Lebendige Erde 3/2004:

Hintergrund

Lehrstunden aus der Peripherie

Methodische Aspekte zur Entwicklung biodynamischer Projekte außerhalb der europäischen Kulturlandschaft

von Tadeu Caldas
Terassen - die Methode für Landwirtschaft in Bergregionen und Nassreis. Foto: Caldas

Wie helfen wir einem gesunden biodynamischen Farm*-Organismus ins Leben? Denken Sie an die Wüsten und Halbwüsten, abhängig von ständiger Bewässerung, denken Sie an die Reiskulturen Asiens mit ihren wunderbaren Terrassen und ausgeklügeltem Wassermanagement, an die Savannen und Grasländer Zentralasiens und Afrikas mit ihren Nomaden und Tierwanderungen. Ver­gegen­wärtigen wir uns die üppige Erscheinung der äquatorialen Regenwaldregionen mit ihrer Intensität an Regen und Wärme und die behutsame Pflege von Waldgärten durch Eingeborene. Klettern wir in unserer Vorstellung einmal in die tropischen und subtropischen Bergtäler, mit uralter Landwirtschaft in 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Fühlen Sie sich ein in die sozio-ökonomische, religiöse und kulturelle Verschiedenheit, die diese Regionen jeweils begleitet und wir beginnen den inneren Charakter dieser Landschaften zu schauen, das ganze und dynamische Wesen, das diese Gebiete durchdringt.

Dialog für die Vielfalt statt Standardisierung
Wesen in steter Entwicklung, Einheiten mit eigener Biografie, in Erscheinung kommend durch menschliche Tätigkeit in einem ständigen Wechselspiel mit dem örtlichen Potenzial der Natur. Das ist die Welt, die uns anvertraut ist, und diese Vielfältigkeit wird zerstört durch die Standardisierung landwirtschaftlicher Praktiken, gedrängt durch die wachsende Macht globalisierter ökonomischer Kräfte und gekoppelt mit dem strammen Reduktionismus der Agrarwissenschaften der letzten 40 Jahre. Die Vereinfachung und Intensivierung landwirtschaftlicher Verfahren durch die industrielle Logik von chemischem Input und Maschineneinsatz auf den produktivsten Böden des Planeten ist die andere Seite der agrikulturellen Realität, die uns die meisten Probleme aufdrängt. Diese Verfahrensweise hat sich auch auf marginalen armen Flächen eingeschlichen und große Zerstörungen an Böden und Wasserressourcen verursacht. Tropische Monokulturen, Tee, Zucker, Kaffee, Kautschuk, Gewürze usw. sind weitere Beispiele für diesen Prozess der Vereinfachung und das Ergebnis historischer Beziehungen zwischen Europa und seinen Waren liefernden Kolonien seit über 400 Jahren. Sie sind ebenfalls Teil des Szenarios, das jetzt nach Wandel verlangt. Natürlich wollen wir nicht durch den Export vorgefertigter "Modelle" einer biodynamischen Farm die weitere Verarmung der Landwirtschaft fördern. Das widerpricht dem bio­dynamischen Impuls. Ich möchte hier Beobachtungen vorstellen, die ich in vielen Jahren "in der Peripherie" mit biodynamischen Landwirtschaftspraktiken gemacht habe.

