Lebendige Erde 5/2004:EssayExistenzgründungen in der LandwirtschaftDie Neugründung von Höfen ist möglich und notwendigvon Götz SchmidtTrotz
großer ökonomischer Schwierigkeiten in der Landwirtschaft gibt es viele
Menschen, die neu anfangen wollen. Sie haben keinen Hof geerbt und wollen
dennoch praktische Landwirtschaft betreiben. Viele Bauernfamilien, die
den Hof aufgeben müssen, könnten das Land meistbietend verpachten oder
verkaufen. Doch sie hoffen, dass der Hof erhalten bleibt und von neuen
Leuten weiter betrieben wird. Existenzgründungen - trotz der großen ökonomischen
Probleme der Landwirtschaft
Thema auch im Osten
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Stadt und Land und der nötige Transfer städtischen
Geldes
Höfe in gemeinnütziger Trägerschaft praktizieren dies und stellen es
bewusst als Absicht heraus. Städter übernehmen Verantwortung für ein
Stück Land und sorgen sich um ihre Lebensmittel. Daraus wäre viel zu
lernen in einer Debatte, die noch oft geprägt ist von der in landwirtschaftlichen
Kreisen weitverbreiteten "Weisheit":, dass man zum Bauern geboren sein
muss.
Beispiel England: Die Krise als Chance Die TIMES sieht darin eine Herausforderung der modernen Selbstverständlichkeit, dass spezialisierte Landwirtschaft die einzig richtige Nutzung des Landes sei. Enthusiastisch begrüßt wird, dass endlich wieder in der intensivsten Ackerbaulandschaft Europas neue Feldfrüchte, Tierhaltung, kleine Farmen und eine Vielfalt in die Landschaft kommen. Daily Telegraph: Farmer denken traditionell. An den Großhandel zu verkaufen und mehr und mehr zu produzieren, darin sehen sie den einzigen Weg um größer zu werden und mehr Geld zu verdienen. Städter kommen aufs Land, kaufen Farmen entweder als neue Karriere, als Hobby oder um einen weniger stressigen Teilzeitjob zu ergänzen. Die Neuankömmlinge bringen frischen Wind, ein Gefühl für die Landschaft und die Umwelt. Sie sind sich nicht zu schade, direkt zu vermarkten. 5 In der landwirtschaftlichen Presse Englands gibt es dazu kontroverse Standpunkte: Die einen sehen das Ende des Landlebens und seiner sozialen und kulturellen Strukturen gekommen. Die anderen sehen in den Landkäufen der Städter nicht notwendigerweise eine schlechte Nachricht für die Farmer. Die Neuankömmlinge verpachten das Land, helfen den anderen Farmern bei der Vergrößerung, sie beschäftigen lokale Bauunternehmen, gründen neue Firmen.6 Nüchtern werden Vor- und Nachteile abgewogen. Trotz der völlig anderen
Agrarstrukturen Englands ist daraus etwas zu lernen. 7
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Bisher
gefundene Übergabeformen von Höfen - Einstieg als Kooperationspartner in einen bestehenden Hof; In der Vielfalt der Betriebskonzepte gibt es typische "Kohorten", deren
Konzepte nicht einfach wiederholt werden können. Frühere Einstiegsmöglichkeiten
wie Gemüseanbau, Schaf-/Ziegenkäse sind heute auf professionellem Niveau
angelangt, deshalb wird heute nach neuen Möglichkeiten gesucht (Geflügel,
Dienstleistungen, Pferde usw.). Im Süden Frankreichs gibt es viele Erfahrungen
mit der schrittweisen Gründung ("Installation progressive"). Ausgehend
von kleinen Anfängen, entwickeln sich die Höfe ihren Lebensbedürfnissen
und wachsenden landwirtschaftlichen Erfahrungen entsprechend. Der Staat
hilft dabei durch die Unterstützung von Beratungsvereinen und Landbevorratung.9
Existenzgründungen sind kein Anachronismus,
sondern gesellschaftlich notwendig. - Neue Qualifikationen werden in der Landwirtschaft zur Diversifizierung ("Multifunktionalität") gebraucht. Existenzgründer bringen neue Beziehungen zur Stadt mit und Erfahrungen aus anderen Berufen. Neue Arbeitsplätze entstehen, sowohl qualifizierte als auch einfache. - Nachdem sich die Versprechungen der industriellen Tierhaltung gründlich entlarvt haben, wurden endlich Stallentwicklungen gefördert, die "Tiergerechtheit" anstreben. Dabei zeigte sich, dass die Herden- größe und das Verhältnis des Menschen zum Tier enge Grenzen setzen, die auch nicht durch die tierfreundlichste Technik aufgehoben werden können. Die Tiere brauchen Zuwendung. Ein Mensch kann deshalb nur eine begrenzte Zahl von Tieren versorgen. Die Hühnerhaltung in Deutschland ist dafür ein extremes Beispiel. In nur 1.326 Betrieben stehen 35 Millionen Hühner in Käfigen. Diese Bestandsgrößen von durchschnittlich fast 30.000 Hühnern pro Betrieb sind nicht durch neue Ställe allein auf ein menschliches Maß zu bringen. Ganz andere Strukturen mit mehr Menschen werden gebraucht. Nach einem Gutachten der hessischen Tierschutzbeauftragten sind mindestens 4.000 neue Betriebe notwendig.
- Vielfalt in der Landschaft wird es nur geben, wenn viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen das Land bestellen und ihre Ställe öffnen. Kühe auf der Weide, Hühner im Freiland und vielleicht sogar wieder die Sau im Wald - das ergibt eine Vielfalt, die dauerhafter ist als all die implantierten und schnell vergessenen Biotop-Moden von vorgestern. Was der Landschaft fehlt, sind nicht die Gehölze, sondern Menschen, die das Land nachhaltig bestellen. Dann kommen die Gehölze von ganz allein. Wir sollten die Landschaft mit Menschen füllen - statt sie mit ökologischen Investitionsruinen zu möblieren.11 - Existenzgründungen können einen wirtschaftlichen und kulturellen Beitrag zur Erhaltung und Entwicklung des ländliche Raums leisten. In vielen Dorfkernen stehen landwirtschaftliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude leer. Hinter dem Schein der Fassaden ist die Verwahrlosung weit fortgeschritten. Die Dorferneuerung kann meist wenig daran ändern, weil die Nutzungen fehlen. Dabei bieten diese Gebäude viele Möglichkeiten für junge Leute aus der Stadt, die sich nach einem Garten, Tierhaltung, einer Weide fürs Pferd und einer Werkstatt sehnen. Daraus kann wieder ein Hof werden. Zumindest sollte diese Möglichkeit offen gehalten werden. - Ein Berufsstand hat nur eine Zukunft, wenn der Zustrom neuer Leute möglich ist. Angesichts der weit verbreiteten negativen Selbstwahrnehmung der Bauern haben Existenzgründungen eine große symbolische Bedeutung. Es macht Mut, wenn junge Leute, Kinder, politisch Aktive aufs Land kommen. Sie demonstrieren, dass Landwirtschaft keine niedergehende "geschlossene Gesellschaft" ist. Neu-Landwirte: Ein förderliches Klima ist nötig
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Fußnoten1 Landwirtschaftszählung 1999. vgl. dazu: Fasterding, Ferdinand: Ohne
Folgen? Die Hofnachfolge und einige Konsequenzen für den agrarstrukturellen
Wandel in Deutschland.- In: Beruf und Bildung Agrar 4/02 |
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Dr. Götz Schmidt, Universität Kassel-Witzenhausen, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, eMail: goetz.schmidt@uni-kassel.de |