Lebendige Erde 6/2002:

Portrait

Selbstbestimmt : Gärtnerinnenhof Oldendorf

Ulrike Behrendt hat die Balance zwischen Familie und Beruf gefunden

Karin Heinze

Moderne Arbeitsteilung: Männer können Frauen "freistellen" für deren eigene Vorhaben.

"Die Landfrauen sind heutzutage auch nicht mehr das, was sie einmal waren", gibt Werner Behrendt seiner Frau schnippisch zur Antwort, auf die Frage "Kochst du morgen?" Der kleine Seitenhieb auf die traditionelle Rolle der Frau als Hüterin des Herdes täuscht. Die Familie steht voll hinter dem beruflichen Engagement ihres weiblichen Oberhauptes als Landwirtin, Gärtnerin und Züchterin. Die Saatgutarbeit bei Gemüse war das zentrale Anliegen, mit dem Ulrike Behrendt (43) im Mai 1992 auf dem Gärtnerhof Oldendorf antrat. Dabei lag es ihr am Herzen, diesen Impuls in einen Betriebsorganismus einzubetten. Nach dem Verständnis der Agrar-Ingenieurin reichte der tierlose Gärtnereibetrieb, den sie auf dem gemeinnützigen Hofprojekt der "Gesellschaft für Landwirtschaft und Pädagogik" aus Bremen vorfand, nicht aus, um ihre Vorstellungen eines geschlossenen Kreislaufs zu verwirklichen und eine gesunde Düngungsgrundlage zu haben. So entstand mit den Jahren ein übersichtlicher landwirtschaftlich-gärtnerischer Betrieb, der von zwei auf sechzehn Hektar Fläche angewachsen ist: mit Weiden für die fünf Mutterkühe mit Nachzucht und die fünf Pferde. Dazu kommt eigener Futterbau (Kleegras) plus Brotgetreide und Kartoffeln. Der gärtnerische Teil des Betriebes umfasst die Jungpflanzenanzucht für den Samenbau beziehungsweise die Züchtung von Gemüsen sowie den Anbau, die Pflege und Nachbearbeitung der Kulturen. Ein Saatgutaufbereitungsraum mit entsprechenden Reinigungsmaschinen steht zur Verfügung, so dass eine Palette von rund 60 Gemüse- und Blumensorten für den Kleintütenverkauf gereinigt und abgepackt werden können. Als selbständiger zweiter Betrieb besteht auf dem Gärtnerhof Oldendorf, zwischen Bremen und Bremerhaven, die Gemüsegärtnerei, die derzeit von Heike Vogt und Renate Bergstedt betrieben wird. Die Vermarktung erfolgt über Abo-Kisten, einen kleinen Hofladen und drei Märkte.

 

Die Familie denkt mit "
Können wir diese Tomaten mit Samen essen?", fragt Bernhard, der Sechzehnjährige. Bevor er die Ernte aus den Zuchtlinien verspeist, will er sich erst vergewissern, ob sie freigegeben sind. Es gebe nur noch wenig Patzer, bestätigt seine Mutter, meist denken die Familienmitglieder daran, sich zu erkundigen, ob das Saatgut vor der Verwertung der Naturalien sichergestellt werden muss. Beim gemeinsamen Mittagessen sind Züchtung und Genetik Thema. Sowohl Bernhard wie Ruth (13) scheinen wirklich interessiert am Tun ihrer Mutter. Das rege Gespräch dreht sich um verschiedene Bereiche, manches wird leidenschaftlich diskutiert: angewandter Biologieunterricht am Küchentisch.
Werner Behrendt hat gekocht. Seine Tätigkeit an der Uni in Bremen im Fachbereich Mess- und Regelungstechnik hat nichts mit Landwirtschaft zu tun, aber er kommt vom Hof. In Oldendorf hat er in seiner Freizeit "einige Projekte laufen", wie seine Frau das nennt. Er kümmert sich um die Obstbäume bis hin zur Verarbeitung und um den Wald. Und, er unterstützt seine Frau in ihrer Zielstrebigkeit, Demeter- Landwirtschaft und Samenbau zu betreiben, seit sie sich 1983 kennen gelernt haben. Während des Studiums und während der Zeit, als die Kinder klein waren, konnte sie sich auf seine Unterstützung verlassen. "Ohne ihn wäre dieser Weg nicht denkbar gewesen", sagt sie rückblickend. Reibereien über Zuständigkeiten für einzelne Bereiche oder kleine praktische Alltagsquerelen um die Aufteilung von Verantwortlichkeiten gehören für beide dazu.

