Lebendige Erde 6/2004:

Hintergrund

80 Jahre Biologisch-Dynamisch

Gespräch mit Nikolai Fuchs, Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion in Dornach

Nikolai Fuchs, Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion in Dornach
Nikolai Fuchs, Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion in Dornach
Herr Fuchs, Sie haben durch den Vertreterkreis die biologisch-dy­namische Bewegung weltweit im Blick: Wo ist biologisch-dynamische Landwirtschaft beson­ders lebendig, wo ist sie erfolgreich und warum?
Um es vorweg zu sagen: wer unter den heutigen Weltverhält­nis­sen überhaupt noch einen Hof über die Runden bringt, ist erfolgreich. Wer dies noch dazu schafft, ohne die Umwelt zu gefährden und Steuermittel im wesentlichen nur im Gegenzug für ökologische oder soziale Leistungen empfängt, ist aus meiner Sicht doppelt erfolgreich. Es ist enorm, was auf jedem einzelnen biologisch-dynamischen Hof geleistet wird, egal wo auf der Welt.

Die Ausdehnung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren im Bereich der Subtropen hat zum Teil kulturelle Gründe wie in Indien, und handfeste Marktgründe wie den Bedarf an dort erzeugten Gütern in Europa. Vor allem aber scheint die Wirksamkeit der biologisch-dynamischen Mass­nah­men dort größer zu sein. Die Erfolge nach zwei bis drei Jahren Umstellung springen einfach ins Auge, anders als in Mitteleuropa. Daneben scheinen sich neue Mög­lichkeiten in den semiariden, also niederschlagsarmen Gebieten in Kombination mit pflugloser Bodenbearbeitung zu ergeben, die erfolgsversprechend sind. Ich kenne eigentlich keine Region, in der sich biologisch-dynamisch auf dem Rückzug befindet, wobei der Impuls z.B. in Skandinavien und im Baltikum um seine Prosperität ringen muss. In vielen Weltregionen aber breitet sich der biologisch-dynamische Landbau aus. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass überall starker wirtschaftlicher Druck herrscht.

Richtig erfolgreich ist die biologisch-dynamische Landwirtschaft mit ihren Menschen momentan in den Bereichen Saatgut und Ausbildung. Dies sind ganz wesentliche gesellschaftliche Momente, um zum Beispiel der Gentechnik nicht nur ablehnend zu begegnen, sondern an einem Weiterentwicklungspol fruchtbar zu schaffen. Auch im Rebbau oder durch die Mitwirkung in vielen Netzwerken entfaltet De­meter Wirksamkeit, ohne in den Vordergrund zu treten. Daneben sind im Umfeld der Bewegung methodisch wichtige Schritte in den bildschaffenden Methoden und in der Bildekräfteforschung gelungen. In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit scheinen mir - mit allem Respekt gegenüber dem, was geleistet wird und ein­gedenk der eigenen Unfähigkeit - unsere Bemühungen noch zu mangelhaft zu sein. Da fordert die heutige Zeit irgendwie mehr.
 

Biologisch-dynamische Landwirtschaft verzichtet nicht nur auf Gentechnik, sondern baut Alternativen dazu auf
Biologisch-dynamische Landwirtschaft verzichtet nicht nur auf Gentechnik, sondern baut Alternativen dazu auf
Welche Bedeutung hat die Biologisch-Dynamische Wirt­schafts­weise heute, wo der Ökolandbau gesellschaftlich anerkannt ist, aber ökonomisch in Bedrängnis?
Die biologisch-dynamische Land­wirtschaft steht dafür, dass biologische Landwirtschaft mehr ist als das Weglassen von Chemie. Das ist, da müssen wir ehrlich sein, in der Öffentlichkeit das Hauptargument für Bio-Land­bau. Die Gesamtbetriebsumstellung beispielsweise, die zur Zeit in der EU, aber auch in der Schweiz aus ökonomischen Gründen in Frage gestellt wird, ist zwar "common sense" im Bio-Landbau, aber sie ist gar nicht so leicht zu begründen. Da lehnt sich der Bio-Landbau halb unbewusst an die Begründungen des biologisch-dynamischen Landbaus an. Das ist aber kein Grund, sich besser zu fühlen, sondern stellt eine ziemliche Herausforderung an uns Biodynamiker, bezüglich eben dieser Begründungsarbeit. Die so genannte Betriebsindi­vi­dualität ist nämlich zunächst ein geistiges Prinzip.

