Lebendige Erde 2/2001:

Forschung

Leitbilder der Milchviehfütterung im ökologischen Landbau

Ideelle Vergangenheit versus ökonomischer Zukunft?

Jürgen Schlüter
Beratungsdienst Ökologischer Landbau Ulm e.V.
Pfefflinger Str. 2
89073 Ulm
oeko.landbau.ulm@t-online.de

Ein Vergleich verschiedener Leitbilder der Milchviehfütterung in ökologisch wirtschaftenden Betrieben zeigt, dass die biologisch-dynamische Idee mit einer ökonomischen Sichtweise im Zusammenhang mit der EU Verordnung zur Ökologischen Tierhaltung konfrontiert ist. Differenzierte Forschung ist notwendig, um den Einfluss von Parametern wie Tiergesundheit und Umweltbedeutung auf die Milchqualität zu untersuchen. Unterschiede im Fütterungsmanagement scheinen sich auf die Qualität auszuwirken. Der Beitrag fordert eine Diskussion über Wertorientierungen des Ökolandbaus in der Milchviehfütterung.

Die Art der Fütterung und Haltung im Biologisch-Dynamischen und dem daraus hervorgegangenen Ökologischen Landbau wurde durch ideelle Leitbilder geprägt, die an der Anschauung der Kuh und ihrer Bedeutung für den Gesamtorganismus des Hofes und insbesondere der Entwicklung der Bodenfruchtbarkeit orientiert waren.

Das "moderne" Fütterungsmanagement im Ökologischen Landbau optimiert die Milchleistung vom Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit. Der Blickwinkel geht nicht mehr vom Gesamtorganismus des Hofes aus, sondern von isolierten Erfolgsgrößen wie Milch- oder Eiweißerträgen. Das Leitbild der "modernen" Milchviehfütterung im ökologischen Landbau findet seit August 2000 seine Rahmenbedingungen in der EG-Verordnung 1804/99 (EG-VO 1999). Wird diese Verordnung zur Maxime für die Bewirtschaftung, erscheint es unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten für den sogenannten EG-Bio-Betrieb sinnvoll, den gesetzlichen Rahmen voll auszuschöpfen und seine Vorteile zu suchen. Diese so orientierte Fütterungsstrategie nimmt Einfluss nicht nur auf die Gestaltung der Futterration, sondern auch auf die Futtervorlage und viele weitere Haltungsbereiche. Sie ermöglicht ein Fütterungsmanagement, das die Eckpunkte des bisherigen ideellen Selbstverständnisses der Milchviehhaltung im Ökolandbau wie Frischfutter in der Sommerration, Weidegang und Grundfutterorientierung in Frage stellt. Vor diesem Hintergrund können zwei deutlich unterscheidbare Fütterungs-Leitbilder für Milchkühe und die daraus hervorgehenden wesentlichen Elemente der Betriebsgestaltung beschrieben werden:

In der Gegenüberstellung dieser unterschiedlich gestalteten Elemente von Fütterung und Haltung wird deutlich, dass die Öko-Milchviehhaltung - so sie sich alleine auf die EU-VO (1999) bezieht -eine wesentlich höhere Milchleistung pro Tier anstreben kann. Während im Biologisch-Dynamischen Landbau ein Leistungsoptimum von maximal 7.500 kg Milch beschrieben wird (Spranger,o.J.), werden im Rahmen der EG-VO (1999) werden dagegen Milchleistungssteigerungen nahezu in konventionellem Ausmaß möglich. Drerup (2000) formuliert die Zielgrößen für die ökologische Milchviehhaltung folgendermaßen: "Milchleistungen von 7000 kg/Kuh und mehr sollten oberstes Ziel sein. Dabei sollten mindestens 3.800 kg aus dem Grundfutter stammen. Wichtig auch: Der Arbeitsaufwand sollte maximal 45 Akh pro Kuh nicht überschreiten". Die Demeter-Richtlinien (2000) formulieren hingegen: "Das Tier als beseeltes Wesen ist als Haustier besonders auf unsere Obhut angewiesen. Leitlinie des täglichen Handelns sollte sein, ihm die nötige Fürsorge angedeihen zu lassen und ihm gleichzeitig spezifische wesensgemäße Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Physische und psychische Ungleichgewichte wollen rechtzeitig erkannt und vorsorgend ausgeglichen werden. Stetige, wache Betreuung des Tieres ist dafür Voraussetzung."