Wir feiern gerade 80 Jahre Rudolf Steiners biodynamischen Impuls, sind die dritte Generation biodynamischer Praktiker, eine kleine internationale Gemeinschaft von Bauern, Forschern, Beratern und Lehrern. Trotz der Internationalität bleibt der Markt für Demeter-Produkte hartnäckig beschränkt auf Europa, vor allem auf Deutschland, das Geburtsland der Methode. Ein Problem dabei ist der Kontrast zwischen den Bedingungen in Mitteleuropa und dem Rest der Welt. Beispielsweise sind die Richtlinien für Demeter-Produkte und der Zugang zum Biologisch-Dynamischen sehr mitteleuropäisch geprägt. So ist die wichtigste Herausforderung die Entwicklung eines respektvollen Dialogs zwischen diesem deutschen, mitteleuropäischen Herz und der nichteuropäischen Peripherie, und er erfordert ein gegenseitiges Verstehen der landwirtschaftlich-ökologischen und sozialen Ökonomie und nicht zuletzt ihrer politischen historischen und kulturellen Bedingungen.
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Ausgangspunkt: Schulen des Denken und Fühlens an Phänomenen
Ein Betriebsorganismus wird geformt durch den Menschen: er ist Anfang und Ende des Prozesses und kunstreich verbunden mit den Einzelheiten und der Geschichte der Umwelt, die ihn und seine Farm umgibt. Die natürlichen, soziokulturellen und politischen Realitäten dieser Regionen fordern als Basis für jede biodynamische Entwicklung einen phänomenologischen Dialog zwischen der Vorstellung einer Farm als Organismus und der umgebenden Landschaft, ihrer Geschichte und ihrer Menschen. Während in Deutschland z.B. der Bauer nicht nur das Recht der Landbewirtschaftung hat, sondern es durch eine intensive, gefestigte und gut beratene Praxis nutzen muss, ist das im Rest der Welt nicht der Fall. Dort sind die Betriebe entweder von Eingeborenen, Landarbeitern oder Analphabeten bewirtschaftet oder im großen Maßstab geführt von abwesenden Eigentümern, unterstützt von konventionellen Agro­nomen und ungelernten Arbeitskräften. Wir müssen also mit Menschen anfangen, die ganz woanders stehen. Man kann nicht erwarten, dass allein das Lesen der Demeter Richtlinien irgendeine Hilfe ist. Grundlegend für eine Neuausrichtung der Willenskräfte ist die Übung eines Denkens und Fühlens, das sich auf die natürlichen Phänomene der Farm und ihrer Umgebung bezieht.

Nicht fertige Empfehlungen oder Normen motivieren zu einer Änderung, das macht Menschen unfrei. Jeder konzeptionelle Inhalt muss in einem partizipatorischen Dialog vorbereitet werden, der aktuelle Landwirtschaftspraktiken "problematisiert". Dann erst können die lokalen landschaftlichen und agronomischen Bedingungen mit Hilfe des Beraters reinterpretiert werden.

Lernen, mit der Natur zu denken
Wir müssen also Kontakt herstellen zwischen der Gesamtheit des "Wesens" der örtlichen Landschaft und uns bemühen, den bestehenden, Hilfe suchenden Farmorganismus zu verstehen. Wir können nicht ein Ideal der Farm zuhause überstülpen. Nur so können wir die auf Phänomenologie und Erkenntnis bezogene Herangehensweise Rudolf Steiners, wie er sie in den Vorträgen für Landwirte 1924 vorstellte, anwenden. Damals gab er den Farmern nicht einen Satz zu befolgender Regeln, sondern lehrte sie, mit der Natur zu denken, massierte ihren Gedankenprozess so, dass sie empfänglicher für feinere Gegebenheiten, die verborgene Dynamik der Kräfte und Substanzen wurden. Steiner war ein Pionier der Kunst des phänomenologischen Dialoges mit der Natur und des Denkens, Goethes eigenen wissenschaftlichen Weg fortsetzend. Dies respektvolle Wechselspiel zwischen Objekt und Subjekt in Zeit und Raum sollte am Anfang jeder neuen landwirtschaftlichen Entwicklung stehen. Es war diese Errungenschaft, nicht ein Satz Regeln, die hunderte von Mitarbeitern befähigte, die biodynamische Methode weiter zu entwickeln.