Daneben können unsere, aber auch andere Biobetriebe zeigen, dass Bio-Landwirtschaft auf hohem Niveau auch ökonomisch richtig ist: die Demonstration einer rationellen Landwirtschaft im umfassenden Sinne ist auch ökonomisch von Belang. Spezialisierte konventionelle Landwirtschaft ist ja nicht per se kostengünstiger, sondern nur unter den momentanen gesellschaftlichen Gegebenheiten wie Ölpreis etc., und hat ihren Preis gegenüber der Umwelt und Gesellschaft, der nur woanders beglichen wird. Aus unserer Kenntnis wirklich rationeller Landwirtschaft, also vielseitiger und wegen der Syn­ergieeffekte der einzelnen Organe untereinander gleichzeitig effizienter Landwirtschaft, müssen wir auch an den großen Rädern der ökonomischen Rahmenbe­dingungen drehen: z.B. die gesellschaftlich bedingten Wett­be­werbsverzerrungen gegenüber dem konventionellen Landbau abbauen. Das erfordert neben den vielleicht besseren Argumenten in einer Demokratie auch immer, dass eine gewisse Anzahl Menschen in einem anderen Sinne praktiziert und daheraus den Willen zu einer Änderung in die Gesellschaft einbringt. Außerdem gibt es immer Gründe, Landwirtschaft zu betreiben, ganz unabhängig von ökonomischen Gegebenheiten. Hier, wo es viel­leicht um jede einzelne Möhre, die unter bestimmten Bedingungen wachsen "darf", oder eine einzelne Mahlzeit für einen Menschen in einer besonderen Situation geht, ist die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise stark.
 

Als Demeter zahlenmäßig von Bioland überflügelt wurde, hieß es schon mal "alte Tante Demeter". Ist es so wie bei vielen Langzeittrends, dass, wenn die Sache einmal läuft, die Impulsgeber abtreten?
Im Grunde ist das natürlich ein vornehmes Ziel, dass die angestrebten Impulse so zur Gegenwart geworden sind, dass die Impulsgeber "abtreten" können. Diesen Zeitpunkt sollte man nicht verpassen. Es gibt aber auch Stimmen in der biologisch-dynamischen Bewegung, die sagen, die ersten 80 Jahre, das war doch nur der Anfang! Die biologisch-dynamische Landwirtschaft stecke noch in den Kinderschuhen. Schaut man auf die gesellschaftliche Akzeptanz und Ausdehnung des Öko-Landbaus, kann man sogar ein bisschen zufrieden sein. Schaut man aber auf das, was man qualitativ mit "spiritueller" Landwirtschaft begrifflich fassen könnte, das heißt, eine Landwirtschaft, die ein Bewusstsein davon hat, inwieweit der Geist in der Natur heute (noch) schaffend ist oder nicht, und welche Rolle dabei der Mensch spielt, dann muss man feststellen, dass dieses Ziel noch keine ausstrahlende Lebensreali­tät geworden ist. Sich in diesem Zusammenhang über die zukünftigen Aufgaben der biologisch-dynamischen Landwirtschaft zu verständigen, ist jetzt nach 80 Jahren und nach der so genannten Agrarwende ein guter Zeitpunkt.
 
