Lebendige Erde 2/2001:

Extra

Umdenken in der Landwirtschaft muss weitergehen
Ein Kommentar zur BSE-Krise

Nikolai Fuchs, Darmstadt

Als 1985 der erste Fall einer an BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) erkrankten Kuh bekannt wurde, war noch nicht abzusehen, dass das bisherige Landwirtschaftssystem grundlegend in Frage gestellt werden würde - zu sehr hatte sich der Verbraucher an Lebensmittelskandale von hormonbehandelten Kälbern bis zu salmonellenkontaminierten Eiern "gewöhnt". Doch nachdem in Deutschland erste hier aufgewachsene Rinder mit BSE-Erregern entdeckt wurden, werden tiefer gehende Fragen gestellt. So hat der deutsche Bundekanzler Gerhard Schröder gefordert, dass man von den Agrarfabriken wegkommen müsse. Aber wohin? Die Beurteilung ist vor allem daher nicht so einfach, weil die junge Generation eine "einfache" bäuerliche Landwirtschaft nicht mitmachen würde. Sie "wandert ab". Und die, die bleiben, finden keine Partner mehr. Was bliebe, wäre eine weitere Technisierung.

Agrarfabriken sollen es nicht mehr sein, die familäre Landwirtschaft kann es aus verschiedenen Gründen immer weniger sein, die Biotechlandwirtschaft in Form der sogenannten "Grünen Gentechnik" wird abgelehnt und ob die Alternative Öko-Landbau jetzt aus der Nische herauskommen wird, muss sich erst noch erweisen. Was will die Gesellschaft und worin liegt die jetzige Krise begründet?

Liegt der Ursprung der industriellen Landwirtschaft im 15. Jahrhundert, als die Naturwesen aus der Erscheinungswelt vertrieben wurden? Oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Albrecht Thaer predigte, die Landwirtschaft sei wie jedes andere Gewerbe eines zum Zwecke des Geldverdienens? Oder beim Haber-Bosch-Verfahren zur künstlichen Stickstoffherstellung? Beim Boom der Pestizide nach dem Einsatz von "Agent Orange" in Vietnam? Oder als der Weizen Anfang der 60er Jahre in den USA an die Börse ging?

Wie auch immer: "Stadtluft macht frei". Das aus Sicht der Städter romantische Landleben hat längst nicht alle Landmenschen in gleichem Maße glücklich gemacht. Die Möglichkeit, die Abendnachrichten nach dem Einschalten des Fütterungscomputers zu sehen, ist zweifellos Errungenschaft und Ziel industrieller Agrarproduktion gewesen. Der "dumme Bauer", der er über Tausende von Jahren gewesen sein soll - seit Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ist diese Epoche ein für alle mal vorbei.

Und der Preis? Jetzt gerade zahlt ihn die Gesellschaft wieder. Für diese Errungenschaft sind Böden ausgelaugt, Pflanzen "designed" und "Turbokühe" gezüchtet worden. Was über Jahrhunderte zur blühenden mitteleuropäischen Landwirtschaft aus den uralten Strömen von Hirtenvölkern und Ackerbauern zusammengewachsen war, ist in Pflanzen- und Tier-"Produktion" wieder zergliedert worden. Knapp 100 Jahre Segnungen der modernen "Natur"wissenschaft, die auf die stofflich kleinsten Moleküle und Gene starrte, haben ausgereicht, um die ursprüngliche Agrarkultur - zum Teil Wiege der europäischen Kultur - fast gänzlich zu ruinieren. Was wissenschaftlich "bewiesen" war, galt, auch wenn es alle Jahre wieder korrigiert werden musste. Dass Albrecht Thaer seine Aussagen relativiert und Justus von Liebig sich selbst widerrufen hat, ging im Getrappel der Fortschrittgläubigen unter. Der Verlierer war die Natur, nun sind wir es.
 

Und jetzt, wohin?