Ohne Bewässerung geht in manchen Regionen gar nichts. Foto: Caldas
 

Unsere Arbeit jenseits der bekannten Bedingungen Zentraleuropas folgt sinnvollerweise dieser Methodologie. Sonst ersticken wir jede Möglichkeit innovativer Entwicklungen. Im folgenden sind einige der Schritte dargestellt, die ich in meiner Arbeit mit sehr unterschiedlichen Gruppen von Farmern nutze. Manche wollen mit ihren Demeter-zertifizierten Unternehmen Premium-Märkte in Europa nutzen, andere haben gerade ihren gesunden Menschenverstand wieder entdeckt und suchen Nachhaltigkeit für ihre Betriebe.

 

Die täglichen Probleme: Dimension des Hier und Jetzt
Der beste Weg, Farmer dazu zu bringen, sich auf einen verbindlichen partizipatorischen und phänomenologischen Dialog einzulassen, ist, mit ihren drängendsten täglichen Probleme auf dem Betrieb zu beginnen: Krankheiten, Unkräuter, Bodenfruchtbarkeit, Erträge, Preise und Produkte, Fragen des Marktes usw. Durch all das hindurch können wir mit ihnen in ihre Realität eintauchen, die gegebenen Bedingungen verstehen. Wir werden Gast in einer Entdeckungsreise zu ihrem Allervertrautesten, lernen ihre Früchte, Tiere, Bodentypen, Grenzen, Lokalklima etc. kennen. Der Farmer wird so auch darin unterstützt, seinen eigenen Status Quo zu verstehen und neu zu bewerten. Seine Dimension von Raum, Hier und Jetzt.

Monokulturen in den Tropen – eine Spätfolge europäischer Bedürfnisse. Foto: Caldas

Was lebt aus Kultur und Tradition? Historische Dimension
Dieser Dialog wird vertieft, wenn wir den Farmer auf eine Reise durch die Zeit mitnehmen. Wie waren die Bedingungen in der letzten Saison? Wie 5, 10, 30 Jahre zurück? Wie war die Landwirtschaft in dieser Zeit? Und wer war beteiligt? Der alte Mann uns gegenüber oder der Vater und die Großmutter dieses jungen Farmers? Wie waren die Erntefeste im Dorf? Wir können auch den Verfall der Gewinne für Plantagenbesitzer und die Entscheidungen, die sie treffen müssen, nehmen. In einem historischen Sinne können wir hier fragen, wie waren die Böden, die Erträge, das Verhältnis von Tieren und Pflanzen, die Bedeckung mit Wald, die Größe der Dörfer, die Straßenverhältnisse, Arten und Preise der Produkte und Dünger in der Vergangenheit? Was hat sich geändert? Wir beginnen, indem wir das reale Wesen des speziellen Farmorganismus, dieser Landschaft ins Bild holen. Wir addieren den Zeitprozess, die Kreisläufe der Jahre, Rhythmen, Prozesse menschlicher Entwicklung immer nah an Farm, Natur und Gesellschaft vor Ort. Die zeitliche Dimension enthüllt den historischen Prozess und seine Dynamik, die von neuem Wissen, neuen Anforderungen, Politik und auch dem Wandel in Moral oder religiösen Werten beeinflusst wird. Nur mit Einfühlung und Respekt können wir in diese Realitäten eindringen und ein vertrauensvoller Gesprächspartner werden. Als ein landwirtschaftlicher Gefährte können wir Ratgeber sein und dem Bauern helfen, seine Realität zu überdenken und sie in einer neuen Weise wieder zu verbinden. Er braucht diesen Prozess, denn er ist der entscheidende Teil des Organismus.

