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Lebendige Erde 5/2004:ForschungMöglichkeiten und Grenzen bildschaffender MethodenEine Frage der Erkenntnishaltungvon Martin RozumekBildschaffende Methoden werden vielfach für Qualitätsuntersuchungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln eingesetzt. Was leisten die Methoden und welche Grenzen haben sie? Wie sind ihre Ergebnisse zu deuten? Zahlreiche Kontroversen um diese Fragen gaben Anlass, hier Gesichtspunkte für die Urteilsbildung zu entwickeln. Dem diente eine sich über vier Jahre erstreckende Zusammenarbeit von zwölf Wissenschaftlern - Routineanwender und Kritiker, Natur- und Kulturwissenschaftler - im früheren ‹Beratungskreis Forschungsförderung› der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland.1
Widersprüchliche Positionen und unterschiedliche
Erfahrungen Das entgegengesetzte Extrem dazu besteht in der Ansicht, bildschaffende Methoden seien bestenfalls als Ergänzungen anzusehen, da sie die Beschaffenheit der Proben nicht eindeutig wiedergäben und insofern nichts über deren Qualität aussagen. Tatsächlich kann eine qualitativ höherwertige Probe die weniger ansehnlichen Bilder liefern. Solche "kritischen" Positionen sind in der Gefahr, nichts durchgehen zu lassen, was sich dem Verstand verschließt. Dabei sehen sie unter Umständen gleichfalls am Lebendigen vorbei, indem sie Qualität und Lebendigkeit mit unangemessenen Methoden behandeln wollen. Leben ist mehr als Stofflichkeit. Daneben spielen unterschiedliche Erfahrungen mit bildschaffenden Methoden eine bedeutende Rolle für die Urteilsbildung: Einerseits besteht vor allem im Bereich der Qualitätsbeurteilung landwirtschaftlicher Produkte eine anerkannt erfolgreiche Praxis, die zum Teil sogar die Unterscheidung konventionell, biologisch-organisch und biologisch-dynamisch angebauter Produkte im Blindversuch leistet. Auch Untersuchungen von Wasser mit der Tropfbildmethode und von Humanblut mit der Kupferchlorid-Kristallisation werden routinemäßig in nennenswertem Umfang betrieben. Andererseits sind die bildschaffenden Methoden in der Qualitätsprüfung für pharmazeutische Rohstoffe auf dem Rückzug, seit deutlich geworden ist, dass sich zum Beispiel Pestizidrückstände in den Bildern nicht unbedingt niederschlagen, die Methoden also wichtige Qualitätsmerkmale nicht erfassen. In der Arbeit des "Beratungskreises" hat sich gegenüber dieser Situation
herauskristallisiert, daß die Urteilsbildung ein genaues Eingehen auf
Erkenntnisart und Begriffsbildung im Umgang mit den verschiedenen Methoden
voraussetzt. Dies wurde anhand der Auswertung eines Kupferchlorid-Kristallisats
und eines Gaschromatogramms (siehe Kästen) unternommen, jeweils stellvertretend
für ein typisches Produkt eines bildschaffenden und eines instrumentell-analytischen
Verfahrens. Dabei hat es sich als angemessen erwiesen, kein allgemeingültiges
Urteil anzustreben, sondern Gesichtspunkte für Anwendung und Beurteilung
der Methoden im einzelnen Fall sowie für die Frage ihrer Validierung2
zu erarbeiten. |
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Begriffsanwendende Erkenntnistätigkeit ist Voraussetzung Im Unterschied zur instrumentellen Analytik entstehen durch die bildschaffenden Methoden Gebilde, die unmittelbar die sinnliche Beobachtung durch ihren Gestaltreichtum herausfordern. Entscheidend ist jedoch, dass die Gestalten durch die Probe mitbestimmt sind. Das gemeinsame Prinzip der bildschaffenden Methoden besteht darin, die Probe einem System zuzusetzen, das sich aufgrund einer innewohnenden Labilität schon durch geringfügige Ursachen beeinflussen läßt (Non-equilibrium-System) und diesen Einfluss in Veränderungen eines gestaltbildenden Vorgangs widerspiegelt. Die Auswertung kann nun in ähnlicher Weise interpretierend-begriffsanwendend
wie bei einem Gas-Chromatogramm vorgenommen werden, zum Beispiel indem
bestimmte Merkmale eines Blutkristallisationsbildes als Zeichen für
das Vorhandensein dieser oder jener Krankheit erwartet werden. Der Begriff
zur Identifikation der Gestalt ist dann vorher schon gebildet worden.