Demeter - Wir arbeiten ohne Gentechnik
Demeter - Wir arbeiten ohne Gentechnik
Der konventionelle Landbau und seine kontrollierte bzw. integrierte Form holt ökologisch auf, notfalls mit Gentechnik. Gibt es ein speziell biodynamisches Kernargument gegen Gentechnik?
Aus meiner Sicht ist hier das andere Wesensverständnis von Pflanze, Tier und Mensch durch die goetheanistisch-anthroposophische Wissenschaft und damit verbunden der Entwicklungsge­danke essenziell. Die gesellschaft­liche Debatte zur Ablehnung der Gentechnik erfolgt vorwiegend auf der Risiko-Ebene. Wenn man sich die Gentechnik aber als gesamtgesellschaftliches Phänomen anschaut, dann kann einem auffallen, dass an mehreren Stellen die Autonomie, die Integrität und die Freiheitssphäre von Organismen und Menschen betroffen ist. Da kommt man unweigerlich an die Frage, ob man davon ausgeht, dass Lebewesen prinzipiell, und der Mensch im Besonderen, an einer Höher- oder Weiterentwicklung arbeiten bzw. dafür bestimmt sind - und welche Bedingungen dafür gegeben sein müssen - oder ob man das vielleicht nur für möglich, aber nicht entscheidungsrelevant hält. Wenn man biologisch-dynamisch arbeitet, hält man diese Ebene für relevant und arbeitet aktiv an ihrer Verwirklichung, wie in der Saatgutarbeit, der Sozialgestaltung etc.
 
Welche Potenziale für die Landwirtschaft stecken noch im Biologisch-Dynamischen, z.B. für den Ökolandbau, der ja auch die erste Welle schon hinter sich hat?
Ich sehe auf allen Ebenen noch Verbesserungsmöglichkeiten, nichts ist fertig: bei der Pro­duk­tionstechnik, vor allem die Ener­gieeffizienz und bei der Produktqualität eine Fokussierung der anregenden Qualität von Lebensmitteln. Daneben sehe ich die Relevanz des Biologisch-Dynamischen sehr stark im Sozialen und Gesellschaftlichen. Wenn heute ein Öko-Bauer zu Demeter kommt, dann erhofft er sich wahr­scheinlich eine erneute Sinn­ge­bung für seine Arbeit, dadurch mehr Freude und auch eine befriedigende Ökonomie. Wenn wir glauben, dass wir alle Motiva­tions­quellen im Hier und Jetzt finden, dann greifen wir wohl zu kurz. Unabhängig von einer möglichen konfessionellen Zugehörigkeit kann man sich die Frage stellen, wo und wie die Christuswesenheit heute wirkt - im Geistigen, mit mir? Wie ist der Hinweis aus der Anthroposophie zur Wiederkunft des Christus im Ätherischen zu verstehen und was hat das mit meiner Agri-Kultur zu tun? Wir brauchen neue, auch tiefe Bilder.
 
Demeter Landwirt
Demeter Landwirt
Was lohnt sich für Demeter-Land­wirte, im Biologisch-Dynamischen neu zu entdecken?
Vor kurzem bin ich über die Lebendige-Erde-Datenbank auf Veröffentlichungen von biologisch-dynamischen Bauern aus den 50er Jahren gestoßen, wo in Anlehnung an den dritten Vortrag von Rudolf Steiner im Landwirtschaftlichen Kurs auf die Eiweissbildungen im Betrieb geschaut wurde. Dabei wurde sogar von "Eiweiss-Wirtschaft" geredet. Diesen und ähnliche solcher Fäden wieder aufzugreifen, hielte ich für sehr lohnenswert. Einzelne tun das, aber als Bewegung meine ich. Daneben beginnen wir in der Sektion gerade ein Projekt zur Wärme in Landwirtschaft und Ernährung - ein weiteres Thema, das lohnt, es sich bewusst zu machen und daraus Anregungen für die Praxis zu holen. Generell scheint es mir lohnend, das Augenmerk darauf zu richten, wo Stoffe und Substanzen durch Lebensprozesse in einen höheren Zustand überführt werden.
 