 

Herausforderung bereichert
Was wesentlich zur erfolgreichen Bewältigung der Mehrfachbelastung beigetragen hat, war - nach Ansicht der Mutter und Berufstätigen - die Handhabung. Konsequent hat sie während der Kleinkindphase die Arbeiten im Betrieb halbtags zu erledigen versucht, um genügend Freiraum für den Nachwuchs zu haben. Gleichzeitig hält sie es für sinnvoll, wenn Kinder bei ihrer Mutter einen eigenständigen Tätigkeitsbereich außerhalb des Haushalts wahrnehmen können. "Müsste ich mich so zurücknehmen und könnte meine Anliegen nicht verwirklichen, wäre ich unglücklich", gesteht sie. "Den Kindern ist damit nicht gedient. Sie sind der Mittelpunkt des Universums, aber ich fühle mich eingeschränkt." Natürlich koste es zusätzliche Kraft, alles unter einen Hut zu bringen, doch gewinne frau durch die Mehrgleisigkeit enorm. "Der Gewinn liegt darin, dass die unterschiedlichen Bereiche, Familie, Landwirtschaft, Samenbau und Ausbildung, vollkommen verschiedene Qualitäten fordern und fördern", fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Eine gewisse Wachsamkeit heißt es jedoch immer aufzubringen. "Wenn der Betrieb zu viel Zeit und Kraft auffrisst, habe ich versucht, eine Sache zurückzufahren beziehungsweise neue Leute auf den Hof zu holen", beschreibt die Betriebsleiterin ihr Rezept.

 

Die Familie trägt den Hof von Ulrike Behrendt mit

Die Frau im Dorfkontext
Darauf ist Verlass - gegenseitige nachbarliche Hilfe ist im Dorf ein ungeschriebenes Gesetz. Die Integration im dörflichen Leben sei dafür außerordentlich wichtig. Für die gebürtige Norddeutsche ist die humorvolle, gemütliche Art der Menschen hier eine regelrechte Freude. "Wir sind von Anfang an sehr offen aufgenommen worden in Oldendorf und gehören seither dazu", erzählt sie. Für die Familie sei es daher selbstverständlich, sich rege an Vereinsaktivitäten und Bräuchen zu beteiligen. Die Kinder engagieren sich in zwei Erntewagenclubs - eine Spezialität der Gegend. Ulrike Behrendt ist passives Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr und Leiterin des Landfrauenchores. Das Angenommenwerden resultiere wahrscheinlich auch daraus, dass sie sich in erster Linie als Landwirtin unter Landwirten verstehe und nicht als Bio-Bäuerin, vermutet die Oldendorferin. Der Samenbau und die Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise, sei für sie so selbstverständlich, dass sie kein besonderes Aufheben daraus mache. Von den Nachbarn werde es mit Interesse als Besonderheit wahrgenommen. "Die Nachbarn bekommen Tomaten und Gurken aus der Züchtung zum Probieren, außerdem wissen sie genau, dass sie bei Bedarf selber ernten können; nur die mit Bändern markierten Pflanzen sind tabu."

Offene Rollenverteilung
Dass sie als Frau einen Betrieb leitet, findet sie nicht ausgefallen. "Es ist nichts Ungewöhnliches oder Hervorhebenswertes für mich, dass Frauen Arbeit tun, die traditionell mehr von Männern verrichtet wird", betont sie. Sie arbeite auch gerne mit männlichen Kollegen zusammen und habe kein Problem, Dinge abzugeben oder sich helfen zu lassen. Kein Dogmatismus bitte. Allerdings hat sie sehr wohl den Anspruch, alle Arbeiten auch alleine ausführen zu können. "Technik ist für mich kein Tabuthema, aber auch nicht meine Lieblingsbeschäftigung", stellt sie pragmatisch fest. "Ich weiß mir zu helfen, denn vielfach arbeite ich einfach alleine und muss damit zurecht kommen." In der Ausbildung musste sie sich noch ziemlich vordrängeln zur Maschinenarbeit und entsprechender Unterweisung für Pflege- und Reparaturarbeiten. Die weiblichen Lehrlinge seien heute in dieser Beziehung einen Schritt weiter, ist ihre Einschätzung. Auf dem Gärtnerhof Oldendorf stehen für alle Praktikanten und Lehrlinge, unabhängig vom Geschlecht, sämtliche Arbeiten mit den zur Verfügung stehenden Maschinen auf dem Programm. Frauen hätten meist mehr Gefühl bei der Maschinenarbeit und würden vorsichtiger agieren, findet Ulrike Behrendt und hält das für einen Vorteil, weil Material schonend.

