Lebendige Erde 3/2002:

Hintergrund

Öko-Landbau - Quo Vadis?
Die Zukunft der Landwirtschaft will neu erobert werden

Nikolai Fuchs

Wird der Ökolandbau industriell?

Mit der Agrarwende ist der Öko-Landbau gesellschaftsfähig geworden. Ist er aber auch in der Gesellschaft angekommen? Die Zahlen und Fakten sprechen erst einmal dagegen. "Öko-Verbrauchsniveau leicht über Vorjahresniveau" ist zu lesen und "Eine Umstellungswelle landwirtschaftlicher Betriebe in größerem Umfang ist nicht in Sicht." Zu finden sind biologisch erzeugte Produkte inzwischen fast überall. Kaum eine Lebensmittelkette, die nicht auch ein Bio-Sortiment im Angebot hätte. Die Preise der Bio-Produkte sind zwar höher, aber meist nicht so hoch, dass sie für kleine Geldbeutel komplett außer Reichweite stünden. Was Öko-Landbau ist, und wo seine Vorteile liegen, ist seit BSE auch in breiteren Bevölkerungskreisen bekannt. Ebenso, was industriell ausgerichtete landwirtschaftliche Massenproduktion ausmacht. Im Frühling vergangenen Jahres schien eine Agrarwende möglich. Die Maul- und Klauenseuche, obwohl auf ähnliche Probleme wie BSE hindeutend, wirkte allerdings nicht spürbar verstärkend auf die Agrarwende. Eher sogar ein bisschen bremsend, Verhaltenheit erzeugend. Kunden wurden von Höfen ausgezäunt, die brennenden Tierkadaver, die über die Medien zu sehen waren, weckten Entsetzen und Distanz: "Sind schon wieder Geschäftemacher am Werk?". Für Viele war es vielleicht eine Überforderung. Die eigene Ohnmacht klang wieder stärker an, der Alltag zog mit Macht die Konzentration auf sich. Das eigene Verhalten justierte sich neu ganz leicht versetzt zu den alt-eingefahrenen Gleisen.
 

Wird der Ökolandbau industriell?
Und der Öko-Landbau selbst? In seiner Schrift "Öko-Landbau am Scheideweg", erschienen bei der Agrar-Sozialen-Gesellschaft, weist Rainer Oppermann im Frühjahr 2001 eindrücklich auf die beiden Eckpfeiler möglicher Stagnation des Öko-Landbaus hin: Zum einen konnte die oft gehegte Hoffnung auf eine Verhaltensänderung der Bevölkerung hin zum Kauf von Öko-Produkten bislang nicht erfüllt werden. Die Wissenschaftler räsonieren, dass die Wohlstandsprägung der Nachkriegszeit das Verhalten der Menschen bis heute bestimmt. Zum anderen löse der Öko-Landbau selbst sein Potential für eine Re-Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe mit deutlich reduziertem Verbrauch von Primär-Energie immer weniger ein. Hoch verarbeitete Lebensmittel, über weite Entfernungen transportiert, schwächen den Impetus einer ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Alternative vom Öko-Landbau zur herkömmlichen Wirtschaft.

Am 15. Mai 2001 erschien dann ein interessanter Artikel von Michael Pollan im New York Times Magazine: "Behind the Organic-industrial Complex". Der Autor macht eine lange Reise auf den Spuren des organischen Landbaus durch die USA, zu Pionieren und Neueinsteigern. Sein Fazit ist erschreckend deutlich: Der organische Landbau ist an vielen Stellen bereits durchindustrialisiert. "Organic" wird in großem Stile produziert, die Erzeugungsplätze gehören zu großen Teilen den "big playern" der Lebensmittelindustrie. Es gibt in "organic" fast nichts, was es nicht gibt, bis hin zum fertigen TV-Dinner in der Plastikschale. Alles aus garantiert organischer Erzeugung. Aber wo sind die "weichen", zum organischen Produkt zugehörigen Qualitätsfaktoren, wie intensive Betreuung des Haustieres durch den Menschen, die Überschaubarkeit, die Regionalität geblieben? Der Autor war nach der Reise im wahrsten Sinne des Wortes ent-täuscht - die "heile" Welt um das Erzeugnis Bio-Produkt, von der er immer gemeint hatte, sie bei seinen Einkäufen mit zu kaufen, gab es so nicht (mehr). Er zieht daraufhin die interessante Schlussfolgerung: Er kauft jetzt bei den Bauern und Gärtnern in der Nähe direkt ein. Das meiste organisch, das Wichtigste aber ist: Er kennt die Menschen, weiß, was sie tun. Und wenn er einmal in den Supermarkt geht, kauft er trotzdem organisch, weil es immerhin noch besser für den Boden ist.

