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Rationalisierung, Spezialisierung,
Expansion: Die Agrarwende verschärft den Druck auf Ökobauern
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Ökoverbände verlieren an Gewicht
Längst versucht der Bauernverband, den Biobereich zu integrieren, die
Interessen mitzuvertreten und mitzudefinieren, die Unterschiede zwischen
konventionellen und ökologischen Betrieben aber bleiben. Doch der aktive
Einsatz ist schwach: längst hätte der DBV die ihm nahestehende Agrarpresse
anregen können, mehr Werbung z.B. für Veranstaltungen im Rahmen des
Bundesprogramms zu machen; das würde die Resonanz stark verbessern.
Auch die Rolle und die Situation der Anbauverbände verändern sich. Die
meisten Neu-Umsteller treten keinem Verband bei. Von ca. 15000 Biobetrieben
sind nur noch 9566 in einem der Bioverbände. Die anderen sparen sich
die Mitgliedsbeiträge und verzichten auf Beratung und Unterstützung
durch die Verbände. Doch sie erhalten meist niedrigere Preise als Verbandsbetriebe.
Das birgt die Gefahr einer schleichenden Qualitätsverschlechterung durch
mangelnde Rückkopplung und drückt weiter auf die Bio-Erzeugerpreise.
Verbandsfreie Ware und das Biosiegel tragen so dazu bei, den Einfluss
der Anbauverbände zu verringern. Auch die erweiterte staatliche Beratung
nimmt den Anbauverbänden Aufgaben ab.
Geht der Wende der Sprit aus?
Aktuell schrumpfen die Mittel des Bundes, politische Prioritäten verlagern
sich auf andere Gebiete, damit fällt auch die politische Unterstützung
des richtlinienkompetenten Kanzlers weg. Auch die Bundesländer sparen,
Rheinland-Pfalz und Hessen wollten die Unterstützung der Beibehaltung
der ökologischen Bewirtschaftung streichen. Und jetzt kommt noch die
EU-Osterweiterung, dadurch gerät der Öko-Landbau weiter unter Konkurrenz-
und Preisdruck. Dennoch bleibt die Regierung bei ihrer Zielvorgabe von20
Prozent, betont aber, dass es dabei wesentlich auf das Engagement der
Wirtschaft, die Marktentwicklung und die Nachfrage der Verbraucher ankommt.
Sie wird die EU Kommission beim europäischen Aktionsplan für Ökolandbau
unterstützen und einen deutschen Aktionsplan zum ökologischen Landbau
entwickeln, hoffentlich mit Augenmerk auf ein organisches Wachstum aller
Bereiche des Sektors und Bewusstsein für das wirtschaftliche Überleben
der Höfe. Auf dem politischen Auftakt zum Beginn der Grünen Woche war
aber von Agrarwende nichts mehr zu hören.
Die Akteure des Ökologischen Landbaus haben detailliert nötige Vorhaben
und Maßnahmen benannt, von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben bis
zu Anschubmitteln für Verarbeitung und Vermarktung sowie Kommunikation:
Die Forderungen von BÖLW, Anbauverbänden, BNN, Landwirtschafts- und
Umweltverbänden sind auf deren Homepages einsehbar, einiges auch unter
soel.de oder oekolandbau.de.
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Ökolandbau |

Konventionelle Landwirtschaft |
Direktzahlungen |
163 |
199 |
Ländliche Entwicklungsprogramme (Agrarumweltprogramme) |
251 |
145 |
gemeinsame Marktordnungen |
0* - 400 |
530 |
Summe |
414 - 814 |
874 |
*Direktvermarkter profitieren nicht von der Marktordnung
Stephan Dabbert, Uni Hohenheim Vortrag auf der Landwirtschaftlichen
Tagung, Dornach 6.2.2004 nach Häring, Dabbert, Aurbacher et al.: Impact
of European agricultural policy measures on organic farming, Reihe:
Organic Farming in Europe: Economics and Policy, Volume 11, Uni Hohenheim,
2004
Agrarwende verändert den Kern des Ökolandbaus
Raus aus der Nische – die Besonderheiten der ökologischen Höfe werden
mehr und mehr zu ökonomischen und arbeitswirtschaftlichen Handicaps
erklärt, die konventionellen Methoden der Rationalisierung, der Spezialisierung
und der Expansion werden (zwangsläufig) übertragen. Ganzheitliches Denken
und Arbeiten mit dem Ökosystem kommen mehr und mehr zu kurz. Der Verlust
der Vielfals auf dem Hof bringt Vorteile, aber auch neue Risiken und
Abhängigkeiten: es fehlt an Kompensationsmöglichkeiten, wenn´s am Markt
klemmt. Dort setzen Erzeuger und Abnehmer sich gegenseitig unter Druck.
