Lebendige Erde 4/2004:
Feld & Stall
Welche Züchtung ist erlaubt
Biologisch-dynamische Züchter hinterfragen konventionelle Züchtungstechnik
von Jochen Leopold
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Zellhaufen (Kalli) als zwischenstufe der Züchtung
in Laborumgebung |
Die biologisch-dynamische Züchtung ist darauf ausgerichtet, dass mit
den gezüchteten Sorten gute und umfassende Lebensmittelqualität erzeugt
werden kann, also nicht nur Ertrag und Anbaueigenschaften im Vordergrund
stehen. Ein wichtiger Aspekt der Lebensmittelqualität ist die Vitalqualität;
als Maßstab der Lebendigkeit und der "inneren Ordnung" der Lebensmittel.
Schon mehrfach wurde belegt, dass die Vitalqualität von samenfesten
Sorten, und besonders von biologisch-dynamisch angebauten, weit besser
ist als von Hybridsorten. Wie kommen diese Unterschiede zustande? Sind
doch viele Gärtner und Bauern von Hybridsorten überzeugt, weil sie wüchsig
sind und gute Erträge liefern.
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Aus dem Leitbild der Assoziation biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter
Ziele:
- Wir wollen Sorten für eine menschengemäße Ernährung züchten.
- Wir streben eine standortbezogene Züchtung an. Damit fördern
wir regionale Vielfalt.
- Wir wollen nach biologisch-dynamischen Gesichtspunkten Sorten
für die Bedingungen des Ökologischen Landbaus züchten.
- Unter "züchterischem Eingriff in die Pflanze" verstehen wir
jede Selektionsentscheidung und Schaffung von Variation durch
Kreuzung und Umweltgestaltung.
- Wir wollen einer gemeinschaftlichen Entwicklung von Mensch,
Erde und Pflanze Raum geben
Züchtungsmethodik:
Ziel der angewandten Züchtungsmethoden ist die Erhaltung und Stärkung
des Lebenskräfte-Organismus der Pflanze durch Diversifizierung
und regionale Anpassung. Methoden, welche die Kräfteorganisation
der Pflanze nachhaltig schwächen oder schädigen, werden abgelehnt.
Als Züchtungsmethoden nutzen wir die Selektion aus der sich bildenden
Vielfalt, die klassische Kreuzungszüchtung und Methoden, die aus
den Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft entwickelt
wurden. Grundlagen für diese Züchtungsmethoden bilden substanzielle
Vergleiche, morphologische Analysen auf der Basis phänomenologisch-vergleichender
Betrachtung und imaginatives Anschauen der Pflanze. Diese Fähigkeiten
können vom Züchter nur in Eigeninitiative entwickelt werden. Züchtungsmethoden
haben Auswirkungen auf das Verhältnis zum sozialen Umfeld. Die
Sorten müssen nachbaufähig sein. Die Nachbaufähigkeit erfordert
für die Weiterentwicklung der Züchtung verbindliche Nachbauregelungen.
www.abdp.org
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Hybridzüchtungen - geringerer Wert für Ernährung?
Ertrag ist nicht alles. Zum einen ist es eine Gesetzmäßigkeit, dass
Ertrag und Qualität sich nur schwer gleichzeitig verbessern lassen.
Zum anderen sind die Ursachen in der Züchtungstechnik zu suchen. Bei
Kreuzung und Selektion bleibt die Pflanze in ihrem Gleichgewicht von
vegetativer Entwicklung und Samenbildung. Bei der Hybridzüchtung dagegen
werden Inzuchtlinien gezogen. Dabei kommt es zur Verarmung der Pflanzen
- deutlicher Ausdruck ist die Inzuchtdepression. Inzuchtlinien von Maispflanzen
sind kümmerlich. Bei der Kreuzung "passender" Inzuchtlinien entstehen
daraus die F1-Hybridsorten: kräftig im Wuchs, die Vitalqualität ist
aber gekennzeichnet durch vegetative Eigenschaften, innere Unausgewogenheit
und vorzeitige Alterungstendenz. Keine guten Eigenschaften für ein Lebensmittel.
Auch die Anwendung von Labortechniken führt zur Minderung der Vitalqualität.
