Lebendige Erde 3/2004:

Ernährung

Ernährung wirkt gesundheitlich und ökologisch

Mit bewusster Ernährung lassen sich negative Umweltwirkungen minimieren

von Gunther Weiss
Es macht für unseren Planeten einen Unterschied ob die Frikadelle konventionell, ökologisch oder vegetarisch erzeugt ist.

Die Ernährung ist eine wesentliche Grundlage zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Für eine "optimale" Ernährungsweise gibt es jedoch sehr unterschiedliche Empfehlungen. Von der Rohkosternährung über die Trennkost und Makrobiotik bis hin zur vollwertigen Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung unterscheiden sich die Empfehlungen stark voneinander. Allen Ernährungsformen ist jedoch gemeinsam, dass sie gesundheitlich begründet werden. Unsere Ernährungsweise beeinflusst aber nicht nur unsere eigene Gesundheit. Erzeugung, Verarbeitung, Transport, Handel und die Entsorgung der Abfälle führen zu einer Reihe von weitergehenden Wirkungen. So verbrauchen alle Prozesse während des gesamten Lebensweges eines Lebensmittels Ressourcen (z.B. Energie) und führen zur Erzeugung von Emissionen (z.B. Autoabgase). Bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Ernährungsweise werden daher neben den direkten gesundheitlichen Aspekten auch ökologische, soziale und ökonomische Faktoren berücksichtigt. Dies wird sogar durch ein eigenes Wissenschaftsgebiet, die Ernährungsökologie, beschrieben (1).

Importe, Kosten, Energieverbrauch
Die Bedeutung unserer Ernährungs- bzw. Lebensweise im Zusammenhang mit einer ganzheitlich verstandenen Ernährungsempfehlung lässt sich an einigen markanten Beispielen zeigen. Für die Ermöglichung unseres derzeitigen Ernährungsstils nutzen wir beispielsweise Ackerflächen im Ausland. Durch den Import von Südfrüchten und Futterpflanzen nutzt Europa indirekt Ackerflächen ausserhalb der EU. Dies führt nach Abzug der Exporte von Agrarerzeugnissen zu Nettolandimporten, die der Fläche Bulgariens entsprechen. Allein für den Anbau des in der EU getrunkenen Kaffees wird eine Fläche in der Größe Baden-Württembergs in Anspruch genommen. Bezogen auf die gesamte landwirtschaftliche Fläche Europas nutzen wir 9% an Fläche außerhalb Europas.

Einfuhren nach Europa (mio t) Ackerfläche im Ausland (km2)
Soja 12,8 63.000
Kaffee 2,2 36.000
Kakao 1 20.500
Netto-landimporte 120.000
Tab. 1: Europas Ackerflächen im Ausland

Zu den Konsequenzen unserer Ernährungsweise gehören auch hohe volkswirtschaftliche Kosten. Der ernährungsabhängige Produktivitätsverlust in Entwicklungsländern durch Krankheiten und Hunger als (Mangel)- Ernährungsfolge, beträgt zwischen 64 und 128 Mrd US $ pro Jahr. In den USA hingegen verursacht der Fleischkonsum (120 kg/Jahr und Person) als wichtiger Faktor bei der Entstehung verschiedener ernährungsmitbedingter Krankheiten medizinische Kosten in Höhe von 29-61 Mrd US $ pro Jahr. Die Fettsucht erzeugt durch direkte Kosten (z.B. Krankenhausaufenthalte) und indirekte Kosten (z. B. Produktivitätsverlust) jährliche Kosten von 117Mrd US $. Das sind 12% der gesamten Ausgaben der USA im Gesundheitssektor. Im Vergleich dazu verursacht das Rauchen jährliche Kosten von 47 Mrd US $. Zu den medizinischen Kosten des Übergewichts kommen jährlich noch 33 Mrd. US $, die für Diät-Lebensmittel und Diät-Programme ausgegeben werden (2).