Auf dieser Ebene einer sehr gegenständlichen Auffassung der Bilder stößt
man jedoch schnell an Grenzen: Die Bilder sind nicht wie Messwerte eindeutig
fixiert und auf systemunabhängige Größen bezogen. Zudem können verschiedene
Proben ähnliche Bilder ergeben, sogar wenn es sich um Proben biologischen
Ursprungs im Vergleich mit solchen von mineralischen Stoffen handelt.
Für die Identifikation von Stoffen und deren quantitative Bestimmung
sind bildschaffende Methoden daher ungeeignet. |
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Gas-Chromatographie Die Gas-Chromatographie (GC) und vergleichbare Verfahren sind leistungsfähige Standardverfahren für die Trennung von Stoffgemischen und die qualitative und quantitative Bestimmung ihrer Bestandteile. Ihnen liegt dasselbe Prinzip zugrunde wie der Steigbildmethode: ein für jeden Stoff spezifisches Gleichgewicht von Löslichkeit in einer beweglichen Phase - bei der GC ein Gas - und Anhaftung an oder ebenfalls Löslichkeit in einer stationären Phase - ein Feststoff oder ein Gel. Die Bestandteile der Probe werden in der beweglichen Phase gelöst und beim Durchleiten durch die stationäre Phase - die "Säule" - unterschiedlich stark zurückgehalten. Ein Detektor registriert, wenn ein Probenbestandteil die Säule durchlaufen hat. Seine Signale werden als "Spektrum" gegen die Zeit aufgetragen. Der Vergleich der Durchlaufzeit eines Probenbestandteils mit (unter denselben Bedingungen gemessenen) Referenzwerten reiner Stoffe erlaubt die Zuordnung der Signale und damit die Identifikation der Probenbestandteile. Die Größe der Signale gibt Auskunft über die Menge des betreffenden Bestandteils. |
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. Die charakterisierte Erkenntnisweise läßt sich als begriffserwerbend (Kracht) bezeichnen, weil sie zu neuen Begriffen führt. Dabei kann aufgrund der gekennzeichneten Verzichtshaltung im Denken der Begriff im wiederholten Durchlaufen der Wahrnehmung immer wieder neu gebildet, mithin auch ein schon bekannter Gegenstand wie ein Unbekanntes neu angeschaut werden. Anerkennt man diese Erkenntnishaltung als grundlegend für bildschaffende Methoden, so kann jedes wissenschaftliche Vorgehen, das sinnlich gegebene Phänomene unter Zurückhaltung vorher gebildeter Begriffe mit der Intention betrachtet, Neues an ihnen zu erfahren, als "bildschaffend" angesehen werden. Damit eröffnet sich hier der Ausblick auf eine Vielfalt noch gar nicht entwickelter, aber womöglich hilfreicher und wünschenswerter Methoden.
Wenn, wie dargestellt, mit bildschaffenden Methoden ein Weg in den Bereich dessen hinein gegeben ist, was gemeinhin als Bildekräfte bezeichnet wird, darf dabei nicht vergessen werden, dass der Bildeprozess, aus dem die betrachtete Gestalt (das Steigbild oder ähnliches) hervorgegangen ist, nicht einfach derjenige der Probe ist, also zum Beispiel Wachstum und Reifen der Äpfel bei einer Apfelsaftprobe, sondern die Wechselwirkung der Probe mit dem gestaltungsoffenen System. Die Natur der Probe (was sie ist und wie sie durch Anbauart, Verarbeitungsprozeß und anderes verwandelt worden ist) ist einer unter mehreren Faktoren, die in die Gestalt zum Beispiel eines Kristallisations- oder Steigbildes hereinspielen. Daher ist eine intime Kenntnis aller beteiligten Faktoren und ihrer Einflüsse auf den gestaltbildenden Vorgang erforderlich, um den Einfluß der Probe eindeutig, sicher und reproduzierbar zu bestimmen. Die Beurteilung eines solchen Bildes erfordert deswegen auch auf der Ebene der Bildungsweisen und Bildegesten immer Vergleiche, die sich auf andere Bilder, aber auch auf mein Vorwissen beziehen können. In die begriffserwerbende Tätigkeit spielt damit ein begriffsanwendendes Element herein. Dieses gewinnt noch an Bedeutung, sobald die zunächst bei der Untersuchung
