Lebendige Erde 6/2000:

Extra

Biologisch-dynamische Gemüsezüchtung - eine Standortbestimmung
Zur gegenwärtigen Diskussion um Züchtungstechniken

Dietrich Bauer und Christina Henatsch

Die Entwicklungen in der konventionellen Züchtung und die zunehmende Anwendung bio- und gentechnischer Methoden werfen die Frage nach der Vereinbarkeit solcher Verfahren mit den Grundsätzen des ökologischen Landbaus auf (vgl. dazu den Bericht des Louis Bolk Institutes, Driebergen, NL "sustainable plant breeding"). Die Diskussion darüber zeigt jedoch, dass es nicht ausreicht bzw. vielleicht sogar ein falsches Bild schafft, bestimmte Methoden auszuschließen oder zuzulassen, sondern es vielmehr darum geht zu formulieren:
  • von welchem Verständnis von ökologischer Landwirtschaft, Verhältnis Mensch - Natur, Aufgabe des Menschen in diesem Zusammenhang eine biologische bzw. biologisch -dynamische Züchtung ausgeht;
  • welche Ziele sie verfolgt;
  • was für Methoden dabei zum Einsatz kommen bzw. noch weiter-entwickelt werden müssen;
  • welche Fragen sich für eine zukunftsfähige, nachhaltige Arbeit stellen;
  • wie eine pragmatische Übergangslösung aussehen könnte, bis ausreichend akzeptable, biologisch gezüchtete Sorten zur Verfügung stehen.
Ausgangs- bzw. Hintergrund für eine biologisch-dynamische Züchtung
Eine Frage, die sich neben ethischen Aspekten und Folgeabschätzungen menschlicher Eingriffe in die Naturzusammenhänge stellt lautet: Ist der Mensch nur Nutznießer oder hat er zusätzlich zu seiner Verantwortung auch eine Aufgabe der Natur gegenüber?

(...) "Erde, ist es nicht dies, was Du willst: Unsichtbar in uns erstehen?
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag? (...)"
So formuliert es Rainer Maria Rilke in der 9. Duineser Elegie. Durch das Bemühen um Erkenntnis des Wesenhaften, des "Typus" (Goethe) der Pflanzen/Tiere, mit denen wir zu tun haben, lassen wir diese "unsichtbar" in uns erstehen. Die im Erkenntnisprozess entstehenden Bilder geben die Grundlage für ein Tätigsein an und mit der Natur. Dadurch wirkt der Mensch Kultur schaffend. Das geschieht auch durch das bewusste, standortgemäße In-Beziehung-Setzen von Boden, Pflanzen- und Tierwelt eines landwirtschaftlichen Betriebes. Der Mensch als Gestalter dieses Organismus bzw. dieser Individualität trägt die Verantwortung für Entwicklung und Gedeihen desselben.

Die Pflanze wurzelt fest im Erdboden und wächst gegen die Schwerkraft dem Licht entgegen. Sie ist so gleichermaßen mit Erde und Kosmos verbunden. In ihrer Aufrichtekraft, der Vertikalen zeigt sie ihre kosmische Verbundenheit, in der horizontalen Ausdehnung ihre irdische. Spiralförmige Anordnung der Blätter und Blütenblätter sind Spiegel der Planetenbewegungen. In der Samenbildung, nach maximaler Zusammenziehung (in den Staubblättern) und maximaler Ausdehnung (Pollenstaub), findet die Erneuerung und Regeneration der Pflanze statt. Die eigentliche Befruchtung geschieht, indem der Same, als männliches Prinzip, sich mit der Erde, als weiblichem Prinzip, verbindet und die Pflanze sich wiederum mit ihrem Wachstum zwischen beide hineinstellt.

