem Teller? Die Ernährungswende hat erst bei sehr wenigen Gemeinschaftsverpflegern begonnen  

Die Begründung des Ökolandbaus u.a. durch die Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise 1924 war von Anfang an kombiniert mit einer vollwertigen Ernährungskultur. Damals gab es die sogenannte Reformernährung, die vegetarisch und vollwertig ausgerichtet war. Auch im biologisch-dynamischen Angebot gab es lange Zeit beispielsweise kein Demeter-Fleisch und auch die biologisch-organische Landbaubewegung strebte eine reformerische Ernährung an. Später verwandelte sich dies zur Vollwerternährung.
Seit den neunziger Jahren werden die biologische Landwirtschaft und die Vollwerternährung von Teilen der Öko-Bewegung als getrennte Dinge gesehen. Hauptsache Bio für den Boden, wie man isst, ist egal. Seit der Agrarwende 2001 in Deutschland hat sich diese Richtung verstärkt. Die Einführung von Bio-Lebensmitteln und der sehr forcierte Druck, eine bestimmte Prozentzahl an Produktion und damit Verzehr zu erreichen, führt dazu, dass unter dem Attribut "Bio" auch Produkte eingeführt werden, die nichts mehr mit vollwertiger Ernährung zu tun haben. So gibt es Konserven mit Gemüse, Gulaschsuppe oder Bio H-Milch von bekannten, konventionell produzierenden Firmen auf dem Markt.
Mit diesen herkömmlichen Produkten, die aus Bio-Rohstoffen hergestellt sind, kommen die großen Lebensmittelfirmen auf den Bio-Markt. Sie bringen ihre Strukturen, ihre Produktionsmethoden und ihre Art der Handelsbeziehungen mit sich. Diese sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen oftmals Marktmechanismen, die den ursprünglichen Intentionen der Biobranche widersprechen, eigentlich nicht gewollt werden, mit Preisdruck auf die Bauern (wachse oder weiche!) und hartem Verdrängungswettbewerb im Handel.
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Aufgabe der Verbraucher: Wissen, wen sie mit dem Einkauf fördern
Agrarwende bedeutet daher auch, dass neue Vermarktungswege entstehen, Beziehungen zwischen Erzeugern, Verarbeitern, Händlern und Verbrauchern geknüpft werden. Solche Beziehungen benötigen aber Zeit, um zu wachsen. "Wachsen, nicht wuchern" lautet ein bekanntes Motto aus der Öko-Bewegung. Wachsen bedeutet Zeit für Entwicklung. Dies heißt für die Verbraucher, dass sie sich ihrer Bedeutung klarer werden. Verbrauchervereine, in denen tatsächlich Verbraucher aus eigenen Bedürfnissen sich zusammengeschlossen haben, gibt es in kleiner Zahl. So gibt es Demeter-Verbrauchervereine in Deutschland, der Schweiz und Schweden.1 Dabei kümmert sich der Konsumentenverein Zürich neben der Lebensmittelqualität auch um die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen, was sich schon im Namen ausdrückt (Konsumentenverein Zürich zur Förderung des biologisch-dynamischen Landbaus und der assoziativen Wirtschaftsordnung), schaut also über die biologisch-dynamische Erzeugung auf weitere wirtschaftliche Einflüsse. Auch im Arbeitskreis für Ernährungsforschung sind viele Verbraucher Mitglied. Dann gib es einige Ökoverbände mit Verbrauchern wie den Ökomarkt Hamburg, aber auch foodwatch oder die Verbraucher-Initiative.

