Lebendige Erde 2/2004:

Extra

Drei Jahre Agrarwende – ohne Dampf voraus

Ist der Ökolandbau Gewinner oder Verlierer der Neuorientierung?

von Gehard Hrin

Kampf gegen Windmühlen? Setzt Ministerin Künast die Agrarwende fort?

Der erste offizielle BSE-Fall vor drei Jahren regte Deutschland gewaltig auf, zwei Minister waren absetzbar, Rindfleisch nicht mehr. Dann sollte die Agrarwende Lebensmittelsicherheit vom Acker oder Stall bis zum Tisch der Verbraucherinnen und Verbraucher durchsetzen. Der Skandal reichte nur für einen kurzen Boom der ökologischen Ernährung. BSE war kein Thema mehr.

BSE-Krise holt den Ökolandbau ein
Die Agrarwende will unter anderem durch ein Bundesprogramm den ökologischen Landbau fördern, doch nach kurzem Wachstum landet dieser in einer ernsten Krise. Hat der politische Wille, dem Ökolandbau Gutes zu tun und den Grad der Versorgung mit ökologischen Lebensmitteln zu steigern, gar das Gegenteil bewirkt? Nein: die Unterstützung der Umstellung hat zwar Überangebot und Preisdruck beschleunigt, da Vermarktung und Absatz nicht genügend gestärkt wurden: Doch das Wachstum in konventionelle Handelsstrukturen hinein hätte Bio-Verarbeiter und Bio-Bauern sowieso unter Druck gesetzt. Stagnierender Umsatz und Konkurrenzdruck aus anderen EU-Ländern machen die Lage jetzt existenzbedrohend. Ein Kreis ist geschlossen, vom BSE-Skandal zu BSE als Normalität, 300 Fälle bisher und zugleich von Agrarwende und Öko-Nachfrageschub zu bröckelnder Nachfrage, Preisverfall und Strukturwandel im Öko-Bereich. Pünktlich zu dieser Erkenntnis erreichte BSE im Januar auch den Biobereich: Babygläschen mussten zurückgerufen werden, weil die behördliche BSE Untersuchung des darin enthaltenen Bio-Rindfleischs nicht dokumentiert war, Versagen der neuen staatlichen Qualitätssicherung, auf die die Landwirte hier angewiesen sind.
.

 

Der Markt ist dicht: für die Biopioniere wird es eng
Das ehrgeizige Ziel der Agrarwende, innerhalb von 10 Jahren einen Bio-Anteil von 20 % zu erreichen, hält wohl niemand mehr für realistisch.Aktuell werden ca. 4% der Fläche ökologisch bewirtschaftet, doch der Markt leidet bereits unter Schluckstörungen. Trotz des Bundesprogramms ist es nicht gelungen, die vom Verbraucher betonte höhere Wertschätzung ökologischer Produkte in dauerhaftes Kaufverhalten zu verwandeln. Das Agrarwende-Projekt brachte für die Ökolandwirte Druck: ihr Betriebseinkommen liegt nun unter dem konventioneller Vergleichsbetriebe. Der aktuelle Agrarbericht verzeichnet zwar eine Verbesserung, allerdings wurde die Berechnungsgrundlage verändert. Die Ökobauern können zu diesen niedrigen Erzeugerpreisen kaum produzieren, da helfen auch Massenabsatz über Discounter, Rationalisierung und Spezialisierung oder Verständigung auf Minimal-Standards nicht. Einsparungen durch logistische Vorteile und positive Mengeneffekte sind dagegen noch weit entfernt. Was bleibt den Bio-Bauern und Pionieren? Sollen sie sich auf ihre z.T. sozialpolitischen Ursprünge besinnen und Wege zur Selbsthilfe suchen? Einer der Impulse für „Bioland-Gründer” Müller war die Unzufriedenheit mit der schlechten Einkommenssituation in der Landwirtschaft. Die biologische Wirtschaftsweise entwickelte sich jahrzehentelang unabhängig von den etablierten Strukturen, gegen den Strom.

Die Wende geht nicht über die Supermärkte
Der Nachfrageboom zu Anfang der Agrarwende beflügelte auch den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Das Angebot an Bioprodukten wurde ausgedehnt, besonders im Frischebereich. Selbst Discounter stiegen mit schlanken Sortimenten ein. Doch der Preiskrieg im Handel beschleunigt den Verdrängungswettbewerb und schlägt auf Verarbeiter und Erzeuger durch, da hilft auch die politische Förderung des Ökolandbaus wenig. Um angemessene höhere Preise für größere Mengen an Öko-Produkten durchzusetzen, ist offenbar ein Maß an Werbung und an Überzeugungsarbeit nötig, das auch ein auf Förderung der Vermarktung umgestricktes Bundesprogramm weit überfordern dürfte. Statt auf den konventionellen LEH zu setzen, dürfte es erfolgversprechender sein, Projekte in Ernährungshandwerk und Naturkostläden zu unterstützen, Beratung und Service sind hier zusätzliche Verkaufsargumente.
.