In der Fähigkeit zur Nahrungs-Fruchtbildung unterscheidet sich die Kultur- von der Wildpflanze. In der Fruchtbildung fügt die Pflanze der letzten Zusammenziehung eine weitere Ausdehnung hinzu. Sie bleibt dadurch noch länger "jung", schiebt den Alterungsprozess hinaus, ist auch weniger spezialisiert als ihre wilden Verwandten. Fähigkeit zur Fruchtbildung im weitesten Sinne, heißt Annährung der Fähigkeiten der Pflanzen an den Menschen. Dieser ist der "Junggebliebene", dadurch Entwicklungsfähige, unter seinen Brüdern, den Tieren. Er bedarf des Jungen, Unspezialisierten als Nahrung, das sich aber durch Reifung wie von selbst ablöst von dem nur Vitalen des Pflanzenreiches. Fruchtbildung ist als ein allgemeiner Strom zu verstehen, der als Geschenk von der Natur zum Menschen geht, die Kulturpflanze ist anzusehen als ein über die reine Natur hinausgeführtes Wesen, das die Früchte für den Menschen unter dessen Pflege hervorbringen kann. Das heißt, ein würdiges Verhältnis herstellen zu können zwischen der Natur und dem Menschen. Das Pflegen dieses Verhältnisses und das Erarbeiten der irdischen und kosmischen Bildungsgesetzmäßigkeiten ist Grundlage für eine biologisch-dynamische Züchtung.
 

Ziele einer biologisch-dynamischen Züchtung
Ziel der Landwirtschaft ist, neben nachhaltig kulturschaffender Tätigkeit, die Lebensmittelerzeugung. Im Ab- und Umbau der aufgenommenen Lebens-mittel verinnerlicht der Mensch in intimer Weise Bilder der Außenwelt und entwickelt Kräfte für seine seelisch-geistige Entwicklung.

Anbau- und Züchtungsverfahren beeinflussen, inwieweit das Nahrungsmittel den Menschen im obigen Sinne wirklich nähren kann. Biologisch-dynamische Züchtung will Pflanzen so züchten, bzw. solche Pflanzen züchten, die dieser Aufgabe gerecht werden können. Das bedeutet für die Zuchtziele:
 

1. Samenfeste Sorten
Die Einzelpflanzen und auch die Sorten sollen fruchtbar und beständig sein, damit sie sich an Landschafts-, Umwelt- und Anbaubedingungen anpassen und mit ihnen weiterentwickeln können. Die Kulturpflanze ist Begleiter des Menschen und sollte auch weiterhin jedem als Kulturgut zur Verfügung stehen. Es geht also nicht darum, das Sortenkarussell so schnell wie möglich zu drehen, sondern vielmehr bewährte Sorten erhaltungszüchterisch so zu betreuen, dass sie sich mitentwickeln und weiter verbessern können.
 
2. Harmonie in Wachstum und Gestalt
Dem Pflanzenwachstum liegen Bildungsgesetzmäßigkeiten zugrunde, die an einem geordneten Verlauf der verschiedenen Wachstumsphasen und der Blattmetamorphose sichtbar werden. Das ist Vorraussetzung zur Ausbildung der Reifefähigkeit und damit verbundenen Nahrungsqualität. (Dazu s. z.B. JOCHEN BOCKEMÜHL 1972 in Elemente der Naturwissenschaft Heft 1/72)
 
3. Reifefähigkeit:
Mit "reif" ist der Zustand einer Nahrungsfrucht gemeint, in der sie
  • ihre typische Form ausbildet,
  • vegetative Wachstumskraft zugunsten der Ausbildung von Süße und Aroma zurücktritt,
  • eine gewisse Dauerhaftigkeit, Haltbarkeit, Lagerfähigkeit erreicht ist,
  • physiologisch ein Großteil der niedermolekularen Verbindungen in höhermolekulare umgeformt wurden (z. B. Mono- in Disaccharide, kurzkettige Aminosäuren in höhermolekulare Proteine ...).
Nur eine in diesem Sinne reife Frucht (der reife Apfel löst sich beim Pflücken fast von selbst und fällt uns in die Hand) hat Geschmacks- und Aromastoffe ausgebildet, ist bekömmlich und kann in obigen Sinne als Nahrungsmittel dienen. Bei vielen der gängigen Sorten kann man beobachten, dass die Fähigkeit des Reifens nicht mehr vollständig entwickelt ist. Die Getreideähren haben ihre Färbung verloren, es findet eher ein Absterben auf noch grünem Halm als ein Reifen statt . Bei Hybridmöhren zeigt sich, dass Monosaccharide nur ungenügend in Disaccharide umgeformt werden. (Siehe dazu Untersuchungen von BALZER; BAUER; HAGEL 1999)(1). An Blattmetamorphosen wird deutlich, dass die Zusammenziehung der letzten Blätter nur unvollständig oder gar nicht erfolgt , z.B. ist bei modernen Weizensorten das Fahnenblatt meist das größte und nicht das kleinste Blatt. Vielleicht kann auch die insgesamt ungenügende Aromabildung als mangelnde Reifefähigkeit betrachtet werden.
 