Verbraucherinteressen selbst in die Hand nehmen
Viele Organisationen, die für Verbraucher sprechen, sind jedoch nicht von Verbrauchern organisiert und finanziert, sondern von "oben" mit Steuergeldern wie die Verbraucherzentralen. Andere Vereine oder Verbände repräsentieren Berufsgruppen wie der Hausfrauen-Verband, der in der Hauswirtschaft Tätige vertritt. Wenn berufliche Interessen dahinter stehen, sind es aber nicht mehr in erster Linie Verbraucherinteressen. Die Verbraucher müssen also zukünftig stärker ihre Interessen vertreten, diejenigen Lebensmittel kaufen, deren Produktion, Erzeugung und Handelsstrukturen sie tatsächlich wollen. Auf der anderen Seite sollten sie ihre Bedürfnisse, die über den Kauf, der ja eine Zustimmung zu diesem Produkt und seiner Herstellungsweise darstellt, hinausgehen, artikulieren.
Ein immer noch bestehendes Problem im Bio-Bereich ist die Verfügbarkeit, sind die nicht ausreichenden Einkaufsmöglichkeiten, obwohl es hier schon Verbesserungen gibt. Aber noch oft erschweren lange Wege und fehlende Parkmöglichkeiten älteren Menschen und Familien mit kleinen Kindern die Beschaffung der Bio-Lebensmittel. Daher sind weitere Einkaufsstätten, Märkte, Abo-Systeme mit Lieferservice sicherlich ein wichtiger Bereich, um die Agrarwende auch mit einer Ernährungswende zu verbinden.
Daneben ist die Kostform von Bedeutung. Zwar schließen sich Bio und Convenience nicht aus, aber der Verbraucher muss sich klar sein, dass viel Bequemlichkeit und lange Haltbarkeit nicht bei allen Lebensmitteln ohne größere Qualitätsveränderungen möglich sind. Wenn ein kurzzeitig haltbares Lebensmittel wie Milch 7 Tage gekühlt (pasteurisiert), 21 Tage gekühlt (hocherhitzt) oder 90 Tage ungekühlt (ultrahocherhitzt) haltbar ist, dann sind Verarbeitungsverfahren nötig, die unterschiedlich intensiv auf die Milch einwirken. Dies muss jedem klar sein, wenn er sein Essens- und Einkaufsverhalten nach langer Haltbarkeit und seltenem Einkaufen ausrichten will, statt in konventioneller nun in Bio-Qualität .
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Wahlfreiheit der Verbraucher?
Mehr Transparenz ist nötig Vielfach wird argumentiert, dass der Verbraucher bestimmte Produkte eben will, auch wenn Ernährungsfachleute die Verarbeitung für ein Bio-Produkt für zu weitgehend halten. Hierzu sollte man bedenken, dass eine bewusste Kaufentscheidung Transparenz voraussetzt. Wie entsetzt waren Verbraucher, als eine Fernsehsendung aufklärte, woraus die Aromen in den beliebten Fruchtjoghurts gemacht werden oder in der BSE-Krise, was die Kühe zu fressen bekamen. Oft wird mit Werbung und bunter Verkaufspackung genau das Gegenteil vermittelt, nämlich eine nicht bestehende Idylle der Nahrungserzeugung und Verarbeitung. Viele Verbraucher mit wenig Kontakt zur Landwirtschaft oder Lebensmittelproduktion ahnen nicht, wie etwas hergestellt wird, für das auf solche Art geworben wird. Hier ist schon zu überlegen, wie die streng oder locker Verarbeitungsrichtlinien der Öko-Produkte gefasst werden. Dazu gehört dann aber auch eine Aufklärung über Verarbeitungsprozesse sprachlich und mit Fotos, damit die Verbraucher lesen und sehen, worum es sich handelt.

Nicht alles, was als bio gepriesen wird, ist gesund.  

Veränderung der Ernährungsgewohnheiten
Günstiger und auch gesünder ist es, sein Ernährungsverhalten mit dem Kauf von Bio-Produkten zu verändern. Die heutige Ernährung in den Industrieländern wird zu Recht von Ernährungswissenschaftlern und Medizinern als unzureichend, zu reichlich und oft zu einseitig beurteilt. Noch immer werden zu wenig Obst und Gemüse, zuviel Fleisch und Wurst, zuviel fetthaltige Lebensmittel verzehrt. Die Hinwendung zu einer Vollwerternährung kommt somit sowohl den Bio-Bauern, der Erde und der menschlichen Gesundheit zugute. Außerdem wird durch geringere Verarbeitung der Energieverbrauch vermindert.
Franz Alt, Fernsehmoderator und Buchautor formulierte "Bio ist nicht Öko".2 Ökologisch anbauen, verarbeiten und verzehren ist eben mehr als nur Bio-Anbau. Daher muss das Ziel einer Agrarwende auch die Verarbeitung, den Handel und die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten einschließen. Die Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise basiert auf solch einer ganzheitlich ökologischen Idee. Es geht um Produktion gesunder Lebensmittel für Mensch und Erde, um soziale Gestaltung (landwirtschaftlicher Organismus) und weiterführend um assoziatives Wirtschaften. Diese Ziele sollten bei einer forcierten Agrarwende nicht aus den Augen verloren werden, nur um möglichst schnell und viel Bio anzubauen und zu vermarkten.

 
 

Literatur

1 Ernährungsrundbrief Nr. 113 (2001), S. 38
2 Alt, Franz u. Brigitte: Agrarwende jetzt. München 2001
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Dr. Petra Kühne leitet den Arbeitskreis für Ernährungsforschung, Niddastr. 14, 61118 BadVilbel, AK-Ernaehrung@t-online.de