Lebendige Erde 4/2004:

Hintergrund

Den Möhren einen Namen geben

Kampagne macht Saatgut und Züchtung zum Verbraucherthema

von Karin Heinze
Möhren mit unterschiedlichem Charakter: Präsentation der Sortenkampagne auf der Biofach (Foto: kaheinze)

Kaum jemand dürfte beim Einkauf oder beim Kochen darüber nachdenken, aus welchem Saatgut das Gemüse gezogen wurde, das er konsumiert. In erster Linie achtet der Verbraucher auf die optisch wahrnehmbare Qualität und den Preis. Besonders bewusste Konsumenten legen allenfalls noch Wert auf Regionalware, Verbandskennzeichnung oder Bio-Siegel. Ein Trend zeichnet sich jedoch beim Einkaufsverhalten darüber hinaus ab: Die Gruppe derjenigen, die auf der Suche nach wirklichen Geschmackserlebnissen sind, nimmt zu und Kunden sind sehr wohl empfänglich für Spezialitäten, für Waren, die ihnen einen Zusatznutzen, einen Mehrwert bieten. Diese Tatsachen gilt es zu nutzen. Sie bieten den Ansatzpunkt für eine sortenspezifische Vermarktung bei Kulturen, die es gewöhnlich nicht dem Namen nach zu kaufen gibt wie wir es bei Kartoffeln oder Äpfeln kennen.

 

 

Forschung und Züchtung
Kultursaat e.V.

  • Verein für Züchtungsforschung und Kulturpflanzenerhaltung auf biologisch-dynamischer Grundlage
  • Gegründet 1994
  • 200 Mitglieder
  • 20 Projekte auf Demeter-Betrieben
  • In 2003 flossen rund 380.000 € in die Züchtungsprojekte
  • Der Verein finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden sowie Zuwendungen der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und anderen Stiftungen

Vermehrung
Initiativkreis für Gemüse,-Kräuter- und Blumensaatgut aus biologisch-dynamischem Anbau/Saatgutvermehrer

  • Gegründet 1988
  • 100 Vermehrer in D,CH,I,A
  • Saatgut-Lieferanten für zur Zeit 365 biologisch vermehrte Gemüse-, Kräuter- und Blumensorten
  • In 2003 wurden rund 320.000 € an die Vermehrer ausbezahlt
  • Für viele Initiativkreis- Mitglieder ist die Saatgut-Vermehrung zu einem zusätzlichen Standbein im Betrieb geworden

Vertrieb
Bingenheimer Saatgut AG (vormals Allerleirauh-Saatgut GmbH)

  • Gegründet 2002 (1989)
  • In der Saatgut-Werkstatt in Bingenheim arbeiten knapp 20 Mitarbeiter.
  • Zentrale Aufbereitungs- und Vertriebsstelle für das vom Initiativkreis erzeugte Saatgut
  • Umsatz Geschäftsjahr 2002/03: 1 Mio €
  • Die Bingenheimer Saatgut AG ist eine kleine Aktiengesellschaft, deren Aktien von einer Stiftung, einem Verein und von Vermehrern und Züchtern gehalten werden ist.

Gemüse mit Charakter stößt auf großes Interesse
Möhre ist nicht gleich Möhre. Und die aus biologisch-dynamischer Züchtung sind etwas ganz Besonderes. Der Wunsch, diese Tatsache an die Verbraucher zu kommunizieren und damit die Nachfrage nach den neuen Sorten bei den Erzeugern zu stimulieren, war die Basis für Überlegungen, die zum Projekt "Wie kommt die Züchtung auf den Teller?" führte. Das Endergebnis, einen sortenspezifischen Marketingansatz, stellten der Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise und Kultursaat, Verein für Züchtungsforschung und Kulturpflanzenerhaltung auf biologisch-dynamischer Grundlage, auf der diesjährigen BioFach-Messe vor. Das Ziel dieses Teils der Kampagne "Saatgut und Züchtung im ökologischen Landbau" war es, über das Geschmackserleben bei der Verkostung verschiedener Möhrensorten aus biologisch-dynamischer Züchtung das Fachpublikum an das Thema Züchtung heranzuführen.