4. Geschmack
Im Geschmack kommt das Gesamtbild, die "Komposition" der Frucht zum Ausdruck. Sie ist auch Ausdruck der Ausgewogenheit und Harmonie des Wachstums. Das wird zum Einen deutlich daran, dass Unregelmäßigkeiten im Wachstum - Stockungen, zu trocken, zu nass, Krankheiten - in Geschmacksabweichungen zum Ausdruck kommen. Zum Anderen zeigt sich in der züchterischen Arbeit, dass eine Selektion auf Geschmack eine Vielzahl von Veränderungen auch in anderen Bereichen mit sich trägt wie:
  • Erhöhung des Gesamtzuckergehaltes
  • Verbesserung der Ausreifung
  • Erhöhung des Trockensubstanzgehaltes
  • Senkung des Nitratgehaltes
  • Erhöhung der Vitalität schon nach einer Generation (s. BALZER; BAUER; HAGEL 1999)
  • Die Erhöhung sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe (u.a. Farb- und Geschmacksstoffe) die Ausbildung von Toleranzen fördert
 
5. Widerstandsfähigkeit
Für die züchterische Perspektive ist es nachhaltiger, auf allgemeine Widerstandsfähigkeit/ Feldresistenz als auf, meist monogen bedingte Resistenzen zu setzten, da
  • dazu die Pflanze in ihrer Gesamtheit angeschaut, beurteilt, selektiert wird, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Gesamtgestalt und darauf folgende Nahrungsqualität hat
  • die meisten Resistenzen relativ schnell durchbrochen werden und insofern keine langfristige Perspektive darstellen (Beispiel Salat)
  • sie oft aus Pflanzen eingebracht werden, die genetisch so weit von der Kulturpflanze entfernt liegen, dass das Einbringen von Resistenzeigenschaften zunehmend mit bio- und gentechnischen Methoden geschieht.
 
6. Zur Frage des Ertrages
Inwieweit Höchstertrag und Qualität vereinbar sind, und ab welchem Niveau sie sich ausschließen, muss für die einzelnen Kulturen herausgearbeitet werden. Bei Weizen zeigt sich, dass Ertrag und Eiweißgehalt negativ korreliert sind. Bei Geschmackstomaten wird ein erheblich geringerer Ertrag in Kauf genommen, der durch höhere Verkaufspreise ausgeglichen wird. Von der Wachstumsdynamik der Pflanze gesehen, sind vegetative Entfaltung in der Jugendphase und Zusammenziehung zur Reife Polaritäten im Pflanzenbildungsprozess, so wie Stickstoff und Kalium zueinander Antagonisten sind. Eine zu einseitige Ausrichtung auf Massenbildung, die Betonung vegetativer Prozesse, steht der Fähigkeit des Reifens entgegen. Wo ist da die ertragsmäßige, qualitative Grenze für die verschiedenen Kulturen? Kann trotzdem, vielleicht gerade unter Beachtung der gesetzmäßigen Polaritäten in der Pflanzenentwicklung, auch eine Steigerung erreicht werden?
 