In der Praxis führen diese unterschiedlichen Leitbilder in Fütterung und Haltung zu einem Leistungs- und Kostengefälle zwischen einerseits biologisch-dynamischen und andererseits rein nach EG-VO (1999) wirtschaftenden ökologischen Betrieben. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Milchviehhaltung, was den EG-Bio-Betrieben einen deutlichen Kostenvorteil gegenüber den biologisch-dynamischen Betrieben verschafft. Letztere müssen sich daher bemühen über einen höheren Preis und einen erkennbaren Mehrwert der erzeugten Milch ihre wirtschaftliche Situation zu sichern.

Schaumann (2000) geht grundsätzlich davon aus, dass das Streben nach Höchsterträgen bei der Milch auch damit verbunden ist, dass sich das Geleistete selbst verändert. Verschiedene Untersuchungen deuten auf einen Zusammenhang zwischen Milchleistung und Fütterung hinsichtlich qualitativer Zusammensetzung der Milch hin. Jahreis (1999) zeigt, dass der Gehalt an den sogenannten konjugierten Linolsäuren (CLA), denen für die menschliche Ernährung eine hemmende Wirkung auf die Krebsbildung und Arteriosklerose zugeschrieben wird, einer deutliche Schwankung je nach Fütterungsmanagement unterliegt. In Milch-Stichproben aus einem konventionellen Milchviehbetrieb mit hohem Kraftfutteranteil und ganzjähriger Stallhaltung werden, im Gegensatz zu einer ökologisch erzeugten Milch aus grundfutterbetonter Fütterung mit Weidegang, geringere CLA Gehalte gefunden. Besonders die Weideperiode bewirkt bei Tieren im Öko-Betrieb einen deutlichen Anstieg der Werte. Der CLA-Gehalt in dieser Studie korreliert darüber hinaus negativ mit dem eingesetzten Kraftfutter, d. h. je mehr Kraftfutter, desto weniger CLA.

Diez-Gonzalez et al.(1998) haben Mastrinder entweder nur mit Heu bzw. Weidelgras oder hohen Getreide-Kraftfuttermengen ( 60 und 80 %) gefüttert. Die Anzahl an säureresistenten E. coli im Darm nahm um den Faktor 10.000 bis 100.000 zu. Die Fähigkeit von Colibakterien, Lebensmittelvergiftungen hervorzurufen ist davon abhängig, ob sie die niedrigen pH-Werte im Magen des Menschen überleben und anschließend den Verdauungstrakt besiedeln können. Deshalb hängt, so kommentieren Krutzinna u. Boehncke (1999) diese Arbeit, das Infektionsrisiko entscheidend von der Säureresistenz pathogener Colibakterien ab. Ferner merken Krutzinna und Boehncke (1999) zu dieser Arbeit an: "Zu den bereits bekannten negativen Folgen chronischer Kraftfutterüberfütterung scheint nach diesen Ergebnissen noch ein klar definiertes Risiko für die menschliche Gesundheit hinzuzukommen. Daher sollte gerade auch im Ökologischen Landbau die Tendenz zu immer höheren Kraftfuttergaben in der Milchviehhaltung neu überdacht werden." Analog hierzu zeigen Handl et al. (1997) einen direkten Zusammenhang zwischen Tiergesundheit, Milchleistung und Fütterung auf. Die leistungsabhängig reduzierte Gabe von Kraftfutter führt nach dieser Untersuchung im Öko-Betrieb zu einem geringeren Anteil an Fruchtbarkeitsstörungen, Klauen- und Gelenkerkrankungen, während die Eutergesundheit nicht positiv beeinflusst wurde.

Postler (1990) zeigt, das die Nutzungsdauer und die Lebensleistung ab einer gewissen Höhe der mittleren Jahresleistung abnimmt. "Die Beanspruchung und der Verschleiß der Tiere nehmen unter den ansonsten weitgehend gleichbleibenden Umweltbedingungen (Betrieb, Fütterung, Haltung, Management) in Relation zur Leistungssteigerung stärker zu." Er findet das Optimum in einer mittleren Jahresleistung der Kühe zwischen 5.500 und 6.500 kg.

