Lebendige Erde 1/2003:

Portrait

Von der Landwirtschaft leben

Andreas Stickling und Heike Sticklinng-Finkmann haben den Sprung gewagt

von Michael Olbrich-Majer
Demnächst ohne Kraftfutter: Andreas Stickling sucht nach neuen Ansätzen für die Züchtung.

Alle hatten ihm davon abgeraten. Landwirtschaft gelernt hat Andreas Stickling trotzdem. Grund war der kleine Hof der Großeltern, vis a vis von Vater Sticklings Metallwerkstatt. Hier stand der Sohn, im ersten Lehrjahr der Ausbildung zum Mechaniker am Panoramafenster - und plötzlich wurde ihm klar: nur die Landwirtschaft ist seine Perspektive. Lang genug hatte er auf Omas kleinem Kotten gespielt, war neben den Maschinen her gerannt, hatte vor und nach der Schule mitgeholfen. Seit er fünf war, träumte er davon: Kühe und Trecker sollten sein Leben sein, Fußball spielen war etwas für die anderen.
Die Eltern, anfänglich skeptisch und auf eine "ordentliche" Ausbildung drängend, ließen ihn gewähren. Es folgten ein Praktikum auf dem benachbarten Demeter Gärtnerhof Vier Jahreszeiten, Lehre auf zwei Demeter- und einem Bioland- Betrieb, danach zwei Jahre höhere Landbauschule. "Da rechnen sie dir das vor..." dass es nicht geht, mit dem Heuerlingskotten der Großeltern in die Landwirtschaft einzusteigen, hieß es. Der Landarbeiterhof zwischen Gütersloh und Bielefeld hatte1991 sechs Hektar Grünland, eine Milch- und fünf Ammenkühe und zwölf Hühner. Böden zwischen 18 und 25 Bodenpunkten, hier brauchst du Gummistiefel zum Heu machen, sagt man den teils podsolierten, teils grundwassernahen Böden der Gegend nach.1992 stallte Stickling 150 Legehennen ein, die Demeter- Nachbarn von der Gärtnerei Vier Jahreszeiten brauchten einen Eierlieferanten.

Neuaufbau: vom Kotten zum Hof
Ein Jahr später, neben der Ausbildung fing er mit der Junghennenaufzucht an und hielt ein paar Bullen. Die Großeltern waren pflegebedürftig geworden und koman zur Tante. Schritt für Schritt ging es voran, wie es Ausbildung und Mithilfe der Eltern ermöglichten. Während der Fachschulzeit wurde Milchquote gekauft und 94 erstmals Milch geliefert an die Molkerei Söbekke. Langsam wurde die Quote durch Zupacht ausgebaut auf 100000 und mehr Tiere und Flächen hinzugenommen. Eigentlich "ein Neueinstieg in die Milchwirtschaft auf der grünen Wiese", wie Stickling es nennt, denn einen neuen Kuhstall für 200.000 DM bauten sie auch: Wenn Du dableiben willst, dann bau, sagten seine Eltern. In der Fachschule hatte er Heike Finkmann kennen gelernt, 1997 wurde geheiratet, kam das erste Kind, Johanna. Damit war endgültig klar - der Kotten muss zum Gehöft werden, zur Lebensgrundlage. Die Eltern bauten ihnen zur Hochzeit eine Wohnung im Haus der Großmutter aus, das Erdgeschoss war vermietet. Heike brachte die Ferkelzucht ein, auf dem Hof ihrer Eltern gelernt. Heute, nach rasanten zehn Jahren, wirtschaften die Sticklings auf Bestens Hof - so hießen die Großeltern - mit 20 Kühen plus Nachzucht und 51ha Land, davon 27 Acker mit 20 Zuchtsauen, 1500 Junghennen im Jahr zur Aufzucht, 700 Masthähnchen und 200 Legehennen. Ein Gemischtbetrieb, wie einst bei den Großeltern, doch die Familie - vor eineinhalb Jahren kam Sohn Christoph zur Welt - kann davon leben.
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Finanzierung: sparen, selber machen
Man darf sich die Aufbauphase aber nicht nach einem Investorenmodell vorstellen: Die Ersparnisse des Paares gingen in Stall und Trecker auf, andere Renovierungskosten und den alten Benz stifteten die Eltern. Um die Elektrik kümmert sich noch heute ein Rentner, gegen Naturalien. Bei den landwirtschaftlichen Gebäuden konnte Stickling gutes Geld sparen: für An- und Umbauten nutzte der Vater, schließlich ist er Metallhandwerker, Träger und Material aus dem Schrott, der Freiluftkälberstall ist z.T. aus gebrauchten Messeboxen gebaut. Beim Bau der Heutrocknung halfen Heikes Geschwister mit. Vater Stickling grübelt manchmal über neuen Umbaulösungen auf dem Hof. Auch die Gerätschaften sind meist gebraucht gekauft, bis auf Schlepper, Striegel (Vorführgeräte) und Wiesenschleppe.
Dass es biologisch-dynamisch sein muss, ist für Andreas Stickling keine Frage: "Wenn schon Landwirtschaft, dann richtig". Nicht nur, dass schon seine Mutter das im Garten ausprobierte. Es geht für ihn einfach tiefer und ermöglicht ihm ein anderes Verstehen der Zusammenhänge in der Landwirtschaft. Dass er den Betrieb vielseitig gestaltet und einseitige Spezialisierung ablehnt, folgt daraus. Und, unter den Demeter- Bauern passiere einfach mehr, auch die soziale Seite schätzt der Jungbauer.