Die Bereitstellung unserer Nahrungsmittel und die damit verbundenen Leistungen verursachen erhebliche Umweltbelastungen. Im Jahre 1991 wurden in Deutschland 50 Mio t Lebensmittel abgesetzt. Daraus folgte ein Materialumsatz von 200 Mio t und ein Primärenergieverbrauch von 600 PJ1. Hinzu kommt ein Energieaufwand von 140 PJ für den Transport sowie 170 PJ für Verpackungen. Die Ernährung der Deutschen verursacht jährlich die Emission von 260 Mio t CO2-Äquivalenten, das entspricht einem Fünftel der Gesamtemissionen für alle Waren und Dienstleistungen. Pro Person verursacht unsere Ernährung 3200 kg und Jahr (3).
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Erzeugung tierischer Lebensmittel: energie- und rohoffintensiv
Bei einer ersten Aufgliederung des Bereiches Ernährung zeigt sich, dass bei der Emission von CO2-Äquivalenten die Landwirtschaft den Hauptanteil verursacht. Über 50 % (135 Mio. t/Jahr) der emittierten Stoffe kommt aus dem Bereich der Agrarproduktion. Hierbei sind alle Vorleistungen für die Landwirtschaft, wie Dünge- und Pflanzenschutzmittelbereitstellung sowie Treibstoff und Strom, enthalten. Der Anteil für die Produktion tierischer Lebensmittel ist mit 115 Mio. t CO2-Äquivalenten fast sechsmal so hoch wie der Anteil für pflanzliche Lebensmittel. Die nachfolgende Verarbeitung verursacht 6 %, der Handel einschließlich Distribution 13 % und die Verbraucheraktivitäten 29 % der Gesamtemissionen durch den Ernährungssektor (3). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass von der gesamten pflanzlichen Produktion in Deutschland 80 % als Futtermittel zur Milch- und Fleischerzeugung eingesetzt werden (4).

Diese Zahlen geben aber auch Hinweise für Einsparpotentiale. Die Nahrungsmittelproduktion, also landwirtschaftliche Erzeugung und Verarbeitung, kann durch die Umstellung der Ernährung enorme Mengen an CO2-Äquivalenten einsparen. Der überwiegende Teil (85 %) der klimarelevanten Emissionen bei der Nahrungsmittelherstellung entsteht durch die Produktion tierischer Lebensmittel. Mit dem Austausch z.B. einer fleischhaltigen Menükomponente (Frikadelle aus Schwein- und Rindfleisch) durch eine fleischlose (vegetarischer Bratling aus Gerste, Roggen und Gemüse) kann der Primärenergieverbrauch um 50 % und die Emission von CO2-Äquivalenten um 92 % gesenkt werden (3).

Lebensmittel konventionelle Erzeugung(MJ/kg) ökologische Erzeugung(MJ/kg)
Milch 6,56 2,86
Rindfleisch 22,5 12,28
Schweinefleisch 10,85 8,64
Tab. 2: Vergleich des Primärenergieverbrauchs bei der Lebensmittelerzeugung (in MJ/kg) (nach Enquete- Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ 1995)

 

Welchen Einfluss haben die Erzeugungsmethoden?
Der Vergleich des Primärenergieverbrauchs unterschiedlicher Erzeugungsmethoden offenbart eine weitere Einsparmöglichkeit bei der Lebensmittelerzeugung. Die ökologische Erzeugung tierischer Produkte benötigt im Vergleich mit konventioneller Erzeugung wesentlich weniger Primärenergie. Die Unterschiede zwischen den Erzeugungsformen sind hauptsächlich durch die Vorleistungen der konventionellen Tierhaltung bedingt. Im direkten Energieeinsatz, also der Energie, die der Bauer selbst verbraucht durch Treibstoff­ und Stromnutzung, sind keine wesentliche Unterschiede festzustellen. Der indirekte Energieeinsatz berücksichtigt die Vorleistungen wie den Anbau von Futtermitteln inkl. der Düngemittelbereitstellung und deren Transporte, sofern sie nicht auf dem eigenen Hof erzeugt werden. Der Unterschied der Erzeugungsformen ist wesentlich durch diese indirekte Leistungen bestimmt. Eine Umstellung auf eine ökologische Wirtschaftsweise führt daher zu einer deutlichen Senkung des Primärenergieverbrauchs. Der Vergleich von konventionellen Lebensmitteln mit solchen aus kontrolliert-ökologischem Anbau zeigt noch weitere Unterschiede. Ökologische Lebensmittel haben geringere Pestizidgehalte, niedrigere Nitratrückstände, niedrigere Proteingehalte bei Getreide und höhere Trockensubstanzgehalte sowie teilweise höhere Gehalte an Sekundären Pflanzenstoffen als konventionell erzeugte Lebensmittel. Kein Unterschied besteht bei schwer abbaubaren Kohlenwasserstoffen und den meisten ernährungsphysiologischen Parametern (5). Die weitere Aufgliederung des Bedarfsfeldes Ernährung führt zum Vergleich einzelner Nahrungsmittelgruppen.

