Lebendige Erde 5/2004:

Essay

Existenzgründungen in der Landwirtschaft

Die Neugründung von Höfen ist möglich und notwendig

von Götz Schmidt

Trotz großer ökonomischer Schwierigkeiten in der Landwirtschaft gibt es viele Menschen, die neu anfangen wollen. Sie haben keinen Hof geerbt und wollen dennoch praktische Landwirtschaft betreiben. Viele Bauernfamilien, die den Hof aufgeben müssen, könnten das Land meistbietend verpachten oder verkaufen. Doch sie hoffen, dass der Hof erhalten bleibt und von neuen Leuten weiter betrieben wird.
Beides widerspricht dem Strom des landwirtschaftlichen "Strukturwandels." Größer werden muss, wer überleben will. "Wachsen oder Weichen" gilt als ökonomisches Naturgesetz. Als Städter neu einsteigen in die Landwirtschaft, das verstößt deshalb gegen Denkmuster, die in der Landwirtschaft selbstverständlich geworden sind. Doch ein Berufsstand hat sich aufgegeben, der keinen Zustrom von außen duldet. Eine bäuerliche Landwirtschaft hat als "closed shop" keine Zukunft. Auch deshalb ist das Nachdenken über Möglichkeiten und Hindernisse beim Neugründen so wichtig.

Existenzgründungen - trotz der großen ökonomischen Probleme der Landwirtschaft
Hofneugründungen werden oft als romantischer Idealismus belächelt. Warum sollen die Neugründer erfolgreicher sein, als all die vielen, die den Hof aufgeben? Und was die Sache noch schwieriger macht: Hofneugründer müssen den Hof erst mühsam erwerben, den die Hofnachfolger erben könnten, aber nicht haben wollen. Doch ein genauerer Blick auf die Situation der Hofnachfolger zeigt, dass die Chancen für Neugründungen gar nicht so schlecht stehen.
Nur bei einem Drittel der Betriebe, deren Betriebsleiter älter als 45 Jahre sind, ist die Hofnachfolge heute geklärt. Während bei den Betrieben unter 20 Hektar lediglich 27 Prozent sicher Hofnachfolger haben, ist dies bei den über 50 Hektar großen Betrieben immerhin bei 58 Prozent der Fall. 1 In diesen Betrieben wird noch am ehesten ein Einkommen erwirtschaftet, das ein bis zwei Familien ernähren kann. 2 Umso verwunderlicher ist jedoch, dass gerade in diesen größeren Betrieben die Unklarheit bei der Hofnachfolge sich von 1987 bis 1999 verdoppelt hat. 3 Es gibt hier zwar relativ mehr Hofnachfolger, doch in keiner anderen Größenklasse ist deren Zahl in den letzten Jahren so schnell gesunken. Was sind die Ursachen, dass, zum Entsetzen der landwirtschaftlichen Fachpresse, die "Falschen" gehen? Die Vermutung liegt nahe, dass ökonomische Gründe durch andere Entscheidungsgründe der Bauernkinder überlagert werden. So spielen z. B. Wertvorstellungen eine Rolle dabei, ob ein Hof übernommen wird oder nicht.

Höfe finden ist nicht einfach
 

Thema auch im Osten
Bei den Wiedereinrichtern steht der Generationenumbruch an. Sie haben den Hof ab 1990 neu gegründet und waren dabei in dem Alter, in dem man sich das noch zutrauen konnte. Nun fehlt die Hofnachfolge, doch sie wollen den Hof verteidigen, den sie mit Mühen aufgebaut haben. Eine weitere, kaum beachtete Entwick- lung: Angesichts der schlechten Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern reaktivieren Verpächter ihre Landwirtschaft. Die Pachtverträge des nach der Wende verpachteten Landes laufen aus. Sie nehmen das Land zurück, und versuchen mit der Landwirtschaft eine Alternative zur Arbeitslosigkeit. Beides ergibt neue Chancen für Existenzgründungen.

 

Stadt und Land und der nötige Transfer städtischen Geldes
Bleiben die Finanzierungsfragen. In den seltensten Fällen können neugegründete Höfe durch die Erlöse aus der landwirtschaftlichen Arbeit gekauft werden. Bei den heutigen Preisen für den Boden ist meist Geld aus anderen Quellen nötig, um einen Hof zu erwerben. Oft sind es Gelder, die aus außerlandwirtschaftlichen Einkommensmöglichkeiten oder aus Erbschaften, Stiftungen, Sponsoren usw. stammen. Solange der Boden Kapitaleigenschaften hat, solange eine Bodenreform kaum denkbar erscheint - solange werden die unterschiedlichsten Formen des Transfers städtischen Geldes notwendig bleiben.

