Lebendige Erde 3/2004:

Portrait

Im Land der Purpurhügel: Kurinji Farms, Indien

von Michael Olbrich-Majer
Auch in den Tropen gibt es kühlere Ecken – hier in der Bergregion Kodaikanal werden biologisch-dynamische Präparatepflanzen für Kurinji angebaut

Indien. Wir Europäer denken da zuerst an Dschungelbuch, an eine Wiege der Menschheitskultur, an Menschenmengen in Millionen Dörfern und Millionenstädten, an scharfe Kontraste, sozial, kulturell, klimatisch, fern von uns. Doch die Gegenwart hat auch andere Seiten: Indien kommt zu uns. Indische Computerdienstleister und Callcenter erledigen Jobs aus Europa und USA, indische Filmindustrie dreht in der Schweiz, Stahlkonzerne expandieren nach Osteuropa, Ayurveda und öko-soziale Bewegungen strahlen aus, man denke an die Umweltaktivistin Vananda Shiva oder Ansätze gemeinschaftlicher Dorfentwicklung. In Indien tut sich was – und seit einiger Zeit gibt es auch eine rasch wachsende biologisch-dynamische Szene. Längst sind es nicht mehr nur einzelne Teeplantagen wie Makaibari und Ambootia oder das Baumwollprojekt Maikaal, besonders in Südindien hat der biologisch-dynamischen Funke gezündet.

Kurinji: ein Umweltaktivist wird Farmmanager
Chelladurai Jeyakaran war mehr als zehn Jahre in NGO´s engagiert, setzte sich in der Umweltbewegung Südindiens für Regenwälder, Baumpflanzungen und Elefantenpfade ein, bis den studierten Manager der Ruf der Familie ereilte. Er möge bitteschön auch verantwortlich in die familieneigenen Geschäfte einsteigen. Dazu gehörten neben einem Busunternehmen auch 20 Hektar Farmland und Brache, die die Familie gekauft und mit Mango, Tamarinde, Cashew und Kokosnüssen bepflanzt hatte. Wenn, dann das Land, und nur wenn ich es ökologisch bewirtschafte, waren seine Bedingungen, als er 1990 die Familienfarm übernahm. So konnte er Wirtschaften und Bäume pflanzen zur Verbesserung der Umwelt- und der Lebensqualität seiner Region verbinden.
Die Kurinji Farmen liegt im Südzipfel Indiens, im Land der Tamilen, südlich von Chennai (Madras). Bei Genguvarpatti (Nähe Madurai) sind es im Umkreis von 50 km inzwischen rund 20 Betriebe, die biologisch-dynamisch arbeiten, viele zur weiteren Großfamilie gehörend. Zusammen bewirtschaften sie ca. 400 Hektar, vor allem mit Dauerkulturen. Hier, im östlichen Südindien am Fuße der bis 2500 m hohen Palni Hills liegt das Land im Regenschatten, anders als an der typisch tropischen Westküste. Entsprechend extrem sind die Klimaverhältnisse, sechs Monate heiß und zu trocken und dann zu nass, die jährlichen 800mm Regen fallen an fünfzig Tagen. Und entsprechend vielfältig ist die Landschaft.
Die Farmen und Flächen verteilen sich auf verschiedene Höhenstufen, so dass ein großes Spektrum angebaut werden kann: Von Ananas und Gewürzen über Bananen, Kaffee und sogar Birnen, die einst von Jesuiten eingeführt wurden. Von Anfang an war Kurinji ökologisch zertifiziert – vom Schweizer IMO und von Naturland – und setzte auf die Vermarktung von Früchten, getrocknet mit Solarenergie oder als Fruchtpüree. Kurinji funktioniert als Partnerschaftsprojekt zwischen Farmbesitzern: da sie meist zur Familie gehören, ist die Zusammenarbeit einfach. Die umfasst biologisch-dynamische Beratung, regelmäßige Betriebsbesuche, gegenseitige Unterstützung bei der Präparatearbeit oder bei der Ernte, gemeinsame Aufbereitung und Vermarktung. Anders als in unseren Breiten gibt es hier ständig etwas zu ernten.
Die einzelnen Betriebe haben sich, je nach Lage, unterschiedlich spezialisiert. Kaffee und Gewürze wie Ingwer, Kardamon, Nelken, Pfeffer werden unter Schattenbäumen angebaut. Die Obstgärten sehen aus wie in Europa (wäre da nicht die Temperatur auf dem 10 Breitengrad) und werden in der Regenzeit mit Leguminosen begrünt. Ungefähr 75 Kühe einer regionalen, an die heiße Witterung angepassten Rasse weiden in den Obstgärten, aber weniger für die Milchproduktion gedacht als für den Mist.

