Lebendige Erde 5/2002:

Forschung

Zum biologisch-dynamischen Forschungsansatz

Nur philosophisches Beiwerk oder Erkenntnisbedingung einer Wissenschaft vom Leben?

Dr. rer. nat. Ingo Hagel
Institut für Biologisch-Dynamische Forschung,
Darmstadt

  Was ist anders an der Forschung zur Biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise? Werden nur wissenschaftliche Bestätigungen für die Anregungen Steiners gesucht oder gibt es auch einen eigenen Forschungsansatz? Braucht man den, um mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft weiter zu kommen? Bekannt ist, dass bei den Biodynamikern sich einerseits auch Bauern sich als Forscher betätigen, andererseits die Theoriebildung für konventionelle Agrarwissenschaftler ein Buch mit sieben Siegeln ist. Einzelne Methoden heben sich vom gängigen Wiegen, Zählen Messen ab, aber reichen allein andere Methoden, um Lebensprozesse besser zu verstehen? In den nächsten Heften wird in loser Folge von verschiedenen Wissenschaftlern über die Forschung, biologisch-dynamisch, geschrieben, um zu verdeutlichen, was sie anders macht und wie man damit das Verständnis vertiefen kann. red.

Die Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise ist die älteste unter den verschiedenen Methoden des Ökologischen Landbaus. Ihr geistiges Fundament ist eine Reihe von Vorträgen, die Rudolf Steiner (1861-1925) im Jahr 1924 in Koberwitz bei Breslau für Landwirte hielt (STEINER 1924a). Daher können ihre Voraussetzungen und Intentionen und auch ihr Forschungsansatz nicht losgelöst von dem spirituellen Weltbild der Anthroposophie, deren Begründer Rudolf Steiner ist, betrachtet werden. Auf einige Motive und Aspekte dieser Herangehensweise an wissenschaftliche Fragestellungen soll hier kurz eingegangen werden. Ausführlichere Darstellungen können an anderer Stelle aufgesucht werden (z.B. HAGEL 2001 a-c, 2002).

Während die klassische Naturwissenschaft bis heute davon ausgeht, dass alle Erscheinungen des Lebens Resultat stofflicher Vorgänge auf atomarer und molekularer Ebene sind, vertritt die biologisch-dynamische Bewegung mit dem Forschungsansatz der Anthroposophie Rudolf Steiners gerade umgekehrt die Auffassung, dass das "Leben" eine Qualität für sich darstellt. Es ist nicht-sinnlicher (geistiger) Natur, den Substanzen der organischen Natur übergeordnet, allerdings gestaltet und bildet es diese (STEINER 1904, 1910, 1925).

Darüber hinaus sind Fähigkeiten der seelischen Empfindung und des denkenden Bewusstseins bei Tier und Mensch weder Resultate des Stoffes noch des diesen dirigierenden Lebens. Ganz im Gegenteil muss das Leben durch weitere und ebenfalls übergeordnete Prinzipien zurückgedrängt werden, damit Bewusstsein entstehen kann. Dieser Aspekt ist besonders mit Blick auf die Qualität pflanzlicher Nahrungsmittel von großer Bedeutung, da er diesbezügliche Anforderungen eben nicht nur an die vitalen, d.h. Leben vermittelnden, sondern auch an die Bewusstsein vermittelnden Eigenschaften der Nahrungsmittel beinhaltet (HAGEL 2001 a).
Die etablierte Wissenschaft reduziert Leben aus DNA
 