Die Auswahl an Lebensmitteln bestimmt den ökologischen Rucksack
Die Materialintensität beschreibt die aufsummierte Materialmenge, welche für die Erzeugung und die Aufbereitung eines Produktes notwendig ist. Dies wird in anderen Zusammenhängen auch als "ökologischer Rucksack" bezeichnet. Bei Lebensmitteln wie Getreide, Gemüse und Obst ist dieser Rucksack relativ klein. Produkte wie Zucker und Fette sind dagegen mit 12-13kg pro kg Produkt wesentlich ungünstiger. Die Zuckerindustrie ist beispielsweise hat einen hohen Wasserverbrauch und ist sehr energieintensiv. Der Gesamtenergieverbrauch des produzierenden Ernährungsgewerbes wird zu 20% durch die Zucker- und Süßwarenindustrie verursacht (6). Das ungünstigste Verhältnis der Materialintensität ist bei Fleisch und Fleischerzeugnissen festzustellen. Fast 17 kg Material werden bewegt oder benötigt, um 1 kg Fleisch zu erzeugen (7).

Der Vergleich von saisonaler mit asaisonaler Ware zeigt eine weitere Handlungsmöglichkeit. Tomaten, die aus Gewächshausanbau stammen, verbrauchen für ihre Erzeugung 50mal mehr Energie pro kg als Freilandtomaten. Der Vergleich der Erzeugung von CO2-Äquivalenten zeigt, dass Freilandtomaten nur 1/30 der Emissionen erzeugen wie Treibhaustomaten. Im Vergleich von 20 kg Äpfeln erzeugen die Äpfel vom Direktvermarkter nur 72 % der Emissionen gegenüber den importierten aus Neuseeland. Bei einer Steigerung der Absatzmenge wird das Verhältnis zugunsten der saisonalen Versorgung noch deutlicher (3).

Produktgruppe MI (kg/kg) Anteil am BE (%)
Getreide(-erzeugnisse) 3,7 4
Reis, Hülsenfrüchte und Kartoffeln 2 3
Gemüse und Obst 1,4 2
Zucker, Glucose, Kakao 13,1 5
Pflanzliche Öle und Fette 12,1 2
Fleisch(-erzeugnisse) 16,7 16
Milch(-erzeugnisse) 6,6 20
Eier(-erzeugnisse) 4,2 1
Tab 3: Materialintensität (MI) von Nahrungsmittelgruppen im Bedarfsfeld Ernährung (BE) in Deutschland
Eigenschaften einer nachhaltigen Ernährung

1. überwiegend vegetabil

2. ökologisch erzeugt

3. regional und saisonal produziert

4. bevorzugt gering verarbeitet

5. umweltfreundlich verpackt


 

 

Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährungsweise
Aus den gezeigten Beispielen lassen sich einfache Empfehlungen ableiten, die im Sinne einer ganzheitlichen Lebensmittelqualität gesundheitliche, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigen.

