Lebendige Erde 4/2002:

Portrait

Herr über vierhundert Völker

Günter Friedmann lebt mit und von den Bienen

Michael Weiler

"Wer die Königin findet, bekommt eine Kugel Eis...", . klingt die Stimme von Günter Friedmann durch das geschäftige Summen der Bienen an seinem Wanderbienenstand in der Nähe von Neresheim. "Michael Weiler bezahlt...!" Diese großzügige Ankündigung motiviert die Teilnehmer des Mai-Kurses "Naturgemäße Bienenhaltung" der Ländlichen Heimvolkshochschule Lauda zusätzlich. Sie drängen sich um ihn und den geöffneten Bienenstock. Der Besuch in Günter Friedmanns Demeter-Berufs-Imkerei ist eines der Highlights der Bienenkurse, die von Lauda aus seit einigen Jahren regelmäßig veranstaltet werden.

Vor einem Kiefernwald steht eine Reihe von 25 Bienenkästen, aus deren Fluglöchern ständig eine Fülle von Bienen herausquillt und sich emsig in die Blütenfülle der Umgebung stürzt. Einige hellgelb leuchtende Rapsfelder sind in der Nähe und diese ziehen die Bienen fast wie magisch in ihren schwer duftenden Bann. Die schwüle Luft bringt allerdings auch einige "Patroullienbienen" dazu, uns mit hohem abwehrenden Summen auf Distanz zu halten. "Die Bauern sind seit einigen Tagen dabei, das Getreide zu spritzen" erläutert der Imkermeister, während er schwere Honigräume von seinen Bienenkästen abhebt. Dass während dieser Zeit die Bienen immer sehr abwehrbereit seien, würde er seit Jahren feststellen. Damit müssten wir uns hier jetzt arrangieren. So hat der Imker direkt bei seiner Arbeit immer auch mit den Schwierigkeiten der Landwirtschaft zu tun.

Den Bienenschwarm führen
"Die Schwarmvorwegnahme ist im Frühsommer eine der wesentlichen Kulturmaßnahmen meiner Demeter-Imkerei", erklärt Günter Friedmann die vorgesehene Arbeit, "und mein intensivster und intimster Eingriff in die organische Entwicklung der Bienenvölker im Jahr." Wenn Bienenvölker in der Kraft des aufsteigenden Jahres wegen der Masse schlüpfender Bienen und der Fülle des eingetragenen Nektars fast aus den Nähten platzen, schwärmen sie aus. Dies ist die generative Phase des Organismus Bienenstock, in der er sich teilen, vermehren und verjüngen will. In einer auch physiologisch sehr komplexen Situation werden neue Königinnen herangezogen, und schließlich zieht der erste Schwarm, der Vorschwarm mit der alten Königin aus. Um diesem Vorgang zuvorzukommen, kann der Imker den Schwarm vorwegnehmen.

Friedmann zieht die Brutwaben und gibt sie an die Kursteilnehmer weiter, die in dem Gewimmel der Bienen nach der Königin suchen. "Hier ist sie" ruft einer freudig, "aber nein, das ist doch nur ein Drohn" kommt die enttäuschende Antwort, denn das Aufspüren der Königin ist selbst für den erfahrenen Imker immer eine Herausforderung. "Wenn ich mich mental richtig darauf einstelle", sagt Günter Friedmann, "dass und wie ich sie finde, dann geht es oft recht schnell und schon auf der ersten oder zweiten gezogenen Wabe läuft sie mir entgegen." "Wie sieht man denn die Königin?" fragen die Teilnehmer verzweifelt, weil sie in der Bienenmasse auf der Wabe kaum einen Unterschied wahrnehmen. "Ja, sie bewegt sich ganz anders als die Arbeitsbienen, eben königlich, und das springt mir ins Auge", ist die Antwort.

