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Lebendige Erde 3/2001:PortraitDer Kirchhof - Keimzelle für dörfliche Entwicklung
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Auserwählt unter 570 Dörfern für das Expo-Projekt![]() Natürlich hat die Expo einen Schub gegeben - aber umgekehrt war die Expo-Teilnahme nur möglich, weil die Gemeinde bereits einiges vorzuweisen hatte. Das Amt für Regionalentwicklung, wie es damals noch hieß, wählte aus 570 hessischen Dörfern gezielt Oberellenbach als externes Expo-Projekt. Im ehemaligen Zonenrandgebiet, wo Fuchs und Has' sich angeblich Gute Nacht sagen, waren die Menschen gewohnt, auf eigene Initiative hin zu gestalten. Die Dorferneuerung war entsprechend gut vorangetrieben worden, alle Fördermittel der Landesagrarverwaltung waren vervielfacht worden durch die Aktivitäten der Einwohner, die mehrere Millionen DM investierten. Schmuck zeigt sich das Dörfchen, das zur Großgemeinde Alheim gehört und 50 Kilometer südlich von Kassel liegt. Rotenburg und Bebra sind die nächstgrößeren Kommunen, drei Kilometer entfernt ist der Bahnhof Heinebach. Ohne Auto ist es schwer, hier wegzukommen, aber die Zugverbindungen sind dann richtig gut, selbst nach Frankfurt. Zum Kindergarten fahren die Kleinsten zwei Kilometer, zur Schule vier und später dann elf. Nachmittags spielen sie auf den gepflasterten Straßen, toben um die Fachwerkhäuser mit Blumenschmuck und gepflegten Gärtchen, stehen wie überall am Wartehäuschen der Buslinie, rauchen und überlegen, wo was los sein könnte. Die Dorf-Gaststätte ist eher etwas für die Erwachsenen, die sich zum Bier treffen. Vereinsleben findet hier im Dorfgemeinschaftshaus statt - oder im Gemeinderaum der Kirche unterhalb des Kirchhof. Die ältesten Dorfbewohner sind besonders glücklich, dass vor zwei Jahren in Eigeninitiative der Dorfladen die Lücke schloss, die selbst der Hofladen des Kirchhof gelassen hat. |
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Den Dorfladen betreibt das Dorf![]() Engagement und Kooperation sind sicherlich Schlüsselbegriffe für die aktive Zukunftsgestaltung in und um Oberellenbach. Die Vernetzung war den Hannigs von Anfang an wichtig. "Als wir herkamen, haben die Bauern, die kurz vor dem Aufgeben waren, schon skeptisch geguckt, wenn wir als Laien Heu geladen haben. Sie haben aber auch gesehen, dass wir uns für keine Arbeit zu schade waren, richtig hart angepackt haben und dass wir auf den Rat der erfahrenen Menschen im Ort gesetzt haben." Nachbarschaftshilfe war damals selbstverständlich - und ist es geblieben. Sie beschränkt sich nicht auf das unmittelbare Umfeld, sondern wurde schon 1985 mit der Gründung des Vereins für biologisch-dynamischen Landbau erweitert. |
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Verein, KG und ein Beteiligungsmodell sichern den Kirchhof![]() Der Grundbesitz ist also Vereinseigentum, die Geschäfte des Hofes liegen in den Händen der Betriebsgemeinschaft, zu der zwei Familien gehören. Christine Pilz mit ihren Töchtern war als Ziegenfrau 1990 dazugekommen und managt inzwischen souverän die 100köpfige Ziegenschar, die reichlich Milch für leckere Ziegenkäse-Spezialitäten liefert. Den Stall teilen sich die kleinen Wiederkäuer mit den Kühen - zur Zeit sind es 43. "Wir haben uns spezialisiert, halten Ziegen und Kühe mit entsprechender Nachzucht, bauen Back- und Futtergetreide an, verarbeiten die Milch in der Hofkäserei und haben eine eigene Bäckerei." Im großen Bauerngarten wächst, was täglich frisch auf den Tisch der großen Gemeinschaft kommt, die sich zum Mittagessen in der gemütlichen Küche versammelt. |
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Die teuersten Arbeitsplätze sind die in der Landwirtschaft![]() "In der Landwirtschaft gibt es die wohl teuersten Arbeitsplätze überhaupt," meint Hannig. "Für Grund und Boden, Maschinen, Gebäude und das Vieh ist einfach ein enormer Kapitalbedarf nötig." Auf einem normalen 100 ha Hof, der vielleicht drei Mio. DM wert ist, arbeiten im Schnitt 1,5 bis 2,5 Menschen. Da ist der Verein als Konstrukt ein guter Ansatz, die Lasten zu verteilen und Kapital aus dem städtischen Bereich zu akquirieren. Außerdem bietet es einen Lösungsansatz für die Frage der Nachfolge: Da das Kapital sozusagen neutralisiert ist, wird kein Blutsverwandter (Sohn/Tochter) benötigt, um den Hof weiterzuführen. Der Hof kann sich seine Nachfolger suchen. Der Kirchhof hat zudem eine KG gegründet, in der es drei Komplementäre - die Betriebsleiter (Vollhafter) - und 19 Kommanditisten gibt, die jeweils mit ihrer Einlage haften. "Das ist eine rege Truppe; die berät, entscheidet und kümmert sich wirklich um viele Belange." Und sie hatte reichlich zu tun, denn die EXPO forderte und förderte eine rasante Entwicklung auf dem Kirchhof. So wurden der neue, sehenswerte Stall gebaut, die Käserei und der Käsekeller. Der Verein hat in den letzten Jahren über zwei Millionen Mark investiert - da machen sich die 700 000 Mark Schulden geradezu bescheiden aus. Wer weder im Verein noch in der KG aktiv ist, kann sich über einen Landwirtschafts-Fonds am Kirchhof und seinen Aktivitäten beteiligen. Man kann Fonds-Anteile erwerben, die verzinst werden, wobei der Ertrag in Naturalien ausgezahlt wird: Unser Zins ist Käse! So lautet das kecke Motto, mit dem auf diese Beteiligungsmöglichkeit hingewiesen wird. ![]() In ihrer neuen Heimat genau in der Mitte Deutschlands zeigt sich die Entwicklung, die daraus entstehen kann. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für viele haben sich ganz konkret verbessert. Landflucht ist in Oberellenbach kein Thema mehr, der dörfliche Strukturwandel konnte positiv beeinflusst und ein schonender Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen erreicht werden, die Chancen für die Zukunft sind gut, die Arbeit bleibt spannend - gut, dass der Kirchhof im Dorf geblieben ist. |