Haiger (1995) betrachtet die Milchleistung vom Gesichtspunkt der Stickstoffbilanz des Betriebes. Bei einer Grundfutterleistung von 3000 bis 5000 kg hält er die Stickstoffbilanz für ausgeglichen. Je höher die Grundfutterleistung, desto höher kann die Gesamtleistung sein, ohne dass ein "Stickstoffüberhang" durch Kraftfutterzukauf entsteht. Nach EG-VO (1999) ist durch einen höheren Kraftfuttereinsatz (max. 50% der Tagesration zulässig!) eine Leistungssteigerung möglich, die nach Haiger (1995) vom ökologischen Standpunkt aus nicht zu verantworten ist, weil mit dem Kraftfutterverbrauch der Stickstoffeintrag ins Grundwasser bedenklich zunimmt.
 

Schlussfolgerungen
Diese kleine Auswahl von Arbeiten zeigt die Beeinflussung der Parameter Milchqualität, Tiergesundheit (Lebensleistung) und Umweltrelevanz durch Unterschiede im Fütterungsmanagement in Abhängigkeit vom realisierten Leitbild. Üblicherweise wird die Milchleistung in Menge und Inhaltsstoffe (Fett, Eiweiß) gemessen. Es bleibt zu fragen, ob nicht ein erweiterter Qualitätsbegriff die Unterschiede zwischen den hier besprochenen Leitbildern im Fütterungsmanagement stärker zu Tage fördert. Die Arbeit von Hüfner (1996), die sich mit der Entwicklung von biogenen Aminen in Fermentationsprodukten am Beispiel von Hartkäse (u.a. hergestellt aus Milch unterschiedlicher Fütterungssysteme) beschäftigt, und die Arbeit von Riesen (2000) die unter anderem der Beeinflussung der Labgerinnungseigenschaften durch fütterungsbedingte Ursachen nachgeht, weisen in diese Richtung.

Eine Diskussion über die zukünftige Werteorientierung in der Fütterung von Milchkühen im Ökologischen Landbau muss dringend geführt werden. Für den hohen Qualitätsbegriff und das gute Image der Erzeugnisse aus Ökologischen Landbau wäre es womöglich fatal, unreflektiert den Mindeststandard der EG-VO (1999) zur Leitlinie zu erheben.
 

Ideelles Leitbild:
Wirtschaftliches Leitbild:
Nach Steiner (1985), z.T. Demeter -Richtlinien (2000)
Nach allgemeinen wirtschaftlichen Prinzipien der Fütterung und EG-VO (1999)
Landwirtschaftlicher Organismus mit einer zentralen Bedeutung des Milchviehs. Nur eine gesamtbetriebliche Umstellung ist möglich.
Eine Teilbetriebsumstellung ist möglich.
Weitgehend geschlossener Betriebskreislauf; Zukauf von Futtermittel möglichst minimiert, max. 20% Öko gestattet, mind. 50% Demeter Futtermittel eigenerzeugt.
Kein Mindestanteil betriebseigener Futtermittel vorgeschrieben, der Öko-Zukauf ist unbegrenzt möglich.
Das Enthornen ist nicht gestattet. Die Wahrnehmungs- und Selektionsmöglichkeiten des Tieres in der Fütterung zulassen und fördern; das Tier lebt sich im sinnlichen Wahrnehmen aus und tritt dadurch in Beziehung zu seiner Umwelt.
Enthornung junger Tiere ist gestattet. Kontinuität und Einheitlichkeit ist für die Leistung der Pansenflora entscheidend; beim Weidegang schwanken die Rationskomponenten zu stark. Mit der Reduzierung der Selektionsmöglichkeit (TMR) steigt die Leistung und schafft arbeitswirtschaftliche Vorteile.
Weidegang als zentrales Haltungssystem im Sommer.
Auslauf (betoniert) reicht aus; Säugetieren ist Weide- und Freigeländezugang oder Auslauf zu gewähren.
Die Sommerfütterung muss überwiegend aus Frischfutter/Grünfutter bestehen; ein Mindestanteil von Heu im Winter ist vorgeschrieben.
Kein Mindestanteil von Frischfutter vorgeschrieben, eine ganzjährige ausschließliche Silagefütterung ist zulässig.
Vielfältiges Rauhfutter und verschiedene Rauhfutterkomponenten haben Bedeutung für die Gesundheit des Tieres und die Qualität der Produkte.
Totale Mischration (TMR) ist ganzjährig zulässig.
Grundfutterorientierte Fütterung; Leistungsfutter in geringem Umfang lediglich zum Ausgleich. Im Winter sollen die Tiere einen möglichst hohen Anteil Heu (Kühe 3 kg/Tag) erhalten; ausschließliche Silagefütterung ist untersagt.
Zunehmende Bedeutung von Leistungsfutter mitteln; 40% Leistungsfutteranteil ist zugelassen, eine Erhöhung auf 50% ist möglich. Umfangreiche konv. Komponenten sind bis 10% in der Ration zugelassen.
Zugelassene konventionelle Futtermittel, wenn nicht aus öko-Anbau verfügbar, bis max 10%: Leinsamen, -kuchen, -expeller, Bierhefe, Treber u. Trester aus der Nahrungsmittelindustrie, Raps, -schrot, -kuchen, -expeller.
Zugelassene konventionelle Futtermittel, wenn nicht aus Öko-Anbau verfügbar, bis max 10%: zB. Rapssaat, -kuchen u. -schalen; Sojabohnen, -kuchen und -schalen Sonnenblumensaat und -kuchen; Baumwollsaat und -saatkuchen; Leinsaat und -kuchen; Palmkernkuchen; Rübensaatkuchen und Rübenschalen; ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel, Zitrusfruchtpreßrückstände, Fisch, Meerestiere, deren Erzeugnisse und Nebenerzeugnisse.
Beschränkung auf 2 GV bzw. 1,4 Dungeinheiten (entspricht 112 kg N/ha).
Viehbesatzdichte entsprechend 170 kg Stickstoffeintrag je Hektar und Jahr (1,5 fache der Demeter-Richtlinien).

