Lebendige Erde 5/2001:

Hintergrund

Landwirtschaft in Europa: naturnah, modern und gentechfrei
Illusion oder reelle Zukunftsperspektive?

Florianne Koechlin

Zukunftsmodell Schweiz -
eine Landwirtschaft ohne Gentechnik?
1999, 118 S. ISBN-Nr. 3-906081-04-4.
Hrsg.: Florianne Koechlin, Blauen-Institut

AutorInnen: Thomas Brunner, Karin Nowack, Luzius Tamm
(alle vom FiBL, Frick, CH)
Beatrix Tappeser, Claudia Eckelkamp, Barbara Weber
(alle vom Oeko-Institut e.V., Freiburg i.Br., D)
Florianne Koechlin
(Blauen-Institut, Münchenstein, CH)
Benno Vogel.
Bezug: karin.nowack@fibl.ch
im Internet:Zusammenfassung und Studie:
www.blauen-institut.ch
oder www.biogene.org

Die Studie Zukunftsmodell Schweiz eine Landwirtschaft ohne Gentechnik? untersucht die sechs Kulturen Kartoffel, Weizen, Mais, Raps, Salat und Reben. Am Ausgangspunkt der Studie stand die Frage, wie eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft von morgen aussehen kann. Die aktuellen gentechnischen Ansätze wurden dabei den traditionellen Anbaumethoden und Lösungsansätzen sowie modernen Forschungsansätzen aus integriertem und biologischem Landbau gegenüber gestellt. Wie kann z.B. der Rapsglanzkäfer, die Salatwurzellaus oder der Maiszünsler intelligent und nachhaltig bekämpft werden? Auffallend ist die große Vielzahl von relevanten Schaderregern (über 120 Insekten, Pilze, Bakterien, Viren oder Wildpflanzen). Gegen eine solche Vielzahl sind keine einzelnen Wunderlösungen zu erwarten, weder von der Gentechnik noch von der Bio-Forschung.
 

Gentechnik ist die Antwort, doch was war das Problem?
Gentechnische Ansätze konzentrieren sich auf 2 Strategien: 1999 waren 72% der kommerziell genutzten gentechnisch veränderten Pflanzen herbizidresistent, 28% der Fläche wurde mit insektenresistenten Bt-Pflanzen bebaut. Alle andern Eigenschaftsveränderungen (Virenresistenz oder Inhaltsstoffveränderungen) blieben deutlich unter einem Prozent. Wildkräuter waren bei den 6 untersuchten Kulturen nur beim Mais ein Problem, und da sind gute biologische Alternativen vorhanden. Für über 90% der dringenden Probleme der Landwirtschaft gibt es keine oder keine praxisreifen gentechnischen Lösungsansätze. Die Akteure der gentechnischen Forschung gehen also nicht von einer zielgerichteten Identifikation der Probleme aus, sondern von den Möglichkeiten ihrer Methoden.
 
Raffinierte Bioforschung: verblüffende Erfolge
Lösungs- und Forschungsansätze im Biolandbau hingegen gehen von den konkreten Anbauproblemen und Krankheitserregern aus, die allerdings meistens nicht als isolierte Einzelfaktoren bekämpft werden, sondern im Rahmen eines interdisziplinären Systems, das aus vielen verschiedenen Maßnahmen besteht. Dabei spielt die Prävention eine zentrale Rolle. Einige Beispiele:
  • Gute Anbautechnik, z.B. standortgerechter Anbau, Regulierung des Bestandesklimas, vielseitige Fruchtfolgen, Anbaupausen, ausgewogene Düngung, Förderung der Bodenfruchtbarkeit und des krankheitsabwehrenden Potentials des Bodens mit Kompost;
  • Züchtung (auch konventionell) resistenter Sorten, bei der auch genetische Diagnosemethoden Fortschritte bringen können;
  • Einsatz von umweltverträglichen Pestiziden und Antagonisten. Beispiele aus Praxis und Forschung: Im Kartoffelbau kann der Kartoffelschorf mit Bacillus subtilis-Stämmen oder die Schwarzbeinigkeit mit Pseudomonas fluorescens-Stämmen unterdrückt werden. Im Maisanbau sind gegen den Maiszünsler die Antagonisten Trichogramma brassicae, B. thuringiensis- oder Beauveria bassiana- Präparate bekannt. Im Rapsanbau sind verschiedene Vertreter von Schlupfwespen, Nematoden und Protozoen wichtige Parasiten von Rapsschädlingen. Im Salatbau haben sich Trichoderma-Pilze gegen Salatfäulen in Versuchen bewährt. Im Rebbau haben gegen den Falschen Mehltau Erwinia herbicola und Fusarium proliferatum erste gute Resultate gezeigt.
Auch die Prognose- und Frühwarnsysteme bergen noch ein großes Potential: Kenntnisse über die Biologie und Ausbreitung des Schädlings, die nötigen klimatischen Parameter wie Temperatur, Niederschlag und Luftfeuchtigkeit werden in mathematische Modelle eingespeist. Daraus lässt sich das Infektionsrisiko errechnen und können die Applikationstermine optimal gewählt sowie nutzlose Spritzungen vermieden werden. Die mathematischen Modelle werden derzeit laufend verbessert und an die regionalen Verhältnisse angepasst. In der Schweiz wurden Prognose-Modelle für den Rebbau, den Kernobstbau, den Getreidebau und Kartoffelbau entwickelt oder kommerziell erhältliche Produkte evaluiert und adaptiert. Bisher wurden die Warnmodelle vor allem für die integrierte Produktion entwickelt. Seit 1997 werden diese Methoden am FiBL auch für den Biolandbau evaluiert.

Sortenmischungen gehören ebenfalls zu den präventiven Methoden, die in allen Anbausystemen angewendet werden. Die Mischung von verschiedenen Sorten ist insgesamt gegenüber Krankheitsbefall resistenter, da die verschiedenen Sorten unterschiedlich auf Schaderreger und Umweltbedingungen reagieren.

Ein vermutlich großes Potential liegt bei der Induzierten Resistenz, welche sich für biologische Substanzen noch im Forschungsstadium befindet. Pflanzen können sich aktiv gegen Krankheitsbefall wehren, was man anregen kann. Typischerweise zeigt eine induzierte Pflanze Resistenz gegenüber einer Vielzahl von Pilzen, Bakterien und Viren. Diese Abwehrbereitschaft kann nicht nur durch ein Pathogen induziert werden, sondern auch durch Substanzen, die diesen Angriff simulieren oder in die komplexe Signalkette eingreifen. Acetylsalicylsäure (Aspirin!) ist eine solche Substanz.

Der Biolandbau erfüllt die Forderung nach Nachhaltigkeit am besten. Wie diese Studie aufzeigt, liegen trotz vergleichsweise sehr geringen Mitteln für die meisten Schlüsselprobleme des Landbaus Lösungen oder Lösungsansätze vor. Die zahlreichen innovativen und interdisziplinären Forschungsansätze deuten zudem auf ein hohes Problemlösungspotential hin. Eine konsequente Forschungsförderung könnte große Potentiale für eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz und in Europa erschließen.