Lebendige Erde 3/2001:

Höfe & Menschen

Regional und saisonal - Wertschöpfung für die Öko-Branche?

Interview mit Bernward Geier

"Denke global, handele lokal" - Öko-Landbau ist heute eine internationale Bewegung. Ist Öko heute noch regional?
Den IFOAM-Verband gibt es schon seit fast 30 Jahren, d. h. der Öko-Landbau ist schon sehr lange international. Schon vorweg gesagt, Öko ist heute regionaler denn je. Es gilt aber erst kurz zu klären, was wir eigentlich unter Regionalität verstehen. Nahe liegende Assoziationen hierzu sind Heimat, ländlicher Raum oder auch Nachbarschaft. Solch ein Gefühl haben auch die Texaner. Angesichts der Größe von Texas können dort regionale Produkte einen Transportweg vergleichbar zwischen Spanien und Schweden zurücklegen! Oft wird Regionalität mit nationalen Grenzen verbunden. Westpolen ist für Berlin die nächste Region. Oder anders ausgedrückt: Ein Käse aus dem französischen Elsass hat wesentlich mehr regionalen Charakter in Stuttgart, als ein bayrischer Käse in Hamburg. Sicher kommen viele Bio-Produkte heute von weit her. Aber wollen wir dank Gentechnik hier bei uns Kaffee und Bananen anbauen? Solar getrocknete Rosinen aus der Türkei in unserem Müsli scheinen mir sinnvoll. Tatsache ist, dass bei uns tausende von Bio-Bauern ihre Produkte weiterverarbeiten und direkt (ab Hof, Wochenmarkt, Abholservice etc.) und damit auch regional vermarkten. Die Entwicklung des biologischen Landbaus in den sogenannten Entwicklungsländern ist ebenfalls zunehmend begleitet von Initiativen und Erfolgsstories lokaler und regionaler Vermarktung. Ein Paradebeispiel ist hier die biodynamische SEKEM Initiative in Ägypten. Wurden anfangs 80% der Produktion exportiert, sind es heute nur noch 20%. Übrigens sollte der Spruch lauten: "Denke und handele global und regional." Das globale Handeln darf nicht nur der WTO und den multinationalen Konzernen überlassen werden".

Die nationalen Öko-Märkte weiten sich aus zu einem EU-Markt: Liegen in der Regionalität Entwicklungsperspektiven für den Öko-Landbau? Kann Öko heute noch sinnvoll regional sein?
Regionalität ist heute "in" - weit über den potentiellen Verbraucherkreis für Bio-Produkte hinaus. Und dies ist nicht nur ein kurzfristiger Trend. Gerade unsere Naturkostläden sollten mehr und mehr eine Alternative zu den früher weit verbreiteten Kolonialwarenläden werden - nämlich Regionalwaren-Geschäfte. Der Trend hin zum großen Bio-Supermarkt macht diese Aufgabe sicher nicht einfacher. Unsere inzwischen zerstörten Landwirtschafts-und Verarbeitungsstrukturen setzen uns aber Grenzen. Bei uns im Saarland haben wir zum Beispiel noch einen Selbstversorgungsgrad bei Rindfleisch von 20 %! Öko macht immer dann am meisten Sinn, wenn es verbunden ist mit "fair trade" (gerechter Handel), saisonal und regional.

Muß man Verbraucherwünsche "alles, jederzeit" erfüllen, z. B. Bio-Erdbeeren im Winter, Öko-Birnen aus Argentinien?
Die Frage möchte ich aus Verbrauchersicht beantworten. Wir müssen uns alle fragen "Müssen wir wollen?". Mich sorgt weniger die Bio-Erdbeere im Winter (spielt auf dem Markt so gut wie keine Rolle). Auch die importierte Erdbeere aus Spanien oder Italien (egal ob bio oder konventionell) im März oder April ist saisonal nicht "korrekt". Für wen ist eigentlich der Apfel noch ein saisonales Produkt? Eigentlich ist zwischen April und August keine Apfelzeit, denn entweder kommen die Äpfel dann von Südamerika bzw. Südafrika oder sie haben sehr viel Energie in Kühlhäusern verbraucht. Wir können und sollen Verbraucherwünsche auf keinen Fall von oben herab reglementieren, sondern "von unten", d. h. durch Verbraucheraufklärung für die Thematik sensibilisieren und zu saisonalem Verhalten motivieren.