Die globale Dimension: Teil einer Bewegung
Mit einer weiteren Dimension können wir dem ortsverwurzelten Farmer helfen, einen Sinn für die Realitäten der Farmer anderer Regionen zu gewinnen. In der Ortsverbundenheit verlieren viele Farmer ihre Perspektive, ihre Rolle im örtlichen Netz und ihre Selbstsicherheit. Die Erweiterung ihrer Perspektive hilft den Bauern dabei, zu fühlen, dass sie Teil einer internationalen Gemeinschaft von Bauern sind, die nach neuen Wegen sucht, ihre Arbeit zu verbessern, nicht nur eine kleine Gruppe von Verrückten, die irgendetwas anders machen wollen. Während andere Farmer zu Sklaven der materialistischen-wissenschaftlichen Denkweise und der Marktkräfte geworden sind, sich vom Pfad entfernt haben, der ihnen von ihren Vorvätern und Gemeinschaften anvertraut wurde, gehen sie die Wende zum besseren Landwirtschaften an. Sie spüren die Verantwortung, Pioniere der Veränderung ihrer Region zu sein, Herzenskräfte erwärmen ihre Entschlusskraft.

Sich trauen anzufangen – Zukunftsbilder finden
Der nächste Schritt ist die Visualisierung der möglichen Zukunft, die Übung der Imagination, das Überdenken ihrer Farm, um neue Ideen zur Bewältigung ihrer Probleme zu finden und den neuen Aktivitäten Priorität zu verleihen. Jetzt hat der Farmer sich geöffnet für Möglichkeiten, zu denen ihm vorher der Mut fehlte. Z. B., dass Bodenfruchtbarkeit verbunden ist mit Produktivität und Pflanzengesundheit, oder Nährstoffrecycling eine Grundlage für besseren Düngereinsatz und für Kostensenkung ist. Die Reorganisation einer Farm hin zu mehr Selbsterhaltung ist in den meisten sich entwickelnden Ländern eine wesentliche Maßnahme, um Kosten zu reduzieren, zumal, da chemische Inputs meist importiert werden.
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Futter für den Boden – Arbeiten mit Analogien
Das Nachdenken über das Problem Bodenfruchtbarkeit führt uns direkt zu den Verfahren der Landwirtschaft und zur Frage, was ist die beste Ernährung für den Boden? Ich benutze hier eine einfache Analogie, frage: Was ist die beste Nahrung für uns, was ist Ihr Bild eines köstlichen Lunchs? Können wir die warme, reichhaltige und vielfältige Mahlzeit (die meist genannt wird) mit Vitaminen und Mineralpillen ersetzen? Was passiert, wenn wir nur diese Pillen essen? Wir werden schwach und krank, müssen zum Arzt, ist die Antwort. Was macht der Arzt? Er empfiehlt mehr Pillen. Das ist das, was sie mit ihren eigenen Böden getan haben. Die Farmer können ihre eigene Realität sofort neu verstehen, verstehen die Beziehung zwischen Bodenmanagement, Schädlingen und Krankheiten.

Was ist dann das beste Futter für den Boden? Schauen wir auf einen guten, dunklen Boden aus der unmittelbaren Umgebung, unter einer längeren Brache oder unter vorheriger Waldbedeckung. Was ist diese dunkle Substanz? Humus – wir geben ihr einen Namen. Wie ist sie entstanden? Wie können wir sie selbst machen? Können wir sie mit chemischen Düngern ersetzen? Nicht wirklich – sie wissen es instinktiv, haben erlebt, wie ihre Böden dürr wurden. So kommen wir zur Notwendigkeit, zu wissen, wie das beste Futter für den Boden bereitet wird, wie am besten organisches Material recycelt wird. Um pflanzliche und tierische Reste und Qualitäten zu integrieren, müssen wir nochmal zurück zum Lunch (Korn, Hülsenfrüchte, Fleisch, Gemüse, Gewürze...) – dann wird deutlich: Von dort kommen wir zur Notwendigkeit der Fruchtfolge und des Komposts, unterstützt von den biodynamischen Präparaten als Gewürze, Ferment. Wir können auch weiter fragen: Wie ernährt sich die Pflanze? Nur durch die Wurzeln? Analogien sind insgesamt ein hilfreiches Instrument, parallel zu den realen Phänomenen bringen wir so Wahrheit in den Dialog mit der lebendigen Natur, von dem wir uns durch das moderne landwirtschaftlichen NPK- Denken nicht ablenken lassen sollten.
Beim Boden fängt das Umdenken an. Foto: Caldas
 