 

Das Bundesprogramm braucht andere Schwerpunkte
Ein ganzes Maßnahmenbündel soll den Ökologischen Landbau fördern: Bundesprogramm, Bio-Siegel, Flächenprämien, (Kontrollkostenzuschüsse, Programme Regionen aktiv und bäuerliche Landwirtschaft). Das BÖL will das Image des Ökolandbaus verbessern, Interesse wecken, Innovationsfreude erhöhen, Informationsdefizite beheben, das Qualifikationsniveau und die Vernetzung verbessern. Doch setzen die Maßnahmen bisher richtig an? Gibt es wirklich ein Imageproblem des Ökolandbaus, wie immer wieder betont wird? Und wenn ja, lässt es sich durch Plakate und Postkarten mit inhaltsleeren Sprüchen über netten Bildchen beheben? Ist es die Jugend, die genervt auf „schon wieder bio” reagiert? Ist es das Image, „teuer” zu sein? Oder liegt das wirkliche Problem des Ökolandbaus nicht darin, dass die Kaufkraftströme in andere Kassen fließen? Auto, Urlaub und Trendartikel gehen vor: für eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise bleibt nur noch Klimpergeld übrig. Das Bundesprogramm hat Impulse für die Ausweitung des Ökolandbaus gegeben, jetzt muss ein umfassendes Aktionsprogramm folgen, bei dem Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft eingebunden werden.

An potenziellen Umstellern vorbei?
Einerseits ist das Ökolandbau-Internetportal lobenswert informativ, andererseits macht es den Öko-Medien Konkurrenz. Die eingesetzten 3,6 Mio. € übersteigen deren Gesamtbudget. Doch sind sie nicht durch ein Internetportal zu ersetzen. Ein großer Teil der Akteure im Öko-Landbau blättert lieber in Fachzeitschriften und hat weder Zeit noch Interesse für Computer-Recherche. Die Veranstaltungen auf Demonstrationsbetrieben oder Schulungen konventioneller Berater erwiesen sich als Flops, nicht zu reden von den Öko-Aktionstagen. Kann man Andere von etwas überzeugen, von dem man glaubt, es habe ein Imageproblem? Das BÖL tut sich schwer damit, über die klassische Ökoszene hinaus neue Ansprechpartner zu erreichen.
.

Rationalisierung, Spezialisierung, Expansion: Die Agrarwende verschärft den Druck auf Ökobauern
 

Ökoverbände verlieren an Gewicht
Längst versucht der Bauernverband, den Biobereich zu integrieren, die Interessen mitzuvertreten und mitzudefinieren, die Unterschiede zwischen konventionellen und ökologischen Betrieben aber bleiben. Doch der aktive Einsatz ist schwach: längst hätte der DBV die ihm nahestehende Agrarpresse anregen können, mehr Werbung z.B. für Veranstaltungen im Rahmen des Bundesprogramms zu machen; das würde die Resonanz stark verbessern. Auch die Rolle und die Situation der Anbauverbände verändern sich. Die meisten Neu-Umsteller treten keinem Verband bei. Von ca. 15000 Biobetrieben sind nur noch 9566 in einem der Bioverbände. Die anderen sparen sich die Mitgliedsbeiträge und verzichten auf Beratung und Unterstützung durch die Verbände. Doch sie erhalten meist niedrigere Preise als Verbandsbetriebe. Das birgt die Gefahr einer schleichenden Qualitätsverschlechterung durch mangelnde Rückkopplung und drückt weiter auf die Bio-Erzeugerpreise. Verbandsfreie Ware und das Biosiegel tragen so dazu bei, den Einfluss der Anbauverbände zu verringern. Auch die erweiterte staatliche Beratung nimmt den Anbauverbänden Aufgaben ab.

