Lebendige Erde 3/2000:

Portrait

Ich werde Demeter-Bäuerin - Drei junge frauen im Portrait

Renée Herrnkind

Christine Haberlach: Das Studium für die Lebenserfahrung - die Hofarbeit für eine bessere Zukunft
  "Wenn ich auf dem Schlepper sitze und durch die Gegend fahre, weiß ich ganz klar, niemals könnte ich im Büro arbeiten. "Christine Haberlach erlebt Glücksmomente in ihrem Traumberuf Demeter-Bäuerin sehr bewusst. Die 27-jährige Diplom-Landwirtin aus dem hessischen Vogelsberg ist nach dem Agrar-Studium seit Sommer 1999 auf den elterlichen Betrieb in Heimertshausen in der Nähe von Alsfeld zurückgekehrt. Alfred und Hannelore Haberlach bewirtschaften die 70 Hektar schon rund 20 Jahre biologisch-dynamisch. "Ich bin mit Präparate-Rühren und im Iandwirtschaftlichen Alltag groß geworden", berichtet die junge Frau. Mit ihrer Schwester Judith, die Landwirtschaftlich-Technische Assistentin ist und zur Zeit in Berlin lebt, wird Christine Haberlach den Hof weiterführen. "Das ist für mich ganz wichtig, dass wir das zusammen machen."
  Ihr Berufsziel Demeter-Bäuerin hatte Christine schon früh vor Augen - "nach dem eher trotzigen Opponieren und dem Motzen wegen der vielen harten Arbeit hat sich das schnell relativiert". So besuchte sie bereits das berufliche Gymnasium mit dem seltenen Schwerpunkt "Agrar" in Alsfeld. Da wurde ich als 'Öko' schon schief angeguckt", erinnert sie sich. Die älteste Tochter der Haberlachs ging dann nach Göttingen und wechselte schließlich nach Witzenhausen, weil dort die ökologische Landwirtschaft im Studium eine wichtigere Rolle spielt. "Biologisch-dynamische Wirtschaftsweise kam da allerdings kaum vor, eher die organische Ausrichtung. Inzwischen hat sich das wohl etwas geändert. Für uns blieb nur der Austausch untereinander als Studenten, auch das war wichtig und bot mir die Chance der inhaltlichen Auseinandersetzung."

Abb. 1: Keine Scheu vor Maschinen - das ist selbstverständlich!

 

Verantwortung für den Hof tragen, damit es gut weiter geht
  Das Praktikum absolvierte Christine Haberlach auf einem Bioland-Betrieb, den ihr Onkel führt. "Da konnte ich zusätzlich noch auf unserem Betrieb einspringen, denn dort wird jede Arbeitskraft gebraucht, gerade im Sommer." Haberlachs haben 35 Milchkühe, darunter das vom Aussterben bedrohte Rote Höhenvieh, das traditionell in Vogelsberg heimisch ist. Neben Getreide wird vor allem Feldgemüse angebaut, ein arbeitsaufwendiger Betriebszweig. "Die Vermarktung ist gut geregelt, wir geben eigentlich alles an die Demeter-Felderzeugnisse ab", schildert die Jung-Bäuerin den Vertriebsweg. Die Milch wird im benachbarten Altenschlirf verkäst.
  "Nein, meine Eltern haben mich nicht direkt beeinflusst bei meiner Berufswahl. Aber ich spüre schon die Verantwortung und nehme mich selbst in die Pflicht, damit es hier gut weitergeht", beantwortet die Nachwuchs-Bäuerin die nahe liegende Frage. Der †bergang von der Uni in den Hofalltag war für sie geradezu nahtlos - "ich war ja nie richtig weg, kam immer zum Mitarbeiten auf den Hof, habe jede Semester-Ferien hier verbracht, war auch in Gedanken viel daheim dabei". Die Arbeiten werden jetzt aufgeteilt zwischen dem rüstigen und immer noch aktiven Großvater, Mutter Hannelore, Vater Alfred und eben Christine. "Wir setzen uns meist am Abend zusammen und planen, was am nächsten Tag ansteht und wer was macht." Im Winter ist Christines Alltag etwas ruhiger. Die gewonnene Zeit wird für Reparaturarbeiten genutzt, die Vater und Tochter gemeinsam erledigen. "Die Zusammenarbeit ist angenehm", kommentiert sie und bereitet das Melkzeug vor, während Alfred die Euter säubert. "Die körperliche Belastung ist manchmal schon hart, gerade im Sommer beim Hacken, was ja schon immer Frauenarbeit war", benennt Christine Haberlach einen Knackpunkt und wünscht sich die Arbeit manches Mal etwas "frauenfreundlicher". Die Rundballen auf dem Heuboden - ohnehin schon die kleinstmögliche Größe - könnte sie ohne Hilfe allein nicht bewegen, "da bräuchten wir wohl noch eine weitere Krananlage". Mit der Maschinenarbeit kommt sie gut klar, Berührungsängste gibt es da nicht.