Ganzheitliche Prinzipien des Wachstums: Beispiel Polarität Erde- Kosmos
Wenn wir auf die grundlegenden Polaritäten des Pflanzenwachstums zwischen Wurzel und Blattspitze schauen, führt uns das dazu, sie zusammen in neuem Licht zu sehen: Geotropismus und Phototropismus, oder in einfachen Worten das gleichzeitige Wachstum zur Erde und zur Sonne, zum Kosmos hin. Es wird selten wahrgenommen dass, wenn wir das Wurzelwachstum anregen, die Pflanze mehr Zugang zu Wasser und Nährstoffen hat, und in demselben Boden produktiver wird. Gleiches gilt für die Beziehung zur Sonne (mehr Photosynthese) und zum Rest des Kosmos. Ein traditioneller Kartoffelbauer in 4000 Meter Höhe in den Anden, erzählte mir einmal, dass, als sie chemische Dünger benutzten, der Mond die Pflanzen nicht mehr förderte. Üblicherweise „lasen” sie im Himmel, um die beste Zeit zum Säen zu erkennen.
Überall auf der Welt haben Bauern und Agronomen der Art und Weise, wie Pflanzen wachsen, nie wirklich viel Aufmerksamkeit geschenkt, sie nehmen das als selbstverständlich und behandeln sie so, wie sie es gelernt haben. Durch ihr neues mehr ganzheitliches Denken, das sie wieder mit älteren kulturellen Interpretationen der Natur verbindet, füh­len Sie sich sehr angeregt, besonders die kosmische Dimension mit all ihren Komponenten spricht sie an. Manche Farmer und Landarbeiter empfinden echte Erleichterung, wenn endlich jemand über diese vergessenen Wahrheiten spricht. Es gibt wirklich einen wissenschaftlichen Weg, um mit diesen Aspekten, mit den Sternen zu arbeiten? Warum nicht, frag die Pflanze, mach es einfach. Das ist Befreiung für viele Landmenschen.
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Produktivität und Qualität – wie fördert man beides?
Die obengenannte Übung, die in den Phänomenen der Pflanze verankert sein muss, führt uns zu fundamentalen Aspekten der biologisch-dynamischen Methode. Hier kann ich die zwei polaren Wirkungen unserer Arbeit als Farmer aufzeigen, Produktivität, den Erdpol, den die Farmer am meisten anstreben, und Qualität, den kosmischen Pol, von dem die meisten Farmer vergessen haben, wie man das zustande bringt. Zum Beispiel frage ich sie: Wie erzeugt ihr eine Frucht mit mehr Zuckergehalt oder Vitaminen? Wie beeinflusst ihr Aroma und Geschmacksqualitäten in Tee oder der Nahrung? ... Stille ... .