Aber manchmal will sich die Stockmutter nicht gleich finden lassen und dann nach und nach alle Waben gezogen und abgesucht werden. "Hier ist sie," ruft jetzt die jüngste Teilnehmerin des Kurses, eine 16jährige Schülerin. Sie hat den unbefangensten Blick und findet die Königin später noch zweimal. Die Königin wird von der Wabe gefangen und dann wird der Schwarm vorweg genommen, indem die Bienen von mehreren Waben in eine Schwarmkiste gefegt werden. Die Königin wird diesem simulierten Vorschwarm, der etwa 4 Pfund schwer sein sollte, dann noch zugesetzt und der Imker hat jetzt einen "nackten" Schwarm, so, als wäre dieser ausgezogen und er hätte ihn dann eingefangen. Das Einfangen eins Schwarms ist oft eine unsichere und manchmal auch halsbrecherische Sache, zum Beipiel wenn man auf Bäume klettern muss. Die Vorwegnahme des Vorschwarms ist für eine moderne Demeter-Imkerei eine angemessene Möglichkeit, die nötige Vermehrung und Verjüngung des Bestandes und die Zuchtauslese für Erhalt und Steigerung der Qualität der Imkerei mit dem organischen Prozess der Bienenvölker zu betreiben und nicht gegen ihn.
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Aus dem heraus zu arbeiten, was die Bienen selber leben,
ist eine wichtige Maßgabe einer bienengemäßen Imkereikultur. Das wird in der Demeter-Bienenhaltung weitestgehend so gehandhabt. "Die Verjüngung und Vermehrung der Völker aus dem Schwarmgeschehen heraus ist auch eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Völker wirklich einen guten und ausgeglichenen Naturwabenbau erzeugen" führt der Imkermeister jetzt aus und zeigt dabei auf die Besonderheiten der Naturbauwaben seiner Völker. "Nur der Schwarm baut in den ersten Tagen so viele große Waben mit Arbeiterinnenbau, dass das Volk einen ausreichenden Kern für seinen Lebensstrom an Arbeitsbienen hat. Erst später wird dann auch Drohnenbau gefertigt."

"Arbeiten Sie denn nicht mit Mittelwänden?" fragt ein Teilnehmer. "Wenn überhaupt, werden Mittelwände bei uns nur im Honigraum eingesetzt. Dort erleichtern sie die imkerliche Arbeit und da die Bienenvölker in der Regel nur während drei Monaten im Jahr Honigräume haben, ist das ein Kompromiss zugunsten der imkerlichen Handhabbarkeit. Aber die Mittelwände müssen aus Naturbauwachs gefertigt werden." Für die Teilnehmer ist das leuchtende Weiß der jung gebauten Waben ein faszinierendes Erlebnis. "Ich dachte immer, Waben wären gelb oder braun; so ein Weiß habe ich bei meinen Bienen noch nie gesehen" staunt einer der Zuschauer, der bisher nur mit Mittelwänden gearbeitet hat.