erhaltenen Charakterisierungen einer Probe hinsichtlich ihrer "Qualität"
gewertet werden: Warum schreiben wir beispielsweise - im Rahmen einer
Vergleichsuntersuchung - der Probe mit dem differenzierter ausgeformten
Steigbild ein höheres Maß an Lebendigkeit zu und warum bzw. wofür ist
das "besser"? Eine solche Bewertung erfordert Konzepte von Leben, Ernährungsqualität,
Gesundheit und ähnlichem als Bezugsrahmen, in die wir die Bilder stellen,
die aber nicht aus den Bildern entwickelt werden können. |
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Steigbildmethode
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. Die Wahl der Methode(n) ergibt sich aus der Fragestellung und muss
im Einzelfall getroffen werden. Bei Fragen stofflicher Identität und
Menge wird in jedem Fall die instrumentelle Analytik zu bevorzugen sein,
um hingegen Unbekanntes zu erschließen und die Ebene der Bildeprozesse
zugänglich zu machen, bildschaffende Methoden, außerdem rhythmologische,
morphologische und andere Vorgehensweisen. Wissenschaft benötigt hier
eine sachgemäße Methodenvielfalt. Hinsichtlich der Qualitätsbeurteilung
bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Nahrungsmitteln spielt dabei
mein Verständnis von "Qualität" die größte Rolle: geht es um Schadstofffreiheit,
den Nährwert oder um die in einem Lebensmittel gebundenen Lebenskräfte? |
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Tropfbildmethode Rundbildmethode Rundbild (Chroma) von Birnen © Uwe Geier, Forschungsinstitut am Goetheanum, Dornach
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Interpretation und Bewertung erfordern Erfahrung
und geklärte Begriffe Aus diesen Feststellungen ergeben sich auch Grenzen der Delegierbarkeit von Untersuchungen mit bildschaffenden Methoden sowie der Verwendung der "Bilder". So ist es zum Beispiel fraglich, ob ein einzelnes Bild "Qualität" dokumentieren kann. Sowohl der Auftraggeber als auch der Käufer eines mit bildschaffenden Methoden untersuchten Produkts müssen imstande sein, Verfahren und Untersuchungsergebnisse nachzuvollziehen. Die folgenden Fragen können als Leitfragen für die Urteilsbildung auf diesem Gebiet dienen:
Martin Rozumek, Forschungsinstitut am Goetheanum, Postfach CH-4143
Dornach 1, martin.rozumek@
goetheanum.ch |
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Fußnoten1 Teilnehmer waren Bertold Heyden (J.-und-C.-Graf-Keyserlingk-Institut,
Salem-Oberstenweiler), Uli Johannes König (Institut für biologisch-dynamische
Forschung, Darmstadt), Thomas Kracht (Friedrich-von-Hardenberg-Institut
für Kulturwissenschaften, Heidelberg), Petra Kühne (Arbeitskreis Ernährungsforschung,
Bad Vilbel), Barbara Messmer (früher Bereich Forschungsförderung der
Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, Frankfurt), Martin Rozumek
(Forschungsinstitut am Goetheanum, Dornach), Armin Scheffler (Carl-Gustav-Carus-Institut,
Öschelbronn), Wolfram Schwenk (Institut für Strömungswissenschaften,
Herrischried), Peter Stolz, Jürgen Strube (beide Kwalis Qualitätsforschung
Fulda, Dipperz), Hans-Joachim Strüh (Wala, Bad Boll). Als Gast war außerdem
Haijo Knijpenga (Laboratorium für Empfindliche Kristallisation am Goetheanum,
Dornach) beteiligt. Der vorliegende Beitrag ist ein überarbeiteter Nachdruck
aus ‹Das Goetheanum› Nr. 21 vom 23.5.2004. Eine ungekürzte Fassung des
Abschlussdokuments aus dem ‹Beratungskreis Forschungsförderung› mit
ausführlicher Literaturliste ist unter www.forschungsinstitut.
ch/index.php?id=494 (Publikationsliste) erhältlich. |
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LiteraturauswahlZusammengestellt von Haijo Knijpenga Andersen, J.-O.: Development and application of the biocrystallization
method. Biodynamic Research Association, Denmark. Report No.1, November
2001, S. 1-44. |