 

Messepräsenz auf der Biofach ist wichtig: der Export ist ein wesentliches Standbein um Ökolandbau in Übersee großzuziehen, Kurinji Chef C. Jeyakaran mit seiner Frau auf der Biofach

Nächster Schritt nach „organic”: biologisch-dynamisch
Eine Anfrage des Demeter-Saftherstellers Voelkel nach Mangomark brachte 1993 eine weitere neue Entwicklung. Auf Empfehlung des Demeter-Bundes besuchte Jaison Jerome, Kurinjis landwirtschaftlicher Verwalter, ein dreitägiges Präparate-Training mit dem neuseeländischen Biodynamiker Peter Proctor, das erste dieser Art in Indien und an symbolischem Ort in Indore. Hier entwickelte Sir Albert Howard am Anfang letzten Jahrhunderts mit seinem Kompostverfahren Grundlagen des Ökolandbaus. "Es schien alles ein wenig kompliziert, aber wir begriffen immerhin, dass wir diese seltsamen Präparate für unsere Demeter Anerkennung brauchten" beschreibt Jeyakaran den Eindruck seines Farmmanagers. Zunächst wurden die biologisch-dynamischen Präparate importiert und in heikler Prozedur durch den Zoll gebracht. Die Anwendung war eher pflichtgemäß als von Verständnis durchdrungen "Alles war in deutsch, und wir mussten es erst übersetzen." so Jeyakaran, aber das reichte nicht: So luden sie 1995 Peter Proctor als betrieblichen Berater ein – der Wendepunkt. Proctors jahrzehntelange Erfahrung, seine frische und energische Art und seine Liebe zu Indien brachten Theorie und Praxis in die richtige Balance. "Es war wichtig für den Erfolg des Biodynamischen in Indien, dass die Präparate einfach zu bekommen waren" stellten sie fest, legten einen Garten für Präparatepflanzen im höhergelegenen Kodaikanal an und begannen, selbst die Präparate herzustellen.

Umkreis, Präparate und Sternenbezug – praktisch umgesetzt
Was ändert sich, wenn man hier biologisch-dynamisch wirtschaftet? Jeyakaran und Jerome, die beiden Hauptverantwortlichen von Kurinji, gewannen dadurch einen völlig neuen Blick, die Einordnung in den größeren Zusammenhang. Landwirtschaft nicht nur als ökologisches Produktionsverfahren, sondern als Organismus im Kontext von Umwelt und Kosmos zu begreifen, das begeisterte sie. Und, dass es entsprechende Maßnahmen gibt, das zu fördern, bis hin zu überraschend positiven Konsequenzen für die Qualität. Das intensive, volle Aroma der Kurinji-Früchte ist wohl nicht nur allein der südlichen Sonne zu verdanken. Als ich Jerome frage, wie es kommt, dass er die Wirkungen der biologisch-dynamischen Präparate auch im Anbau so deutlich erlebt, wird klar: Einmal ist keinmal! Für die Kurinji Farmer gibt es einen ausgeklügelten, nach Gestirnen und Wachstumsstadien ausgerichteten Anwendungsplan für die Präparate: jedes mindestens dreimal und nicht zu ungünstigen Konstellationen. Auch Saat und Pflanzung, Schnitt, Düngen und Düngerbereitung sowie das Ernten sind an den Aussaattagen und Mondrhythmen orientiert, praktische Handreichung dazu ist ein von Jaison Jerome ausgearbeiter tabellarischer Kalender.
Im Pflanzenschutz werden Jauchen heimischer Pflanzen angesetzt und ausgebracht. Die Pflanzen werden teilweise wild gesammelt, zum Teil aber auch auf Brachen oder in Hecken angebaut. Wie findet man solche Pflanzen heraus, wenn die Anwendung nicht traditionell ist? frage ich. Jaison Jerome antwortet mit einem verschmitzten Lächeln: "Mit Ziegen, wir probieren das, was sie nicht fressen...!"
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Planetengarten – bio-dynamischer Anschauungsunterrricht in Kurinji