Staatliche Maßnahmen können die Probleme nicht ausgleichen, die durch
den Strukturwandel im Öko-Bereich entstehen. Der ökologische Landbau
verändert sich so rasant – nur wer seinen Betrieb schnell und emotionslos
daran orientiert, kann noch bestehen. Wer weiter die traditionellen
Werte des ökologischen Landbaus lebt, braucht seine eigene Direktvermarktung
mit treuem Kundenstamm als ökonomisches Rückgrat. Je größer der wirtschaftliche
Druck auch auf ökologische und bäuerliche Landwirtschaft wird, um so
schwieriger wird es, ländliche Regionen lebendig zu erhalten. Die Abwanderung
aus der Landwirtschaft ist nicht zu stoppen, die rapide gesunkenen Lehrlingszahlen
machen deutlich, wie kritisch die Zukunftsaussichten beurteilt werden.
Die Agrarwende mit ihrer sparsamen Förderung der Neuorientierung des
Ernährungssektors hat die Krise der Landwirtschaft komplett gemacht,
indem jetzt auch der Ökolandbau „drin” ist.
An der Wende verhoben?
Ökolandbau in die Chefetagen! Deutlich ist: im Rahmen der Möglichkeiten
bewegt das Ministerium einiges für die Agrarwende. Doch die Spielräume
bestimmt der horrende Preis des Strukturwandels: 4 Milliarden des Etats
des BMVELS werden für den landwirtschaftlichen Sozialbereich eingesetzt,
für aktive Politik bleibt da wenig. Mit bescheidenen 36 Mio. € pro Jahr
streitet die Verbraucherministerin für eine Neuorientierung des Tankers
„Ernährungswirtschaft”, (neben den Flächenprämien und der GAK). Die
großen Ernährungsfirmen setzen ganz andere Mittel ein, um ihre Botschaften
an die Konsumenten zu bringen, um Gummibären oder fettige Zuckerriegelanzupreisen:
Allein am Point of Sale, also im Geschäft (laut Werbeagentur.de , 2004)
gibt die deutsche Ernährungsindustrie für Verkaufsförderung pro Jahr
ca. 1,8 Mrd. Euro (1999) aus! Hier, in den Chefetagen der Ernährungsindustrie
und des Handel sitzt die zu überzeugende Zielgruppe, mit der ein Durchbruch
zu schaffen ist. Denn die, nicht die Verbraucher, bestimmen letztlich,
was in den Regalen der Supermärkte zur Auswahl steht. Bereits jetzt
wird die Landwirtschaft in der Gesellschaft immer weniger wichtig: ca.
170.000 Vollerwerbsbetrieben mit ca. 560.000 Vollzeitarbeitsplätzen
stehen 527.000 Arbeitsplätze in der Ernährungswirtschaft gegenüber,
im Werbesektor arbeiten 580.000 Menschen.
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Brauchen Ökoprodukte ein anderes Image?- aus
der Kampagne des Ministeriums |
Was tun? Gesundheitsreform nicht ohne ökologische
Ernährung
Sollen nun staatliche Interventionen alles richten und die Expansion
des Marktes wieder ankurbeln? Die Grenzen für Unterstützungsmaßnahmen
sind eng gesteckt, EU- und WTO-Spielregeln sind zu beachten: Das ganze
bewirkt noch weitere Marktverwerfungen. Verbraucher reagieren nur auf
starke Reize: schnell fallen sie (wir) auf die alten Verzehrsgewohnheiten
zurück.
Nach wie vor stellen die überzeugten Bio-Kunden das Rückgrat der Nachfrage,
auch im konventionellen Handel. Nötig ist eine Genuss- und Geschmacksoffensive,
mit ganzheitlich-sinnlichen Events, mit Kontakt zu Natur und Wachstum.
Mögliche Bausteine sind Kochkurse, Verkostungen, (noch mehr) Bauernhof-Besuche.
Gerade in der Reform-Diskussion müssen wir neue Werte und Wertigkeiten
vermitteln: Zu einer ganzheitlichen Gesundheitsreform gehört ökologische
Ernährung! Sozialprestige und emotionaler Wert guten Essens müssen dringend
aufgebessert werden, vielleicht mit Vorkämpfern für Ernährungskultur
wie Wolfram Siebeck. Der Weg aus der Nische erfordert ein Umsteuern
des Konsums, die Veränderung eingeschliffener Verhaltensweisen und Ernährungsgewohnheiten.
Im internationalen Rahmen ist fairer Handel inzwischen ein fester Begriff.
Auf nationaler Ebene muss fairer Handel noch thematisiert werden. Das
Ziel, ein nachhaltiges Nachfrage- und Konsumverhalten zu erreichen,
fordert die ganze Gesellschaft und alle Akteure in Bildung und Erziehung,
Handel und Gastronomie, Erzeugung und Verarbeitung, Politik und Medien.
Und es kostet: viel Anstrengungen, Geld und Engagement. Diese Aufgabe
geht weit über die inhaltlichen und finanziellen Grenzen des Bundesprogramms
hinaus: sie reicht von der Veränderung von Lehrplänen bis hin zu einer
Einbindung ökologischer und sozialer Kosten in die Produktpreise.
Auf geht’s, Donna Renata Quichotte, auf gegen die Windmühlen von Industrie
und Handel, wir brauchen dort die Umkehr der Drehrichtung: da entscheidet
sich, ob und wie die Wende weiterkommt. Ein nachlässig gemachtes Gesetz
zur Gentechnik – wie gerade vorgestellt – aber kann dem Ökolandbau den
Garaus bereiten.
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