Wissen flexibel weitergeben
Ausbildung ist ein wichtiges Anliegen für die Betriebsleiterin. Durch ihre Mitgliedschaft in der biologisch-dynamischen Bäuerlichen Gesellschaft hat sie nicht nur selbst ihren Arbeitsplatz gefunden, sondern über diese Adresse kommen auch viele Anfragen nach Lehrstelle oder Praktikumsplatz. "Der Betrieb ist so vielseitig und wird in seiner Kleinteiligkeit vielen individuellen Bedürfnissen gerecht", ist Ulrike Behrendt überzeugt. Alle Bereiche sind auf dem Gärtnerhof vertreten: der landwirtschaftliche Part mit Tierhaltung, Ackerbau und Maschinenarbeit sowie gärtnerische Techniken von Jungpflanzenanzucht, Feingemüsebau, bis zu den Spezialbereichen Samenbau und Züchtung. Durch die vielen Bereiche, sei der Zuschnitt auf persönliche Interessen und Stärken gut zu bewerkstelligen. Dabei blieben die Arbeitsfelder noch übersichtlich und die Aufteilung sei relativ flexibel zu handhaben. Schon zwei Jahre ist derzeit Agrar-Ingenieurin Sandrine Kiesbuey auf dem Hof tätig. Im zweiten Lehrjahr der vierjährigen Ausbildung der Bäuerlichen Gesellschaft arbeitet Jasmin Chirbatdji mit und als fertiger Geselle packt Klaus Strüber seit zwei Jahren während der Sommersaison mit an. Das Vorteilhafte an diesem System ist die Offenheit, auch noch eigene Projekte einzubringen. So arbeitet Sandrine Kiesbuey an einem Züchtungsprojekt für winterharte Futtererbsen, das über den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft finanziert wird. Klaus Strüber hat die Pferdearbeit, die Ulrike Behrendt vor vier Jahren begonnen hat, übernommen und weiterentwickelt. "Das ergänzt sich alles ganz prima", freut sich die Betriebsleiterin. Sie kann sich auch gut vorstellen, dass die eine oder der andere Mitarbeiter aus dem Angestelltenstatus löst und einen selbstverantworteten Bereich in Eigenregie übernimmt. Mit der Rolle als Betriebsleiterin kommt sie jedoch bislang gut klar. Das allmähliche Hineinwachsen mit zunehmender Fläche und wachsender Vielseitigkeit des Betriebes war hierbei hilfreich.

 

 

Wider die Erschöpfung
"Die innere Arbeit kommt zu kurz", gibt die Agraringenieurin unverhohlen zu. Glücklicherweise hat sie sich eine umfangreiche Ausbildung gegönnt. Einem einjährigen Praktikum nach dem Abitur auf einem kleinen Demeter-Hof folgte ein Jahr in der Gärtnerei Willmann in Vaihingen. Anschließend ging es mit dem Entschluss den Samenbau zum Schwerpunkt der Lehre zu machen, an den Ekkharthof in der Schweiz zu Ilmar Randuja, einem Pionier der biologisch-dynamischen Saatgutarbeit. Nach dem Ablegen der Gesellenprüfung folgte die Teilnahme am Naturwissenschaftlichen Studienjahr in Dornach. Ein Jahr Praxis in einem konventionellen Samenbaubetrieb bei Kitzingen machte Ulrike Behrendt deutlich, dass ihre Zukunft sicher nicht in dieser Art Tätigkeit liegen würde. Um ihre Kenntnisse weiter zu vertiefen, studierte sie anschließend an der Fachhochschule Osnabrück Gartenbau, mit dem Schwerpunkt Samenbau und Züchtung. "Die goetheanistische Erkenntnisarbeit möchte ich gerne sowohl mit praktischen Tun verknüpfen, wie auch als theoretischen Ansatz weiter verfolgen", wünscht sie sich, "aber die Alltagsarbeit zieht zu stark." Im Verbund mit Kolleginnen und Kollegen arbeitet sie innerhalb der Bäuerlichen Gesellschaft in einem Arbeitskreis Gemüsesaatgut an Fragestellungen zum biologisch-dynamischen Verständnis von Züchtung.
Ausgleich zur Arbeit im Betrieb schafft sie sich dennoch. Freiräume sind wichtig. Unter dieser Überschrift stehen einige Tagesordnungspunkte: zum Beispiel eine tägliche Mittagspause, die den Tag untergliedert und regelmäßiges Zusammentreffen mit anderen Frauen aus der ehemaligen Krabbelgruppe. "Mich mit ganz anderen Leuten treffen, die nichts mit dem Betrieb zu tun haben", das brauche sie. "Menschen, mit denen ich auf einer ganz anderen Ebene Gespräche und Austausch haben kann, das erholt mich", sagt die Landwirtin. Erholsam könne es aber auch sein, auf dem Feld zu stehen und zu hacken: "dabei können die Gedanken wegfliegen." Es sei nicht die Frage, "dauernd über die eigene Selbstverwirklichung nachzugrübeln, aber Frauen sollten ihre ganz eigenen Bedürfnisse nicht verschlafen oder hinten anstellen", stellt die Dreiundvierzigjährige klar fest. Sich in eine Rolle drängen zu lassen, bedeute auch sich selbst zu untergraben. "Mir sind meine Aufgaben wichtig und ich bin wirklich dankbar, dass es möglich ist, diesen Weg zu gehen".

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  Betriebsspiegel:
Gärtnerhof Oldendorf: Geest zwischen Bremen und Bremerhaven Fläche: 16 ha, davon 12 ha Weiden und Wiesen, 3,4 ha Ackerbau, 0,6 ha Samenbau/Zucht
Boden: humoser Sand, 25 bis 35 Bodenpunkte Tiere: 5 Mutterkühe mit Nachzucht und Bulle, Fünf Pferde, davon zwei Schwarzwälder Kaltblut als Arbeitspferde, Enten Samenbau: für Vermehrung: viele verschiedene Gemüse, Kräuter und Blumen,
Züchtung: Buschbohnen, Gurken, Möhren, Rote Bete, Salat, Tomaten.
Adresse: Gärtnerhof Oldendorf, Oldendorfer Landstraße 24, 27729 Holste