Die biologisch-dynamische Bewegung in Indien wächst
Alle Klimazonen der Erde von ewigem Eis über Wüste bis zu den feuchten Tropen in einem Land, auch landwirtschaftlich ist Indien ein Land der Vielfalt. 100 Millionen Hektar (von 328 Mio.) werden bewirtschaftet, ebensoviel gilt als Ödland, zwei Drittel der eine Milliarde Inder arbeitet in der Landwirtschaft, trägt ein Viertel zum Sozialprodukt bei. Zwar sind die Erträge, auch durch ein gutes Netz landwirtschaftlicher Beratung und Forschung in den letzen 50 Jahren gestiegen – doch hinkt die Produktivität der Böden im Ländervergleich, und angesichts des Bevölkerungswachstums noch zurück. Jeyakaran sieht Indiens landwirtschaftliche Zukunft im Ökolandbau – der einzige Weg, Böden nachhaltig fruchtbarer zu machen. Und, nur so ist etwas von den über eine Milliarde Dollar umfassenden Importen Indiens an Agrochemie einzusparen. Seit den späten achtziger Jahren gibt es die ersten ökologischen Teeprojekte, in den neunzigern wuchs die Szene dann kräftig. Zum einen angeregt durch eine umweltbewegte Graswurzelbewegung, unter den Farmern bekannt als low external input sustainable agriculture (LEISA), mit Selbstversorgung und lokalem Saatgut – im Gegensatz und auch im Streit mit den Agromultis, aber nicht immer wirtschaftlich. Zum anderen testeten indische Tee- und Kaffeeunternehmen Ökoverfahren. Staatlicherseits ist eine Agrarwende allerdings auf Jahrzehnte nicht zu erwarten.
Die ersten biodynamischen Versuche soll es an der Coromandalküste rund um Auroville und Chennai gegeben haben, in den siebziger Jahren. Zu Beginn der neunziger stellten die ersten Projekte um, Tee, Baumwolle, Früchte. Aber erst mit Peter Proctors regelmäßigen Besuchen in Indien und Kursen für Farmer und Mitarbeiter von NGO´s und Behörden verbreitete sich die biodynamische "Botschaft" stärker in Indien. "In gewissem Sinne kann man sagen, dass Peter der Vater der biologisch-dynamischen Bewegung in Indien ist" meinen Jeyakaran und Jaison. 1999 hat sich eine biologisch-dynamische Organisation in Indien gegründet, mit mehr als 50 Mitgliedern und Sitz in Bangalore, Karnataka. Ein großer Erfolg auch in den Medien war die von der Biodynamic Association veranstaltete internationale Konferenz im letzten Jahr, die 700 Teilnehmer anzog. Auch nehmen erste Forschungsstationen biologisch-dynamische Ansätze in ihr Programm auf. Ein echter Meilenstein ist Jaison Jeromes Buch über biodynamische Landwirtschaft, das erste in einer indischen Sprache, in Tamil, das 50 Millionen Südinder sprechen, eine der 14 offiziellen Regionalsprachen.
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Das erste biologisch-dynamische Buch in der Sprache der Tamilen – vom Kurinji Manager Jaison Jerome

Selbst Präparate herstellen: nicht ohne Probleme
Hörner und Kuhfladen gibt es in Indien ja genug, auch Quarz ist kein Problem – bis dahin ist die Herstellung biologisch-dynamischer Präparate relativ einfach. Zwar müssen die Hörner, die vom örtlichen Händler stammen, der sie sammelt, manchmal noch kräftig gebürstet werden: Denn zum tamilischen Pongal, einem Erntefest, werden die Hörner bunt bemalt. Doch viel schwieriger ist es mit den Kom­postpräpraten. Die Pflanzen kommen hier, abgesehen von Schafgarbe und dem vor 150 Jahren einschleppten und ausgewilderten Löwenzahn nicht vor. Kamille braucht besondere Pflege und wird im Anbau mehrmals umgepflanzt, damit sie blüht. Brennessel wächst zwar, doch gelingt als Präparat nicht recht, so dass sie, wie auch Eichenrinde von biodynamischen Freunden aus der Himalayaregion bezogen wird. Gar nicht gedeihen will der Baldrian, er bleibt ohne Blüte. Er kommt, wie die Hirschblasen, noch aus Neuseeland. Zwar gibt es hier einen Hirsch, aber der steht unter Naturschutz. Därme oder Mesenterium bekommt man in Tamil Nadu und Kerala beim örtlichen Metzger. Hier ist das Schlachten der Kühe, anders als in vielen Bundesstaaten, nicht verboten. Die Probleme führen auch zu weiteren Überlegungen: kann man überhaupt dieselben Pflanzen wie in Europa nehmen? Dagegen spricht ist, dass sie auch im indischen System des Ayurveda als Heilpflanzen gelten. "Manche Puristen wird es schütteln, aber vielleicht gibt es auch hiesige Heilpflanzen, die wir ausprobieren sollten" meint Jeyakaran.