In Europa und Deutschland setzt diese Entwicklung der Industrialisierung des ökologischen Landbaus verzögert ein, während die Kultur der Direktvermarktung weiter entwickelt und ausgeprägter als in den USA ist. Oppermann empfiehlt dann auch, die staatliche Förderung in Zukunft auf diese beiden Ströme - die großumfängliche Produktion von ökologischer Rohware einerseits und die Direktvermarktung mit ausgedehntem Dienstleistungsangebot andererseits - differenzierter auszurichten.

Sind damit jedoch die Probleme gelöst? Die industrielle Öko-Produktion muss gleichförmige Mengen liefern. Das geht nur in spezialisierten Betrieben. Ökologisch ist das möglicherweise noch zu handhaben, aber kritisch wird es z.B. bei Saatgut. 40 ha Möhren beispielsweise sind ohne Hybridsaatgut für die Ansprüche der Konservenindustrie kaum anbaubar. Damit ist eine Verbindung zu großen Saatgutfirmen und damit den Chemie-Multis nicht zu umgehen.

Auf der anderen Seite stoßen Direktvermarkter immer öfter an ihre Grenzen. Die auf dem Hof verfügbare Laden - und Parkplatzfläche reicht für größere Wachstumsschritte häufig nicht aus. Professionelle Ladner wägen das Angebot des eigenen Hofes gegen die Zukaufangebote ab: Die von außen kommenden Verkaufsangestellten müssen aus der Marge bezahlt werden. Muss ein neuer Laden, LKW-Anlieferungstauglich mit ausreichend Parkplätzen neben dem Hof neu gebaut werden? Bleibt dann das Hofladen-Image gewahrt? Wird man dann Wettbewerber des Bio-Discounters im Ort? Solche Fragen stellen sich heute vermehrt. Was ist die Alternative? Spezialitäten-Anbieter mit Waren vorwiegend vom Hof? Oder der Hofname als Marke für ein zunächst schmales Produktsortiment, das aber dann überregional angeboten wird?

 

Müssen die klassischen Biobetriebe aussterben?
Ein Höfe-Segment mit den dahinter stehenden Einzelschicksalen scheint dabei bedauerlicher weise auf der Strecke zu bleiben: der kleine bis mittelgroße, marktferne Familienbetrieb klassischer Prägung. War vor 20 Jahren Öko-Landbau noch eine Alternative gegenüber dem konventionellen Strukturwandel, so klopft dieser Zeitgeist auch hier immer häufiger an die Hoftore. Behördlicherseits auferlegte Stallumbauten zu Laufställen und fehlende Perspektiven auf einen Hofnachfolger verschärfen das Problem. Dabei hat diese Welt etwas Irreales. Wären die Erzeugerpreise nur annähernd mit dem allgemeinen Preisindex mitgestiegen, der Liter Milch würde dem Erzeuger heute gut 50 Cent einbringen, Landwirtschaft wäre möglich. Die Preisentwicklung ist so geworden wie sie heute ist, eine gottgegebene Naturnotwendigkeit ist sie dadurch noch lange nicht. Es gibt noch Interesse bei jungen Leuten an der Landwirtschaft. Die gut besuchten Lehrgänge der freien biologisch-dynamischen Ausbildungsgänge belegen das. Nur, werden sie qualifiziert genug sein, um die Höfe in die Zukunft zu führen?