Das Abgeben eines Hofes ist schwer, doch es kann auch eine Befreiung sein

Höfe in gemeinnütziger Trägerschaft praktizieren dies und stellen es bewusst als Absicht heraus. Städter übernehmen Verantwortung für ein Stück Land und sorgen sich um ihre Lebensmittel. Daraus wäre viel zu lernen in einer Debatte, die noch oft geprägt ist von der in landwirtschaftlichen Kreisen weitverbreiteten "Weisheit":, dass man zum Bauern geboren sein muss.
Es gibt keinen Anlass, nur hinter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass das Geld für den Kauf des Hofes aus der Stadt kommt. Auch wenn Städter die Investition bezahlen, muss das nicht heißen, dass die Initiative der Wirtschaftenden erstickt wird. Im Gegenteil, damit kann ein Spielraum eröffnet werden, der von ökonomischen Zwängen entlastet und andere Wege ermöglicht. Hofneugründungen werden es deshalb schwerer haben, wenn sie nicht offensiv mit all den Finanzierungen umgehen, die ihnen die städtische Lebenswelt ermöglicht.

 

Beispiel England: Die Krise als Chance
In England wird dies offener diskutiert. Die schwere Krise der letzten Jahre (BSE, Maul- und Klauenseuche) hat viele Farmer demoralisiert. Sie gaben die Höfe auf und verkauften. Zwei Drittel aller Farmen, die im Frühjahr 2003 verkauft wurden, haben Städter erworben. 4 Das schlägt Wellen über die landwirtschaftliche Presse hinaus. Einige Zitate:

Die TIMES sieht darin eine Herausforderung der modernen Selbstverständlichkeit, dass spezialisierte Landwirtschaft die einzig richtige Nutzung des Landes sei. Enthusiastisch begrüßt wird, dass endlich wieder in der intensivsten Ackerbaulandschaft Europas neue Feldfrüchte, Tierhaltung, kleine Farmen und eine Vielfalt in die Landschaft kommen. Daily Telegraph: Farmer denken traditionell. An den Großhandel zu verkaufen und mehr und mehr zu produzieren, darin sehen sie den einzigen Weg um größer zu werden und mehr Geld zu verdienen. Städter kommen aufs Land, kaufen Farmen entweder als neue Karriere, als Hobby oder um einen weniger stressigen Teilzeitjob zu ergänzen. Die Neuankömmlinge bringen frischen Wind, ein Gefühl für die Landschaft und die Umwelt. Sie sind sich nicht zu schade, direkt zu vermarkten. 5

In der landwirtschaftlichen Presse Englands gibt es dazu kontroverse Standpunkte:

Die einen sehen das Ende des Landlebens und seiner sozialen und kulturellen Strukturen gekommen. Die anderen sehen in den Landkäufen der Städter nicht notwendigerweise eine schlechte Nachricht für die Farmer. Die Neuankömmlinge verpachten das Land, helfen den anderen Farmern bei der Vergrößerung, sie beschäftigen lokale Bauunternehmen, gründen neue Firmen.6

Nüchtern werden Vor- und Nachteile abgewogen. Trotz der völlig anderen Agrarstrukturen Englands ist daraus etwas zu lernen. 7
Denn unsere Diskussion ist in der Regel zu eng. Familien, die Landwirtschaft im Kleinbetrieb, als Nebenerwerb, als Hobby oder zur Subsistenz betreiben, werden nur nach ihrer Marktleistung und den Flächenanteilen bewertet. Und die sind gering. Der Spott über die geringe ökonomische Bedeutung hat oft noch einen schlimmen Unterton. Den kleinen Wirtschaften wird vorgeworfen, dass sie die Landwirtschaft mit ihren städtischen Einkünften alimentieren, dass sie nicht rechnen, dass sie am Land hängen, statt es "strukturverbessernd" an die Wachstumsbetriebe zu verpachten. In solchen Debatten wird die Scheidelinie zur Stadt an der falschen Stelle gezogen. Denn trotz ihrer geringen ökonomischen Rolle ist die Rolle der kleinen Wirtschaften in der ländlichen Gesellschaft positiv. 8 Die Mehrheit von ihnen ist weit davon entfernt, gescheiterte Bauern oder ignorante Amateure zu sein. Da sie aus verschiedenen Hintergründen und Karrieren kommen, bringen sie neue Ideen, Talente und Enthusiasmus aufs Land, was den Bauern und dem ländlichen Leben nur nützen kann.