  • Eine nachhaltige Ernährung sollte in diesem Sinne überwiegend vegetabil sein. Die gesundheitlichen Vorteile liegen in einer Verminderung der Fettzufuhr, der Proteinzufuhr und der Gesamtenergiezufuhr. Die Umweltbelastung wird durch den geringeren Energieverbrauch für die Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel deutlich reduziert. Von sozialer Bedeutung ist die Tatsache, dass dadurch weniger Futtermittel aus Entwicklungsländern importiert werden. Eine nachhaltige Ernährungsform sollte zudem ökologisch erzeugt werden. Einsparungen im Energieverbrauch und Verminderungen der Schadstoffeinträge in die Umwelt sind die vorteilhaften Aspekte dieser Empfehlung.
  • Eine regionale und saisonale Erzeugung der Lebensmittel ist ebenfalls zu bevorzugen. Unnötige Transporte und die energieintensive Gewächshausproduktion werden hierdurch vermieden. Die Erzeugnisse sind frischer und haben in vielen Fällen einen höheren Gehalt wünschenswerter Inhaltsstoffe, da weniger Lagerungsverluste auftreten und Feldfrüchte zum Zeitpunkt ihre optimalen Reife in der Regel ein Maximum an wertgebenden Stoffen beinhalten.
  • Die so erzeugten Lebensmittel sollten bevorzugt gering verarbeitet werden. Die im Lebensmittel enthaltenen Stoffe bleiben so weitestgehend erhalten. Verarbeitungsbedingte Verluste, wie bei hellem Auszugsmehl, werden umgangen. Zudem wird Energie eingespart, da energieintensive Verarbeitungsverfahren ausbleiben.
  • Die Nahrungsmittel sollten umweltfreundlich verpackt werden. Hierdurch werden eine Menge Verpackungsmüll eingespart und die Probleme einer Entsorgung entstehen gar nicht erst.
  • Bei Produkten aus Entwicklungsländern sollte auf Erzeugnisse aus fairem Handel geachtet werden. Dies ermöglicht den Erzeugern ein gerechtes Auskommen und verdirbt uns nicht den Appetit, da die Produkte mit gutem sozialem Gewissen verzehrt werden können.
  • Zu guter Letzt sollten die Lebensmittel schmackhaft zubereitet werden. Lebensfreude und Genuss beim Essen sind gesundheitlich vorteilhaft und motivieren dazu, eine ganzheitlich optimale Ernährung zu praktizieren. Der entscheidende Beitrag einer ganzheitlichen Ernährungsbetrachtung besteht darin, über die Zusammenhänge im Ernährungssystem aufzuklären, Ursachen zu benennen und Lösungswege aufzuzeigen. Die Bewertung von Lebensmitteln ist dabei system- und vorsorgeorientiert. Daraus ergeben sich die einfachen Handlungsregeln einer nachhaltigen Ernährung, die Verbrauchern ermöglichen sich im ganzheitlichen Sinn nachhaltig zu ernähren.

 

 

Quellen und Literatur

Alföldi T., Bickel R., Weibel F., Vergleichende Qualitätsuntersuchungen zwischen biologisch und konventionell angebauten Produkten: Eine kritische Betrachtung der Forschungsarbeiten zwischen 1993 und 1998, 32 s. FIBL, Frick (Schweiz) 1998
(4) Bundesministerium für Umwelt (Hrsg), Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland, 90 S. Bundesministerium für Umwelt, Bonn 1997
(7) BUND und Misereor (Hrsg), Zukunftsfähiges Deutschland – Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, 466 S. BirkhäuserVerlag, Basel 5. Aufl 1998 (1. Aufl 1996)
(3) Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages. Mehr Zukunft für die Erde, 1540 S. Economica, Bonn 1995
(6) Koerber K v, Kretzschmer J. Der Anspruch von Nachhaltigkeit im Ernährungsbereich Verbraucherdienst 44 (4), 88-95, 1999
Koerber, K. v., Männle, T., Leitzmann, C. Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemäßen Ernährungsweise. 284 S. Haug Verlag, Heidelberg 9. Aufl 1999
Krämer G. Entwicklung neu denken: Unterrichtsmaterialien zum Thema "nachhaltige zukunftsfähige Entwicklung" Klassen 8-13, 95 S. Dritte Welt Haus, Bielefeld 1997
(1) Spitzmüller EM, Pflug-Schönfelder K, Leitzmann C. Ernährungsökologie – Essen zwischen Genuß und Verantwortung. 207 S. Haug Verlag, Heidelberg 1993
(5) Woese K, Lange D, Boess C, Bögl KW. Bio-Lebensmittel auf dem Prüfstand, BgVV-Hefte 07/1995, 1995
(2) Worldwatch Institute. State of the World 2000, 276 p. Norton & Company, New York 2000 Worldwatch Institute. State of the World 2004, 245 p. Norton & Company, New York 2004

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Gunther Weiss, Ernährungswissenschaftler, arbeitet beim Demeter-Marktforum, Brandschneise 1, 64295 Darmstadt.