"Dass sich der ökologische Landbau nicht weiter ausbreitet, mag an manchen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen liegen, der Kern dafür liegt aber darin, dass unser Denken in den antrainierten deterministischen Strukturen habituell geworden ist", schreibt Herbert Koepf in seiner Geschichte der biologisch-dynamischen Landwirtschaft im 20. Jahrhundert. So gesehen ist die jetzige landwirtschaftliche Krise eine gesellschaftliche Krise, die eben erst bei unseren Lebensgrundlagen, den Lebensmitteln und der Umwelt, aufbricht. War die Naturwissenschaft bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch so ehrlich zu sagen, dass sie zu allem, was nicht wieg-, zähl- oder messbar sei, lediglich nichts aussagen könne, so hat man anscheinend in den letzten 10 bis 20 Jahren den Nachsatz vergessen: Alles nicht Messbare gibt es nicht oder bleibt den Klatschspalten der Gazetten vorbehalten. So beschreibt Hartmut Böhme in der Zeitschrift "DIE ZEIT" die sogenannten "Lebenswissenschaften" ("Life Science") als "Schwundstufe", da sie sich nur auf den einen, den materiellen Teil des Lebens, konzentrieren. Das "Bios", so schreibt er, umfasse mehr, auch den sogenannten kulturellen Teil des Lebens. Hier genau wäre es fruchtbar, würde ein Umdenken in der Landwirtschaft einsetzen.

Würde das reine Stoffesdenken durch eine "Wesenskunde" des Lebendigen ergänzt werden - wieviel lebensgerechter könnte das sein! Statt nur auf die Aminosäuren im Rohstoff Futter zu starren, würde einem wieder auffallen, dass man Kadaver an Pflanzenfresser verfüttert. Eine Lebenswissenschaft, die diesen Namen verdient, würde also durch eine Geisteswissenschaft ergänzt werden, die diesen Namen verdient, würde dadurch so ergänzt werden, dass die seelisch-spirituelle Dimension des Lebewesens mit umfasst ist. Der Fehler, Fleischmehl an Wiederkäuer zu verfüttern, würde dann wohl nicht wiederholt.

Der allgegenwärtige Darwinismus als Erklärungsmodell für Lebensvorgänge muss den Platz bekommen, der ihm gebührt: in der Bibliothek. Das durch ihn forcierte Zweckdenken in Bezug auf Lebewesen hat uns den Blick verstellt, auf das "Sein" des Wesens selbst. Der Begriff "Nutztier" legt die Bewegung "Zwangsschenkung" nahe. "Hilfe, zu Leben" könnte eine neue Haltung für den Umgang mit dem Haustier sein.

Landwirtschaft bewegt sich auch heute noch mitten im Bereich des Lebendigen. Das Leben in allen Dimensionen neu entdecken, ist heute, ausgehend von einer einseitig materialistisch geprägten Welt, spannende und notwendige Herausforderung der Zukunft. In der Pflanzenzucht sollten die Techniken nicht von den Besitzansprüchen des Menschen (Hybridzüchtung, Gen-Patente) geprägt sein, sondern die Pflanzensorten als Kulturgut begreifen, die für eine breite Allgemeinheit stetig durch Erneuerung erhalten werden müssen.

Der Boden ist so zu bewirtschaften, dass er die Fruchtbarkeit mehrt. Weite Fruchtfolgen, Kompostierung und den Einsatz der biologisch-dynamischen Präparate sind dabei Merkmal einer insgesamt auf Entwicklung ausgerichteten Landwirtschaft. In der Politik ist das Leitbild für den vielbeschworenen Familienbetrieb zumindest so zu erweitern und gesetzliche Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich Betriebsleitergemeinschaften bilden können, bei denen der einzelne seine Fähigkeiten und Begabungen folgen und die Gemeinschaft den einzelnen in einer modernen Arbeitsteilung freistellen kann: zum Beispiel durch Reformieren des Bodenrechts oder das Anerkennen einer gemeinnützigen Seite der Landwirtschaft.

Für beide - Landwirte und Verbraucher - gilt, heute mehr als je zuvor: Sich die Frage zu stellen, was man eigentlich will und wofür man da ist. Dafür sind die Zeiten günstig.
 

* Für eine andere Landwirtschaft *

Erst die aktuellen BSE Fälle mit ihrem dramatischen Medienecho haben vermocht, die Absurdität unserer Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Auf einmal sind Ernährung und Landwirtschaft fernsehreif und die Menschen im Land reden drüber. Die Situation ist offen, am Stammtisch wie in der Politik, reicht von "was kann man denn noch essen" und "die da oben ändern eh nichts" bis zur Aufbruchsstimmung im Öko-Lager, wenn schon der Kanzler von biodynamischer Landwirtschaft spricht und ein fundiertes Papier vorlegt: wann, wenn nicht jetzt kann sich etwas ändern? Seien wir realistisch: es hat Gründe, warum der ÖkoBoom bisher an Deutschland vorbeiging: Argumente für den langen Weg zur Ausdehnung der ökologischen Landwirtschaft haben wir diesem EXTRA versammelt.