7. Zur Frage der Homogenität
Sortenschutzgesetz und Marktanforderungen verlangen eine hohe Homogenität der Bestände. Aus der phytomedizinischen Forschung und Erfahrung ist bekannt, dass Sorten-, besser noch Artenmischungen bei Getreide eine viel bessere Gesundheit aufweisen als reine Linien. Hybriden sind in dieser Hinsicht ein "Kunst"griff: Weitgehende Homogenität bei maximaler Heterozygotie. Inwieweit stehen sich hier die Forderung nach Homogenität/Uniformität auf der einen; Widerstandsfähigkeit/Stabilität auf der anderen Seite gegenüber? Was bedeutet das qualitativ? Im Gemüsebau werden auch bei Fremdbefruchtern homogene Bestände verlangt. Am Beispiel von Kopfkohl und Blumenkohl zeigt sich, dass auch samenfeste Sorten, unter Beibehaltung genügender genetischer Variabilität, befriedigende Einheitlichkeit in Größe und Erntezeitpunkt erreichen können.
 
Folgerungen für Züchtungsmethoden
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass sich biotechnische Methoden sowie die Hybridzüchtung (zumindest so wie sie gegenwärtig entwickelt sind und angewendet werden) für eine biologisch - dynamische Züchtung ausschließen, denn:
  • Die Vermehrung soll in jeder Phase generativ und auf der Pflanze stattfinden.
  • Die Pflanze und die Sorte sollen fruchtbar und beständig sein. Saatgut ist Kulturgut.
  • Die Pflanze soll während der Züchtung in Wechselwirkung mit der Umgebung stehen für die sie gezüchtet wird. Die Umgebung ist ein nicht unerheblicher Einflussfaktor in der Züchtung.
Dazu kommt, dass biotechnische Verfahren entweder entwickelt sind, um Zeit zu sparen (In-vitro-Selektion, schnelle Vermehrung, Antherenkuktur...) - Zeit spielt nur eine Rolle, wenn das Sortenkarussell schnell gedreht werden und die Sorten kommerziell vermarktet werden sollen - oder, um Kreuzungsbarrieren zu überwinden (Embryo- und Ovariumkultur, bestrahlte Mentorpollen, Protoplastenfusion...). Letzteres findet hauptsächlich Verwendung in der Resistenzzüchtung, deren Ergebnisse, wie ausgeführt, nicht als nachhaltiger Weg zur Pflanzengesundheit zu sehen ist.

Folgende Methoden in der biologisch-dynamischen Züchtung kommen bisher zur Anwendung:

  • Positive und negative Massenauslese: Individualauslese mit Prüfung der Nachkommenschaften
    Bei Fremdbefruchtern, um solche handelt es sich bei den meisten Gemüsearten, ist die Variation innerhalb der Bestände noch so groß, dass erhebliche Verbesserungen bei noch bestehenden Sorten erreicht werden.
  • Kreuzung: Wo die Variationsbreite nicht ausreicht - und das gilt insbesondere bei Selbstbefruchtern - kann über Kreuzungen eine neue Vielfalt hergestellt werden, die dann wieder eine Grundlage für die Selektion darstellt.
    An weiteren Möglichkeiten, Variation zu schaffen, sind folgende Methoden zu nennen; sie kommen schon teilweise zum Einsatz, müssen aber noch weiter erforscht werden:
  • Ähren- oder Fruchtbeetmethode: Die unterschiedlichen Positionen des Samens an der Pflanze bergen unterschiedliche Qualitäten in sich. Getrennt ausgesät geben sie Pflanzen unterschiedlicher Gestalt, was wiederum Grundlage für eine neue Selektion sein kann
  • Konstellationseinflüsse: Die Aussaat unter verschiedenen Planeten- oder Mondkonstellationen ergibt ebenfalls unterschiedlich gestaltete Pflanzen. Inwieweit gezielt Qualitäten der bzw. über die verschieden Konstellationen eingebracht werden können muss weiter untersucht werden.
  • Die biologisch-dynamischen Präparate steigern die Wahrnehmungsfähigkeiten der Pflanzen für ihre Umgebung im weitesten Sinne. Lässt sich das neben der allgemeinen Wirkung auch noch spezifisch für die Züchtung nutzen?
  • In früheren Kulturen des spirituellen Landbaus wurden auch Rituale, Tanz, Gesang und Sprache in der Arbeit mit den Pflanzen angewendet. Was können wir an uns gemäßem künstlerischem Umgang entwickeln?
Neben allen Methoden ist es der Mensch, der züchtet. Seine Haltung hat Einfluss auf die Pflanzen: Es ist in hohem Maße sein Verhältnis zu ihnen, das züchtet. Der Mensch ist also nicht ein so weit wie möglich auszuschließender Faktor, sondern gerade in der Beziehung Mensch-Pflanze, in der wesensgemäßen Erkenntnis des Menschen von der Pflanze, liegen züchterische Möglichkeiten.  
Fragen an eine zukünftige, nachhaltige Züchtung
Erkenntnis
  • Was bildet und gestaltet die Pflanze und wie lässt sich das wahrnehmen und erkennen?
  • Welche Qualitäten sind jetzt und in der Zukunft Ernährungsqualität für den Menschen und woran und wie lässt sich diese erkennen?
  • Welche Pflanzenarten werden einer zukünftigen Ernährung des Menschen gerecht und wie kann an diesen züchterisch gearbeitet werden? (Dabei gehen wir davon aus, dass der Mensch sich weiterentwickelt, veränderte Lebens- und Arbeitsgewohnheiten, neue Erkenntnisfähigkeiten eine veränderte Ernährung benötigen.)
Einflussnahme Bisher haben wir in der Züchtung auf alte Kulturleistungen zurückgegriffen. Der Mensch hat eigentlich in den letzten 3000 Jahren nur schon Angelegtes verbessert, evtl. neu kombiniert, aber nichts wirklich Neues geschaffen.
  • Welche neuen Erkenntnisse für die Züchtung und Züchtungsmethodik lassen sich aus einer Erkenntnis der irdischen und kosmischen Bildungsgesetzmäßigkeiten gewinnen?
  • Wie kann der Mensch bzw. der Züchter/die Züchterin sich in seiner/ihrer Wahrnehmungsfähigkeit und künstlerisch-schöpferischem Vermögen so schulen, dass eine Einflussnahme auf die Pflanze im Einklang und Zusammenklang mit ihr und ihrer Umwelt geschieht?
  • Welche Möglichkeiten stehen uns dazu zur Verfügung und wie sind die oben angedeuteten Methoden weiterzuentwickeln?
 
Vorschläge für eine pragmatische Übergangslösung
Es kann nicht das Anliegen sein, durch zu frühzeitige Einschränkungen das Sortenangebot für die Gärtner und Bauern zu stark zu begrenzen. Auf der anderen Seite gehen die Entwicklungen in der konventionellen Züchtung so schnell, dass eine eindeutige Standortbestimmung notwendig ist und diese es den konventionellen Zuchtfirmen dann auch möglich macht, sich auf die Haltung des ökologischen Landbaus einzustellen. Und: wenn sich alle ökologischen Anbauverbände einig sind, gibt es auch keine Benachteiligungen und Wettbewerbsverzerrungen. Davon ausgehend, dass die Zahl der ökologisch wirtschaftenden Betriebe weiter zunimmt, wird dieser Markt für die konventionellen Züchter mehr und mehr ein ernstzunehmender Faktor sein, für den es sich lohnt, eigene Sorten zumindest erhaltungs- wenn nicht neuzüchterisch zu bearbeiten.
 