Gemeinsam sind die ersten Schritte einfacher – auch das Lernen. Foto: Caldas

Mit ihnen an dieses grundlegene Organisationsprinzip der Natur zu kommen, stößt eine Tür für eine völlig neue Welt der Betrachtung auf. Wir schauen auf Gegensatzpaare in der Natur wie warm-kalt, hell-dunkel, Erde-Sonne, etc. und verbinden das mit Produktivität und Qualitätsmerkmalen. Zum ersten Mal kommen wir dazu, die biodynamischen Spritzpräparate einzuführen, in ihrer polaren Charakteristik, als Wege zur Steigerung dieser grundlegenden Gestik der Pflanze zur Sonne und zur Erde, als Mittel, Produktivität und Qualität zu fördern. Jetzt müssen wir die Farmer probieren und beobachten lassen. Diese Übung hilft ihnen auch, die Bedürfnisse der verschiedenen Pflanzen und Tiere, die verschiedenen „Organe” der Farm und deren Beziehung zur umgebenden Landschaft zu verstehen. Das Denken in der Polarität zwischen Erde und Kosmos ist ein Durchbruch im Prozess der Beobachtung und des Denkens und geschieht am besten auf dem Feld oder mit den Tieren an der Hand. In vielen Situationen ist die Frage der Integration von Pflanzen und Tieren in den Betrieb nicht einfach, in anderen ganz natürlich. Traditionelle Systeme integrieren immer beide. Die Nomaden Afrikas und Asiens brachten ihr Vieh am Anfang der Saison auf die Felder der Farmer zur Düngung. In den Regenwaldgebieten des Amazonas gestatteten Eingeborene wilden Tieren, ihre Anbauflächen zu durchstöbern, für Jagdzwecke. Doch selbst hier können wir diese grundlegenden Praktiken nicht als selbstverständlich nehmen, müssen sie mit den Menschen vor Ort durchdenken.

Verankern in der Ökonomie – die soziale Seite des Organismus
Die letzte und entscheidende Übung ist es, ihr Neudenken des Farmorganismus in Bezug auf die ökonomischen Erfordernisse ihrer sozialen Gemeinschaft und die Bedürfnisse existierender oder neuer Konsumenten zu überprüfen. Die Steigerung von Produktivität und Qualität, der Effizienz des Organismus in Maßstäben der ökonomischen Nachhaltigkeit, ist entscheidend, um die nötige Konsolidierung zu erreichen. Vielleicht müssen wir dazu andere Komponenten, Maß­nahmen, Früchte, Tiere in den Farmorganismus hereinholen. Auch ist es von den anonymen, mühelosen Märkten, die sie vorher bedient haben, zu mehr transparenten, verbindlicheren Marktstrukturen ein lebenswichtiger Schritt, eine andere Ebene des Dialogs. Unglücklicherweise werden Demeter-Konsumenten in den wichtigsten Märkten träger und nehmen die Verfügbarkeit von Produkten aus fernen Gegenden als selbstverständlich. Händler stehen dazwischen, als Spiegel der Gegebenheiten der Farm und der Bedürfnisse der Konsumenten oder auch als Barriere im Kommunikationsprozess. Wir müssen also nach verantwortungsbewussten Gesprächspartnern für diese erneuerten Farmorganismen suchen, so dass sie eine Zukunft haben.
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Mit Zuversicht Verantwortung für das Land übernehmen – das muss gelernt werden. Foto: Caldas

Schwerpunkt: die Individualität entwickeln
Am Ende dieses Prozesses, der einige Stunden oder Tage dauern kann und über die Jahre durch Visualisierungsübungen vertieft wird, fangen wir an, den zukünftigen Organismus zu entdecken: Nicht geboren aus Demeter-Richtlinien, oder aus Rudolf Steiners Empfehlungen, sondern allein aus der Realiät des existierenden Organismus der Landschaft, völlig eingebunden in die Geschichte des Ortes und seine menschlichen, sozialen und ökonomischen Ressourcen und Prozesse. Die neuen Denkprozesse stärken die hervorbringende Individualität der Farm, ihr „ego”, den Farmer (Kleinbauern, Analphabeten, Agronom oder Landbesitzer) gestützt durch eine bewusste Beteiligung der Arbeitskräfte. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird etwas anderes herauskommen als unser übliches Bild eines biologisch-dynamischen Hofes in Europa. Diese Arbeit übereinstimmend mit ihren Prinzipien zu tun, bedarf es mehr, als nur mit den Präparaten im Koffer zu reisen, oder zu helfen, Richtlinien einzuhalten. Es geht darum, Farmer in die Lage zu versetzen, wieder die Kontrolle zu gewinnen über ihr Schicksal als Verwalter der Landschaften dieser Erde, als Bewahrer der Fruchtbarkeit des Landes, als Erzeuger von Lebensmitteln für den Geist des menschlichen Wesens. So liegt das Augenmerk auf der Individualität der Farmer, so wie sie sind und wo sie sind, als gute oder schlechte Christen, Muslims, Hindus, Animisten oder Kapitalisten, denn diese Individualität, ist das, was den Farmorganismus zusammenhält und erneuert. Menschen sollen in ihren ländlichen Gemeinschaften wieder Schöpfer von Kultur und Mitgestalter ihrer Landschaft werden. Dazu gehört es, die Manifestation einer breiten Vielfalt der Begriffe von Farmstrukturen und -prozessen zu ermöglichen, ebenso biologische und kulturelle Vielfalt. Und, die Brücke zwischen dem neuen bewussten Farmer und dem neuen bewussten Konsumenten zu schlagen.

