Lebendige Erde 6/2001:

Hausgarten

Hybriden: Vom Reagenzglas zu Wegwerfprodukten

Christina Henatsch, Iris Mühlberger

Hybridsorten werden nicht nur von Profi-Anbauern, sondern auch immer mehr von Hausgärtnern den samenfesten Sorten vorgezogen. Hauptgründe sind Vorstellungen, dass Hybriden ein schöneres Produkt ergeben, einen höheren Ertrag bringen und widerstandsfähig gegen bestimmte Krankheiten und Schädlinge sind. Herrschen jedoch extreme Wetterverhältnisse, bekommt auch eine braunfäuleresistente F1-Tomate den Pilz. Weniger bekannt ist, dass bei sorgfältiger Selektion von samenfesten Sorten genauso Widerstandsfähigkeit und Einheitlichkeit erreicht werden können. Die Pflege der samenfesten Sorten wurde jedoch in den letzten Jahren von den Züchtern vernachlässigt, da Hybriden als Wegwerfsorten wirtschaftlich interessanter sind. Denn Hybridsaatgut ist nur für ein Anbaujahr geeignet, muss also immer wieder neu beim Züchter nachgekauft werden. Hybriden sind zwar in der ersten Generation (F1) einheitlich. Bei weiterem Nachbau spalten sie sich jedoch in alle möglichen Formen auf. Damit haben sie einen eingebauten Patentschutz, der in der USA entwickelt wurde, da es dort kein Sortenschutzgesetz wie bei uns gibt.
 
Durch Inzucht zur Hybride
Bei der Hybridzüchtung müssen zwei Inzuchtlinien miteinander gekreuzt werden. Dazu werden biotechnische Methoden angewendet. Da die meisten Kulturarten Fremdbefruchter sind, werden reinerbige Linien durch erzwungene Selbstbefruchtung erstellt. Das dauert etwa sechs, bei zweijährigen Kulturen wie Möhren oder Kohl, zwölf Jahre. Dabei können unter anderem bei Möhren oder Porree Inzuchtdepressionen auftreten. Sie führen zum vorzeitigen Zusammenbrechen der Linien. Dem wird entgegengewirkt, indem Staubbeutel oder Sporen auf einen Nährboden gelegt werden und durch eine gezielte Zugabe von Nährstoffen und Pflanzenhormonen reinerbige Pflanzen heranwachsen. Sie haben allerdings nur einen Chromosomensatz, der dann noch künstlich, unter Zugabe eines Pflanzengiftes (Colchizin) verdoppelt wird. Bei dieser Labor-Züchtung wird die generative Entwicklung der Pflanze (Blühen und Samenbildung) völlig umgangen. Sie wird durch die Vermehrung im Reagenzglas ersetzt. Die entstandenen Inzuchtlinien sind oft so schwach (zum Beispiel Porree), dass sie auch nur vegetativ, unter der Verwendung von Zellkulturen, erhalten werden können. Damit endgültig eine Hybridsorte entsteht, werden am Ende noch die Inzuchtlinien miteinander gekreuzt. Dabei muss wiederum verhindert werden, dass sich die reinen Linien innerhalb des Bestandes mit sich selbst kreuzen. Eine Linie muss steril sein oder gemacht werden. Dazu werden teilweise pollensterile Pflanzen verwendet, die als Defekt natürlich vorkommen. Nur gibt es dabei bis zu zehn Prozent Abweicher. Das wurmt die Saatgutfirmen. Nicht, weil der Gärtner dann „nicht-erntewürdige” Ausreißer im Bestand hätte, sondern weil diese Ausreißer die reinen Linien darstellen und damit Zuchtmaterial sind. Das könnte von anderen Firmen „geklaut” werden. Deshalb wird nach neuen biotechnischen Methoden gesucht wie zum Beispiel der „Cytoplasmatischen männlichen Sterilität (cms)”. Damit kann eine hundertprozentige Sterilität erreicht werden. Bei manchen Pflanzen liegt die Erbinformation der Sterilität im Cytoplasma. Das heißt, sie kann nicht eingekreuzt, sondern nur durch die Mutter übertragen werden. Diese spezielle Sterilität wurde zum Beispiel bei Rettichen und Sonnenblumen gefunden, nicht jedoch beim verwandten Kohl und Chicoree. Die Information aus dem Rettich oder der Sonnenblume wird nun mitt „Protoplastenfusion” auf den Kohl oder den Chicoree übertragen. Dabei werden die Zellwände von Enzymen aufgelöst und danach die entstandenen Protoplasten in ein elektrisches Feld gebracht. Ein Stromstoß führt erst zur Zell- und dann zur Kernverschmelzung der Kohl- mit der Rettichzelle. Die so entstandenen Pflanzen sind nun wirklich hundertprozentig steril. Das heißt, es gibt keine Ausreißer mehr und es kommt auch nicht mehr zur Samenbildung. Eine Kreuzung zum F1-Hybriden ist nun ohne Probleme möglich. Kaum zu glauben, dass die Protoplastenfusion nicht unter das Gentechnikgesetz fällt. Sie gilt als Biotechnologie!
 