Vielfalt im Stall: Schweine, Kühe, Hühner
Ein Hampshire-Eber und fünfzehn Pietrain-Sauen sorgen für eine rege Ferkelproduktion, betreut von Heike Stickling-Finkmann. Die Kenntnisse für die Herdbuchzucht bringt sie vom 80 Kilometer entfernten elterlichen Betrieb mit. Ab und an geht auch ein Eber an die Auktion. Die Ferkel, im Schnitt achtzehn pro Sau und Jahr, werden mit 25 kg als Absetzer an Öko-Betriebe zur Mast verkauft. "Unser einziger professioneller Betriebszweig", Andreas Stickling weiß den Arbeitsbereich seiner Frau zu schätzen.
Bei den Kühen wäre er gerne auch soweit, was die Züchtung angeht. Zwar verträgt sich die zukaufsbedingt gemischte Herde - trotz Hörner keine Probleme. Doch eine richtige Züchtungsinitiative im Ökolandbau oder bei Demeter vermisst er ebenso wie mehr Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zwischen den Ökobetrieben. Es gäbe doch viele Erfahrungen... So strebt er eine züchterische Verbesserung auch über die Haltungs- und Fütterungsbedingungen an, will den Unterschied zwischen den Geschlechtern züchterisch mehr herausstellen. Viel Heu füttert er und demnächst will er das Kraftfutter ganz weglassen, seine Kühe geben durchschnittlich je 5000 Liter im Jahr, ohne Kraftfutter 4500. Und, ein Bulle soll her - doch welcher? Geprüft sind nur die Bullen, die das Sperma für die künstlicher Besamung liefern und das auch nur auf die Erfordernisse konventioneller Landwirte, kurzfristige Milchleistung.

Ökologische Ferkelerzeugung ist der Bereich von Heike Stickling-Finkmann

Auf dem Dachboden sind die Hühner untergebracht. In zwei Schichten zieht Stickling übers Jahr hinweg je 750 Junghennen auf. Als Eintagsküken konventioneller Brut zugekauft werden sie mit viel Hafer vom Hof bis zur Legereife gezogen und dann an Biobetriebe verkauft. Eine Arbeit, die nur wenige Biobauern überhaupt machen, denn die Fütterung und Gesunderhaltung ist knifflig. Acht Wochen rohfaserarm, dann acht Wochen weniger Energie und Eiweiß, dann umstellen auf calciumreiches Legefutter. Bisher kann Stickling auf einige konventionelle Eiweißkomponenten wie Maiskleber und Kartoffeleiweiß als Zutat zur eigenen Getreide-Leguminosen-Mischung nicht verzichten. Kartoffeleiweiß z.B. gibt es nicht in Öko-Qualität. Auch die Stickstoffausscheidungen im Auslauf sind eine Frage der richtigem Futtermischung. Und dann die Impfungen - eine lästige Pflicht, die der Ökobauer nicht mit Begeisterung macht und am liebsten jemand externes machen ließe. Gegen Newcastle Disease und Salmonellose ist impfen Pflicht, gegen Kokzidiose kann es nicht schaden. Trotzdem liegen die Verluste bei 5 - 10%, in diesem Jahr durch den Gumboro-Virus und durch Ratten. Die Hähnchen findet Stickling weniger problematisch. Angefüttert werden sie wie die Junghennen, dannach aber mit mehr Getreide gemästet bis zur zwölften Woche. Dann kommen sie zu einem Schlachter ganz in der Nähe und werden anschließend über die Hofläden verschiedener Ökobetriebe im Umkreis vermarktet.