 

Bisher gefundene Übergabeformen von Höfen
Existenzgründungen sind erfolgreich, wenn sie mit ihren Betriebskonzepten neue Antworten auf die aktuellen Marktbedingungen finden - oft in nicht oder weniger durch Marktordnungen geregelten Bereichen. Bedingt durch Kapitalmangel wird nach Konzepten gesucht, die das Risiko einer Neugründung verringern. Das kann sein:

- Einstieg als Kooperationspartner in einen bestehenden Hof;
- schrittweiser Aufbau aus kleinsten Anfängen heraus;
- Pacht;
- Kauf des Hofes und Pacht des Landes;
- Erwerb von Eigentum durch eine Leibrente;
- Kombination mit außerlandwirtschaftlichem Einkommen;
- Kauf durch Stiftungen, Mäzene, Erbschaft usw.

In der Vielfalt der Betriebskonzepte gibt es typische "Kohorten", deren Konzepte nicht einfach wiederholt werden können. Frühere Einstiegsmöglichkeiten wie Gemüseanbau, Schaf-/Ziegenkäse sind heute auf professionellem Niveau angelangt, deshalb wird heute nach neuen Möglichkeiten gesucht (Geflügel, Dienstleistungen, Pferde usw.). Im Süden Frankreichs gibt es viele Erfahrungen mit der schrittweisen Gründung ("Installation progressive"). Ausgehend von kleinen Anfängen, entwickeln sich die Höfe ihren Lebensbedürfnissen und wachsenden landwirtschaftlichen Erfahrungen entsprechend. Der Staat hilft dabei durch die Unterstützung von Beratungsvereinen und Landbevorratung.9
Große Bedeutung hat die "Gemeinnützige Trägerschaft von Höfen" erlangt. 10 Die Reform des Stiftungsrechts hat die Attraktivität von Stiftungen wesentlich verbessert. Das kann auch der Neugründung von Höfen zu Gute kommen. Nicht nur den großen Vermögen, sondern auch Bürgerstiftungen und Bauernhöfen ohne Nachfolger eröffnet das neue Möglichkeiten.

in die Landwirtschaft einsteigen will gut geplant sein
 

Existenzgründungen sind kein Anachronismus, sondern gesellschaftlich notwendig.
Mit dem alten Wachstumspfad zu immer größeren Betrieben können neue gesellschaftliche Anforderungen an die Landwirtschaft nicht mehr erfüllt werden. Nötig ist, was in keiner ökonomischen Modellannahme ernsthaft in Erwägung gezogen wird: In der Landwirtschaft werden wieder mehr Menschen gebraucht. Einige Gründe dafür:

- Neue Qualifikationen werden in der Landwirtschaft zur Diversifizierung ("Multifunktionalität") gebraucht. Existenzgründer bringen neue Beziehungen zur Stadt mit und Erfahrungen aus anderen Berufen. Neue Arbeitsplätze entstehen, sowohl qualifizierte als auch einfache.

- Nachdem sich die Versprechungen der industriellen Tierhaltung gründlich entlarvt haben, wurden endlich Stallentwicklungen gefördert, die "Tiergerechtheit" anstreben. Dabei zeigte sich, dass die Herden- größe und das Verhältnis des Menschen zum Tier enge Grenzen setzen, die auch nicht durch die tierfreundlichste Technik aufgehoben werden können. Die Tiere brauchen Zuwendung. Ein Mensch kann deshalb nur eine begrenzte Zahl von Tieren versorgen. Die Hühnerhaltung in Deutschland ist dafür ein extremes Beispiel. In nur 1.326 Betrieben stehen 35 Millionen Hühner in Käfigen. Diese Bestandsgrößen von durchschnittlich fast 30.000 Hühnern pro Betrieb sind nicht durch neue Ställe allein auf ein menschliches Maß zu bringen. Ganz andere Strukturen mit mehr Menschen werden gebraucht. Nach einem Gutachten der hessischen Tierschutzbeauftragten sind mindestens 4.000 neue Betriebe notwendig.

Grenzpfahl eines Wiedereinrichters. Ein Neuanfang unter fremden Verhältnissen.

- Vielfalt in der Landschaft wird es nur geben, wenn viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen das Land bestellen und ihre Ställe öffnen. Kühe auf der Weide, Hühner im Freiland und vielleicht sogar wieder die Sau im Wald - das ergibt eine Vielfalt, die dauerhafter ist als all die implantierten und schnell vergessenen Biotop-Moden von vorgestern. Was der Landschaft fehlt, sind nicht die Gehölze, sondern Menschen, die das Land nachhaltig bestellen. Dann kommen die Gehölze von ganz allein. Wir sollten die Landschaft mit Menschen füllen - statt sie mit ökologischen Investitionsruinen zu möblieren.11

- Existenzgründungen können einen wirtschaftlichen und kulturellen Beitrag zur Erhaltung und Entwicklung des ländliche Raums leisten. In vielen Dorfkernen stehen landwirtschaftliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude leer. Hinter dem Schein der Fassaden ist die Verwahrlosung weit fortgeschritten. Die Dorferneuerung kann meist wenig daran ändern, weil die Nutzungen fehlen. Dabei bieten diese Gebäude viele Möglichkeiten für junge Leute aus der Stadt, die sich nach einem Garten, Tierhaltung, einer Weide fürs Pferd und einer Werkstatt sehnen. Daraus kann wieder ein Hof werden. Zumindest sollte diese Möglichkeit offen gehalten werden.