Jede Substanz und jeder Prozess innerhalb der belebten Natur muss als Ausdruck dieser übergeordneten, das Leben bedingenden und zurückdrängenden Kräfte aufgefaßt werden. Dieser anthroposophische Ansatz, welcher geistige Prinzipien als Bewirkendes z.B. für die Erscheinungen des Lebens und die Bildung bzw. Umwandlung der Substanzen in lebendigen Organismen ansieht, muss natürlich im Widerspruch zum zentralen Dogma der Naturwissenschaft stehen, welches gerade den Stoff in Gestalt der Gene (sowie physische und chemische Kräfte) für die Grundlagen des Lebens hält. Deshalb wird in der Begegnung mit Vertretern der konventionellen Naturwissenschaft der Ideenbildung der biologisch-dynamischen Forschung immer wieder ein "geistiger Überbau" und eine "Philosophie" vorgeworfen, die, weil sie ja "nur aus Gedanken besteht" subjektiv und daher unzulässig sei. Diese offizielle Wissenschaft hält sich für geistig wertfrei und objektiv. Aber sie vergisst vollständig, dass auch sie eine "Philosophie" bzw. ein geistiges Programm als Grundlage ihrer Arbeit hat. Und dieses ist der Materialismus. Sehr klar formuliert dies Prof. Mengel in der Einleitung zu seinem mittlerweile in der 7. Auflage erschienenen (und von den Sachinformationen selbstverständlich empfehlenswerten) Standardwerk "Ernährung und Stoffwechsel der Pflanze" (Mengel 1991). Er meint dort, es werde "immer deutlicher, dass auch die Vorgänge in der belebten Natur letzten Endes auf chemischen Prozessen basieren... Die Vorgänge, die sich im Mikrobereich der Moleküle, Atome und Elektronen abspielen, sind also letzten Endes auch für die mannigfaltigen Erscheinungen des Lebens verantwortlich." Aus dieser materialistischen "Philosophie", die den Stoff als die Grundlage der Lebenserscheinungen ansieht, ist es verständlich, dass die sogenannte moderne Naturwissenschaft in dem genetischen Code die Grundlage allen Lebens sieht und enorme Anstrengungen (und natürlich auch staatliche Fördermittel) in die Erforschung und Nutzung der Gentechnik fließen. Die Manipulierbarkeit des Lebendigen durch die Gentechnik soll nicht bestritten werden, jedoch dass die Gene die letzte Ursache für die "mannigfaltigen Erscheinungen des Lebens" sein sollen. Es werden nämlich verschiedene Fakten nicht beachtet:
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  • Ohne das Potential der ganzen lebenden Zelle kann keine Information des genetischen Codes umgesetzt werden. Damit aber wird das Leben durch die Genetik nicht erklärt, sondern bereits (unbewusst) vorausgesetzt.
  • Auch bedeutet die Abfolge der je drei Basen eines Tripletts keine echte Erklärung für die Codierung der Aminosäurensequenz, da diese Tripletts in keinem kausal-funktionalen (Ursache-Wirkungs-)Zusammenhang zu den betreffenden Aminosäuren stehen, sondern in einem abstrakten. Sie müssen nämlich erst gelesen werden. Aber es wird vergessen, dass es ein diese Information lesendes und umsetzendes Wesen geben muss. Dies aber ist das "Leben" selber.
  • Außerdem beschreibt der genetische Code ausschließlich Proteine. Wo aber liegt der Code für Fette, Kohlehydrate, Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe, die "das Leben" ja produziert? Und wo wird im pflanzlichen Bereich die Struktur der aus Kohlenstoff, Stickstoff etc. zu synthetisierenden Aminosäuren selber codiert?
  • Und schließlich wird der genetische Ansatz niemals erklären können, wie aus der Sequenz von Stoffen (Basen) der DNA die Form, Gestalt der Lebewesen entsteht. Selbstverständlich kennt man über die DNA codierte Proteine und andere im Organischen gebildete Substanzen, die die Morphologie der Lebewesen oft dramatisch verändern können. Dies bedeutet aber keine wissenschaftliche Erklärung, sondern ist reine Empirie. Es muss festgehalten werden, dass zwischen den begrifflichen und funktionalen Inhalten des Stoffes (Basen, Gene) und der Gestalt (Morphologie) der Lebewesen eine wissenschaftstheoretische Kluft besteht, die niemals aus den Paradigmen der konventionellen Naturwissenschaften wird geschlossen werden können.
  • Vor kurzem erschien eine Arbeit, wonach 98,7 % der Gene des Schimpansen und des Menschen identisch sind (ENARD et al. 2002). Der genetische Unterschied als Grundlage für die Erklärung der doch ziemlich verschiedenen Erscheinungen Affe und Mensch beträgt also nur 1,3 %. Wo ist also der Mensch? Jedenfalls nicht in den Genen! Und eine Wissenschaft, die den Stoff (also z.B. die Gene) als Grundlage für das Leben ansieht, sollte sich bei solchen Ergebnissen hinsichtlich der Gültigkeit ihrer materialistischen Philosophie kritisch hinterfragen.
Der biologisch-dynamische Forschungsansatz bezieht den Menschen mit ein.