Ackern und fahren: entscheiden, was man auslagert
Auf dem Acker stehen nach dem einjährigen Kleegras zwei Jahre Getreide, dann Hackfrucht, das heißt, Kartoffeln und zwei Morgen Futterrüben, sowie auf schlechten Flächen Futtermais, dann wieder Getreide. Stickling baut meist Gemenge an und als Brotgetreide Dinkel. Das Stroh ist besonders wichtig für den viehstarken Betrieb. Eine Art Flächensharing gibt es in der Kooperation mit der benachbarten Demeter Gärtnerei. Stickling bewirtschaftet hier die Getreide- und Kleegrasschläge in der Fruchtfolge der Gärtnerei; gärtnerische Abfälle für die Fütterung werden gegen Mist getauscht.
Dass er in die Landwirtschaft eingestiegen ist, hat ihm neue Freundschaften gebracht, auch mit Handwerkern. Man hilft sich gegenseitig in der Nachbarschaft, diese lokalen Netze sind wertvoll. Mit verschiedenen anderen Landwirten teilt sich Stickling das Güllefass, einen Schälpflug für die Stoppelbearbeitung und eine Drillkombination, Futter holt häufig Hubert, ein Freund, der auch bei der Ernte viel mithilft und dafür entlohnt wird. Die Futterwerbung erledigen die Bauern meist gemeinsam, wenn's nicht reicht, wird ein Lohnunternehmer zugezogen, wie für die Silageballen. Das gemeinsame Schaffen kommt gerade in Arbeitsspitzen der Qualität zugute, 24 Stunden vom Mähen bis zum Silo, dann stimmt die Silage. Geteilte Arbeit macht zudem mehr Spaß und hat Tradition auf dem Kotten. Stickling holt sich Hilfe im Lohn noch für das Ausbringen der Gülle mit Schleppschläuchen, das Maishäckseln, das Kartoffelroden, das Feldhäckseln. Und auch das Mistfahren lohne sich nicht, wenn er es selbst macht, zumal es zum Teil weite Wege zu den Flächen sind. Natürlich müsse man da auch auf die Qualität der durchgeführten Dienste achten - die sei ungleichmäßig. Doch bevor man sich selbst eine Maschine anschafft, die dann nicht ausgelastet ist oder selbst seine Zeit mit fahren verbringt, lohnt sich das Rechnen mit Vollkosten. Bestimmte Arbeiten wie Drillen, Pflege, Dreschen macht er aber nach wie vor selbst, da muss das Ergebnis 100% sein.

 

Betriebsplanung: lieber rund als einseitig
Geld in den Stall stecken und spezialisieren, das riet ihm die Offizialberatung. Doch Fremdkapital aufzunehmen ist für Stickling indiskutabel. Die einzelnen Zweige sind nicht darauf durchgerechnet, ob sich die Investition lohnt oder ob der Deckungsbeitrag stimmt. Eher macht die Mischung den Hof rund, stützen sich die Bereiche gegenseitig. Die Erzeugung von Jungtieren für die Veredelung und Milch im Gemischtbetrieb, angepasst an die Böden hat in der Region Tradition. Spezialisierung würde an seiner Berufsehre kratzen: "Dann würde es mir keinen Spaß mehr machen."
Auf Bestens Hof kommt das Geld aus dem Stall, keine Verarbeitung, kein Hofladen. Aber - es funktioniert. Am einfachsten ist es bei den Ferkeln, vernünftige Preise zu realisieren. Die Milchquote ist noch nicht ganz ausgeschöpft - Sticklings liefern Demeter- Milch an Söbbeke, und verkaufen Fleisch frisch ab Hof. Zwar tragen auch Subventionen etwas zum Einkommen bei - der Hof nimmt Gelder aus dem Festmistprogramm, der Extensivierung, Prämien für Getreide und Stillegung mit, aber für den Stallbau gab's nichts - zu klein. Gute Preise bei den Eiern geben Luft, um z.B. über Rassenpflege bei den Hühnern nachzudenken, den Demeter Landbau weiter zu entwickeln. Denn die Hühnerhaltung hätten sich die Bauern ja komplett aus der Hand nehmen lassen: bisher gibt es keine Zuchtarbeit im Ökobereich, man kauft nach Firmennamen (Tetra) Legehybriden, wo man nicht weiß , was "drin" ist.