- Ein Berufsstand hat nur eine Zukunft, wenn der Zustrom neuer Leute möglich ist. Angesichts der weit verbreiteten negativen Selbstwahrnehmung der Bauern haben Existenzgründungen eine große symbolische Bedeutung. Es macht Mut, wenn junge Leute, Kinder, politisch Aktive aufs Land kommen. Sie demonstrieren, dass Landwirtschaft keine niedergehende "geschlossene Gesellschaft" ist.

Neu-Landwirte: Ein förderliches Klima ist nötig
Der Bedarf für Existenzgründungen in der Landwirtschaft ist da. Trotzdem ist die Zahl solcher Hofübergaben noch gering. 12 Existenzgründungen in der Landwirtschaft werfen viele praktische Fragen auf. Finanzierung, Recht und Steuer in der Landwirtschaft sind für ganz andere Verhältnisse geschaffen und behindern die Hofübergabe außerhalb des Erbgangs. Ebenso wichtig ist: Die Begriffe, die Bilder stimmen (noch) nicht, wenn das Neugründen eine Chance bekommen soll. Aus dem Dunkel der Agrargeschichte kehren heute Themen wieder wie z. B. das Land, die Grundrente, Bodenreform, Stadt und Land - ungelöste Probleme, von denen wir glauben konnten, dass sie von der Zeit gnädig zugedeckt worden waren. Es fehlt ein öffentliches Klima, das Debatten dazu möglich macht, zu Experimenten ermutigt, gesellschaftliche Initiativen (Stiftungen, Sponsoren!) fördert und vom Staat anderes Handeln verlangt. Im Handwerk und Gewerbe sind Initiativen zur Förderung der Existenzgründung selbstverständlich. Eine Vielzahl von Körperschaften, Förderern, Sponsoren, staatlichen Stellen usw. haben sich dies zur Aufgabe gemacht. In der Landwirtschaft sollte das ebenso selbstverständlich werden. Denn das brauchen die jungen Leute, die sich auf den beschwerlichen Weg des Neugründens machen.

 

 

Fußnoten

1 Landwirtschaftszählung 1999. vgl. dazu: Fasterding, Ferdinand: Ohne Folgen? Die Hofnachfolge und einige Konsequenzen für den agrarstrukturellen Wandel in Deutschland.- In: Beruf und Bildung Agrar 4/02
2 Vgl. Agrarbericht 2003, BVMEL (Hrsg.), Tabelle 35.
3 Fasterding, ebd
4 Evening Standard, The countryside needs the city spark, 5.8.2003
5 The Times: Paradise regained, 6.9.2003. Daily Telegraph nach farmers weekly, 5.8.2003.
6 Farmers weekly 7.8.03
7 Einen ersten Ansatz dazu: Thomas Griese: Chancen für einen Neueinstieg in die Landwirtschaft. Aus der Sicht des Ministeriums in NRW.- In: Arbeitsergebnisse der AG Ländliche Entwicklung Uni Kassel. Sonderheft "Hofneugründung", 2003.
8 Ausführlicher dazu: Götz Schmidt und Ulrich Jasper: Agrarwende oder die Zukunft unserer Ernährung.- München: Beck Verlag, 2001. S. 80 ff. und 196 ff.
9 vgl. Busch, Neli / Richard le Masson: Neue Wege der landwirtschaftlichen Existenzgründung in Frankreich.- In: Arbeitsergebnisse der AG Ländliche Entwicklung, Uni Kassel. Nr. 46, 1999
10 vgl. dazu den Beitrag von Cornelia Roeckl in diesem Heft.
11 vgl. Schmidt, Götz: Peuplieren statt meublieren. Der Landschaft fehlen nicht die Gehölze, sondern die Menschen. In: Dokumentation des Symposions "Farbe der Forschung", Berlin: Zukunftsstiftung Landwirtschaft, 2003.
12 Burkhardt Heckmann: Hessische Hofbörse - Möglichkeiten für den Neueinstieg. In: Arbeitsergebnisse der AG Ländliche Entwicklung Uni Kassel. Sonderheft "Hofneugründung", 2003.

 

 

Dr. Götz Schmidt, Universität Kassel-Witzenhausen, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, eMail: goetz.schmidt@uni-kassel.de