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Lebendige Erde 5/2005:PortraitVon Landwirtschaft und Freiheit
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Öffentliche Landwirtschaft: Beteiligung an der Gärtnerei durch Aktien?
Die Ausgabe von Beteiligungen in Form von Aktien würde einen Trend umkehren und mehr Menschen in die Landwirtschaft einbeziehen. Nebeneffekte der Bewirtschaftung wie Erhaltung der Kulturlandschaft, durch Wiesennutzung, Ermöglichen von Ausbildung oder Züchtung würden nicht allein mit dem Gemüsekauf artikuliert, sondern durch die Aktie als unternehmerischer Auftrag angelegt: Landwirtschaft als Dienstleistung. Die AG übernähme zudem Grund und Boden, so dass alle Betriebe und Unternehmer gleichberechtigt wären, die Verantwortung für´s Ganze von der Familie auf die Unternehmergruppe überginge. Und, Christian, Andrea und ihre drei Söhne gewännen ein Stück Freiheit dazu: sie müssen dann nicht, sie können gärtnern. Oder was anderes tun. |
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Abstand nehmen und das Eigene finden
Frei-lassend waren auch die Eltern: 1982 übernahm Christian einen Teil des Betriebes in eigener Verantwortung - Gemüsebau, die Schwerpunkte Obst und Vieh blieben bei den Eltern. Sein ältester Bruder Karl und seine Frau bauten einen eigenen Betrieb auf, Christian wohnte nach der Heirat mit Andrea auf der Hofstelle mit den Eltern und machte das Abitur nach: Erst jetzt, 1986, hatte er wirklich die Wahl: und entschied sich für Gärtnerei und Meisterschule. Harte Jahre für Andrea, die nicht aus der Landwirtschaft stammt, folgten: der Mann wochenweise in Heidelberg, der Betrieb musste laufen, die Schwiegereltern hatten Hilfe im Stall nötig, 1988 der erste Sohn, David. |
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Landwirtschaft als Lebensform?
Im Jahr darauf war Christian wieder ganz im Betrieb, nicht ohne Fragen. Eine Exkursion in die Niederlande 1990 machte ihm die Schwellensituation der Landwirtschaft klar: Was er da sah, erdelose Kulturen, HighTech-Gartenbau, aber keine glücklicheren Gärtner berührte den Ökogärtner tief: War das der Fortschritt? Der Kampf gegen die Natur ausgetauscht gegen ein Geflecht von anderen Abhängigkeiten von Saatgut, Dünger bis zu Wissensautoritäten? Und was für ein Begriff von Fortschritt steht dahinter? Hiß wurde zum Autoren (u.a. Der GENaue Blick, Grüne Gentechnik auf dem Prüfstand, Ökom Verlag 2003; BSE - hat der Wahn einen Sinn, Menon Verlag, 2001), mit dem Freiburger Literaturwissenschaftler Uwe Pörksen und Gunhild Pörksen begann er die Reihe "Kultur im Gewächshaus", Ort für eine Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft. Auch die Ökobewegung nahm er kritisch unter die Lupe: Der Mensch als Feind der Natur, mit diesem Bild kann er sich nicht anfreunden und warnt davor, dass das in durchindustrialisierter Landwirtschaft endet. Computergesteuert und erdelos erzeugtes Gemüse und Präzisionslandwirtschaft können auch an Umweltgrenzwerten ausgelegt werden: Natur gerettet, Mensch verloren. Schon heute definieren zunehmend auch Technokraten und Bürokraten, was Ökolandbau ist. Für Christian Hiß geht es aber um Kultur: Landwirtschaft ist für ihn nicht nur eine Produktionsweise, sondern eine Lebensform. Folglich spricht er auch von Kulturkost, nicht von Naturkost. |
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Schritt für Schritt
Der muss lernen können, wie es anders geht, Hiß nimmt seit 1995 Lehrlinge auf: Die Gärtnerei wächst und 1996 wird mit dem Bau einer neuen Gärtnerei begonnen, ausgelagert aus dem Ort, direkt an den Flächen. 1997 stirbt der Vater und die Frage steht im Raum: wie weiter mit dem Vieh? Bisher gab es eine Futter-Mist-Kooperation; wenn es nicht gelingt, die zu erhalten, verliert der Betrieb seine Unabhängigkeit bei der Düngung. Die Frage bleibt ein paar Jahre offen. Im Folgejahr gliedert sich ein weiterer Betriebszweig an: Wolfgang Morof eröffnet eine Küche mit Catering und Partyservice zum Verwerten der Sommerüberschüsse. |
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An Ideen dranbleiben und sie klären Die Eindrücke des Hightechgemüsebaus in Holland, später auch in USA lassen Hiß nicht los. Er sucht das Gespräch außerhalb der Landwirtschaft, will bewusst werden und bewusst machen, beginnt zu schreiben und Vorträge zu halten. Und leiert Projekte an. Zur erdelosen Kultur forscht er mit Markus Buchmann: sie finden u.a. heraus, dass die Saatgutqualität sich verändert. 2001 beginnt nach langem Vorlauf die Stiftung Kaiserstuhler Gärten mit der Erhaltung und Demonstration von regionalem Saatgut, der Eichstetter Bürgermeister war Hißs bester Mitstreiter für diese Kultureinrichtung. Im September wird dort jetzt eine Ländliche Akademie gegründet. Die Beschäftigung mit BSE und Gentechnik mündet in zwei Buchprojekten*.