Abb. 2: "Niemals könnte ich im Büro arbeiten... "
Christine Haberlach schätzt die Arbeit in der Landwirtschaft.

 

Ein Wunschtraum: Ökodorf Heimertshausen gründen und mehr Austausch haben
  Christine profitiert sichtbar von der jahrelangen Mitarbeit, sie kennt sich in allen landwirtschaftlichen Bereichen des Hofes bestens aus. Was hat ihr das Studium eigentlich gebracht? "Das ist eine gute Frage. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich studiert habe. Wohl am ehesten, um mal rauszukommen aus der täglichen Arbeit. Inhaltlich kann ich gar nicht sagen, was es mir wirklich gebracht hat. Aber ich habe eine Menge Lebenserfahrungen gemacht, viele neue Freunde gewonnen, die meist auch noch gute Kollegen sind. Davon zehre ich noch immer."
  Die relative Isolation im tiefen Vogelsberg, das Beschränktsein auf die Familie, ist Christines einziger Wermutstropfen. "Die wichtigste Frage ist für mich deshalb auch, wie wird es in Zukunft hier weitergehen? Allein auf dem Hof zu leben und rundum niemanden zu haben, mit dem ich mich austauschen kann, das wäre mir zu wenig." Schon die Diplom-Arbeit gab diesen Gedanken Raum: "Sozio-kulturelle Umbrüche dörflichen Lebens an Hand des Beispiels von Heimertshausen" waren das Thema. "Da haben meine Gefühle eine wichtige Rolle gespielt, teilweise konnte ich sie so auch gut bearbeiten." Die Perspektive, dass ihre Schwester Judith zurückkommt und die beiden Frauen gemeinsam den Haberlach-Hof führen, beruhigt sie schon sehr. "Mein großer Traum ist aber, Heimertshausen so Zug um Zug in ein richtiges Öko-Dorf umzumodeln." Damit wäre für genug Anregung gesorgt, die Christine Haberlach auch in der inhaltlichen biologisch-dynamischen Arbeit sieht. "Der geistige Horizont engt sich schon auf den Hof ein, da fehlen mir oft die Anregungen von Menschen, die an anderen Entwicklungspunkten stehen. Solche Erlebnisse wie die Teilnahme an der landwirtschaftlichen Tagung in Dornach sind dann richtige Highlights, von denen ich lange zehren kann".
  Durch die Mitarbeit im BUND setzt Christine auch andere gesellschaftlich relevante Akzente. Nun überlegt sie, ob ein Engagement bei den Grünen für sie richtig sein könnte - Vater Alfred ist übrigens, damals wegen des Bundeswehr-Einsatzes auf dem Balkan ausgetreten. Dann hätte die engagierte junge Frau vielleicht ein weiteres gutes Podium, für ihre †berzeugung zu werben: "Demeter- Bäuerin ist wirklich ein wichtiger Beruf. Hier spüre ich, was das Leben wert ist, daraus schöpfe ich Kraft. Wir arbeiten mit der Erde, wirken positiv für die Menschen. Aus der sinnvollen Arbeit erwachsen Lebensmittel, die gesund sind und gut tun. Für diese Arbeit möchte ich belohnt werden, nicht nur mit Geld, sondern auch mit Anerkennung."