Geht der Wende der Sprit aus?
Aktuell schrumpfen die Mittel des Bundes, politische Prioritäten verlagern sich auf andere Gebiete, damit fällt auch die politische Unterstützung des richtlinienkompetenten Kanzlers weg. Auch die Bundesländer sparen, Rheinland-Pfalz und Hessen wollten die Unterstützung der Beibehaltung der ökologischen Bewirtschaftung streichen. Und jetzt kommt noch die EU-Osterweiterung, dadurch gerät der Öko-Landbau weiter unter Konkurrenz- und Preisdruck. Dennoch bleibt die Regierung bei ihrer Zielvorgabe von20 Prozent, betont aber, dass es dabei wesentlich auf das Engagement der Wirtschaft, die Marktentwicklung und die Nachfrage der Verbraucher ankommt. Sie wird die EU Kommission beim europäischen Aktionsplan für Ökolandbau unterstützen und einen deutschen Aktionsplan zum ökologischen Landbau entwickeln, hoffentlich mit Augenmerk auf ein organisches Wachstum aller Bereiche des Sektors und Bewusstsein für das wirtschaftliche Überleben der Höfe. Auf dem politischen Auftakt zum Beginn der Grünen Woche war aber von Agrarwende nichts mehr zu hören.
Die Akteure des Ökologischen Landbaus haben detailliert nötige Vorhaben und Maßnahmen benannt, von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben bis zu Anschubmitteln für Verarbeitung und Vermarktung sowie Kommunikation: Die Forderungen von BÖLW, Anbauverbänden, BNN, Landwirtschafts- und Umweltverbänden sind auf deren Homepages einsehbar, einiges auch unter soel.de oder oekolandbau.de.
.

 

Ökolandbau

Konventionelle Landwirtschaft
Direktzahlungen 163 199
Ländliche Entwicklungsprogramme (Agrarumweltprogramme) 251 145
gemeinsame Marktordnungen 0* - 400 530
Summe 414 - 814 874

*Direktvermarkter profitieren nicht von der Marktordnung
Stephan Dabbert, Uni Hohenheim Vortrag auf der Landwirtschaftlichen Tagung, Dornach 6.2.2004 nach Häring, Dabbert, Aurbacher et al.: Impact of European agricultural policy measures on organic farming, Reihe: Organic Farming in Europe: Economics and Policy, Volume 11, Uni Hohenheim, 2004

Agrarwende verändert den Kern des Ökolandbaus
Raus aus der Nische – die Besonderheiten der ökologischen Höfe werden mehr und mehr zu ökonomischen und arbeitswirtschaftlichen Handicaps erklärt, die konventionellen Methoden der Rationalisierung, der Spezialisierung und der Expansion werden (zwangsläufig) übertragen. Ganzheitliches Denken und Arbeiten mit dem Ökosystem kommen mehr und mehr zu kurz. Der Verlust der Vielfals auf dem Hof bringt Vorteile, aber auch neue Risiken und Abhängigkeiten: es fehlt an Kompensationsmöglichkeiten, wenn´s am Markt klemmt. Dort setzen Erzeuger und Abnehmer sich gegenseitig unter Druck. Staatliche Maßnahmen können die Probleme nicht ausgleichen, die durch den Strukturwandel im Öko-Bereich entstehen. Der ökologische Landbau verändert sich so rasant – nur wer seinen Betrieb schnell und emotionslos daran orientiert, kann noch bestehen. Wer weiter die traditionellen Werte des ökologischen Landbaus lebt, braucht seine eigene Direktvermarktung mit treuem Kundenstamm als ökonomisches Rückgrat. Je größer der wirtschaftliche Druck auch auf ökologische und bäuerliche Landwirtschaft wird, um so schwieriger wird es, ländliche Regionen lebendig zu erhalten. Die Abwanderung aus der Landwirtschaft ist nicht zu stoppen, die rapide gesunkenen Lehrlingszahlen machen deutlich, wie kritisch die Zukunftsaussichten beurteilt werden. Die Agrarwende mit ihrer sparsamen Förderung der Neuorientierung des Ernährungssektors hat die Krise der Landwirtschaft komplett gemacht, indem jetzt auch der Ökolandbau „drin” ist.

An der Wende verhoben?
Ökolandbau in die Chefetagen! Deutlich ist: im Rahmen der Möglichkeiten bewegt das Ministerium einiges für die Agrarwende. Doch die Spielräume bestimmt der horrende Preis des Strukturwandels: 4 Milliarden des Etats des BMVELS werden für den landwirtschaftlichen Sozialbereich eingesetzt, für aktive Politik bleibt da wenig. Mit bescheidenen 36 Mio. € pro Jahr streitet die Verbraucherministerin für eine Neuorientierung des Tankers „Ernährungswirtschaft”, (neben den Flächenprämien und der GAK). Die großen Ernährungsfirmen setzen ganz andere Mittel ein, um ihre Botschaften an die Konsumenten zu bringen, um Gummibären oder fettige Zuckerriegelanzupreisen: Allein am Point of Sale, also im Geschäft (laut Werbeagentur.de , 2004) gibt die deutsche Ernährungsindustrie für Verkaufsförderung pro Jahr ca. 1,8 Mrd. Euro (1999) aus! Hier, in den Chefetagen der Ernährungsindustrie und des Handel sitzt die zu überzeugende Zielgruppe, mit der ein Durchbruch zu schaffen ist. Denn die, nicht die Verbraucher, bestimmen letztlich, was in den Regalen der Supermärkte zur Auswahl steht. Bereits jetzt wird die Landwirtschaft in der Gesellschaft immer weniger wichtig: ca. 170.000 Vollerwerbsbetrieben mit ca. 560.000 Vollzeitarbeitsplätzen stehen 527.000 Arbeitsplätze in der Ernährungswirtschaft gegenüber, im Werbesektor arbeiten 580.000 Menschen.