Das Interesse an den "Möhren mit Charakter" übertraf die Erwartungen bei weitem: Sowohl Einzelhändler, Großhändler, wie auch Verbandsvertreter, Verarbeiter und sogar Politiker bedachten die Kampagne mit viel Aufmerksamkeit. Die Aufarbeitung der geknüpften Kontakte schlug sich bislang beispielsweise nieder in einer Infoveranstaltung beim Naturkostgroßhändler Bodan, wo alle 45 Teilnehmer/innen Interesse an der Sortenvermarktung äußerten. Derzeit werden bereits je zwei Naturkostläden in Hamburg und Lübeck von der Domäne Fredeburg mit der Sorte Rodelika und den entsprechenden Marketingmaterialien beliefert. Es scheint mit dem Pilotprojekt gelungen zu sein, die komplexen Sachverhalte Züchtung und Saatgut auf eine Ebene herunter zu brechen, die den Bedürfnissen der meisten Akteure nach überschaubaren Informationen entsprechen. Gleichzeitig geben die begleitenden Materialien, Kistenstecker, Plakate, Faltblätter und Broschüren dem Naturkosteinzelhandel ein Profilierungsinstrument an die Hand, mit dem er seine Fachkompetenz im Gemüsebereich betonen kann.

 

 

 

 

 

Sortenmarketing setzt eine andere Züchtung voraus
Bekannt ist sortenspezifisches Marketing bei Kartoffeln, bei Äpfeln, beim Wein. Hier ist es der Kunde gewöhnt, nach Linda, Nicola oder Desiree zu fragen, nach Idared, Boskop oder Topas. Die unterschiedlichen Eigenschaften im Gebrauch und die Geschmacksnuancen werden vom Konsumenten bewusst nachgefragt. Auch bei Möhren funktioniert das. Allerdings geht dies keineswegs bei allen Möhrensorten. Denn zunehmend herrscht die Tendenz zur Gleichmacherei in der Gemüsezüchtung: der Aspekt der Masse verdrängt hier schon lange die Klasse. Möglichst uniform und global kultivierbar sollen die Sorten sein, die heute von den Saatgut-Konzernen auf dem Markt angeboten werden. Hybriden ersetzen mehr und mehr die samenfesten Sorten, die verlieren gleichzeitig Geschmack, wertvolle Inhaltsstoffe und natürliche Widerstandsfähigkeit.

Möhrenelite zur Saatgutgewinnung (Foto: kaheinze)

Der biologisch-dynamischen Züchtung ist es gelungen, klare Alleinstellungsmerkmale in Geschmack und Gehalt für drei Möhrensorten zu erreichen. Die Sorten Rodelika, gezüchtet von Dieter Bauer, Dottenfelderhof, Robila, aus einem Züchtungsgang von Thomas Heinze, Eichstetten am Kaiserstuhl und Milan, eine Züchtung von Michael Pickel, Gärtnerei Piluweri, Müllheim bei Freiburg, sind hauptsächlich durch Selektion und Linienbildung aus samenfesten bewährten Sorten entstanden und während der Entwicklung auch immer streng nach Geschmackskriterien ausgewählt worden. So entstanden drei grundverschiedene Typen, die sich jeweils besonders für eine bestimmte Nutzung eignen. Während Rodelika sich mit ihrem kräftig-aromatischen Geschmack, ihrem sehr hohen Zucker- und Trockensubstanzgehalt sehr gut als Kochgemüse und zum Saften eignet, bietet die Sorte Robila einen harmonischen, mild-süßen Geschmack, der sie für die feine Küche und zum Rohverzehr empfiehlt. Die Sommermöhre Milan wird als frisch und saftig beschrieben, sie passt sehr gut für Salate und als Snack. Die Aussagen auf den kleinen Info-Flyern, die für die Sortenvermarktung gestaltet wurden, stützen sich auf Analysen und Steigbilduntersuchungen. Rodelika und Robila sind beim Bundessortenamt anerkannt, Milan ist noch in der Prüfung. Bei der Anerkennung von Rodelika und Robila wurde vom Bundessortenamt erstmalig das Zusatzkriterium Geschmack geprüft.