Schon diese grundlegenden Erkenntnisprobleme der Bio-Logie (also der Lehre vom Leben) machen klar, dass der Forschungsansatz der Anthroposophie keine abgehobene Laune weltferner Okkultisten darstellt, sondern sich zwangsläufig aus dem an Grenzen anstoßenden Erkenntnisstreben der Naturwissenschaft selber ergeben muss, wenn diese ihre Ergebnisse nur konsequent zu Ende denken (spiritualisieren) würde, anstatt sie geist-los (d.h. ohne Herausarbeiten ihres ideelen Gehaltes) und mit den entsprechenden sozialen und kulturellen Folgen (Kernkraft, Gentechnik) zur naturwissenschaftlichen Technik zu degradieren.

Auch die Forschungsergebnisse über die biologisch-dynamischen Kompost- und Spritzpräparate stellen durch die signifikanten Effekte der angewandten sehr geringen Mengen (z.B. 4 g/ha präpariertes und in Wasser dynamisiertes Quarzmehl) dieser unscheinbaren Substanzen eine stoffliche Kausalität in Frage. Es konnten sogar die von STEINER (1924 b) angegebenen strahlenden, d.h. nicht stofflichen Kräfte der biologisch-dynamischen Kompostpräparate durch das Experiment bestätigt werden (HAGEL 1999, 2002).

Auch dieses Beispiel aus dem landwirtschaftlichen Bereich zeigt, wie der Weg der klassischen Naturwissenschaft gerade durch die von ihr erarbeiteten Ergebnisse und Begriffe an Erkenntnisgrenzen ankommt, die sie auf diesem Wege nicht wird lösen können. Die Forderung nach einer Erweiterung der Erkenntnis, wie sie von der Anthroposophie allgemein sowie als Grundlage des biologisch-dynamischen Landbaus angestrebt wird, ist somit in der Sache der Naturwissenschaft selber begründet.

Das Lebendige als Grundlage aller sicht- und messbaren Prozesse und Gestaltungen ist selber nicht sinnlich sichtbar. Es ist über-sinnlicher Natur und kann nur durch entsprechende Erweiterung der Erkenntnisfähigkeiten wahrgenommen werden (STEINER 1904, 1904/5, 1910). Unabhängig von diesem Schulungsweg, der zu dieser Art des Wahrnehmens gehört wie z.B. der Schulungsweg des Chemikers über die Analyse, verliert die naturwissenschaftliche Arbeitsweise der experimentellen Beobachtung nichts von ihrer Bedeutung. Ihre Deutung erfährt allerdings mit Bezug auf die belebte Natur eine Erweiterung. Denn das bewirkende Geistige in der Welt (z.B. das den Erscheinungen der Physiologie zugrunde liegende Leben) steht nicht beziehungslos, sondern in konkreten und begrifflich erfassbaren Verhältnissen zur Sinneswelt. Die mit naturwissenschaftlichen Methoden erfahrbare Sinneswelt ist also als Bild der sie schaffenden geistigen Kräfte zu verstehen. Die einzelnen Details wurden von Steiner dargelegt. Diese sind ohne den o.a. Schulungsweg verständlich. Sie erfordern allerdings eine intensivere gedankliche Bearbeitung, als man dies üblicherweise vom Lesen wissenschaftlicher Publikationen kennt. Damit bleiben die naturwissenschaftlichen Beobachtungen auch für den biologisch-dynamischen Forschungsansatz aktuell, da sie als Bild geistiger Wirksamkeiten zu diesen ein Verbindungs- und Prüfglied darstellen, wenn man sie entsprechend liest. So konnten z.B. die festen Kleber der modernen E- und A-Weizen als ein Bild für eine entvitalisierte Pflanzenkonstitution mit entsprechend fragwürdigen Konsequenzen für die Nahrungsqualität erkannt werden.