Ernährungsqualität hybrider Sorten
Frau Dr. Balzer-Graf vom Forschungsinstitut für Vitalqualität in Frick (CH) verglich in zahlreichen Untersuchungen Hybriden mit samenfesten Sorten. Dabei zeigten sich, auch bei verschiedenen Arten, immer wieder ähnliche charakteristische Unterschiede. Samenfeste Sorten haben...
  • einen höheren Trockensubstanzgehalt
  • ein besseres Reifevermögen (Einfachzucker wird besser und vollständiger zu Doppelzuckern umgeformt)
  • ein besseres Mineralstoffaufnahmevermögen
  • einen arttypischeren Geschmack
  • eine höhere Vitalität als Hybridsorten.
Sie sind insgesamt arttypischer als Hybriden. Diese wurden als vegetativ, unreif, schnell alternd, verhärtet und nicht typisch beschrieben. Eine Hybrid-Möhre sieht zwar äußerlich aus wie eine Möhre und schmeckt manchmal auch noch etwas danach. Sie zeigt jedoch im Kupfer-Kristallisationsbild, Steigbild oder Chromatogramm kaum noch die für Möhren oder überhaupt für Wurzelfrüchte typischen Formen mehr. Beachtenswert bei diesen Ergebnissen ist, dass alle Möhrensorten unter biologisch-dynamischen Bedingungen angebaut wurden, und die Hybridsorten trotzdem keine guten Nahrungsqualitäten aufwiesen. Die samenfesten Möhrensorten dagegen ließen sich durch biologisch-dynamischen Anbau und Nachbau in ihren Qualitäten sogar noch weiter verbessern. So zeigte sich bei Saatgut von konventionellen Züchtern schon nach einer Generation biologisch-dynamischer Vermehrung und Selektion eine deutliche Steigerung der oben genannten Qualitätsmerkmale. Beim Rückblick auf die Züchtungsmethoden sind diese Ergebnisse nicht erstaunlich. Eine Hybride ist zwar äußerlich gesehen homogen, enthält jedoch eine maximale Mischerbigkeit; das Chaos oder die Turbulenz zeigt sich dann in der Spaltung der nächsten Generation.
 
Die Hybridzüchtung ist ein teures und aufwendiges Verfahren, das sich nur größere Firmen leisten können. Dazu spielt die Geschwindigkeit eine große Rolle. Oft hält sich eine Sorte nur noch drei bis vier Jahre bis sie von der nächsten abgelöst wird. Das führt zu einer immer weitergehenden Monopolisierung der Saatgutfirmen. Saatgut ist seit Entstehung der Kulturpflanzen (5000 bis 2000 v. Chr.) ein Kulturbegleiter des Menschen. Durch Generationen hindurch veränderten sich die Sorten und passten sich immer wieder neu an veränderte Umgebungen und Anbaubedingungen an. Bei hybriden Sorten ist diese Wandlungsfähigkeit nicht mehr gegeben, denn die F1-Sorten werden immer wieder neu erstellt. Die Sorten als solche können sich nicht weiter entwickeln. Damit tragen sie auch nicht mehr zur Biodiversität der Kulturpflanzen bei. Jeder Gärtner sollte sich deshalb fragen, was es für ihn bedeutet, wenn er ein Lebensmittel anbaut, das kein Entwicklungspotential mehr in sich trägt.
Der Verein „Kultursaat” arbeitet zusammen mit dem „Initiativkreis für Gemüsesaat-gut aus Biologisch-Dynamischem Anbau” (Allerleirauh) an einem umfassenden Sortiment von vitalen und charakterstarken Gemüsesorten.
Kultursaat e.V.
Auguste-Victoriastr. 4
61231 Bad Nauheim
Tel. 06032-918617
Fax 918622
 
Hybride Unkrautarten vermehren sich immer schneller
Genetische Eigenschaften, die von Feldfrüchten an ihre wildwachsenden Verwandten weitergegeben werden, bleiben wenigstens sechs Generationen lang bestehen. Laut einer Studie der Ohio State University (www.osu.edu) mit Rettichen ist es sogar wahrscheinlich, dass diese Eigenschaften viel länger nachweisbar bleiben. Das bedeutet, dass Eigenschaften wie künstlich erzeugte Resistenzen zu einem permanenten Bestandteil der Unkrautpopulation werden und so eine Gefährdung für die Ernten darstellen können. Die Ökologin Allison Snow erklärte, dass die neuen hybriden Unkrautarten anfangs nicht so fortpflanzungsfähig wie ihre wilden Vorfahren seien. Allerdings scheinen sie diesen Rückstand rasch aufzuholen. „Das Ergebnis können extrem abgehärtete und schwer zu bekämpfende Unkrautarten sein.” Die Forscher beobachteten sechs Jahre lang vier Populationen von hybridem und wildem Rettich. (www.eurekalert.org/pub_ releases/2001-08/osu-gpf 080601.php)
Pressetext Austria