Und die Pädagogik hält Einzug: für den Stallbau planen Schüler an sieben Schulen in 28 Projekten, koordiniert von der Projektgesellschaft des Waldorflehrers Rüdiger Iwan. Einweihung von Stall und Käserei ist im Sommer 2002. Aktuell schließt der Gärtner gerade eine Untersuchung zu Betriebsformen in der Landwirtschaft ab, ein Projekt zusammen mit der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und dem anthroposophischen Hardenberg Institut. Und sein ältester Sohn David wird im Rahmen von "Jugend forscht" an der Modellpflanze der Gentechniker, Arabidopsis, untersuchen, ob sich Umwelteinflüsse im Genom niederschlagen. Jetzt im Sommer liefert Hiß probehalber Schulmöhren als Pausensnack an drei Schulen, die von den Kollegen biologisch-dynamisch gezüchtete Sorte "Milan". |
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Leiden oder denken
Hiß hat einen wachen Sinn dafür entwickelt, was gestaltet werden will und setzt sich sehr ernsthaft damit auseinander. Woher nimmt er die Kraft und die Anregungen? "Leiden oder denken" ist seine Devise, sein Büro ist eher ein Studierzimmer, Buchhaltung macht eine Angestellte. Sicherheit gewinnt er aus der Philosophie, ob von Nietzsche oder Heraklit. Von letzterem hat er die Erkenntnis, dass Problem und Lösung dieselbe Wurzel haben. Von Platon hat er gelernt, die Ideenwelt für sich zu eröffnen. Mit seiner regen Gelassenheit ist Hiß offen für stete Metamorphose, denkt in Lebensabschnittsentscheidungen. Dabei hilft ihm der nüchterne Blick und die selbst erarbeitete Perspektive: "Du musst für dich klären , was Du willst, wo Du konkret stehst und was die Bedingungen sind". Er bleibt dabei lokal verwurzelt, die globalen Trends im Focus. |
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Begegnungen leben
Und wie lebt sich mit der steten Bereitschaft zur Veränderung? "Die innere Haltung ist wichtig, Krisensituationen sind immer nur punktuell. Jeder hat seinen Schicksalsweg" meint er "Aber es kommt darauf an, aufmerksam zu sein: wann, wie habe ich Begegnungen, und vor allem: Was mache ich daraus?" Überflüssige Gepräche oder Ablenkungen lässt er weg, stößt immer fragend-bedacht zum Kern und zur Handlung vor. Hiß ist keiner, der Hektik verbreitet - dennoch hat seine Andrea manchmal das Gefühl: " Er macht Dauerlauf und ich hechte hinterher". Entwicklung heißt manchmal auch: Ungleichzeitigkeit. Jedenfalls, die Familie lässt nichts auf ihn kommen. Sowohl die drei Söhne als auch seine Frau legen Wert auf die Feststellung, dass Hiß als Papa und Ehemann stets präsent ist: eher macht er Abstriche am Betriebsgeschehen als an der Familie. Unruhig wird er nur bei Gewitter und Hagelgefahr, wie heute. Das hat man nicht in der Hand. |
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Wandlungsfähig bleiben
Da in der neuen Rechtsform jeder Betrieb von der AG pachtet, sind die Söhne David, Michael und Benjamin in ihrer Lebensplanung frei - sie müssen nicht in den Betrieb einsteigen - aber sie können! Für Andrea, die zur Zeit auf ihre Weise über die Grenzen der Gärtnerei hinaus schaut, wird so vielleicht eine veränderte oder ganz neue Tätigkeit realisierbar. Obwohl sie sagt: "Gärtnern ist für mich wie Medizin - aber dosiert halt." Und Christian muss nicht weiter machen, sondern könnte sich anderen Dingen widmen: Wie schreibt er im Blick auf 2024 in unserer Zeitschrift: sein nächstes Buch schreiben, Manager zum Gemüsejäten anleiten, den Kindern der Hofkunden Märchen vorlesen... Und neue Existenzgründer könnten einfacher an den Betrieb ankoppeln. Zum Beispiel jemand neues mit Küche und Catering, nachdem Morof sich auf Kindergärten spezialisiert hat, die naturgemäß wenig Gemüse abnehmen. |
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Einen neuen Landwirtschaftsbegriff leben
Denn das vor allem ist die Gärtnerei über die Jahre geworden: Kristallisationspunkt für das gesellschaftliche Gespräch über Landwirtschaft und Andockpunkt für Menschen mit Ideen und Initative, von der Züchtung bis zum Stall. Hiß ist ein gefragter Geprächspartner und Autor von Format - geht raus in die Welt und bleibt trotzdem da: Statt, wie viele Landwirte, auch ökologische, nur "Mengenanpasser" der ökonomischen Theorie folgend zu sein, verwirklicht er mit seinem erweitertem Landwirtschaftsbegriff, der Öffnung der landwirtschaftlichen Debatte für Nichtlandwirte mehr Freiheit für die Landwirtschaft und eben auch seine Gärtnerei. So entwickelt er gerade den Begriff einer vierten Form der Landwirtschaft, nach der traditionellen, der konventionellen und der ökologischen. Denn das Potenzial der biologisch-dynamischen und anthroposophischen Ideen scheint ihm bei weitem noch nicht verwirklicht.
Die Anwesenden am schwülen Juniabend geben ihm recht: Auf die Frage, wer das Vorgestellte als Modell für die Gärtnerei sinnvoll findet, gruppieren sich die meisten im positiven Bereich, auch beim Geld: die Mehrheit würde Aktien kaufen. |
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Partnerbetriebe
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Betriebsspiegel
Christian und Andrea Hiß Hauptstr. 140 7663 Eichstetten am Kaiserstuhl www.demeterhof.de |