Müssen die Präparate neu erfunden werden? Brauchen wir weitere - man denke an die Tropen oder an das Interesse vieler Landwirte für zahlreiche neuen Mittelchen auf dem Markt von Plocher bis EM?
Dass man so offen ist für neue Mittelchen am Markt, die einem die Probleme lösen, ist ganz menschlich. Wir haben immer Sehnsucht danach, uns mit einem Mittel oder einer Technik eines Problems entledigen zu können. Und es hat auch eine berechtigte Seite, nach besonderen Hilfen zu suchen, da die Natur unter den heutigen Umweltverhältnissen tatsächlich geschwächt erscheint. In diesem Zusammenhang gibt es aber auch interessante Forschungen z.B. von Jürgen Fritz (Uni Bonn) und Hartmut Spieß (Institut für Biologisch-dynamische Forschung), die mit Fingerhut-Extrakten eben wegen der beschrieben Schwächung eine Verstärkung der Hornkiesel-Wirkung erforschen. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Forschungen, obwohl sie z.B. in der Lebendigen Erde veröffentlicht werden, zuwenig Beachtung finden. Lieber lässt man sich auf die Verheißung irgendeines neuen Mittelchens ein. Und hier schliesse ich eine Kritik an unserer Bewegung an: Wir nehmen unsere Forscher zuwenig ernst. Wir lassen sie ihre Mittel sich selbst mühsam bei Stiftungen besorgen, dann lassen wir sie jahrelang in ihren Kämmerchen und Versuchen alleine, und wenn sie etwas herausbekommen, warten wir mal lieber über mehrere Jahre ab, ob viel­leicht der Nachbar mit den neuen Empfehlungen gut zurecht kommt, bevor wir uns selber bequemen, es mal zu versuchen. Einerseits ist es gesund, dass man nicht jeder neuen wissenschaftlichen "Weisheit" hinterherläuft. An­de­rerseits muss man einen Sensor dafür entwickeln, wo ernsthaft an Verbesserungen gearbeitet wird und diese zumindest ideell unterstützen oder sich am besten in den Prozess einbringen.

Ansonsten ist das Leben doch meist viel praktischer: In Indien hat beispielsweise Peter Proctor mit den Freunden dort recht schnell taugliche Alternativen zu den Präparatepflanzen gefunden, z.B. bei Eiche und sogar Brennessel. Davon konnte ich mich selbst überzeugen. Und wenn man in der Kalt-Entmistung oder in einem Mistkompost ein Fäulnisproblem hat, dann kann man auch mal EM oder in der Gülle etwas Plochermehl einsetzen, wo und wenn es eben nützt und das machen auch manche. Dagegen, diese Dinge prinzipiell und flächen­deckend einzusetzen, davon würde ich abraten. Mit gesundem Menschenverstand kommt da jeder zu einer Lösung, davon bin ich überzeugt. Ich meine sogar, und da bin ich sicherlich vermessen, dass man "lernen" kann, neue Präparate zu machen, nach dem Wirkensprinzip, das man an Steiners Präparaten "ablesen" kann. Es wären für mich aber Ergänzungen, die bisherigen sieben bzw. acht sind in sich schon weitgehend "rund".
 

Immer wieder wird der Präparateeinsatz auch intern diskutiert: ein Heilmittel könne nicht verpflichtend sein. Anderseits gibt es mit dem Demeter Zeichen das Versprechen an die Verbraucher.
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Wenn man den Prä­parateeinsatz in den Richtlinien regelt, wie wir es momentan in der Bewegung zusammen verabredet haben, dann zum Einen möglichst freilassend und zum Anderen in dem Bewusstsein, dass Präparate mit ihrer Anwendung eine Wesensseite haben, die sich einer Regelung auf Richtlinienebene eigentlich entzieht. Dann kann man sie regeln. Wenn uns dabei unwohl ist, sollten wir es ändern. Das müsste dann aller­dings mit einem intensiven Diskussionsprozess mit unseren Partnern und Kunden einhergehen, da einige fest darauf bauen, dass wir sie in der Art anwenden, wie es in den Richtlinien geregelt ist. Aus Angst vor Willkür sollten wir es nicht bei der Regelung belassen. Aber die Frage der Verbindlichkeit, der Durch­gän­gigkeit in der Kommunikation ist dabei zu berücksichtigen (siehe auch EXTRA in diesem Heft, S. 64).
 
Gemeinschaftliche Herstellung von Präparaten
Gemeinschaftliche Herstellung von Präparaten
Spezielle Fütterung, Investitionen in teure Ställe und anderes mehr: Ist ein ideeller Anspruch heute noch möglich, oder muss sich der Demeter-Bauer viel stärker nach dem Markt richten? Kann man zukünftig noch so Landwirtschaft machen?
Wohl kaum jemand, auch ich nicht, kann diese Frage beantworten. Jeder muss sein Motiv, Landwirtschaft zu betreiben, mit den Gegebenheiten in Übereinstimmung bringen. Ich meine aber, dass viel geht, wenn man will. Daneben kann man sich aber auch fragen, ob man es noch will, wenn die Gesellschaft es wenig nachfragt. Man kann ja anderen nicht etwas aufzwängen, was sie gar nicht wollen. Neulich sagte jemand, wenn einem Bauern nicht genug Geld für seine Milch geboten wird, dann darf er sie eben nicht abgeben. Wir alle wissen, dass das so einfach nicht ist. Und trotzdem steckt in der Argumentation etwas Wahres drin. Wir haben uns nur daran gewöhnt, dass wir z.B. keinen festen Preisver­trag mit einer Molkerei bekommen. Vor diesem Hintergrund einen Stall mit 15 Jahren Abschreibung zu bauen ist eigentlich, nun, sagen wir, mutig. Da muss aus meiner Sicht ein anderer Verabredungskontext geschaffen werden, unter den Bauern, am Markt und auch politisch. In Neuseeland kann man Milch billiger produzieren. Aber Neuseeland wird nie genug Milch für die ganze Welt haben. Trotzdem bestimmt der Preis dort den Weltmarktpreis mit. Da wirkt überall viel Irrationalität. Also - entweder bekommt man es jetzt hin, oder man wartet auf bessere Zeiten, was trügerisch sein kann, und vielleicht muss man auch mal Konsequenzen ziehen.
 
Kühe mit Hornschmuck, teure Ställe, Heu oder nicht Heu in der Fütterung, aufwändige Präparate im Landbau, spezielle Kalender - sind die biologisch-dynamischen Themen heute noch aktuell und relevant?
Ich meine, es sind gerade die relevanten Themen! "Hay fed milk" beispielsweise ist in den USA gerade ein Renner. Und Kühe ent­hornen ist für mich tatsächlich "kein Thema". Dass das so viel gemacht wird, ist ungeheuerlich. Und eine Kosmos-Orientierung ist in Zeiten von Gentechnik die notwendige Ergänzung, sonst versteht man die Welt nicht mehr. Ich meine, diese Themen sind alle sehr relevant und aktuell, und wir sollten in einen viel offeneren Dialog mit der Gesellschaft darüber eintreten.
 