Subventionen nützen nur dem Verbraucher
Die "Antragswirtschaft" findet der Junglandwirt einfach ärgerlich, auf der Behörde wie für Almosen anstehen und "auf der anderen Seite bekommt man das Wasser abgegraben" mit miesen Preisen. Das Prämienwesen verzerre zudem die Preiswirklichkeit: "Letztendlich wird der Verbraucherpreis subventioniert" schimpft Stickling, und ein völlig unrealistisches Preisgefühl erzeugt, weil die Preise nicht kostendeckend sind. Vor 1992, als es kaum Förderung des Ökolandbaus gab, seien die Einkommen besser als jetzt gewesen. Wird noch eine Grünlandprämie eingeführt - dann treibt das die Pachtpreise nach oben - beim Bauern käme davon wenig an. Besser wäre es, meint Stickling, die Prämien für Mais und Getreide komplett zu streichen. Bei ehrlichen Preisen würden die Veredelungsprodukte aus Mast und Geflügelhaltung teurer. Außerdem zerstörten Subventionen die Grundlagen für selbsterzeugte Lebensmittel in anderen Weltregionen.

Kunsthandwerk am Hof lädt ein.

Erfolgreich - aber sehr viel Arbeit
Die Sticklings haben es geschafft und ihren Traum wahr gemacht. Ja er wirft sogar etwas ab: Nach Jahren des Investierens bildet der Hof nun Eigenkapital, während ringsum in der Landwirtschaft die meisten davon zehren. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Vor allem die Arbeitswirtschaft ist verbesserungswürdig: Hühner auf dem Dach, Kälber, Kalbinnen, Masttiere und Kühe in vier verschiedenen Ställen, umständliches Entmisten der Schweine über den Futtergang. Die schrittweise Erweiterung nach den baulichen Gegebenheiten ist an ihre Grenzen gestoßen und verursacht lange Wege. Dazu muss wieder angebaut werden: Schweineausläufe, so dass sie gleich zur frisch fertiggestellten Mistplatte hin geräumt werden können, eine neue, gemeinsame Futterachse für das Rindvieh mit Stallungen am jetzigen Kuhstall und ein Auslauf im Folientunnel für die Hühner. Vor allem aber soll Heike Stickling-Finkmann, die nachmittags bzw. abends oft Schweine, Kühe und Kinder alleine bewältigen muss, entlastet werden. Normalerweise melkt Andreas morgens, sie abends, manchmal übernehmen seine Eltern eine Melkzeit oder die Kinder. Beide haben wenig Zeit, er, um auf Gruppentreffen zu gehen oder sie, um ihre Angehörigen zu besuchen. An Urlaub ist schon gar nicht zu denken - Silvester mal ganz weg vom Hof, das ist bisher der einzige Luxus, trotz viel Hilfe aus der Familie und von Freunden. Doch die beiden bereuen nichts: in der Landwirtschaft gehen sie auf. Und auch für die Arbeitslast wird sich auch eine Lösung finden - schließlich ist der Hof mit dem Optimismus von Andreas und Heike gewachsen.

 

Betriebsspiegel:

  • Bestens Hof, Andreas Stickling, Heike Stickling-Finkmann, Isselhorster Str. 111,
    33415 Verl
  • Demeter seit 1992
  • 51 ha, davon 27 Acker, 24 Grünland, 8 eigen
  • Sandböden, 18-25 Punkte, auf besseren Triticale/Weizen-Gemenge, Wintermenggetreide (ohne Wintergerste) auf schlechten
  • Sommerung: Hafer-Weizen auf trockenen, Sommergerste auf nassen (spätsaatverträglich), teilweise im Gemenge mit Süßlupinen/Erbsen, Kleegras: nur diploide Arten (besser zum Heuen)
  • Kühe: 22 Rotbunte plus Nachzucht im Zweiraum-Tiefstall mit Laufhof, 2x2 Durchtreibmelkstand
  • Schweine: 1 Hampshire Eber, 15 Pietrain Sauen
  • Hühner: ca. 200 Legehennen, 1500 Junghennen (pro Jahr) und 700 Masthähnchen
  • Vermarktung: Molkerei Söbbeke, Rindfleisch z.T. ab Hof, z.T Erzeugergemeinschaft, Eier und Geflügel an Hofläden anderer Höfe, Ferkel und Junghennen an Ökobetriebe, Kartoffeln an Schälbetrieb (WfB)