Märkte in Übersee (hier Teeplantage) sind oft Starthilfe für einen Prozess in die ökologische Richtung 

So sollte der wesentliche Unterschied zwischen dem organischen und dem biologisch-dynamischen System nicht darauf reduziert werden, dass letztere die Präparate benutzen, oder die Hörner und Schwänze der Tiere dranlassen. Der Unterschied besteht in der Perspektive, in der Tiefe, in der Beziehung, in der Ästhethik, in dem nachhaltigen Zusammenhalt, im Denken und insgesamt in der Qualität der Prozesse und der Ergebnisse. Nur auf diesem Weg wird die biologisch-dynamische Arbeit eine Chance in der Zukunft haben, und in weiteren 80 Jahren könnten wir vielleicht die wieder erlangte agrikulturelle Diversität des Planeten feiern, mit ermöglicht durch diesen Impuls.
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Als ich mit dem Maikaal Faser Projekt in Indien begann, das sich bis zum Ende meiner Arbeit auf 1200 Bauern entwickelte, war das Hauptproblem der Baumwollfarmer ein starker Druck durch Weiße Fliege und hohe Kosten, um sie unter Kontrolle zu halten. Eine Pestizidresistenz hatte sich entwickelt, die Bauern gaben die Baumwolle auf. Meine erste Aufgabe war also, an diesem speziellen Problem zu arbeiten. Dazu musste ich mit ihnen über ihre Verfahren, ihre Böden, Krankheitszyklus, Befallsdruck in Bezug zu Klima, Dünger-einsatz, Sortenunterschieden, über Pestizidpreise, Baumwollpreise etc. reden. Zusammen entwickelten wir Lösungen. Als nach einem Jahr das Problem gelöst war, war ich Teil Ihrer Problemlösungsgleichung. So konnten wir uns zur nächsten Ebene bewegen. Jetzt ist es eines der größten biodynamischen Projekte in der Welt mit ca. 7000 Hektar.

Einmal bat ich den Häuptling eines Amazonasstammes den Teilnehmern an meinem Workshop zu Entwicklungsmodellen für die Amazonasregion, über ihre Mythen des Ursprungs des Waldes und der Nahrungspflanzen zu erzählen. Den Teilnehmern wurde deutlich, dass das indi­gene Konzept, Teile des Körpers eines mythologischen Helden im Anbau wiederherzustellen, eine sehr fortgeschrittene Methode war, Biodiversität von Nutzpflanzenin diesem komplexen Ökosystem zu erhalten, ein archetypischer Verweis auf den Farmorganismus. So muss jeder etwas neues lernen, Lernen ist keine Einbahnstraße, sondern findet auf gleicher Ebene und in viele Richtungen gehend statt.