 


Das Thema Züchtung ist zu abstrakt
Wer genügend Zeit und ein interessiertes Publikum hat, kann die Problematik der herkömmlichen Pflanzenzüchtung und die Möglichkeiten der biologisch-dynamischen Methoden darstellen. Allerdings hat die Thematik so viele Facetten, dass es nicht einfach ist, die Einzelheiten zu kommunizieren, zum Teil wird Spezialwissen vorausgesetzt. Auch ist viel Halbwissen im Umlauf und häufig eine Menge Emotionen damit verknüpft. Zum einen die diffuse Angst vor der Gentechnik, aber auch die Unkenntnis darüber, wovor diese Furcht eigentlich besteht. Zum anderen bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Esskultur, Geschmack und gesundheitsfördernder Nahrung, letzteres vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zahl von Allergien. Kurzum, die Aufgabenstellung lautet: wie muss das Thema Saatgut und Züchtung aufbereitet werden, um es dem Verbraucher mundgerecht zu servieren? Es muss leicht verständlich sein, übersetzt in eine Sprache, die dem Käufer nicht zu viel abverlangt. Die Bilder sollten so eingängig sein, dass sie ansprechen, die Botschaft so einfach, dass sie informiert, aber nicht belastet, und so die Kaufentscheidung für ein Produkt aktiviert. Die Tatsache, dass bei einem Großteil der Verbraucher gegenwärtig der Preis die größte Rolle spielt, ist nicht zu verleugnen. Doch belegen erfolgreiche Beispiele die Chance, dem dominanten Preisargument etwas entgegen zu setzen. Durch den kommunizierten Mehrwert sind Kunden sogar bereit mehr für diese Spezialität auszugeben.

Beispiel: Der bayerische Naturkostgroßhändler Ökoring hat in der letzten Saison Möhren der biologisch-dynamisch gezüchteten Sorte Robila vermarktet und zwar zu einem um 20 Cent höheren Preis als die namenlosen Konkurrenten. Die sortenspezifische Vermarktung bietet sich also auch als ein denkenswerter Weg aus der Sackgasse eines Niedrigpreismarketings an und bringt zusätzlich die biologisch-dynamischen Züchtungen auf den Teller.

 

 

Verkostung der Möhrensorten: Scheibchen für NRW-Ministerin Höhn (Foto: kaheinze)

Alle Marktakteure einbeziehen
Die Botschaft, welch elementaren Anteil Züchtungsmethoden auf die Ausprägung einer Sorte haben, kommt durch die Sortenvermarktung beim Verbraucher an. Die Info - Blätter erläutern verständlich den Zusatznutzen für den Kunden. Außerdem: kann die komplexen Zusammenhänge durch sein Geschmacksorgan überprüfen. Für einen nachhaltigen Erfolg der Kampagne ist es jedoch notwendig auch die anderen Marktteilnehmer ins Boot zu holen. Das Projekt "Saatgut und Züchtung im ökologischen Landbau" steht deshalb auf drei Säulen: Für Erzeuger und Händler werden Info-Veranstaltungen durchgeführt, die konkretes Hintergrundwissen zu Züchtungsmethoden bieten sowie die Problematik Hybriden und Gentechnik ansprechen. Für Berater, aber auch für Verbandsvertreter und interessierte Anbauer, läuft eine Recherche zu konventionellen Züchtungstechniken, bio- und gentechnologischen Verfahren sowie dem Stand der Dinge bei den großen traditionellen Saatgutfirmen. Relevante Verarbeiter, wie die Hersteller von Babynahrung, von Saft und veredeltem Gemüse, sollen außerdem auf die besonderen Qualitäten der biologisch-dynamisch gezüchteten Gemüse aufmerksam gemacht werden.

 

 

Bingenheimer Saatgut AG,
Kronstraße 24,
D- 61209 Echzell,
www.oekoseeds
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