Lebendige Erde 6/2001:

Portrait

Der Bauernhof als Netzwerk
Der Schepershof: Landwirtschaftsgemeinschaft mit offenen Türen

Michael Olbrich-Majer

   Hier kocht der Bauer. Ludger Weiligmann ist der Mann für die Kühe und den Käse. Heute steht er in der Küche und bereitet am Vormittag für siebzehn Mitesser Salat, Panhas und Apfelmus vor. Auf dem Schepershof ist jeder mal dran mit dem Kochen. Gleich um elf kommen alle zum Vormittagskaffee zusammen, der muss auch noch schnell gebrüht, der Tisch gedeckt werden. Alle, das sind heute ein paar weniger, trotz der vier Waldorfschülerinnen, die helfen, Zwiebeln zu sortieren. Die Lehrlinge haben zum Teil Berufschule, und der Bauer für den Acker, Eilert Caspers, ist eine Woche im Urlaub: der Regen und die Betriebsgemeinschaft machen es möglich. Die Arbeit geht trotzdem weiter.

Der Schepershof ist weniger ein Hof unter einem großen Dach, sondern eher ein kleiner Weiler. Acht, neun Gebäude gruppieren sich mal enger, mal weiter zwischen Löschteich, Windrad und Obstwiese, so dass ein einladender Innenraum entsteht. Schön bepflanzt am Eingang und vor dem Hofladen, eine Schaukel auf dem Rondell zwischen Stall, Scheune und dem großen Wohnhaus, Bänke vor der Küche, lauschig abschirmende Pflanzung vor der Veranda. Hier wird nicht nur Vieh getrieben, werden nicht nur Geräte bewegt, hier gibt es Wege, die den Menschen vorbehalten sind.

Hof mit Windrad:
Ökologie nicht nur auf dem Hof

 

Eine Gemeinschaft ergänzt sich
  Voll dabei oder nebenbei, die Mitglieder der Betriebsgemeinschaft sind verschieden tief drin im Hofgeschehen. Da sind die Caspers, Andrea und Eilert, mit ihren fünf Kindern, vor achtzehn Jahren hier eingestiegen. Damals löste sich die Erstbesetzung des 1979 auf Demeter umgestellten Hofes gerade auf, es blieb Christiane Pyko. Die kümmert sich heute um Garten und Gemeinschaftshaushalt, Eilert um die Felder, die Schweine, die Hühner und seine Frau macht Wurst, verkauft Fleisch. Das und das Führen des Hofladens teilt sie sich mit Rosi Koch-Brüne, die zusätzlich immer eine Person in Rehabilitation betreut. Ludger Weiligmann kümmert sich um Kühe, Käse, Kompost und Grünland. Es gibt sogar einen Mann für Maschinen und Bauten, Keno Wolff. Der macht aber auch die Abokiste zusammen mit dem Gärtner und packt an, wo es passt. Die Gemüsegärtnerei findet einen Kilometer entfernt statt, auf dem Hof Im Sondern. Martin Grützmacher ist gleichzeitig der zweite Verantwortliche für die Abokiste, seine Frau Waltraud, im Hauptberuf Tierärztin, hält die Schafe. Aus der Betriebsgemeinschaft auf´s Altenteil gewechselt sind nach langer Mitarbeit die Lückes. Am Anfang hat Dirk Lücke neben der Geschäftsführung seiner familieneigenen Verpackungsfirma täglich die Kühe gemolken, war zunächst Landwirt im Nebenerwerb, mal mehr, mal weniger intensiv. Heute pflegt er die Obstbäume und die Kräuterbeete und kümmert sich ums Windrad.

 