Brauchen Ökoprodukte ein anderes Image?- aus der Kampagne des Ministeriums

Was tun? Gesundheitsreform nicht ohne ökologische Ernährung
Sollen nun staatliche Interventionen alles richten und die Expansion des Marktes wieder ankurbeln? Die Grenzen für Unterstützungsmaßnahmen sind eng gesteckt, EU- und WTO-Spielregeln sind zu beachten: Das ganze bewirkt noch weitere Marktverwerfungen. Verbraucher reagieren nur auf starke Reize: schnell fallen sie (wir) auf die alten Verzehrsgewohnheiten zurück.
Nach wie vor stellen die überzeugten Bio-Kunden das Rückgrat der Nachfrage, auch im konventionellen Handel. Nötig ist eine Genuss- und Geschmacksoffensive, mit ganzheitlich-sinnlichen Events, mit Kontakt zu Natur und Wachstum. Mögliche Bausteine sind Kochkurse, Verkostungen, (noch mehr) Bauernhof-Besuche. Gerade in der Reform-Diskussion müssen wir neue Werte und Wertigkeiten vermitteln: Zu einer ganzheitlichen Gesundheitsreform gehört ökologische Ernährung! Sozialprestige und emotionaler Wert guten Essens müssen dringend aufgebessert werden, vielleicht mit Vorkämpfern für Ernährungskultur wie Wolfram Siebeck. Der Weg aus der Nische erfordert ein Umsteuern des Konsums, die Veränderung eingeschliffener Verhaltensweisen und Ernährungsgewohnheiten. Im internationalen Rahmen ist fairer Handel inzwischen ein fester Begriff. Auf nationaler Ebene muss fairer Handel noch thematisiert werden. Das Ziel, ein nachhaltiges Nachfrage- und Konsumverhalten zu erreichen, fordert die ganze Gesellschaft und alle Akteure in Bildung und Erziehung, Handel und Gastronomie, Erzeugung und Verarbeitung, Politik und Medien. Und es kostet: viel Anstrengungen, Geld und Engagement. Diese Aufgabe geht weit über die inhaltlichen und finanziellen Grenzen des Bundesprogramms hinaus: sie reicht von der Veränderung von Lehrplänen bis hin zu einer Einbindung ökologischer und sozialer Kosten in die Produktpreise.

Auf geht’s, Donna Renata Quichotte, auf gegen die Windmühlen von Industrie und Handel, wir brauchen dort die Umkehr der Drehrichtung: da entscheidet sich, ob und wie die Wende weiterkommt. Ein nachlässig gemachtes Gesetz zur Gentechnik – wie gerade vorgestellt – aber kann dem Ökolandbau den Garaus bereiten.
.

  Bio-Produkte: wachsende, aber begrenzte Marktlücke
Der Umsatz an Öko-Lebensmitteln stieg 2002 um 10 % auf knapp drei Milliarden Euro, 2003 um ca 1% . Davon setzten landwirtschaftliche Direktvermarkter etwa 520 Millionen Euro um. Am Gesamtumsatz des deutschen Lebensmitteleinzelhandels hatten ökologische Erzeugnisse 2002 nur einen Anteil von etwa 2,3 %. Bei der Erzeugung von Öko-Lebensmitteln liegt Deutschland europaweit auf Platz drei hinter Italien und dem Vereinigten Königreich. Mit einem Anteil von 26 Prozent ist Deutschland den größte Markt für Bio-Lebensmittel in Europa. Die Zahl der Ökobauern nimmt stetig zu: Anfang 2003 bewirtschafteten 15.626 Betriebe 696.978 ha landwirtschaftliche Fläche nach den Kriterien der EU-Ökoverordnung (das entspricht 4,1 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland). Im europäischen Vergleich liegt Deutschlands Öko-Anteil knapp über dem EU-Durchschnitt.
.
 

 


Gerhard Hirn, Dipl. Ing.agr.,
ist Autor und Bildungsreferent,

g.hirn@t-online.de