Seine Entwicklung zur Demeter-Imkerei habe ihm einen großen Gewinn an Ästhetik gebracht, erläutert Günter Friedmann, sein Qualitätsanspruch an seine Arbeit und an seine Produkte sei seitdem wesentlich gewachsen. Und das zahle sich auch aus, denn diese Qualität würde auch von anderen geschätzt. Die Firma Tautropfen ist ein Abnehmer des gewonnenen Demeter-Bienenwachses, das sie insbesondere in der von ihr hergestellten Demeter-Babypflegeserie in den Salben einsetzt. "Dieses Wachs habe die beste Qualität, die zu bekommen sei", wird vom dortigen Laborleiter gesagt "und wir bezahlen gerne einen besonderen Preis dafür." Derzeit erzielt gutes Demeter-Bienenwachs aus Naturbau einen Preis von € 20,- für das Kilo. Der Weltmarktpreis für Bienenwachs konventioneller Herkunft liegt bei etwa € 3,- pro Kilo. Die Schwärme sind inzwischen ins Auto verladen und wir sitzen in Neresheim in einer Eisdiele, wo die junge "Bienenkönigin" zufrieden ihre drei Eiskugeln mit Sahne löffelt.
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Friedmann mit Weiselzelle, der Königinnenwiege 
" Wie sind Sie denn Berufsimker geworden",
will ein Teilnehmer wissen, "... oder waren Ihre Eltern auch schon Imker?" Nein, seine Vorfahren waren keine Imker gewesen und er habe eigentlich Volkswirtschaft studiert und sei Diplom-Volkswirt. Aber während seines Studiums kam er zu einer älteren Imkerin, deren Mann gerade gestorben war und die Hilfe gesucht habe. "Und als ich da zu ihr kam und sie die Bienenkästen öffnete" erinnert sich Günter Friedmann, "und ich das Gekrabbel und Gewimmel sah, das Gesumme hörte, die Wärme fühlte und den Duft einsog - da wusste ich, so absurd es klingen mag: ‚Ich will Berufsimker werden'". Der Entschluss, einen Beruf zu ergreifen, der auch Ende der 70er Jahre schon exotisch war, wird konsequent in die Tat umgesetzt. Neben seinem Studium liest er viele Bücher und alles, was er über Bienen und Imkerei in die Finger bekommt, und beginnt 1978/79 die ersten Völker zu pflegen. 1981 schließt er sein Studium ab, ist dann eine Zeit Hausmann und baut die Imkerei aus. 1983 hat er schon 50 Völker und arbeitet dann für ein halbes Jahr als Praktikant am Bieneninstitut in Erlangen, erweitert seine Imkerei auf 80 Völker und legt schließlich 1983 auch die Gehilfenprüfung ab. Günter Friedmann ist ein Tatmensch. Die Begründung und der Aufbau einer Imkerei bis hin zu einer Berufsimkerei, von der eine Familie leben soll, erfordert über viele Jahre ein fast bedingungsloses Arbeiten, insbesondere über die Sommermonate, in denen mit den Bienen auch gewandert wird, um besondere Honigtrachten zu gewinnen, und das regelmäßig bei Nacht. Der weitere Ausbau der Imkerei macht dann bald einen Umzug notwendig, da die Infrastruktur in dem Haus der Schwiegermutter in Fürth doch zu eng war. 1986 zieht die Imkerfamilie nach Sontheim auf die Schwäbische Alb in ein gemietetes Bauernhaus. Günter Friedmann besucht dann die Meisterschule am Institut für Bienenkunde in Celle und legt dort 1987 die Meisterprüfung zum Imkermeister ab. 10 Jahre nach dem Beginn hat die Imkerei eine Größe von 300 Völkern erreicht. Seit 1993 ist die Imkerei anerkannter Ausbildungsbetrieb und über viele Jahre die einzige private Imkerei in Baden-Württemberg, die Lehrlinge ausbildet. Drei Auszubildende hat Friedmann inzwischen über die zwei- bis dreijährige Ausbildungszeit bis zur erfolgreichen Abschlußprüfung gebracht, und viele Praktikanten konnten bei ihm Einblicke und Erfahrungen sammeln in einem "der letzten Abenteuer" in dieser Zeit.
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"Sind Sie von Anfang an Demeter-Imker gewesen?"
will ein anderer Teilnehmer wissen. "Nein", ist die Antwort, "Imkerei lernte man 1980 konventionell. Es gab gar keine ökologische Imkerei und in der Imkerschaft lebte die Auffassung, dass Bienenhaltung per sé ökologisch sei." Erst im Zuge der Ausbreitung der Varroa-Milbe in den Bienenvölkern und dem erschreckenden Erlebnis, dass diese Milbe die Völker zugrunde richtet, entstanden bei den Imkern tiefe Konflikte. Viele gaben auf, ein großer Teil griff in der Not nach der "rettenden" Chemie von Bayer und anderen. Aber die Bienen werden instinktiv von vielen Imkern von ihrem Ursprung als rein erlebt - so dass es vom Gefühl her eigentlich nicht in Frage kommt, Chemie in die Völker hineinzugeben. Günter Friedmann schildert, wie er damals Versuche machte. Er arbeitete auch mit der Veraschung von Varroa-Milben nach den damaligen Anregungen von Maria und Matthias Thun und verlor dabei fast seinen ganzen Völkerbestand; die Methode zeigte keine akute Wirkung. In einem Film sahen die Imker damals Bilder von einem Eichelhäher, der sich im Ameisenhaufen seiner Milben entledigt. Diese Aufnahmen waren eine starke Anregung für die Suche nach alternativen und schadlosen Methoden der Varroa-Regulierung. Seit 1987 arbeitet Friedmann zuerst mit ätherischen Ölen und später systematisch mit Ameisensäure. Diese ist bis heute wesentliches Mittel zur immer noch lebensnotwendigen regelmäßigen Regulierung der Milbenpopulation in den Völkern. Ein Arbeitskreis für chemiefreie Imkerei leistete damals Pionierarbeit in Sachen Alternativen in der Varroa-Regulierung; etwa 1988/89 gründet sich daraus die Bundesfachgruppe Ökologische Bienenhaltung (BÖB), die sich im weiteren auch mit der Erarbeitung der ersten Richtlinien für eine Ökologische Bienenhaltung befasst. 1993 werden bei Bioland und Naturland Richtlinien verabschiedet, Demeter folgt nach intensiven Diskussionen 1995. Günter Friedmann war an diesen Prozessen intensiv beteiligt. "Eine Hauptarbeit damals war, dass die Richtlinien realistisch bleiben mussten. Das dort Geforderte musste überall und für jeden guten Imker handhabbar bleiben. Die erlebte Not der Bienen führte bei vielen Menschen dazu, die Bienen so zu idealisieren, dass die geforderten Ideale für den heutigen Menschen gar nicht leistbar gewesen wären. Und in der Demeter-Bienenhaltung sollte für die Biene eine Kultur begründet werden, die mehr erreichen sollte, als nur die Rückstandsfreiheit der Produkte."

