Lebendige Erde 3/2002:

Portrait

Von A(ldi) nach B(io)
Claudia Kalla entdeckt Essen neu

Andrea Buley-Kandzi

"Hauptsache der Hunger ist weg" - nach dieser Devise ernährte sich Claudia Kalla aus Bissendorf bei Osnabrück, bis sie letztes Jahr auf "Bio" umstellte. So aßen die 28-jährige Alleinerziehende und ihr Sohn David, 3 Jahre, früher in der Regel Fertiggerichte. Selbst Gekochtes kam selten auf den Tisch, schon allein, weil es sich nicht lohnte viel Zeit in die Zubereitung von anderthalb Portionen Essen zu stecken. Auch auf das Einkaufen verschwendete sie wenig Zeit, die Lebensmittel kamen irgendwo her. Wichtig war nur, dass alles schnell ging: Einkaufen, Zubereiten, Essen. "Trotzdem war ich mit der Situation total unzufrieden, denn ich fühlte mich körperlich nicht wohl", ergänzt sie. Der berufstätigen Mutter fehlte der feste Tagesablauf mit geregelten Mahlzeiten . Doch es mangelte der Antrieb, etwas zu verändern.

Mit den ersten Lebensmittelskandalen jedoch kamen Claudia Kalla auch die ersten "diffus-negativen Gefühle" beim Einkauf von Fleisch. "In dem Moment, wo ich vor der Kühltheke stand, fiel mir immer irgend etwas Ekliges zu Fleisch ein", erinnert sich die junge Frau. Mit dem ersten BSE-Fall in Deutschland im Dezember 2000 fiel dann die Entscheidung: "Rindfleisch wird vom Speisezettel gestrichen." Mit der Maul-und-Klauen-Seuche ein paar Monate später verging ihr endgültig die Lust auf Fleisch. Aufgerüttelt und verunsichert durch die Ereignisse drehten sich im Bekanntenkreis die Gespräche zunehmend um die Frage, wie man seine Ernährung angesichts der Lebensmittelskandale verändern sollte. Nun wurde Claudia Kalla zum ersten Mal auf "Bio" aufmerksam. Eine Bekannte brachte sie dazu, die Abo-Kiste eines Bio-Gemüseerzeugers auszuprobieren. Und es schreckte sie nicht einmal das "Preisproblem", wie sie die Preisdifferenz zwischen konventionell und ökologisch erzeugten Waren nennt, das sie zugegebenermaßen nur vom Hörensagen kannte. Die Abo-Kiste vertrug sich gut mit ihrem Tagesablauf, denn sie musste nur per Internet bestellen, die Kiste kam alle 14 Tage ins Haus - Zubereitungstipps inklusive - , bezahlt wurde per Lastschrift. Einkauf ohne großen zeitlichen Aufwand.
 

Teurere Lebensmittel genießen in der Regel eine höhere Wertschätzung. So war es auch bei Claudia Kalla. Die Biologin und ihr Sohn mampften Biomöhre und -brot nicht mehr einfach in sich hinein, sondern bereiteten ihre Öko-Lebensmittel mit viel Liebe zu. Die Mahlzeiten wurden in Ruhe verspeist und schmeckten prima . "Ein Fest der Sinne" schwärmt Frau Kalla. Essen verband sie ab sofort mit Genuss und einem guten Gewissen, ein komplett neues Lebensgefühl. "Dieses Erlebnis wollten wir uns öfter gönnen." Deswegen ergänzt sie die Abo-Kiste seit Sommer 2001 durch einen wöchentlichen Einkauf auf einem Biohof in ihrer Nähe. Dort bekommt sie nicht nur alles, was sie für das tägliche Leben benötigt, sondern das Einkaufen macht inzwischen sogar Spaß. Und David begleitet seine Mama gern, denn er kann Schafe, Schweinchen und Katzen bestaunen. Nur einige Produkte, die es im Hofladen nicht gibt oder ihr dort zu teuer sind, wie beispielsweise Bio-Butter oder H-Milch, kauft die junge Frau bei einem Supermarkt mit Bio-Ecke ein. Zu ihrer großen Freude weitet sich auch dessen "Grünes Sortiment" immer weiter aus.
 

Die höheren Preise der Bio-Produkte fängt Claudia Kalla vor allem durch den stark eingeschränkten Fleischkonsum wieder auf. "Auch wenn ich mich an das höhere Preisniveau gewöhnt habe, bleibt meine Schmerzgrenze bei einem Preis von 100% über dem für die konventionelle Ware." Die guten Erfahrungen mit den ersten Öko-Lebensmitteln haben dazu geführt, dass sie gern neue Produkte ausprobiert. Auf diese Weise tastet sie sich neugierig immer weiter in das Naturkost- und Naturwarenangebot hinein. Was ihr allerdings sowohl in dem kleinen Hofladen wie auch in der Bio-Ecke des Supermarktes fehlt, ist eine größere Auswahl an Convenience-Produkten. Obwohl sie diese Lebensmittel nur noch selten benötigt, hält sie den kompletten Verzicht auf vorgefertigte Produkte aus familiären Gründen für unrealistisch. Die größeren Bioläden im rund 15 Kilometer entfernten Osnabrück, die dieses Angebot hätten, gehören bisher nicht zu ihren Einkaufsstätten.
 

Die Erfahrungen in ihrem ersten "Bio-Jahr" beurteilt die Norddeutsche überaus positiv. Die hohe Qualität der Bioprodukte ist für sie durch den eindeutig besseren Geschmack direkt erlebbar. Ihr Vertrauen in Bioprodukte ist groß, wobei sie sehr genau auf den Aufdruck der Ökokontrollstellennummer auf der Verpackung achtet. Für die Label der einzelnen Anbauverbände interessiert sie sich jedoch wenig. Das neue offizielle Biosiegel, das im Rahmen der Agrarwende aufkam, findet sie sehr hilfreich. Am meisten freut sich Claudia Kalla über die radikal veränderten Gewohnheiten im Hinblick auf die Essenszubereitung und den -verzehr. Inzwischen lädt sie sich sehr gern Freundinnen ein, mit denen gemeinsam gekocht und später auch geschlemmt wird. Das macht allen Spaß und hat zur Folge, dass inzwischen auch schon einige ihrer Freunde mit "Bio" infiziert sind.