Indische Kultur: offen für Biodynamisches
Wie verträgt sich die Hindukultur mit ihrem Vegetarismus einerseits und der Verehrung der Kuh andererseits, mit dem biologisch-dynamischen Ansatz? "Das Hantieren mit Kuhschädeln ist schon ein wenig verzwickt", berichtet Jeyakaran, und bedingt durch Kastenwesen und religiöse Einstellungen darf nicht jeder mit Tierteilen arbeiten. Dennoch sind die indischen Farmer sehr aufgeschlossen für die biologisch-dynamischen Anregungen. Kuh und Mensch leben oft eng beieinander und in mehreren südindischen Regionen wird als traditioneller Haussegen Kuhmist gemischt mit Wasser am frühen Morgen an die Häuser und ihre Umgebung gespritzt. Die tief verwurzelte astrologische Tradition ermöglicht ein rasches Verstehen der kosmischen Ideen, die mit dem Biologisch-Dynamischen verbunden sind, besonders gut kommt der Aussaatkalender an. Jaison Jerome wundert sich im Gespräch, dass die kosmische Komponente in Europa so eine geringe Rolle spielt. Die vergessene Kunst des Kompostmachens in Indien wieder einzuführen ist eine lohnenswerte Mühe, denn meist wird organisches Material verbrannt. Mit dem Fladengrubenpräparat, hier Cow Pat Pit genannt, lassen sich rasche Resultate erzielen und es findet schnell Anwender.

Den europäischen Markt nutzen, um den in Indien aufzubauen
In diesem Jahr war Kurinji Organic Foods Ltd. wieder auf der Biofach in Nürnberg vertreten, mit eigenem kleinen Stand, kreditfinanziert, ein teures Unterfangen für die Inder. Aber Zielmarkt für viele Produkte ist der europäische Markt für Ökolebensmittel, der indische ist noch nicht sehr weit entwickelt. "Es ist hier mit der Ökobewegung wie bei Euch in den siebziger Jahren" beschreibt Jeyakaran die Situation, "Mit der Zeit wird Indien zu einem ansehnlichen Markt, es beginnt gerade in den großen Städten". Aber bis dahin hängt die Ausdehnung vom Export ab. Kurinji verkauft viele Früchte frisch, aber konventionell auf lokalen Märkten, Trockenprodukte gehen in Indien nicht gut. Für Europa ist es ein leckeres Angebot, auch Papaya und Gemüse hat Kurinji zu bieten, sowie Säfte bzw. Mark seiner Früchte.
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Purple Hills – die Ausstrahlung der Purpurberge
Kurinji, so heißt eine wilde Blume (Strobilanthes kunthiana), die violett in den Bergwiesen blüht – aber nur alle zwölf Jahre: das nächste Mal im Mai und Juni 2006. Die Namensgebung des Projektes, auf englisch "purple hills", nimmt Bezug auf die Ökologie und Kultur des Berglands und alte tamilische Literatur. Auch das Logo und die Broschüre greifen diese Verbindung auf und Purple Hills bzw. Kurinji schlägt wirklich eine neue Brücke zwischen Natur und Kultur.
Das Selbermachen der Präparate hat letztendlich dazu geführt, dass Kurinji so etwas wie ein biodynamisches Zentrum in Südindien geworden ist: Präparate werden auch für andere Projekte hergestellt, Kuhhörner und Saat- bzw. Pflanzgut für die Präparatepflanzen angeboten, auch die fertigen Präparate. Das einführende Buch ist unter anderem ein Resultat der regelmäßigen Schulungsprogramme, die in Kurinjis Sacred Heart College laufen, einem ehemaligen Jesuitenkloster in den Bergen, und mit denen Farmer, Multiplikatoren und Berater weitergebildet werden.

Blüht nur alle zwölf Jahre: Strobilanthes kunthiana, die Blüte, die dem Projekt den Namen gibt
 

Einzigartig ist der Planetengarten, in dem man durchlaufend die aktuellen Bewegungen in unserem Sonnensystem nachvollziehen kann. Auf 200 qm werden Erde, Sonne, Planeten mit Kugeln auf zwei Meter hohen Stangen nachgestellt. Kurinji berät darüber hinaus auch andere Projekte bei der biologisch-dynamischen Arbeit. "Indien wird in den kommenden Jahrzehnten ein führendes Land in der biodynamischen Bewegung" prophezeit Jeyakaran, durchaus realistisch. Zumindest hat die biologisch-dynamische Landwirtschaft schon starke Wurzeln geschlagen und mit der Offenheit der Inder für spirituelle Aspekte der Landwirtschaft ideale Bedingungen.

 

 

Kurinji Organic Foods Pvt.Ltd.,
Periyakulam Road,
Genguvarpatti,
P.O.-625 203 Theni Dist
Tamil Nadu, INDIA
Fon: 0091-4543-262 469,
Fax: -265 496
www.purplehills.biz