Die Pflanzen verbringen einen Teil ihres Daseins im Züchtungslabor,
abgeschirmt von Umkreiswirkungen, wie sie die Pflanzen auf ihrem normalen
Standort vorfinden. Hybridzüchtung wird schon seit Jahrzehnten durchgeführt,
sowohl bei landwirtschaftlichen Kulturen wie beim Mais und Roggen, aber
vor allem auch bei Gemüsesorten. Die "alten" Gemüse-Hybridsorten waren
noch reproduktionsfähig, spalteten aber im Nachbau auf und waren nicht
zum Nachbau geeignet, im Gegensatz zu Roggenhybridsorten, die bedingt
nachbaufähig sind. Der neue Trend in der Hybridzüchtung, besonders bei
Gemüse, geht zur Einkreuzung cytoplasmatischer männlicher Sterilität
(cms). So wird z. B. Cytoplasma (Zellen ohne Kern) im Reagenzglas durch
Zellfusion vom Radieschen oder vom Rettich in Blumenkohl eingeschleust.
Was bei samenfesten Sorten noch möglich war - die Gewinnung von Saatgut
aus der gekauften Sorte - ist bei cms-Hybriden nicht mehr möglich. Die
Saatguterzeugung ist auf den Zuchtgarten der Züchtungsfirmen begrenzt.
Saatgut ist damit kein Kulturgut mehr.
Die Technik der Hybridzüchtung nähert sich der
Gentechnik
Je weiter die Technik in das Leben der Pflanze eingreift, desto geringer
werden die Chancen, als Züchter das gewünschte Ergebnis zu erreichen.
Die Erfolgsquoten bei der Protoplasten- oder Cytoplastenfusion sind
statistisch gering, verglichen mit der Erfolgsrate bei natürlicher Kreuzung.
Bei diesen Zellfusionstechniken wird die Zellwand von vegetativen Pflanzenzellen
(aus dem Blatt) mit Enzymen aufgelöst. Die "nackten", nun kugelförmigen
Zellen werden durch elektrische oder chemische Reize zum Verschmelzen
gebracht. Bei Zugabe von Nährlösungen und Hormonen wird daraus im Labor
nach und nach wieder eine Pflanze.
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Nach der Freisetzungsrichtlinie für gentechnisch veränderte Organismen
gelten Kreuzungen von Pflanzen, die auf natürlichem Wege nicht zustande
kommen können, als Gentechnik-Produkte. Doch die Auslegung der Richtlinie
ist weit gefasst und die Kontrollierbarkeit durch Behörden kaum gegeben.
So kommt es, dass mit einigen neuen cms-Hybridsorten die Gentechnik
fast unbemerkt durch die Hintertür auf die Felder und in die Gewächshäuser
gelangt. Dies ist der Fall, wenn durch Zellfusion Cytoplasma der Sonnenblume
in Chicoree transferiert wird - zwei Pflanzen, die sich in der Natur
nicht kreuzen lassen. Auf europäischer Ebene haben Öko-Pflanzenzüchter
bereits ein Art Züchtungscodex vereinbart, in dem Zellfusionstechniken
als Züchtungsmethoden ausgeschlossen sind. Biologisch-dynamische Züchter
bekennen sich zum Leitbild der Assoziation biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter
(ABDP), das solche Techniken ebenfalls nicht vorsieht.
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Erfolgreich züchten mit Interesse und Zusammen-arbeit:
Ulrike Behrendt, Kultursaat e.V. mit ihrer Gurkensorte "Helena".
(Foto:Kultursaat e. V. ) |
Mit Positivliste CMS-Hybriden vom Anbau auschließen
Im Forschungsring entstand Bewusstsein für dieses Problem, als Recherchen
innerhalb eines Projektes zu Saatgut und Züchtung ergaben, dass bereits
mehrere cms-Hybridsorten, die heute auf dem Markt sind, mit Zellfusionstechniken
gezüchtet wurden. Die Markteinführung solcher Hybriden wird in Zukunft
noch zunehmen, auch bei Pflanzenarten, bei denen es diese bisher nicht
gab. Der Grund liegt in der Absicherung der Züchter und in der naiven
Fortschrittserwartung der Saatgut-Kunden. Deshalb ist es jetzt höchste
Zeit, der Saatgutindustrie ein deutliches Zeichen zu setzen.