In dieser Landwirtschaft kann jeder mitmachen
   Das ist eindeutig das Motto der Gemeinschaft auf dem Schepershof. Vollzeitbauern arbeiten hier mit Nebenerwerblern und Freitagsgärtnern zusammen, Bauernfamilien leben hier mit Hobbybauern gemeinsam, Ältere und Jüngere tragen Verantwortung und immer kommen Besucher. Regelmäßig dabei ist Jürgen Nienhaus, der mit Dirk Lücke den Kräutergarten hegt und daraus Futterzumischungen für die Tiere bereitet. Andreas Gesell, Kaufmann aus Wuppertal, kommt meistens Samstagsmorgens mit seinen zwei Söhnen vorbei und macht weniger augenfällige Arbeit, schippt die Gräben aus oder streicht die Tür zur Milchkammer. Im Gemüse sitzt heute und noch einige weitere Tage eine Gruppe von Autisten mit ihren Betreuern, regelmäßig sind Waldorfschüler einzeln oder in Gruppen zu Besuch. Gerade ruft ein Kindergarten an, wie das mit dem Ernten diese Woche sei. Nachbarn ziehen mit zwei Ponys und Kindern übers Hofgelände. Für Gäste und Stadtflüchtlinge, die ein paar Tage bleiben, gibt es eine eigene Wohnung. Auch ein Forscher kommt immer wieder, Gotthard Stielow, der zur biologisch-dynamischen Düngung und Qualität forscht. Und dann sind da ja noch die Kunden, manche melden sich sogar ab, wenn sie verreisen. Natürlich gibt es auch Hofführungen – nach Anmeldung – und Feste. „Resonanz zu bekommen ist uns wichtig” stellt Andrea Caspers fest, ein großer Kreis verbindet und trägt. Jeder nach seinem Interesse und seinen Möglichkeiten, das gilt auch für die dem Hof zugrunde liegende Wirtschaftsform, die Landwirtschaftsgemeinschaft. Organisiert als Gesellschaft mit atypischen stillen Beteiligungen, kann man sich sowohl finanziell als auch durch Arbeitsverpflichtung einbringen. Gemeinsam werden Gewinn oder Verlust getragen.

Die Gemeinschaft der Werkenden steht wiederum im Rahmen des Vereins, der gemeinnützigen Gesellschaft Schepershof, die Eigentümer von Grund und Boden, Gebäuden und Inventar ist, sozusagen die Gemeinschaft der Investoren. Denn von den zur Zeit 43 Mitgliedern werden Dinge wie der Bau des Kuhstalls oder Abokistenverpackung oder Dachsanierung entschieden. Der Schepershof ist im wahrsten Sinne offen für Menschen – eine Alternative zur sogenannten gläsernen Produktion mit ihrer Tendenz zur Überwachung

Gemeinsam macht Landwirtschaft Spaß:
die Hofgemeinschaft 1999

 

Der Hof als Unternehmensgeflecht
   Aufgeschrieben und dokumentiert muss übrigens sowieso fast alles werden, sei es für die EU-Kontrolle, die Demeter-Anerkennung oder für die Steuer. Zum Beispiel werden vom landwirtschaftlichen Betrieb Schweine- und Rinderschlachtkörper an den Laden verkauft, die dann weiter verarbeitet werden. Der Laden ist, ebenso wie die Betriebsgemeinschaft, die Abokiste und das Windrad als GbR verfasst. Um die Waren und Zahlungsflüsse innerhalb der verschiedenen Wertschöpfungsquellen übersichtlicher zu halten, werden die Hoferzeugnisse als Shop im Shop verkauft, Pächter sind Ladner und Hofgemeinschaft gemeinsam. Jeder ist für die Kontierung der Ausgaben in seinem Arbeitsbereich verantwortlich, die Frau von Dirk Lücke, Liesel, erledigt die Überweisungen und bereitet alles für den Steuerberater vor. So haben alle auch ihre Zahlen vor Augen, der Betrieb wird gemeinsam durchschaut.
   Alles in allem klingt das ein wenig kompliziert, ein Hof, organisiert wie eine Holding, doch nur so gibt es klare Verhältnisse. Auch untereinander. So kann man auch feststellen, dass die Urproduktion nur wenig zu den Einnahmen des Betriebs beiträgt, erst die Veredelung macht es. Immerhin: im letzten Jahr konnten die Einlagen in die Landwirtschaftsgemeinschaft mit 2% verzinst werden und das Vermögen des Vereins ist seit der Gründung stattlich angewachsen.

 

Nicht alles selber machen...
   Doch das Netzwerk ist längst erweitert. Man muss ja nicht alles alleine machen. Kooperation hilft Verantwortung teilen, ermöglicht Entwicklungsschritte für den Betrieb, bindet in einen größeren Zusammenhang ein und federt so ab. Zum Beispiel der gemeinsam mit vier anderen Höfen betriebene Talhandel, über den die Höfe ihre Erzeugnisse neben den jeweiligen Hofläden absetzen, organisiert von Winnie Winter. Oder Gebäude und Fläche von Hof Fahrenscheidt, den die Betriebe gemeinsam nutzen, um Schulklassen im Praktikum unterzubringen, aber auch für Seminare und Feste. Mit dem Örkhof teilt sich Ludger Weiligmann eine angestellte Teilzeitkraft, Anette Westhusen, die Käse und Yoghurt macht. Das entspannt die Arbeitssituation und ist effektiv. Auch Arbeit abgeben muss man können. Torsten Renz, Landschaftspfleger und Student, wird, cofinanziert vom Kreis Mettman, dafür bezahlt, dass er Hecken, Bäume und Zäune anlegt und pflegt. Mehrere 630-Mark-Kräfte helfen im Laden und bei der Abokiste. Die telefonische Aboannahme ist ausgelagert, das macht die Schwester von Martin Grützmacher, dem Gärtner. Auch Maschinen nutzen die Höfe gemeinsam, in Form einer sogenannten Bruchteilgemeinschaft als GbR. Die heisst nicht wegen des (vermeintlichen) Zustands der Geräte so, sondern wegen der anteilig zur Nutzung bemessenen Kosten, nicht jeder braucht jedes Gerät – mal teilen sich drei, mal alle fünf Höfe eine Maschine. Dazu gehören z.B. der Lieferwagen für den Talhandel oder spezielle Maschinen wie der Möhrenvollernter.