So weit die heutige Zustandsbeschreibung. Was könnten Wege in die Zukunft sein? Die Probleme waren: Mangelnde Umsetzung ihrer Einsichten seitens der Verbraucher, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Bio-Produkte angesichts auf Umweltkosten produzierter konventioneller Ware, dadurch verstärkter Druck zur Industrialisierung des Öko-Landbaus, was zu schwindender Glaubwürdigkeit führt - an die Grenzen Stoßen der Direktvermarkter, mangelnder Nachwuchs, und vor allem Betriebe vor der Existenzfrage.

 

Ökolandbau - Eine erfolgreiche Bewegung
Agrarwende heißt Beziehungen schaffen, nicht nur zur Natur, auch zwischen den Menschen
 
Daneben ist es - ein Erfolg - neben und zum Teil gegen die etablierte Lebensmittelindustrie und Wissenschaft gelungen, ein funktionierendes, ehrliches, ökologisch und sozial nachhaltiges Erzeugungsmodell zu stellen. Man kann heute in jeden beliebigen Lebensmittelmarkt gehen und findet Öko, im Naturkosthandel sogar immer auch Demeter. Das begeistert mich jeden Tag aufs Neue. Die Gesellschaft kennt Bio-Anbau, die Politik hat sich seiner angenommen. Was für eine Freude! Tausende Höfe haben umgestellt, Tausende junge Leute haben sich ausgebildet und finden heute in der Arbeit ihr Auskommen. Hunderttausende ha werden biologisch bzw. dynamisch bewirtschaftet. Für den Verbraucher ist heute eine echte Wahlfreiheit vorhanden!
Und nun?

 

Der Ökolandbau muss für seine Rahmenbedingung kämpfen!
Mir scheint es endlich an der Zeit, die grundlegenden politischen Rahmenbedingungen für den biologischen Landbau aufzustellen. In die konventionellen Produktpreise müssen die Umwelt-Folgekosten endlich eingerechnet werden, sonst kann man von lauterem Wettbewerb nicht sprechen. Das kann entweder über die konsequente Einführung des Verursacherprinzips oder z.B. über massive Pestizid- und Stickstoffsteuern (niedrige Steuern bewirken in diesem Fall leider nichts) geschehen. Daneben für das Transportwesen eine konsequente Durchführung einer ökologischen Steuerreform. Die Wirtschaftsfrage muss neu aufgegriffen werden: Der Wirtschaftsprozess ändert sich gegenüber der Wirkung der klassischen "Marktgesetze" (die immer den Menschen als Egoisten voraussetzen und ihn dafür belohnen) überall dort, wo Wirtschaftsprozesse aus der Anonymität herausgeholt werden. Das kann über die direkte Kundenbeziehung des Hofes gehen, findet aber auch seine Berücksichtigung bei der "Co-Markenstrategie" bei Demeter, wo der Hersteller immer mit auf dem Produktetikett ausgewiesen ist. Das kann wie eine Grundgesetz der Transparenz wirken. Und das führt über zu dem wichtigsten Punkt:

Agrarwende heißt Beziehungen schaffen, nicht nur zur Natur, auch zwischen den Menschen
 