In der Fachgruppe Demeter-Richtlinien und mit Demeter-Anbauern verschiedener
Regionen wurde ein Ausschluss von Sorten, die aus Zellfusion hervorgegangen
sind, diskutiert. Es war Konsens, dass die Demeter-Anbauer Gentechnik-Sorten
durch die Hintertür nicht wollen. Der Forschungsring-Vorstand beschloss
daher auf Grundlage der Empfehlung eines Expertentreffens im Mai den
Ausschluss von Sorten, die aus Zellfusionstechniken hervorgegangen sind.
Der Forschungsring startet nun eine Anfrage bei den Züchtern, welche
Sorten nach dieser Richtlinienänderung angebaut werden können. Zukünftig
werden die für Demeter-Betriebe zulässigen Sorten in einer Positivliste
geführt. Die erste Liste soll zum Herbst 2004 verfügbar sein.
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Forschungsring-Studie: Techniken der Pflanzenzüchtung bei Gemüse
Um eine Einschätzung der bei Gemüse angewandten Züchtungstechniken zu
ermöglichen, wurde im Rahmen eines Projektes des Forschungsrings mit
den biologisch-dynamischen Gemüsezüchtern (Kultursaat e.V.) eine Übersicht
der praktizierten Techniken erstellt ergänzt um eine erste Erhebung,
bei welchen Gemüsevarietäten sie zum Einsatz kommen. Dies ist Ausgangspunkt
für eine Positivliste unbedenklicher Sorten. Die Studie ist beim Forschungsring,
in der Reihe FR- Materialien Nr. 15 für 6,50 € zu beziehen.
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Techniken der Pflanzenzüchtung - inwieweit sind sie ökologisch?
Ökologisches Saatgut wird vielfach angeboten. Die ökologische Qualität
bezieht sich hier auf die Vermehrung der Mutterpflanze unter ökologischen
Bedingungen. Laut EU-Verordnung muss die Pflanze, von der das Saatgut
geerntet wird, ein bis zwei Jahre ökologisch angebaut worden sein. Wie
die Mutterpflanze selbst entstanden ist, also gezüchtet wurde, wird
nicht unter die "ökologische Lupe" genommen und bleibt dem Ökoanbauer
weitestgehend unbekannt. Allgemein hat die Pflanzenzüchtung das Ziel,
Pflanzen so zu verändern, dass sie besser an die Bedürfnisse des Menschen
angepasst sind. Die Züchtungsarbeit kann durch folgende drei Schritte
charakterisiert werden:
- Erzeugen von Variabilität durch Kreuzung oder durch Variabilität
herbeiführende Behandlungen
- Selektion der gewünschten Eigenschaften in den neuen Sorten
- Vermehrung der Züchtungslinien
Bei jedem dieser Schritte können verschiedene Techniken angewendet
werden, die auf folgenden drei Ebenen ansetzten können:
- Ebene Pflanze/ Population
- Ebene Zelle/ Gewebe ?
- Ebene DNA
Techniken, die auf der Ebene der Pflanze ansetzen, arbeiten mit der
Pflanze in ihren "natürlichen Zusammenhängen", dem Boden. Techniken
auf Zell- oder DNA- Ebene werden unter Laborbedingungen angewendet,
bevor man die resultierenden Sorten unter Feldbedingungen testet. Einige
Zelltechniken und speziell die DNA-Techniken erlauben die Überschreitung
natürlicher Kreuzungsbarrieren. Alle Zell- und Gewebekulturtechniken
stützen sich auf die Fähigkeit der Pflanzenzelle, auf künstlichen Nährmedien
zu wachsen und mit Hilfe von Pflanzenhormonen zu einer vollständigen
Pflanze heranzuwachsen. Das verwendete Pflanzenmaterial muss dafür oberflächensterilisiert
werden und unter keimfreien Bedingungen wachsen. Der "Kodex" für Ökologische
Pflanzenzüchtung, eine Initiative des Louis-Bolk- Instituts (siehe LE
1-1999) und des FiBL, schließt denn auch nicht nur Gentechnik als ökologische
Züchtungstechnik aus, sondern auch CMS-Hybriden, Protoplastenfusion,
Mutationsinduktion und Pollenbestrahlung, sowie In-vitro Selektion-
bzw. Vermehrung und markergestützte Selektion. Als unpassend, aber noch
zugelassen werden z.B. Embryokultur, Polyploidisierung, Apomixis und
Meristemkultur benannt.
Näheres: FiBL-Dossier : Techniken der Pflanzenzüchtung, FiBL 2001
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