 

Wichtigstes Motiv für die landwirtschaftliche Lehre: Etwas Sinnvolles tun und sich selber neu kennen lernen
  5.10 Uhr, Sonja Paulssen geht über den dunklen Dottenfelder Hof in Richtung Milchkammer. Der Stall-Arbeitstag beginnt für die Auszubildende in der Landwirtschaft immer zu so früher Stunde. Heute kann sich Sonja über den sternenklaren Himmel und die angenehme Stille freuen. "Manchmal fällt es mir schon schwer, so früh fit zu sein und einige Male habe ich sogar verschlafen. Es hat lange gedauert, bis ich in dem Rhythmus war", erinnert sie sich. Die 21-Jährige hat im August 1999 die Ausbildung begonnen und sich zunächst für den Bereich Stall entschieden.

Abb. 3: "Was Praktisches lernen" - auch die Beziehung zu den Tieren gehört dazu.

  Auf dem Dottenfelder Hof am Rande der hessischen Kurstadt Bad Vilbel sind 80 Milchkühe zu versorgen. Die Milch wird überwiegend direkt verkäst. Melken, füttern, pflegen gehören zum Alltag der drei Stall-Mitarbeiter, die Sonja rasch integriert haben. Routiniert spült sie das Melkgeschirr, rüstet die Kühe an und sorgt mit dafür, dass das Melken um 7.30 Uhr beendet ist. Zeit für die Arbeitsbesprechung der vom Stall mit den Gärtnern und denen von der Außenwirtschaft - und für das Frühstück. Ausmisten, füttern, einstreuen und die Kühe reinbringen in den Stall bzw. raus in den Auslauf oder auf die Weide prägen dann den Tagesablauf.
  Nach dem Abitur war für Sonja nur eins klar gewesen: "Ich will etwas Praktisches lernen." Zur Landwirtschaft kam die Saarbrückenerin eher durch Zufall. Ein Praktikurn auf dem Dottenfelder Hof überzeugte sie. "Das biologisch-dynamische hat mir zugesagt," erinnert sich die ehemalige Waldorfschülerin. Zwei Jahre Ausbildungszeit, wie sie in der freien Ausbildung des "Dotti" üblich sind, fand Sonja einen überschaubaren Zeitraum, das Gemeinschaftsleben interessierte sie. "Ich merke, dass ich mich für die Landwirtschaft begeistere und mir auch vorstellen kann, später mal selber einen Hof zu führen oder in der Landwirtschaft zu leben", erzählt sie.

Abb. 4: Stalldienst - etwas für Frühaufsteher:
Sonja Paulssen lernt auf dem Dottenfelder Hof

 