Literatur
  • Demeter-Richtlinien 2000: Erzeugungsrichtlinien für die Anerkennung der Demeter-Qualität, Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise e.V. Darmstadt, Stand Juli 2000
  • Diez-Gonzalez, F., T.R. Callaway, M.G. Kizoulis und J.R. Russell, 1998: Grain feeding and the Dissemination of Acid-Resistant Eschericha coli from Cattle, Science 281
  • Drerup, C. 2000: Das ist beim Umstieg auf Biomilch zu beachten - top agar 6/2000, S. 32-37.
  • EGVO 1999: Verordnung (EG) Nr. 1804/99 der Kommission vom 19. Juli 1999Haiger, A. 1995: Wird die Kuh zur "Sau" gemacht? - Bauernstimme 12/1995 S. 12 -13
  • Handl, H., Krutzinna, C., Hansen, T. 1997: Einfluß der Höhe des Kraftfutter-Einsatzes auf die Tiergesundheit und Leistung in einem ökologischen Milchviehbetrieb, Lebendige Erde 4/1997 S. 295-299
  • Hüfner, J. 1996: Entwicklung von biogenen Aminen in Fermentationsprodukten am Beispiel Hartkäse, Abschlußbericht 1993-1996, staatliche Milchwirtschaftliche Lehr- und Forschungsanstalt, Wangen/AllgäuJahreis, G. 1999: Gesündeste Milch kommt von der Weide, Arbeitsergebnisse Heft 44, 5-10, GHK Witzenhn.
  • Krutzinna, C., Boehncke, E. 1999: Zum Einfluß der Kraftfutterfütterung auf die Bakterienflora bei Rindern, Arbeitsergebnisse Heft 43, S. 36-37, Gesamthochschule Kassel, Witzenhausen
  • Postler, G. 1990: Untersuchungen über die Beziehung zwischen Milchleistung und Nutzungsdauer an fünf Herden der Arbeitsgemeinschaft für Rinderzucht auf Lebensleistung. Arbeiten zur ganzheitlichen Betrachtungsweise in der Tierzucht, LMU-München
  • Riesen, G. 2000: Beziehungen zwischen den Labgerinnungseigenschaften der Milch und ausgewählten biochemischen Parametern - Diss. Cuvillier Verlag Göttingen
  • Schaumann, W. 1996: Rudolf Steiners Kurs für Landwirte: eine Einführung - Stiftung Ökologie und Landbau Bad Dürkheim, SÖL Sonderausgabe Nr. 46, S.139
  • Schaumann, W. 2000: mündl. Mitteilungen, Bad Vilbel
  • Spranger, J. o.J.: Möglichkeiten und Grenzen grundfuttererzeugter Milchleistung, Forschungsinstitut für biol. Landbau (FIBL), Oberwil, Schweiz
  • Steiner, R. 1985: Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft, Rudolf Steiner Verlag Dornach/Schweiz