Lebendige Erde 5/2003:

Hausgarten

Blumenschätze selbst vermehren

Text und Fotos von Burkhard Junghanss

Es macht viel Freude, mit der Aussaat von selbst geernteten Samen für Nachwuchs im Garten zu sorgen. Zudem ist es hochinteressant, die Vielfalt der Fruchtstände und „Verpackungsformen“ der Samen genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei seltenen oder teuren Raritäten, die im Handel schwer zu bekommen sind, lohnt sich die Ernte der Samen auch finanziell. Nach der sommerlichen Blüte lassen sich bei Stauden, aber auch bei vielen ein- und zweijährigen Sommerblumen, keimfähige Samen ernten. Recht einfach gelingt dies beispielsweise bei Ringelblume, Stockrose, Cosmea, Tagetes, Petunien, Sonnenblumen, Wicken, Lupinen oder Mohn. Bei Hybriden (Heterosissorten), die Biogärtner möglichst nicht oder nur in Notfällen verwenden sollten (siehe LE 6/2001 „Vom Reagenzglas zu Wegwerfprodukten: Hybriden“), ist die Nachzucht aus Samen ein bißchen Glückssache. F1 bezeichnet die erste Tochtergeneration, die durch Kreuzung von zwei Elternlinien gewonnen wurde. Bei der direkten Vermehrung durch Samen spalten sich die Merkmale der ursprünglichen Zuchtlinien wieder auf. Die Sämlinge fallen also meist anders aus, als die Mutterpflanzen. Das Ergebnis können ansprechende Blumen mit anderen Blütenfarben sein. Hat man Pech, ist jedoch die Keimrate gering, die Sämlinge wachsen schlecht oder entwickeln keine schönen Blüten. Im Gegensatz zu den Hybriden können die traditionellen, samenfesten Züchtungen problemlos weiter kultiviert werden.

Anmerkung der Redaktion: Dies heißt jedoch nicht, daß sich dabei immer die Ursprungsblütenfarbe wiederholt. Bei einem Türkischen Mohn blühte die Mutterpflanze wunderschön dunkelrot, die aus den Samen gezogene Tochter jedoch knallig orange. Wer ganz sicher gehen will, teilt bei Stauden die Wurzelstöcke oder vermehrt sie über Stecklinge.

Individuelle Samenernte
Bei Stauden beginnt die Samenreife etwa eine bis sechs Wochen nach der Blüte. Den richtigen Erntezeitpunkt erkennt man daran, daß sich die Samenhüllen braun färben und öffnen, oder die Samen dunkel sind. Die Schoten von Hülsenfrüchten sollten trocken und dunkel gefärbt, aber noch nicht aufgesprungen sein. Doldenförmige Samenstände werden am besten abgeschnitten, bevor sie völlig dürr sind. Dann werden sie an einem sonnigen, wind- und regengeschützten Platz zum Nachreifen ausgelegt.

Geerntet wird, wenn es trocken und sonnig ist. Bei vielen Samenständen, etwa Stockrose, Mohn oder Ringelblume, klappt die Ernte mühelos. Der Samen wird in eine Tüte oder Schale geschüttelt, oder die kompletten Samenstände am Ansatz abgeschnitten. Größere Samenkörner lassen sich leicht aus ihren Hüllen heraustrennen, bei kleineren werden die Fruchtstände aufgebrochen und zwischen den Fingern zerbröselt. Dann wird die grobe Spreu herausgelesen und das Saatgut zur Feinreinigung durch ein Sieb gerüttelt. Etwas schwieriger ist die Ernte bei Samenkapseln, die ihren Inhalt beim Aufplatzen sofort wegschleudern, etwa Storchschnabel, Stiefmütterchen oder Fleissiges Liesschen. Bei solchen Arten erntet man die Samenstände bereits kurz vor dem Ausreifen, und läßt sie in Papiertüten oder Kartons nachreifen. Eine andere Lösung: aus luftdurchlässigem Vlies Tüten in passender Größe zusammentackern. Diese werden vorsichtig über den noch nicht ganz ausgereiften Fruchtstand geschoben, und unten mit einem Bastfaden zugebunden. Die Tüte wird später samt Stiel abgeschnitten. Auch fleischige Früchte, etwa von Aronstab, Christophkraut, Tomaten oder Zierspargel, werden einer besonderen Prozedur unterzogen: Sie kommen in ein Gefäß mit Wasser, wo sie so lange bleiben, bis die Gärung beginnt (je nach Temperatur mehrere Tage). Anschließend läßt sich das weiche Fruchtfleisch auf einem Sieb mit einem sanften Wasserstrahl leicht abspülen.
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Aussaat im Kasten, Freien oder Gefrierschrank
Die Aussaat gelingt am sichersten sofort nach der Samenreife. Frostkeimer wie zum Beispiel Schlüsselblume, Eisenhut, Primel oder Tränendes Herz müssen jedoch erst einige Zeit dem Frost ausgesetzt sein, bevor sie keimen. Zur Not kann die Kälteperiode auch in der Tiefkühltruhe stattfinden. Steht nur wenig Saatgut zur Verfügung, empfiehlt sich eine Vorkultur. Es wird in Anzuchterde gesät, und die Kästen in ein Frühbeet oder an einen anderen geschützten Ort gestellt. Schnell keimende Stauden wie Lupine oder Stockrose gehen schon nach wenigen Wochen auf. Langsam keimende Arten wie Paeonien sprießen erst im nächsten Frühjahr. Von ein- und zweijährigen Pflanzen läßt sich reichlich Saatgut gewinnen.