Fitnesstraining inbegriffen
  Das ist bei Judith Sander anders. Die 22-jährige Berlinerin machte ihr Abitur an einem Naturwissenschaftlichen Gymnasium und wollte dann nicht einfach studieren um des Studierens Willen. Nach dem Freien Jugendseminar in Engen und einem Freiwilligen Sozialen Jahr im anthroposophischen Kinderheim Burghalde in Unterlengenhardt entschied sie sich für die landwirtschaftliche Ausbildung auf dem Dottenfelder Hof. Die Arbeit macht ihr Freude, aber "ob ich nach der Ausbildung in diesem Beruf bleibe, ist noch nicht klar."
  Ihre erste Station ist jetzt die Außenwirtschaft. Wie Sonja musste auch Judith in die ungewohnte körperliche Anstrengung erst hineinwachsen - buchstäblich, denn inzwischen haben die beiden deutlich mehr Muskeln als noch in der Schulzeit. Es ist eine erhebliche Umstellung, auf einmal den ganzen Tag draußen zu sein und zu lernen, mit seinen Kräften hauszuhalten. "Für Judith beginnt der Arbeitstag um 6.30 Uhr mit der Fütterung der Rinder, die wie die Schweine zur Außenwirtschaft gehören. Die morgendliche Arbeitsbesprechung findet mit denen vom Stall und vom Gemüsebau gemeinsam statt. Im Winter wird anschließend eine halbe Stunde lang an inhaltlichen Themen gearbeitet oder Eurythmie angeboten. Da treffen dann Menschen aus anderen Bereichen wie Laden, Käserei, Bäckerei zusammen. In den weniger arbeitsintensiven Monaten November bis Januar wird Brennholz für das Backhaus gemacht, für die Vermarktung sortiert und verpackt oder Maschinen und Gebäude instand gesetzt, wie zum Beispiel in diesem Jahr das Dach über der Getreideannahme. Ab dem Frühjahr bis zum späten Herbst dann geht es beim Pflügen, Säen, den Pflegemaßnahmen und der Ernte darum, die Feldarbeiten zu erfahren und zu erlernen. "Dabei sind die Annäherung an die Naturerscheinungen und ihr Verständnis wichtige Aspekte, da sie die Entscheidungsgrundlage für die zu wählenden Maßnahmen bilden", betont Judith. Je nach Arbeitserfordernis und Ausbildungsstand arbeiten die Lehrlinge selbstständig oder gemeinsam.

 

Das Wichtigste: die Zusammenarbeit mit Menschen
  Die Zusammenarbeit mit den Menschen auf dem Hof findet Judith ohnehin am interessantesten bei ihrer Arbeit. "Hier in der Gemeinschaft arbeitet die Landwirtschaft noch direkt für die Hofverarbeitung und die Vermarktung, das war mit ausschlaggebend für meine Entscheidung, hier die Ausbildung zu machen." Bedeutung hat für die 22-jährige zudem, "dass ich mich hier ganz anders kennen lerne. Es gibt hunderttausend neue Situationen, in denen ich mich frage, wie kann ich es machen."
  Für Sonja ist es schön, während der täglichen Arbeit zu beobachten, wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Tier entwickeln kann. Sie lernt zu erkennen, wann ein Tier kränkelt, wie zu helfen ist und durfte bereits etliche Geburten miterleben. Zum ersten Mal war Sonja jetzt auch beim Schlachten dabei. "Es war für mich eine ganz neue Erfahrung, den †bergang eines lebenden Tieres zu einem Stück Fleisch mitzuerleben. "Nervig findet sie ab und an die Routine - "jeden Tag muss eben alles gemacht werden" - und die Belastung durch die enge Personaldecke. Täglich arbeitet sie von 5.15 bis zum Feierabend nach dem zweiten Melken so gegen 18.30 Uhr mit drei Pausen und das fünfeinhalb Tage in der Woche. Alle drei Wochen haben die Azubis Wochenenddienst, einmal pro Woche Lehrlingsabend, bei dem aktuelle Themen besprochen werden, und wöchentlich Unterricht nach Lehrplan, der um die biologisch-dynamischen Aspekte bereichert ist. Auch das staatliche Berichtsheft wird geführt und Feldbegehungen gehören selbstverständlich zum Programm. "Wir schließen nach zwei Jahren mit einer Prüfung ab, können die staatliche Prüfung in Hessen jedoch erst nach weiteren zwei Jahren Praxis machen", erklären die beiden Lehrlinge, die auch die staatlichen Lehrgänge zu Pflanzenproduktion, Düngung, Tierproduktion und Gerätetechnik absolvieren müssen. Das ist jetzt noch Zukunftsmusik. Was in der Gegenwart zählt, ist das Erlernen des bäuerlichen Handwerks von der Pike auf mit all den kleinen und großen täglichen neuen Herausforderungen.

Abb. 5: Arbeitsbesprechung auf dem Dottenfelder Hof