Lebendige Erde 3/2005:
Hintergrund
Ökolandbau und Biomarkt in Ostdeutschland
Eine Erfolgsgeschichte mit Lücken
von Benjamin Nölting, Martina Schäfer, Nadja Wyrwich
Vergleich des ostdeutschen Öko-Sektors mit Deutschland insgesamt |
Die ökologische Land- und Ernährungswirtschaft startete in Ostdeutschland mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 praktisch vom Nullpunkt. In der DDR gab es offiziell keinen Ökolandbau und Öko-Lebensmittel konnte man nicht kaufen. Dennoch gab es einige Öko-Betriebe, allen voran der Hof Marienhöhe in Brandenburg, der als ältester Demeter-Hof Deutschlands seit 1928 ökologisch wirtschaftet.
Die Wiedervereinigung bedeutete einen völligen Umbruch für die DDR-Landwirtschaft, die in sehr großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) organisiert war. Die Umstellung auf ökologischen Landbau bot für die Betriebe eine Möglichkeit des Neubeginns. Ein wichtiger Grund für die Umstellung waren und sind die ertragsschwachen Standorte im Norden Ostdeutschlands und in den Mittelgebirgen, auf denen nur extensiv gewirtschaftet werden kann. Der Schritt zum Ökolandbau ist klein und die Öko-Förderprämien bieten einen ökonomisch attraktiven Anreiz. Auch nutzten Menschen aus Ost- und Westdeutschland, die schon länger ökologisch wirtschaften wollten oder eine ökologische Lebenseinstellung haben, die Gelegenheit, einen Hof zu pachten oder zu kaufen.
Das Wachstum des Ökolandbaus in den letzten 14 Jahren war rasant, allerdings mit regionalen Unterschieden. Brandenburg war 2003 das Bundesland mit dem höchsten Flächenanteil von 8,8 % und Mecklenburg-Vorpommern hatte mit 12% den höchsten Anteil an Biobetrieben. 42% aller deutschen Ökolandbauflächen lagen 2003 in Ostdeutschland - eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte!
In den neuen Bundesländern ist ein eigener Typus des Ökolandbaus entstanden. Neben vielen kleinen und mittleren Betrieben von Wieder- und Neueinrichtern gibt es einige große LPG-Nachfolgebetriebe, die eine Fläche von 1.000 ha und mehr bewirtschaften. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt in Ostdeutschland bei 157,8 ha und ist deutlich höher als in Westdeutschland mit 29,3 ha (2003). Die ostdeutschen Öko-Betriebe verkaufen ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse vorwiegend in die alten Bundesländer und auf dem europäischen Markt. Die Großbetriebe produzieren effizient und sind mit großen, einheitlichen Partien wettbewerbsfähig. Es gibt aber auch kleinere Höfe, die ausschließlich für regionale Märkte produzieren.
Betrachtet man neben der Erzeugung die Verarbeitung in Ostdeutschland, so tun sich Lücken auf. Dem hohen Öko-Flächenanteil steht eine niedrige Anzahl an Öko-Verarbeitungsbetrieben gegenüber, welche lediglich 14% der deutschen Öko-Verarbeitungsunternehmen ausmachen. Die meisten von ihnen sind kleine Unternehmen wie Öko-Bäcker, Mühlen oder Hofverarbeiter. In der Regel sind die Verarbeitungsschritte einfach und enden bei Halbfertigprodukten wie Mehlen und pasteurisierter Milch. In der ostdeutschen Lebensmittelindustrie gibt es, abgesehen von Sachsen und einigen Betrieben im Großraum Berlin, nur sehr wenige mittelständische Unternehmen mit Öko-Verarbeitung. Die konventionellen Betriebe der Lebensmittelindustrie sind kaum bereit, in die Bio-Produktion einzusteigen. Den Bio-Betrieben fehlen für eine Ausweitung der Produktion oft Kapital, Know-how und Marketingstrategien.
Die Vermarktung von Öko-Lebensmitteln wurde ebenfalls völlig neu aufgebaut. So werden derzeit nur 10% des gesamtdeutschen Bio-Umsatzes in Ostdeutschland getätigt. Das liegt an der geringen Kaufkraft der Bevölkerung, dem ungenügenden Angebot an Bio-Produkten und der größeren Distanz zu "alternativen" Einkaufsmöglichkeiten, gesundheitsbewussten Lebensstilen etc. Bio-Lebensmittel werden zu 40% in konventionellen Lebensmittelgeschäften, also Supermärkten, gekauft - eine Besonderheit des Öko-Einkaufsverhaltens in Ostdeutschland. Naturkostläden, Einkaufsgemeinschaften und Bioprodukte auf Wochenmärkten sind dünn gesät. Lediglich in Großstädten wie Berlin, Leipzig und Dresden gibt es eine befriedigende Auswahl.
Betrachtet man die gesamte Wertschöpfungskette der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft in Ostdeutschland, dann sticht die ungleiche Branchenstruktur ins Auge: Der Ökolandbau ist überproportional vertreten, Verarbeitung und Konsum unterdurchschnittlich.
Dieses Ungleichgewicht, v. a. der Engpass in der Verarbeitung, stellt ein beträchtliches Hemmnis für die ostdeutsche Bio-Branche dar. Allerdings sind zehn Jahre ein relativ kurzer Entwicklungszeitraum für eine neue Branche und der Aufbau der Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen hat begonnen. Das Bundesverkehrsministerium ("Aufbau Ost") unterstützt diesen Prozess mit einem Projekt "Infrastrukturentwicklung und Finanzierung von Biolandbau, -verarbeitung und -vermarktung in den neuen Ländern", in dem zentrale Lücken in den Wertschöpfungsketten identifiziert und geschlossen werden sollen. Mittelfristig wird die Nachfrage nach Öko-Produkten in Ostdeutschland steigen, aber einst weilen bleibt der Export von Agrarrohstoffen das wichtigste Standbein.
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