Wie vermittelt man "Regionalität" als Wert?
Regionalität ist ja ein Wert an sich. Würden wir vor allem Transportkosten ökonomisch betrachtet internalisieren (z. B. durch wesentlich höhere Spritpreise), böte Regionalität schon heute einen enormen wirtschaftlichen Vorteil. Es gilt zunächst zu fragen: Was sind uns gute und gesunde Lebensmittel wert. Um den Europaabgeordneten der Grünen und Bio-Bauern Gräfe zu Baringdorf zu zitieren: "Wenn Butter billiger ist als Schuhcreme und Milch billiger als Mineralwasser, haben wir ein echtes Problem der Wertschätzung und der Prioritäten in unserer Gesellschaft". Wenn der Kronkorken auf der Bierflasche mehr kostet als die Braugerste und der Bauer bei einem Brötchenpreis von 60 Pfennigen davon nur 2 bis 3 Pfennige erhält, hat die Landwirtschaft keine Zukunft. Verbraucher, die ohne zu murren 20 Mark für einen Liter Motorenöl fürs Auto zahlen, sollten akzeptieren, dass Salatöl nicht für 3 oder 4 DM zu haben ist. Wie viele Bauern sind froh, wenn sie 10 Mark in der Stunde für ihre Arbeit bekommen. Unsere Gesellschaft hat akzeptiert, dass eine Stunde in der Autowerkstatt 100 und mehr DM kostet - wir sollten nicht akzeptieren, dass wohl die meisten unserer Landwirte nicht einmal ein Viertel dieses Lohnes bekommen. Je mehr wir Verbrauchern den Wert von Regionalität vermitteln können, um so mehr wird auch die Leistung der Landwirtschaft in Zukunft (finanziell) geschätzt werden.

Wie kann der Öko-Landbau vorgehen? Welche Lösungen kann er anbieten?
Wenn der Öko-Landbau die Synergien zwischen ökologisch, regional, authentisch und fair nutzt, kann er die heutzutage sehr vielschichtig motivierten Verbraucher auf breiter Ebene ansprechen. Die katastrophalen Folgen der industriellen Landwirtschaft, die wir heute ausbaden müssen, bieten hier eine gute Ausgangslage. Von Öko-Bauern stark mitgeprägte Innovationen wie Ab Hof Vermarktung, Bauernwochenmarkt, Abo-Kisten-System und auch die Naturkostläden haben große Zukunftschancen und werden auf jeden Fall gebraucht, - auch als Herausforderung für die "Logik und Logistik" der Supermärkte. Veredlung und Weiterverarbeitung der Produkte muss weitmöglichst auf den Bauernhof zu verlagert werden. Ferien auf dem Bio-Bauernhof zeigen auch interessante Perspektiven auf. Die Bio-Bewegung entwickelt sich zudem schon seit Jahren zu einer Bewegung für einen ökologischen Lebensstils. Hier gibt es neue Produktionsalternativen für Landwirte z. B. Kräuter, Blumen, Leinen oder auch die Waldwirtschaft. Seit Jahren wird im konventionellen Bereich das Geld eigentlich nicht mehr in der, sondern an der Landwirtschaft verdient. Dieser Trend muss umgekehrt werden. All dies setzt ein Ändern unseres Konsumverhaltens voraus - dann können unsere Bauern und Bäuerinnen ihre Zukunft in der Landwirtschaft finden und wir werden immer gesunde Lebensmittel und Konsumgüter zur Verfügung haben.

Das Gespräch führte Michael Olbrich-Majer
 

Bernward Geier ist Geschäftsführer von IFOAM, der weltweiten Dachorganisation des Öko-Landbaus mit 730 Mitgliedsorganisationen in 104 Ländern

Ökozentrum Imsbach, 66636 Tholey-Theley