Nicht genug damit, die fünf Demeter-Höfe im Tal haben inzwischen einen gemeinsamen Bäcker, der als Selbstständiger mahlt und backt. Seitdem Bäckermeister Enrique Rosales, aus Honduras stammend, sich der Sache voll und ganz annimmt, steigt der Brotumsatz in den Läden. Vorher waren es meist Mitarbeiter und Praktikanten der Höfe, die für die Brotherstellung zuständig waren. Das hatte wechselnde Qualität zu Folge.

Andrea Caspers

 

Gemeinschaft ist kein Selbstzweck
   Zukünftig soll auch selbst geschlachtet werden. In Kooperation mit 16 Betrieben, Demeter, Bioland, Naturland und auch konventionellen Betrieben, ist geplant, ein gemeinsames Schlachthaus zu bauen. Das spart die weiten Wege zum nächsten Schlachthof (40 km) und verbessert die Qualität. Die Gedanken zu einer gemeinsamen Molkerei im Tal jedoch sind erst mal eingefroren. Zuviel zu stemmen neben Neubau von Stall und Milchkammer. Aber auch die Erfahrungen mit der Bäckerei, dass es nicht immer einfach ist, sich zu einigen, ließen die Schepershofler damit nicht warm werden. Immer spielt die Frage mit hinein, was es kosten darf, und die kann man nicht mit sich alleine abmachen. Zudem haben Arbeitskräfte außerhalb der Landwirtschaft andere Preise, denn sie müssen bei Wohnen, Essen, Auto anders rechnen als Landwirte. So muss man also prüfen, wo sich gemeinsame Unternehmungen lohnen und auch, wo Konflikte liegen könnten.

Seine Grenzen kennen...
Das ist auch innerhalb der Gemeinschaft so: nicht jeder ist zu gleichen Anteilen drin, und einige Ehepartner arbeiten ja ganz außerhalb. Für die Mitglieder der Betriebsgemeinschaft trägt unbare Leistungen der Hof, die Höhe der Entnahmen wird im Rahmen des Budgets gemeinsam besprochen, da ist die Vernunft des einzelnen gefragt. Doch braucht man gelegentlich auch ein Rückzugsgebiet vor der immer präsenten Gemeinschaft, und der immer nach Arbeit rufenden Landwirtschaft, Raum für die Familie oder Raum für sich. Auch wenn es für manche anstrengender ist, sich abzugrenzen als für andere, durch die Betriebsgemeinschaft, lässt sich das regeln. Eilert Caspers widmete sich bis vor kurzem als Leiter der biodynamischen Ausbildung in NRW, organisierte die Wochenendseminare für die Auszubildenden. Jeder kann ohne schlechtes Gewissen Urlaub machen: Sommerferien teilen sich die Familien mit schulpflichtigen Kindern. Caspers fahren die erste Hälfte, Koch-Brünes die zweite, Eilert muss zur Getreideernte Ende Juli wieder zuhause sein. Zwischen den Jahren werden nur Stalldienst, Gemüse putzen für Laden und Verkauf aufgeteilt, ansonsten ruht die Arbeit.
„Das gibt uns neue Kraft” meint Ludger Weilingmann, und ein bisschen Abstand zum Hof schadet nichts – im Gegenteil. So macht die Hofgemeinschaft das Nachdenken möglich: Dass man sogar ganz gehen könnte, ohne dass alles zusammenbricht, ist eine Freiheit, die viele Landwirte nicht kennen, und in der ein kreatives Potential steckt.