Durch seine Arbeit mit den Bienen stellten sich Günter Friedmann eine zunehmende Fülle von Fragen. An der Naturwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach in der Schweiz traf sich etwa dreimal im Jahr unter Anleitung von Dr. Jochen Bockemühl eine Arbeitsgruppe, die sich mit Erkenntnisfragen zum Wesen der Bienen befasste. Die Arbeit dort, die Insektentagung am Goethenaum 1996 und die menschlichen Begegnungen, insbesondere mit Christian Rex, einem Demeter-Landwirt, der damals am Bodensee imkerte, verschafften dem suchenden Imkermeister wichtige Impulse für den Schritt von der chemiefreien zur artgerechten Imkerei.
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Imkern macht Spaß - deswegen bringt Friedmann es auch anderen bei.

"Kann man denn von Imkerei, zumal von Demeter-Imkerei leben?"
Insbesondere während der Zeiten des Aufbaus der Imkerei seien die Mittel manchmal schon knapp gewesen, gibt Günter Friedmann zu, aber irgendwie wäre das Notwendige immer da gewesen. "Man wird nicht reich, aber man hat sowieso keine Zeit zum Geld ausgeben", sagt er. Immerhin konnte die Familie mit drei Söhnen 1994 in Küpfendorf in neue Wohn- und Betriebsgebäude umziehen, die als landwirtschaftliches Aussiedlungsprojekt für die Berufsimkerei geplant und gebaut wurden. Heute kann die Familie von der Imkerei leben, aber er sei sehr froh, dass seine Frau Elke Staedtler-Friedmann als Lehrerin und als Heilpraktikerin durch Ihre Praxis für klassische Homöopathie einen eigenen Verdienst hat. Das gebe der Familie einen wichtigen Spielraum.

"Erntet man nicht weniger,
wenn man auf die Techniken der konventionellen Imkerei verzichtet?" Der Durchschnittsertrag der Völker sei in der Demeter-Imkerei rund 30% niedriger als in der konventionellen Imkerei, berichtet Friedmann. Aber dort würde die Ernte häufig nicht durch die Anzahl der Ausgangsvölker geteilt, sondern nur durch die Ertragsvölker der Imkerei, die oft im Frühjahr durch Vereinigung von zwei Völkern künstlich verstärkt werden, um gleich bei Blühbeginn starke Völker zu haben - der Ertrag pro Volk sagt daher wenig aus. Dieses Verfahren entspricht aber nicht dem Bild von der organischen Einheit des Bienenstocks und ist in der Demeter-Imkerei nicht gewollt. "Meine Arbeit ist darauf ausgerichtet, den Ertrag der Imkerei als ganzes zu optimieren und weniger darauf, Spitzenerträge aus den Völkern herauszuholen."

Günter Friedmann vermarktet seinen Honig überwiegend selbst an eine Reihe von Naturkostläden und vor Weihnachten auch auf dem Weihnachtsmarkt in Fürth. Das ist seine Arbeit im Spätsommer und im Herbst. Erst nach Weihnachten findet er einige Wochen, in denen er sich anderen Sachen widmen kann. Er ist gerne Hausmann und kocht sehr gerne und phantasiereich. Und er liest dann viel und holt den Schlaf aus den Wandernächten im Sommer nach. Aber das hält nie lange, weil ihn Tatendrang und Fragen wieder umtreiben. So ist ein Buch geplant, Arbeitstitel "Handbuch Ökologische Bienenhaltung" und die im Sommer erhobenen Daten aus seinen Forschungsprojekten will er auswerten. "Ja, das muss doch sein" antwortet er auf erstaunte Fragen. "An den vielfältigen Fragen, die uns durch die Praxis der Demeter-Bienenhaltung kommen, forscht ja außer uns keiner. Und es reicht mir einfach nicht, auf Fragen nur antworten zu können, unsere Arbeitsweise sei für die Bienen sowieso die beste."

 

Besonderheiten der Demeter-Imkerei:

  • Alle imkerlichen Maßnahmen richten sich an der Einheit und an der organischen Entwicklung der Bienenvölker im Jahreslauf aus ·
  • Die Schwarmstimmung der Völker ist Grundlage für jede Maßnahme der Vermehrung und Verjüngung des Völkerbestandes und für die züchterische Auslese ·
  • Der Wabenbau darf von den Bienenvölkern vollkommen als Naturwabenbau aufgeführt werden