Lebendige Erde 1/2005:

Hintergrund

Schule auf dem Bauernhof
Eine Begegnung mit Zukunft

von Stefan Hübner

Lernen, wie es wächst: die Gartengruppe des Schulbauernhofs Ummeln beim Pflanzen
Lernen, wie es wächst: die Gartengruppe des Schulbauernhofs Ummeln beim Pflanzen
Schulbauernhöfe, Lernbauernhöfe, Erlebnisbauernhöfe, Lernort Bauernhof, Jugendfarmen, Hofherbergen, Kinderbauernhöfe, ..., "Lernen auf dem Bauernhof" hat sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren zu einem breiten, facettenreichen Angebot entwickelt. Die zunehmende Entfremdung der Jugend von der Landwirtschaft und dem Erfahrungsfeld Natur auf der einen und die zunehmende Öffnung der Schulen nach außen auf der anderen Seite haben zu einer steigenden Nachfrage nach dem außerschulischen Lernort Bauernhof geführt.
 
Bauernhof als Lernort - die Nachfrage steigt

1983 entstand mit dem Schulbauernhof Ummeln das erste sehr umfassende pädagogische Angebot am Lernort Bauernhof - mehrtägige Mitarbeit in Kleingruppen in den verschiedenen Sparten eines kleinen und auf Handarbeitsstufe reduzierten landwirtschaftlichen Betriebes. Derzeit gibt es etwa zwanzig Betriebe, die nach dem Ummelner Modell als Schulbauernhof arbeiten und einige Hundert, die als "Lernort Bauernhof" mit anderen Konzepten Schulklassen empfangen. Es gibt eine Vielzahl von Studien, die dem Besuch auf einem Lernbauernhof vielfache positive Wirkungen attestieren, angefangen vom Wissenserwerb über soziales Lernen, Umwelt-Lernen, Erlernen handwerklicher Fertigkeiten bis hin zur Entwicklung eines stärkeren Gesundheitsbewusstseins. Ein weiteres Anwachsen der Nachfrage nach dem Lernen auf dem Bauernhof ist möglich, gesellschaftlich erwünscht und - betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre - voraussehbar.
"Lernen auf dem Bauernhof" umfasst mehr als das jährliche Hoffest oder das Vorzeigen des Hofes gegenüber der Kundschaft bei Direktvermarktung. "Lernen auf dem Bauernhof" gründet auf betrieblichen, personellen und pädagogischen Voraussetzungen und vollzieht sich nicht oder nur ungenügend im "Nebenher" zur Landwirtschaft. Vielfältiges Arbeiten, Teamwork in Kleingruppen, ein großes Spektrum an Pflanzen- und Tierarten und ein hoher Anteil an Handarbeit sind charakteristisch für Schulbauernhöfe. Diese 'junge' Einrichtung gewinnt zunehmend an Beliebtheit, denn sie vermittelt das Thema Landwirtschaft auf handlungsorientierte Art und Weise und wirkt sich gleichzeitig positiv auf das Sozialverhalten von SchülerInnen aus. Viele LehrerInnen entscheiden sich gerade aus diesen Grund für einen Schulbauernhofaufenthalt.
 

Was ist ein Schulbauernhof?

Der Schulbauernhof ist ein außerschulischer Lernort, an dem Schülerinnen und Schüler für mehrere Tage aktiv unter Anleitung und auch eigenverantwortlich mitarbeiten und am bäuerlichen Leben auf erziehungsintensive und erlebnisträchtige Weise teilnehmen. Ganz im Gegensatz zu Hofbesichtigungen und Kurzbesuchen haben die SchülerInnen auf Schulbauernhöfen die Gelegenheit, statt Momentaufnahmen den landwirtschaftlichen Alltag zu erleben. Bei der größtenteils ungewohnten Arbeit können sie sich mit den Tieren und der Umgebung vertraut machen. Die Schulbauernhöfe sind in der Regel wenig spezialisiert und wenig technisiert und die MitarbeiterInnen nicht abhängig von den landwirtschaftlichen Erträgen. Daher sind Schulbauernhöfe fehlerfreundlicher und eröffnen den SchülerInnen mehr Möglichkeiten der Mitarbeit. Schüler und Schülerinnen brauchen Freiräume zum Lernen und Üben ohne die Angst, durch Fehler oder mangelhafte Kenntnisse und Übung wirtschaftlich bedeutende Schäden hervorzurufen.
Die pädagogischen Intentionen ergeben sich aus den sachlichen Notwendigkeiten der landwirtschaftlichen Gegebenheiten und sind nicht konstruiert. Durch diese Zweckgebundenheit und Sinnhaftigkeit landwirtschaftlicher Tätigkeiten entstehen bei den Ausführenden auf direkte Weise Verantwortung und Mitgefühl. Die meisten Schulbauernhöfe verfügen über Übernachtungsmöglichkeiten für eine Schulklasse und bieten mehrtägige bis mehrwöchige Klassenaufenthalte an. Dadurch erleben die SchülerInnen den landwirtschaftlichen Tag von Anfang bis Ende.
Es gibt auch Schulbauernhöfe, die mit einer oder mehreren nahgelegenen Schulen kooperieren. An diesen Schulen wird dann beispielsweise der gesamte Biologieunterricht einer Jahrgangsstufe zusammengefasst und als praxisbezogener, außerschulischer Unterricht über ein Jahr verteilt wöchentlich oder zweiwöchentlich auf den Schulbauernhof verlegt. Der Vorteil ist, dass die SchülerInnen die verschiedenen Vorgänge und Arbeiten der Landwirtschaft im Jahreslauf kennen lernen und die Abhängigkeit der Ernte vom Wetter erfahren. Nachteilig ist, dass die SchülerInnen sich immer wieder aufs Neue mit dem Umfeld vertraut machen müssen. Dadurch, dass sie jedes Mal nur einige Stunden auf dem Schulbauernhof verbringen, lassen sich einige Arbeiten nicht zu Ende führen.
 

Was bietet ein Schulbauernhof?

Melken: Nähe und Nutzen
Melken: Nähe und Nutzen
Je nach Ausstattung des Hofes zählen zu den Tätigkeiten der SchülerInnen: Füttern und Pflegen der Tiere, Melken und Weiterverarbeiten der Milch, Ausmisten der Ställe, Zaunbau, Pflanzen und Ernten im Garten und auf dem Feld, Beikraut rupfen, Keltern, Bäume pflanzen und pflegen, Arbeiten in der Werkstatt, Brot backen, Essen zubereiten, Konservieren von Lebensmitteln, Nisthilfen bauen, Naturkosmetik herstellen, Holz sammeln, Beobachtungen in der Natur, Spinnen und Weben, Flechten, Färben, praktischer Umweltschutz vor Ort.
Auf allen Höfen wird nicht belehrt, sondern die MitarbeiterInnen der Schulbauernhöfe stellen viele Fragen, berichten von eigenen Erlebnissen und fordern zum Anfassen und Mitmachen auf. Durch die Verknüpfung von körperlicher Arbeit, sinnlicher Naturerfahrung und dem Vermitteln praktischer Fertigkeiten ist es möglich, junge Menschen für die Landwirtschaft zu sensibilisieren. SchülerInnen können auf dem Hof eigene, persönliche Erfolge haben und dadurch motiviert und gestärkt werden, z.B. wenn das Melken einer Ziege gut klappt.
Obwohl einige Schulbauernhöfe schon seit langer Zeit existieren, ständig Jugendliche auf ihrem Betrieb sind und sich in der Landwirtschaft und auf den Höfen in der Regel viele Gefahrenquellen befinden, ist es noch auf keinem Schulbauernhof zu schweren Unfällen gekommen - und das, obwohl den SchülerInnen viel zugetraut wird, vielleicht gerade deshalb. Wenn die SchülerInnen den Ernst ihres Handelns spüren und sie Verantwortung übertragen bekommen - auch im Umgang mit den Tieren, handeln sie verantwortungsbewusst und mit großem Respekt.
Die Haltung von Tieren bietet SchülerInnen weitere Erfahrungen mit den Kreisläufen der Natur, d.h. Geburt und Leben, Sterben und Tod können miterlebt und nachvollzogen werden. Ferner kann der Kontakt zu den Tieren positive Auswirkungen auf die Psyche der SchülerInnen haben. Tiere können den Menschen nicht be- oder verurteilen. Der Mensch fühlt sich von ihnen so angenommen, wie er ist. Tiere können zudem Trost spenden.
Zusammenfassend lässt sich die besondere Eignung von Schulbauernhöfen wie folgt darstellen:

  • Der Aufenthalt der SchülerInnen auf dem Schulbauernhof beträgt in der Regel mehrere Tage bis zu zwei Wochen. Meist sind Übernachtungsmöglichkeiten vorhanden.
  • Auf Schulbauernhöfen arbeitet qualifiziertes Personal mit hoher Motivation und teilweise jahrelanger Erfahrung im Sensibilisieren der SchülerInnen für die Landwirtschaft.
  • Auf Schulbauernhöfen sind die landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf Handarbeitsstufe reduziert. Dadurch ist eine aktive Beteiligung der SchülerInnen möglich und die Prozesse sind besser zu verstehen.
  • Auf Schulbauernhöfen wird den SchülerInnen etwas zugetraut und das Risiko, dass SchülerInnen durch Fehler wirtschaftlichen Schaden anrichten können, ist minimiert.
  • Schulbauernhöfe haben langjährige, intensive Erfahrungen auch im Umgang mit "schwierigen" Klassen.
  • Schulbauernhöfe stellen ein geradezu ausgezeichnetes Feld für ökologisches Lernen und Diskutieren dar.

 
Für wen eignet sich das "Lernen auf dem Bauernhof"?

Teamarbeit zählt - für jeden einsichtig. Stallgruppe Ummeln beim Ausmisten
Teamarbeit zählt - für jeden einsichtig. Stallgruppe Ummeln beim Ausmisten
Das Thema Landwirtschaft kann für jede denkbare Zielgruppe interessant sein. Jüngere SchülerInnen lassen sich leicht begeistern und motivieren, haben dafür aber weniger Ausdauer, Kraft und oft noch nicht die motorischen Fertigkeiten, die für einige Arbeiten in der Landwirtschaft notwenig sind. Die Schulbauernhöfe sind darin geübt, das Programm und die Didaktik der jeweiligen Alters- und Zielgruppe anzupassen, bzw. bei einer Jahresplanung und Auswahl der Schulklassen zu berücksichtigen, dass zu Zeiten in der Landwirtschaft notwendiger körperlich anstrengender Tätigkeiten eher ältere Klassen gewählt werden. Am häufigsten wird das "Lernen auf dem Bauernhof" von SchülerInnen der 4., 5. und 6. Jahrgangsstufen nachgefragt.
 

Leitfaden für Lehrkräfte und LandwirtInnen

Ein zweijähriges vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft getragenes Modellvorhaben (Bundesinitiative Lernen auf dem Bauernhof) konnte das Spektrum pädagogischer Angebote auf Bauernhöfen und das Feld der Nachfrage durch Schulen umfassend beschreiben. Die Ergebnisse daraus und zusätzliche Expertisen sind eingeflossen in einen Leitfaden für Lehrkräfte und LandwirtInnen, der über die Internetseite www.lernenaufdembauernhof.de bestellt oder heruntergeladen bzw. beim BMVEL (Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Postfach 301163, 53191 Bonn, Tel: 0180-5221997, Fax: 0180-5221996, 12ct/min.) angefordert werden kann.
 

Wie finden Schulklassen den für sie geeigneten Bauernhof?

Viele Bauernhöfe mit pädagogischem Programm haben sich im Internetportal www.lernenaufdembauernhof.de eingetragen. Schulbauernhöfe sind auf nebenstehender Karte zu finden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit !). In etlichen Bundesländern gibt es regionale Koordinationsstellen, die Betriebsadressen bereitstellen, landwirtschaftliche Betriebe und Lehrkräfte beraten, Informationsmaterialien erstellen und z.T. Fortbildungen für Schulen und Bauernhöfe anbieten. Eine Übersicht der Koordinationsstellen ist ebenfalls im Internetportal www.lernenaufdembauernhof.de einsehbar.
 

Vernetzung und Austausch

Viele Schulbauernhöfe sind auf Jahre im voraus ausgebucht und die Nachfrage ist unvermindert groß. Es könnte mehr Höfe geben, wäre da nicht die schwierige Finanzierungsfrage. Um in diesem Bereich Hilfestellungen zu geben, aber auch, um den Austausch der bestehenden Einrichtungen und Initiativen untereinander zu ermöglichen und diese zu vernetzen, gibt es seit sieben Jahren jährliche Bundestreffen und Fortbildungen in der ev. Landjugendakademie in Altenkirchen (Westerwald). Die nächste Bundestagung der "Lernorte Bauernhof" findet vom 4.-6. Februar 2005 statt. Informationen gibt es unter info@lja.de oder 02681-95160.
Zudem gibt es seit zwei Jahren die Bundesarbeitsgemeinschaft der Lernorte Bauernhof e.V. (Baglob), die sich als Dachverband aller Projekte "Lernen auf dem Bauernhof" versteht und aus den jährlichen Treffen in Altenkirchen entwickelt hat. Kontakt: www.schulbauernhoefe.de, H. Schenke (Tel. 05542-72080).
 

Lehrer und Landwirt gleichzeitig

Bei der Freien Waldorfschule Saar- Hunsrück gehört der Bauernhof mit zum Konzept: Hendrik von Carlowitz bewirtschaftet als Pächter 13 ha mit einem kleinen gemischten Tierbestand und ist gleichzeitig Gartenbau- sowie Klassenlehrer. Standbein ist der Gemüsebau mit Direktvermarktung, für die pädagogische Arbeit auf dem Hof gibt es ein halbes Gehalt. Eigentümer ist ein Trägerverein. Schüler von Klasse 2 bis 6 versorgen unter Anleitung der Landwirtsfamilie die Tiere, gruppen- oder klassenweise helfen Schüler bei Aussaat, Pflanzung, Pflege und Ernte. Auch für weitere Gruppen , (Schulen oder Ferienprogramm der Gemeinde) werden Angebote gemacht. Für den weiteren Ausbau und Intensivierung werden übrigens noch Menschen mit Ideen und Tatkraft gesucht.

Kontakt:
  Hendrik von Carlowitz
  Biegelstr. 4
  66625 Nohfelden-Walhausen
  Fon: 06852-902 951
  E-Mail: v.carlowitz@t-online.de