Der Mensch, der Verbraucher, auch wir Biobauern - tun nicht, was wir eingesehen haben und tun wollen. Wer kennt das nicht von sich selbst: Eigentlich haben wir eingesehen, dass es z.B. richtig wäre, unsere Bekleidung in Naturtextil-Qualität zu kaufen. Aber wie oft tun wir es nicht! Die Kaufentscheidung für Naturtextilien fällt uns aber leichter, wenn wir einmal die biologisch bewirtschafteten Baumwollfelder besichtigt oder eine Firmenführung beim Hersteller mitgemacht haben. Der direkte Eindruck verbindet, er schafft Beziehung. "Beziehung" scheint eines der Schlüsselwörter für eine sich erneuernde Ökonomie zu sein. Die Handelsketten wie "Billa" in Österreich oder "tegut..." in Hessen sind sicher auch deswegen mit ihrem Bio-Sortiment erfolgreich, weil die Firmenchefs eine persönliche Beziehung zu Bio haben. Wie viel mehr gilt das für Höfe, die die Abnehmer ihrer Ware gut kennen oder mit einem direkten Käufer-Umfeld leben. Agrarwende ist, so gesehen, Beziehungspflege. Soziale Beziehungen pflegen fällt uns heute nicht leicht, weil es häufig einher geht mit "Bindungen eingehen". Als freiheitsliebende Menschen sind wir das nicht gewohnt, Verbindlichkeit zu leben. Vielleicht muss man von daher das Soziale gut dosieren, damit es einen nicht überfordert. Und dennoch - man muss es wagen.

 

ÖkoLandbau vertiefen - Spirituelle Landwirtschaft!
Wo liegen die Motivgründe dafür, dass wir Landwirtschaft betreiben, Lebensmittel verarbeiten und mit ihnen handeln? Alle oben genannten Gesichtspunkte nützen nicht viel, wenn ich nicht weiß, warum ich das alles tue, und wenn ich nicht weiß, in welchen größeren Zusammenhang ich mein Tun stelle. Der Blick auf die Zahlen ist wirklich wichtig. Die Deckungsbeitrags-Denke jedoch macht uns kaputt. Die Gründe für mein Handeln liegen ja nur zum Teil in den Dingen selbst verborgen, zu einem größeren Teil liegen sie in mir. Wie komme ich daran? Zuerst muss ich zur Ruhe kommen. Ich kann mich bei meinem Tun beobachten; ich kann Gedankengängen bewusst folgen; ich kann mir ein Bild aus der bewusst wahrgenommen Welt um mich herum formen. Ich kann mir die Vergangenheit aus der Erinnerung lebendig machen, ich kann mich zu einer Ahnung der Zukunft von seherisch begabten Menschen wir z.B. Rudolf Steiner inspirieren lassen - und diese mir zunehmend selbst erschließen. Aus all dem kann ich mir einen Zugang zu meinem höheren Ich erschließen - und dann neu die Frage an mich stellen - was will ich und wo will ich hin? Vielleicht komme ich dann auf die Idee, wie ich in Zukunft meinen Betrieb, mein Leben gestalten will. Tue ich mich mit anderen zusammen? Welche Kooperationsmöglichkeiten gehe ich willentlich ein, welchen landwirtschaftlichen Schwerpunkt kann ich gut ausfüllen? Und für die Ausbildung kann ich mir die Frage stellen: Würde ich selber bei mir die Ausbildung machen? Was muss ich ändern, damit ich die Frage mit "Ja" beantworten würde?

Auch wenn kein Hofnachfolger da ist, gibt es heute Konzepte, welche die Fortführung der langjährigen ökologischen Bewirtschaftung sichern könnten. Muss man dennoch einen Betrieb aufgeben, unter den heutigen Bedingungen sicher keine Schande, sollte man ihn nicht in aller Stille sterben lassen, sondern geordnet evtl. mit Beratung, zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhören. Vielleicht sogar mit einem Fest, wo mit Familie, Freunden und langjährigen Begleitern die große Leistung des Hofes noch einmal gefeiert wird. Bei der Förderpreisverleihung zum Ökologischen Landbau 2002 wurde neben dem Bauckhof und dem Dottenfelder Hof ein weiterer Hof ausgezeichnet: Er stellt als junger Hof sortenreine Apfelweine her, von wenigen Hektaren und zeigt damit prinzipiell, dass mit Ideen Zukunft zu erschließen ist. In diesem Sinne, meine ich, gibt es für fast jeden Betrieb eine Lösung. Die Zukunft des ökologischen Landbaus will neu erobert werden.