Ludger Weiligmann

 

Das gemeinsame Bild in Bewegung halten
   Das muss man allerdings pflegen, wie alles, was wachsen soll. Eine Gemeinschaft braucht zwangsläufig Besprechungen, morgens um neun zur Arbeitsplanung, kurz nach der Mittagspause, Wochenplanung montags, Dienstag am Abend Betriebsgemeinschaft, einmal im Monat Initiativkreis. Und zwischendurch immer jemand, der etwas fragt: Kunden, Auszubildende, Schüler. Um einen Raum zu haben, der frei ist vom alltäglichen Tun und Entscheiden, der Reflektion ermöglicht, war die Arbeit am gemeinsamen Leitbild wichtig. Im Rahmen des Vereins nahmen sich die Menschen vom und um den Schepershof Zeit, um über die verschiedenen Vorstellungen der einzelnen zum Hof zu sprechen. Wie bin ich dazu gekommen, was verbindet mich mit dem Hof, was ist mein Bild, wohin entwickelt er sich? Wie fühle ich mich hier? Dieses ungefähr ein Jahr dauernde Gespräch zum Leitbild wurde nicht dokumentiert, aber es lebt in und zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. Nicht, dass jetzt alles geklärt ist, aber es ist ausgesprochen und gibt ein sichereres Gefühl für´s Ganze.
   Gefragt nach dem Besonderen des Schepershofs, nennt Andrea Caspers die Stabilität der relativ großen Gemeinschaft – daran muss man auch arbeiten. „Mit jedem Menschen, der neu dazu kommt, verändert sich die Balance, treten andere Stärken und Schwächen der Gemeinschaft zutage.” Auf einer anderen Ebene geht das Gespräch also weiter. Die Betriebsgemeinschaft hat sich für eine Supervision entschieden, begleitete Gespräche über die kleinen Unzufriedenheiten im Alltag, über Entscheidungen und Befindlichkeiten. Beispielsweise ist eine Frage, wie verantwortlich fühlen sich die „Alten” , wie viel entscheiden die „Neuen”. Lieber klären als schwelen lassen, und Begleitung ist heutzutage ein Weg. „Man muss schon lernen, die positive Seite der Gemeinschaft zu sehen, die negative Seite ist immer da” kommentiert Andrea Caspers. Im Bild der Hofgebäude: das Netzwerk muss regelmäßig neu geknüpft werden, auch der soziale Organismus braucht Pflege und Verwandlung, um zu gedeihen.
   Und dazu muss man lernen, Prioritäten zu setzen, gemeinsam, wie für sich selbst. Der Schepershof könnte ohne weiteres mehr Milch verkaufen, auf 24 Kühe aufstocken, die Nachfrage ist da, trotz der hohen Dichte an Biohöfen und der Lage nicht gerade am Stadtrand. Doch Stress ist ein selbstgemachtes Problem, meint Ludger Weiligmann, man muss auch mal nein sagen können. Er ist dankbar, dass er Zeit hatte, seinen Weg mit dem Kuhstall zu finden, ohne dass er von den Anderen unter Druck gesetzt wurde. Das Wesentliche ist eben nicht, dass hier Geld verdient wird, sondern etwas anderes: die Partnerschaft mit der Natur, von der man lebt und die selbstbestimmte und selbstverantwortete Arbeit in der Gemeinschaft mit ihren Beschränkungen und Freiheiten. Die Vielfalt des Schepershofes zeigt, dass hier nach wie vor etwas gedeiht. Der Schepershof ist Lebensraum und Arbeitsplatz. So fällt es leicht, sich heutzutage wieder mit Landwirtschaft zu identifizieren.

 

Betriebsspiegel

  • 29 große und „kleine” Menschen, davon 8 in Betriebsgemeinschaft, z. Z. 6 Ausbildungsplätze, ein Rehaplatz
  • Niederbergisches Hügelland, am Nordrand des Rheinischen Schiefergebirges 180 – 250 m über NN, 1100-1200mm Niederschlag, sandiger Lehm
  • seit 1979 Demeter
  • Acker: 21.3 ha
  • Grünland: 22,4 ha
  • Wald: 6 ha
  • Gemüse. 3.3 ha, 200qm unter Glas
  • Hof: 55 ha, 47 LN
  • 18 schwarzbunte Kühe, Bulle und Nachzucht, Laufstall
  • 1 Sau, 8 Mastschweine, 24 Mutterschafe plus Bock und Lämmer
  • 200 Hühner, 9 Enten, 20 Martinsgänse....3 Pferde, Hunde, Katzen
  • Hofladen, Fleischverarbeitung (zerlegen und verwursten), Milchverarbeitung (Käse Quark, Joghurt, Sahne) Abokiste • Bäckerei mit mehreren Höfen in Kooperation,
  • weitere Kooperationen: Maschinen und Fahrzeuge, Seminarhaus, Joghurtherstellung, Talhandel, Schlachthaus (in Vorbereitung)
  • Windrad (55 kw) und Solaranlage für Warmwasser

Schepershof, Windratherstr 134, 42553 Velbert