 

Literatur

  • ENARD, W., P. KHAITOVICH, J. KLOSE, S. ZÖLLNER, F. HEISSIG, P. GIAVALISCO, K. NIESELT-STRUWE, E. MUCHMORE, A. VARKI, R. RAVID, D.M. DOXIADIS, R.E. BONTROP, S. PÄÄBO (2002): Intra- and Interspecific variation in primate gene expression patterns. Science 296, 340-343.
  • HAGEL, I. (1999): Untersuchungen zur Strahlungswirksamkeit der biologisch-dynamischen Kompostpräparate. In: Biologisch-energetische Phänomene in der Landwirtschaft. Materialien und Diskussionsbeiträge eines Workshops, veranstaltet vom Ökologischen Arbeitskreis der Studentischen Vertretung der TU München-Weihenstephan am 24.1.1997. 7-11., Materialien Nr. 7, Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise, Darmstadt (Hrsg.).
  • HAGEL, I.: (2001 a): Kosmische und irdische Aspekte zur Entwicklung eines menschenkundlich orientierten Leitbildes zur Nahrungsqualität. 6. Wissenschaftstagung zum Ökologischen Landbau, 6.-8. März 2001, Freising-Weihenstephan, 55-58.
  • HAGEL, I. (2001 b): Zwischen Kosmos und Erde. 1. Nahrungserzeugung und menschliche Entwicklung. Das Goetheanum, Nr. 46, 837-842.
  • HAGEL, I. (2001 c): Zum Wissenschaftsansatz in der biologisch-dynamischen Forschung. In: RAUPP, J. und P. ROINILA: Biologisch-dynamische Forschung aus individueller Sicht - Motive, Erfahrungen und Perspektiven von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedener Länder. Schriftenreihe Band 15, Institut für Biologisch-Dynamische Forschung, Darmstadt, 21-36.
  • HAGEL, I. (2001 d): Gute Backqualität durch Schwefelmangelweizen? Lebendige Erde 4/2001, 40-41.
  • HAGEL, I. (2002): Versuche zur Strahlungswirksamkeit der biologisch-dynamischen Kompostpräparate - Was kann man aus diesen Ergebnissen für den Wissenschaftsansatz einer Forschung im Lebendigen lernen? Vortrag zum 50jährigen Jubiläum des Instituts für Biologisch-Dynamische Forschung am 19.11.2000, Darmstadt. Institut für Biologisch-Dynamische Forschung, Darmstadt, Schriftenreihe (im Druck).
  • MENGEL, K. (1991): Ernährung und Stoffwechsel der Pflanze. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart.
  • STEINER, R. (1904): Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung. GA 9. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Schweiz.
  • STEINER, R. (1904/5): Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten. GA 10. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Schweiz.
  • STEINER, R. (1910): Die Geheimwissenschaft im Umriß. GA 13. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Schweiz.
  • STEINER, R. (1924 a): Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft. Landwirtschaftlicher Kursus. GA 327. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Schweiz.
  • STEINER, R. (1924 b): Fragenbeantwortung vom 13.6.1924. (in 1924a)