Langfristige Perspektive (z.B. ab 2010):
  • Ausgehend von obigen Ausführungen sind alle biotechnischen Methoden (in vitro bzw. Gewebekulturen zur schnellen Vermehrung oder zum Überwinden von Kreuzungsbarrieren; alle ausführlich dargestellt im Bericht des Bolk-Institutes) für eine Züchtung, die Sorten für den ökologischen Landbau hervorbringen soll, auszuschließen.
  • Die Erhaltungszüchtung sollte unter Bedingungen des ökologischen Landbaus stattfinden.
  • Hybriden werden aus Gründen der Ernährungsqualität, der Methodik der Erstellung, Nachhaltigkeit der Sorte (Saatgut ist Kulturgut) und wirtschaftlich-sozialen (Monopolisierung im Saatgutsektor) Gründen abgelehnt. Die Entwicklung von Hybriden ist vorrangig aus Sortenschutzgründen erfolgt, ist also eine soziale Frage (Wer bezahlt die Züchtung? Züchtung ist Geistesgut, nicht Wirtschaftsgut) und nicht eine pflanzenbaulich oder züchterische. Der Verbraucher fragt nach Qualität, nicht nach Uniformität.
 
Kurzfristige Perspektive (ab 2004)
  • Bis ein zufriedenstellendes Sortiment an biologisch gezüchteten oder zumindest unter ökologischen Bedingungen erhaltenden samenfesten Sorten verfügbar ist (Zeitraum: 5 - 20 Jahre, je nach Kultur), müssen Übergangsregelungen gefunden werden, die jeweils aufgehoben werden, wenn genügend Sorten im obigen Sinne verfügbar sind.
    Es darf nur ökologisch vermehrtes Saatgut zum Einsatz kommen.
  • Cms-Hybriden sind vom Gebrauch auszuschließen.
  • Die Erhaltung der Sorten bzw. Elternlinien (bei Hybriden) muss in jeder Phase generativ stattfinden (d.h. schnelle Vermehrung und somatische Embryogenese sind auszuschließen)
Das heißt, bis ca. 2010 dürfen noch konventionell gezüchtete und erhaltene Sorten (auch Hybriden), wenn ökologisch vermehrt, zum Einsatz kommen. Danach weder Hybriden, noch mit Hilfe von biotechnischen Methoden gezüchtete Sorten.
Der Zeitraum erscheint vielleicht kurz und die Vorschläge zu restriktiv. Doch:
Wenn der Zeitraum zu lang gewählt wird, passiert nichts und die konventionelle Züchtung entwickelt sich immer weiter Richtung Gentechnik, bis auch das als "normal" angesehen wird.
So gut wie alle konventionellen Saatgutfirmen haben jetzt noch ein großes Sortiment an geeigneten samenfesten Sorten und Linien verfügbar, aus denen sich recht schnell ein geeignetes Sortiment aufbauen ließe.
Wenn der Standard für alle gleich ist (EU-Rahmenrichtlinien), gibt es bezüglich der Sortenverfügbarkeit kein Problem am Markt.
Auch im Saatgutbereich sollte der ökologische Landbau eine deutliche und mit gutem Gewissen kommunizierbare Haltung vertreten.

Für den "Initiativkreis für Gemüsesaatgut aus biologisch-dynamischem Anbau" und den Verein "Kultursaat":
Dieter Bauer und Christina Henatsch

 

Literatur:
Balzer-Graf, U. 1999: Vitalqualität von unterschiedlichen Mörensorten (Populations-und Hybridsorten), unveröff. Untersuchungsberichte
Balzer-Graf, U. etal. 1993: Effect of three farming systems on yield and quality of beetroot in a seven year croprotation (Acta Horticulturae 339, 11-31;)
Bockemühl, J. 1972: Elemente der Naturwissenschaft(1/72)
Bockemühl J. etal, 1985: "Pflanzengestalt und Lichtverhältnisse" (in: "Erscheinungsformen des Ätherischen")
Gränzdörffer, M., 1999: Untersuchung der Vitalqualität von Möhrensorten mit Hilfe bildschaffender Methoden; Diplomarbeit GhK Landwirtschaft, Witzenhausen
Hagel, I. 1999: Untersuchungsbericht zu Früh- und Herbstmöhren 1998; Institut für biol.-dyn. Forschung,Darmstadt
Holdrage, C.: "Der vergessene Kontext", Verlag Freies Geistesleben
Lammerts v. Bueren, E. et al.: "sustainable organic plant breeding" Herausg: Louis Bolk Institut, NL
Steiner,R. 1924: "Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft"