Lebendige Erde 3/2005:

Hintergrund

Öko-Markt und EU-Erweiterung
Welche Herausforderungen bringt die Osterweiterung für deutsche Öko-Landwirte?

von Ulrich Hamm

Durch die EU-Osterweiterung im Jahr 2004 ist die Öko-Fläche in der EU der 25 Mitgliedstaaten (EU-25) um rd. 10% bzw. reichlich 500.000 ha gestiegen. Davon sind ca. 370.000 ha Grünland und 130.000 ha Ackerland. Das schon in der EU-15 bestehende Ungleichgewicht zwischen Grünland und Ackerland verschärft sich dementsprechend durch die Erweiterung der EU noch - mit entsprechend negativen Folgen für die Öko-Märkte für Milch, Rind- und Schaffleisch.
Im Handel mit den Beitrittsländern dürften sich unmittelbar nur geringe Änderungen ergeben. Zum einen gibt es bereits seit 2000 das so genannte Doppel-Null-Abkommen, das den Beitrittsländern einen zollfreien Handel mit der EU-15 und umgekehrt den alten EU-Ländern unbeschränkten Zutritt zu den Märkten der Beitrittsländer gewährt. Zum anderen entfallen von der gesamten Öko-Fläche in den Beitrittsländern mit rd. 340.000 ha mehr als 60% auf die Tschechische Republik und Ungarn, die beiden einzigen Beitrittsländer, die seit Jahren auf der so genannten Drittlandsliste nach der EG-VO 2092/91 stehen und somit bisher schon alle Anforderungen der EU für die Anerkennung von Öko-Produkten erfüllen. Einige der anderen größeren Beitrittsländer (z.B. Polen und die Slowakei) ließen darüber hinaus in den letzten Jahren ebenfalls einen Teil ihrer Öko-Produkte nach EU-Richtlinien zertifizieren, um sie in die EU-15 exportieren zu können.
 
Der Anteil des Ökolandbau in Osteuropa wird wachsen

Es ist davon auszugehen, dass in den Beitrittsländern nach der Einführung von attraktiveren Flächenprämien für die Umstellung auf den Öko-Landbau, die von der EU co-finanziert werden, eine ähnlich große Umstellungswelle ausgelöst wird wie in den ostdeutschen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaftsbetriebe in Osteuropa sind denen der früheren DDR sehr ähnlich. Aufgrund einer dünnen Kapitaldecke üben flächenbezogene staatliche Zahlungen, die über Jahre hinweg garantiert werden, einen hohen Anreiz insbesondere auf Betriebe aus, die über große Flächen verfügen und aufgrund einer geringen Bodengüte bisher schon relativ extensiv - und damit nahezu nach den Kriterien des Öko-Landbaus - gewirtschaftet haben. Diese Vermutung wird gestützt von der Entwicklung des Öko-Landbaus in einigen der Beitrittsländer. So wurde in der Tschechischen Republik nach Einführung von flächenbezogenen Umstellungsprämien in den 90er Jahren eine enorme Umstellungswelle insbesondere in Regionen mit hohen Grünlandanteilen ausgelöst. Ähnliches vollzog sich einige Jahre später in der Slowakischen Republik und den Balten-Staaten. Bei der aufgrund der Co-Finanzierung der EU zu erwartenden weiteren Erhöhung der Umstellungsprämien dürften in allen osteuropäischen Beitrittsländern noch viele Betriebe zusätzlich auf den Öko-Landbau umstellen. Es ist daher zu erwarten, dass der Flächenanteil des Öko-Landbaus in Osteuropa schon in einigen Jahren bedeutend höher als in Westeuropa sein wird.
 

Was bedeutet das für den Öko-Markt?

Die Auswirkungen dieser Angebotsausdehnung in Osteuropa auf den Öko-Markt in der gesamten EU sind schwierig abzuschätzen. Eine erste entscheidende Frage wird sein, ab wann auf diesen Umstellungsflächen anerkannte Öko-Produkte für den Markt produziert werden können. Aufgrund der "quasi" ökologischen Bewirtschaftung mangels Kapital und chemisch-synthetischen Hilfsmitteln könnten die normalerweise dreijährigen Umstellungsfristen für Öko-Flächen in vielen Fällen deutlich verkürzt werden.
Eine zweite bedeutende Frage ist, wann die Öko-Erzeugnisse auch physisch auf dem Markt erscheinen. In den Beitrittsländern muss in vielen Regionen zunächst eine entsprechende Infrastruktur für die Zertifizierung, den getrennten Transport und Lagerung sowie eine getrennte Verarbeitung der Öko-Produkte aufgebaut werden. Das kann Jahre dauern. Lediglich Rohprodukte, die ohne großen Aufwand über weite Strecken transportfähig und leicht lagerfähig sind (z.B. Getreide, Ölsaaten), könnten schon nach kurzer Zeit Verarbeitungsunternehmen in der EU-15 angeboten werden. Dies könnte in an die EU-15 angrenzenden Regionen auch bei anderen Produkten (z.B. Schlachtvieh, Milch, Kartoffeln) relativ kurzfristig der Fall sein.
Eine dritte Frage ist, wie schnell sich die Nachfrage für Öko-Produkte in den einzelnen Beitrittsländern entwickelt. Mit steigender Kaufkraft zumindest eines Teils der Bevölkerung dürfte zwar die Nachfrage nach Öko-Produkten in den Beitrittsländern rasch ansteigen, aber kaum in ähnlichen Größenordnungen wie das Angebot. Das bedeutet, dass ein sehr großer Teil der Öko-Produkte aus den Beitrittsländern auf den Öko-Markt der EU-15 drängen wird.
Die sich daran anschließende vierte Frage ist, wie lange osteuropäische Anbieter benötigen, um die Qualitätsanforderungen von Händlern und Verarbeitern in der EU-15 erfüllen zu können. Dieses hängt in hohem Maße davon ab, welche flankierenden Maßnahmen in den einzelnen Ländern zusätzlich zu den Umstellungsprämien für den Aufbau der Öko-Märkte erfolgen werden (z.B. Beratungsangebote für Landwirte).
Insgesamt gesehen ist nicht davon auszugehen, dass der Öko-Markt in der EU-15 in den nächsten drei Jahren von Öko-Produkten aus Osteuropa "überschwemmt" wird, wie von einigen Öko-Landwirten in Deutschland befürchtet wird. Kurzfristig könnte der Markt in der EU-15 durch steigende Exporte an verarbeiteten Öko-Produkten (z.B. Babynahrung und Milchprodukte) sogar in einigen Bereichen leicht entlastet werden.
Mittelfristig (in drei bis fünf Jahren) ist jedoch damit zu rechnen, dass erhebliche Mengen an Öko-Produkten, insbesondere Rohstoffe, aus Osteuropa auf den Öko-Markt in der EU-15 gelangen werden. Da der deutsche Öko-Markt mit Abstand der größte in der alten EU ist, wird dieser ein bevorzugtes Zielland für osteuropäische Anbieter sein. Wie die Erfahrungen nach der Wiedervereinigung Deutschlands gezeigt haben, werden die neuen Öko-Anbieter in erster Linie versuchen, über niedrigere Preise Marktanteile zu gewinnen, was ihnen bei agrarischen Rohstoffen aufgrund niedrigerer Produktionskosten (insbesondere Kosten für Arbeit und Boden) auch möglich ist. Bei landwirtschaftlichen Veredelungserzeugnissen (Geflügelprodukte und Schweinefleisch), bei Feingemüsekulturen und bei Verarbeitungserzeugnissen, deren Produktion von einem hohen Kapitalbedarf geprägt ist, hängt dagegen viel davon ab, wie rasch Kapital in diese Bereiche fließt. Es ist zu vermuten, dass auf diesen Märkten der Preisdruck für die EU-15 erst sehr viel später einsetzt.
 

Sollen Unternehmen und Verbände in Osteuropa investieren?

Weite, leere Landschaften, jedenfalls im Vergleich zum Westen: Chance für den Ökolandbau
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Für die deutsche Öko-Landwirtschaft ergibt sich die Frage, wie sie auf das mittelfristig steigende Angebot aus Osteuropa reagieren soll. Über Kapitalbeteiligungen und Joint Ventures könnten westdeutsche Öko-Verbände versuchen, osteuropäische Anbieter in eigene Lieferstrukturen einzubinden, um so zumindest einen Einfluss auf deren Angebotspolitik zu haben, was nach der deutschen Wiedervereinigung weitgehend versäumt wurde. Ein Know-how-Transfer scheint aber noch aus einem anderen Grund dringend geboten: Da die Nachfrage in hohem Maße von dem Vertrauen abhängig ist, das Verbraucher in verlässliche Kontrollen der Produktionsmethode haben, sollten alle Anbieter aus der EU-15 ein großes Interesse daran haben, den neuen Mitgliedsländern Hilfestellungen für den Ausbau des Kontroll- und Zertifizierungssystems zu geben. Des Weiteren dürften Beratungshilfen für den raschen Aufbau von regionalen Öko-Märkten in Osteuropa im ureigensten Interesse der alten EU-Länder liegen.
Ein besonderes Problem für die Marktakteure in West- und insbesondere in Osteuropa ist die fehlende Markttransparenz. Da es von offiziellen Stellen keine gesicherten Informationen über kurzfristige Marktentwicklungen gibt, können Landwirte, Verarbeitungs- und Handelsunternehmen ihre Produktions- und Absatzentscheidungen auch nicht an realen Marktgegebenheiten ausrichten. Vielmehr wird die Marktpsychologie eine große Rolle spielen und es ist zu befürchten, dass alleine die Angebotsausdehnung in Osteuropa einen Druck auf die Erzeugerpreise der EU-15 ausüben wird, obwohl osteuropäische Anbieter aufgrund fehlender Vermarktungsstrukturen kurzfristig gar nicht lieferfähig sind. Ähnliches ergab sich in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Dem Aufbau von Marktinformationssystemen auf nationaler und europäischer Ebene kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
 

Die Politik könnte Übermengen über die Anpassung der Prämienstruktur vermeiden

Intensive und extensive Landwirtschaft im Osten nah beieinander: günstig für den Naturschutz, aber was bedeutet das für den Ökomarkt?
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Die EU-Erweiterung darf nicht den Blick auf Anpassungsnotwendigkeiten in der EU-15 bzw. der EU-25 verstellen. Das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot auf einzelnen Öko-Märkten ist in Deutschland, aber auch EU-weit, zu einem erheblichen Teil auf eine nicht ausgewogene Struktur der Flächenprämien zurückzuführen. Die Flächenprämien für Grünland und Sonderkulturen (in Südeuropa) sind offensichtlich ungleich attraktiver für eine Umstellung auf den Öko-Landbau als die Prämien für den Acker- und Gemüsebau. Das Resultat ist, dass europaweit Milch, Rind- und Schaffleisch sowie Wein und Olivenöl aus ökologischem Landbau zu mehr als 25% auf konventionellen Märkten verkauft werden müssen, während es auf der anderen Seite immer wieder zu Angebotsengpässen bei Gemüse, Ölsaaten, Geflügelfleisch und zeitweise auch bei Schweinefleisch und Eiern kam. Wird hier in absehbarer Zeit keine Veränderung an der Struktur der Flächenprämien vorgenommen, so dürften sich durch die EU-Erweiterung die bestehenden Absatzprobleme insbesondere für Öko-Rindfleisch und -Schaffleisch, mittelfristig auch für Öko-Milch noch verschärfen.
Der Angebotsdruck könnte langfristig durch die Agrarreform der EU noch weiter steigen, weil die Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion und die Umlegung der Prämien auf die Fläche eine Begünstigung von extensiv bewirtschafteten Flächen und eine Benachteiligung der bisher intensiv bewirtschafteten Flächen nach sich zieht. Bei sonst gleich bleibenden Bedingungen würde dieses die relative Wettbewerbskraft des Öko-Landbaus stärken. Da jedoch gleichzeitig von sinkenden Erzeugerpreisen für Öko-Produkte auszugehen ist, ist ungewiss, ob die relative Vorzüglichkeit des Öko-Landbaus gegenüber dem konventionellen Landbau steigt und die Agrarreform eine weitere Umstellungswelle auf den Öko-Landbau nach sich zieht.
 

Die Nachfrage wird wachsen - auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Biobauern?

Unabhängig von der Frage, wie stark die Erzeugerpreise für Öko-Produkte unter Druck geraten, gehen aber von einer starken Angebotserhöhung auch positive Effekte für die Nachfrage nach Öko-Produkten aus. Durch sinkende Erfassungs-, Verarbeitungs- und Vermarktungskosten werden die Verbraucherpreise für Öko-Lebensmittel sinken und damit die Nachfrage fördern, was den von der Angebotsseite ausgehenden Preisdruck in Grenzen hält.
Der Öko-Markt wird in den nächsten Jahren ohne Zweifel weiter wachsen. In Deutschland ist der Umsatz mit Öko-Lebensmitteln nach derzeitigem Informationsstand im Jahr 2004 trotz der gesamtwirtschaftlichen Flaute um deutlich mehr als 10% gestiegen. Inwieweit deutsche Öko-Landwirte von dem weiteren Marktwachstum profitieren werden, hängt entscheidend davon ab, in welchem Maße es gelingt, nachhaltige Strategien zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Erzeuger und Verarbeiter zu entwickeln und umzusetzen. Qualitätsmanagement und Kooperationen auf horizontaler und vertikaler Ebene werden hierbei insbesondere für den Absatz an Großabnehmer eine wichtige Rolle spielen. Bislang ist es für deutsche Großabnehmer im Handel immer noch wesentlich einfacher, große homogene Partien aus dem Ausland zu beziehen als aus dem Inland. Immer wichtiger wird auch eine Profilierung von Marken, nicht nur um sich von verbandsungebundenen Öko-Betrieben abzuheben, sondern auch von Anbietern aus dem Ausland.