Wenn die Jungpflanzen nicht schneckengefährdet sind, kann ohne Vorkultur an Ort und Stelle ausgesät werden. Bei sachgerechter Lagerung der Samen von Gartenstauden, Sommerblumen und Wildpflanzen, bleibt die Keimfähigkeit bis zu drei Jahre erhalten. Besonders wichtig dabei ist es, die Samen gut durchzutrocknen. Dies gilt besonders für halbreif geerntetes Saatgut. Zur Aufbewahrung werden sie in eine gut verschließbare Papiertüte (luftundurchlässige Plastiktüten oder Schraubdeckelgläser sind nicht geeignet) gefüllt, die man mit Pflanzennamen, Fundort und Sammeldatum beschriftet. Der Lagerraum sollte kühl (am besten unter vier Grad), frostfrei, trocken und dunkel sein.

Artenvielfalt durch Wildpflanzensaat
Besonders lohnend und reizvoll ist es, Wildpflanzen durch selbst geerntete Samen gezielt im Garten anzusiedeln. Wildpflanzen dürfen bekanntlich in der Natur nicht ausgegraben werden. Doch wer draußen eine kleine Portion der in der Regel überreichlich produzierten Samen für die Aussaat im Garten sammelt, muß deshalb keine Gewissenbisse haben. Bei streng geschützten und gefährdeten Arten ist das Sammeln der Samen jedoch nicht erlaubt. Doch auch häufig vorkommende Arten wie Wiesenglockenblume, Weidenröschen, Wiesenmargerite, Skabiose, Wiesenstorchschnabel oder Habichtskraut sind schön anzuschauen, bereichern die Pflanzenvielfalt im Garten und locken Insekten an. Am besten ist es, im Lauf des Frühlings und Sommers über geeignete, blühende Bestände Buch zu führen, und die Dauer der Blütezeit in einem Bestimmungsbuch nachzuschlagen. Bei den meisten Frühblühern und vielen Wiesenblumen reifen fast alle Samen gleichzeitig. Dauerblüher hingegen produzieren fast während der gesamten Blütezeit Samen. Die Samen vieler Wildpflanzenarten fallen nach der Reife rasch aus, fliegen weg oder werden ausgeschleudert. Deshalb empfiehlt es sich, bereits kurz vor der Vollreife zu ernten und die Samen zuhause ausreifen zu lassen. Ein kleiner Wermutstropfen bei der Kultur von Wildpflanzen ist die oft geringe Keimrate, die teils nur fünf Prozent beträgt und im Durchschnitt bei rund 25 Prozent liegt. Hinzu kommt das sehr unterschiedliche, noch längst nicht vollständig erforschte Keimverhalten. Die meisten Arten sind Lichtkeimer, die Zahl der Dunkelkeimer ist eher gering. Zur Sicherheit wird ein Teil der Samen oberflächlich ausgestreut, und der andere mit Erde übersiebt. Wieder andere Arten gelten als Schwerkeimer, wobei bis zur Keimung viele Monate vergehen können. Am besten versucht man, sich bei der Aussaat am natürlichen Ablauf zu orientieren. Als Faustregel gilt: Frühreifende Wildblumensamen bringt man im Frühjahr, spätreifende im Herbst aus. Hilfreich ist es auch, sich die Lebensbedingungen (sonnig, schattig, naß, feucht, karger oder fetter Boden) am ursprünglichen Standort genau anzuschauen, und bei der Nachzucht im Garten so weit als möglich zu simulieren.


Ringelblumen sind einfach zu gewinnen
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