Die meisten konventionellen Farmer in den Tropen, (die, die das Land bewirtschaften) beschreiben einen Prozesses der Bodenverschlechterung, verursacht durch chemische Dünger. Sie berichten über Zunahme von Wasserbedarfs und Krankheitsdruckes und von einer allmählichen Reduktion der Erträge, eine typische Reaktion tropischer Böden, die arm an organischer Substanz und Mikronährstoffen sind. Bäuerliche Farmer in Asien und Afrika, besonders die Älteren, sind sich der Verarmung ihres Landes durch des Einsatz von Chemikalien sehr bewusst und wissen nicht, wie sie aus dieser Falle heraus kommen sollen, zumal die Agronomen der Regierungen meist nur mit neuen subventionierten Chemikalien kommen. Das Resultat dieser phänomenologischen Übung macht ihnen Mut.

Die meisten Teeplantagen, denen ich bei Verbesserungen und der Umstellung auf´s biodynamische System half, benutzten weder Stalldünger noch Kompost. Nun beziehen sie alle Kompost aus dem Mist des Viehs der Arbeiterhaushalte, die die Plantagen umgeben. Das Vieh frisst Unkraut aus der Plantage, das täglich von den Teepflückerinnen heim gebracht wird, gibt Milch für diese Familien und Dung für ihre Selbstversorgerflächen. Doch so wie der Dung genutzt wurde, verlor er mehr als die Hälfte des Nährstoffgehaltes, außerdem waren die Böden verhärtet durch Herbizide und Dünger, so dass nur ein paar dürre Gräser zwischen den Teereihen wuchsen. Nachdem wir mit der Anwendung von Kompost und biologisch-dynamischen Präparaten begonnen hatten, wurden die Böden weich und mehr und vielfältigeres Kraut konnte geerntet werden, ebenso mehr Milch und Dung. Ich besprach das mit den Arbeitern und wir begannen, den Dung zu kompostieren. Vorher kaufte die Plantage Mist zu, nun kauft sie fertigen Kompost von ihren Arbeitern und erhöht so deren Einkommen. Die nährstoffreiche Asche des Teeschnittholzes, das sie verfeuerten, wurde ebenso in den Boden zurückgebracht. Und die Arbeiter fragten für ihre Flächen nach den biodynamischen Präparaten, die wir auf der Farm für den Tee herstellten. So wurde eine völlige Neuorganisation der Ressourcen der Farm erreicht, die nicht nur dem Land und den Teekonsumenten dient, sondern auch den Arbeitskräften. Neue Schattenbäume wurden gepflanzt und das Problem von Erosion und Wasserversorgung wurde angegangen. Die Förderung des Dialogs zwischen Arbeitern und dem Management war dazu sehr wichtig, ebenso wie die Arbeit mit den Managern und den Besitzern an einem gemeinsamen Bild der Veränderungen.
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weitere Veröffentlichungen des Autors

  • „The Globalization of Steiner’s Impulse for a Renewal of Agriculture” in „The Golden Blade” Jan 2002, 54th issue ‘Kindling Spirit’, Forest Row, UK
  • „Farm Individualities in the Earth Organism” 20 pages. In „Welche Zukunft schaffen wir der Tierwelt?” Dokumentarband zur Landw. Tagung 2003. am Goetheanum, Dornach, Switzerland.
  • „Empowering Farmers for Sustai­nable Change in a Globalised World” in „Vision and Action for Another World” Earthcare Books, edited by Ulrich Roesch, and presented to the World Social Forum, Mumbai, India Jan 2004.
  • „Challenging the cotton-pesticide alliance – the Maikaal cotton project in India” PAN – Pesticides News No. 28, London, UK.
 

Tadeu Caldas berät seit 20 Jahren biologisch-dynamische und ökologische Projekte in den Tropen und Subtropen und hat z.B. biologisch-dynamischen Landbau in Nord- und Mittelindien etabliert in Projekten wie Maikaal (Baumwolle), Ambootia oder Makaibari (Tee).

Parkstr. 23, D- 50968 Köln, www.ecotropic.com, ecotropic_bioagro@hotmail.com