Vorwärts geht es, wenn man sich über seine Grenzen wagt. Nikolai Fuchs im Gespräch mit Wilhelm Schäkel (Bioland)
Vorwärts geht es, wenn man sich über seine Grenzen wagt. Nikolai Fuchs im Gespräch mit Wilhelm Schäkel (Bioland)
Verliert sich spirituelle Landwirtschaft in der Demeter-Form nicht in Details? Und wird vielleicht schon überholt?
Natürlich leide auch ich bis in die eigene Arbeitszeit darunter, wieviel Zeit Detailabklärungen in Anspruch nehmen. Häufig bleiben dann weiterführende Dinge liegen, die eigentlich essentiell sind. Gleichzeitig ist es aber so, dass bestimmte Dinge einer Gründlichkeit bedürfen und erst praktikabel sind, wenn man sie bis zum Ende durchgedacht und geprüft hat. Ich habe für mich versucht, zu lernen, dass es auch eine Frage der Gesinnung ist, wie ich diese zunächst unerfreulich erscheinende Detailarbeit mache: auch dabei kann man wach, aufmerksam und teilnehmend sein und ihre spirituelle Seite ins Bewusstein nehmen. Jedes Telefonat ist ja auch eine menschliche Begegnung. Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass mich ab und zu der Gedanke befällt, wir sollten manches Regelwerk auf ein Minimum zurechtstutzen, um wieder Handlungsräume zu gewinnen.

Ob man nun überholt wird oder nicht: wer wirklich "weiter" ist, das entscheidet sich meist nicht auf dem sichtbaren Plan. Aber nach innen sollte man mit ganzer Kraft hören! Ist man so weit, wie man sein könnte und gerne wäre? Und wenn nein, dann alle Kraft daran setzen dass es so wird - auch als biologisch-dynamische Bewegung!
 

Ideal und Alltag zu vereinen gelingt vielen Demeter-Landwirten mal gut mal weniger gut. Wo sind die Erneuerungsquellen für die tägliche Arbeit wie für den spirituellen Impuls?
Das hat eine allgemeine und eine sehr individuelle Seite. Ich kann hier nur etwas zu der allgemeinen Seite sagen. Ich meine, dass eine soweit mögliche hygienische Tagesgestaltung hilft. In entstehende Freiräume treten manchmal unverhofft Dinge ein, denen gegenüber man im "durch-den-Alltag-stürzen" nicht offen genug ist. Dazu habe ich ein paar sehr gute Bücher, gerade z.B. "Das Prinzip Leben" von Hans Jonas, da brauche ich manchmal nur einen Absatz lesen, dann kommt innerlich schon etwas in Gang. Dann: immer wieder Momente der konzentrierten Meditation suchen. Aber auch die Familie, oder ein Kunstgenuss wie ein Konzert können Inspirationsquellen sein, wie auch die Natur oder die Tiere im Stall, wenn ich sie betrachte. Und, ich muss es sagen, es ist eben der Landwirtschaftliche Kurs selbst, der mehr als alles andere eine Inspirationsquelle ist. Dazu gegenseitige Hofbege­hun­gen mit Berufskollegen, das Gespräch auf Regionalgruppentref­fen, gute Tagungen machen. Ich finde, die Welt ist so reich an Inspirationsquellen...
 
Juni 1924 - Geburtsmonat der biologisch-dynamischen Landwirtschaft

"Anthroposophische Tagung in Breslau anlässlich des Landwirtschaftlichen Kurses in Koberwitz", so hieß die Veranstaltung, zu der zu Pfingsten 1924 Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft eingeladen waren, die "im landwirtschaftlichen Beruf stehen oder besondere landwirtschaftliche Interessen haben". Tagungsort war das Schloss des Grafen Keyserlingk, der einer großen Gutsverwaltung vorstand. Rudolf Steiner hielt an vormittags acht Vorträge zur Landwirtschaft, nachmittags Fragestunden dazu, Abends Vorträge zum Thema "Karma", daneben hatte er dichtgedrängte Termine. Nach dem dritten Vortrag gründeten Landwirte den "Landwirtschaftlichen Versuchsring der Anthroposophischen Gesellschaft", der sich die Erprobung des Gehörten vornahm und den Kurs schriftlich dokumentierte. Nur Mitgliedern des Versuchsringes wurde die Schrift zugänglich gemacht, sie verpflichteten sich zur Geheimhaltung, wurden namentlich registriert, immerhin waren es 600 bis 1936. Gleichwohl konnten sich gegnerisch gesonnene Fachkreise eine lückenhafte Nachschrift zur Polemik nutzbar machen.