portrait

Lebendige Erde 5/2005:

Portrait

Von Landwirtschaft und Freiheit
Die Gärtnerei Hiß lebt Gespräch und Wandel als Prinzip

Von Michael Olbrich-Majer

Die Diskussion ist heiß: vorne der Gärtner und Landwirt, der sein Publikum geladen hat, ihn zu befragen. Gegenüber Freunde und Kunden, die gerade die Idee verdauen, dass ihre vertraute Demeter-Gärtnerei eine Aktiengesellschaft werden soll. Und sie wären eingeladen, zu investieren. Verschenkte Rendite, oder Investition in die regionale Wirtschaft? Besser als Geld von der Bank?
 
Öffentliche Landwirtschaft: Beteiligung an der Gärtnerei durch Aktien?

Mit der Gärtnerei der Familie Hiß sind viel Menschen und Projekte verbunden
Mit der Gärtnerei der Familie Hiß sind viel Menschen und Projekte verbunden
Es ist ein schweißtreibender Junisamstag, die jährliche Veranstaltung "Kultur im Gewächshaus" der Gärtnerei diesmal sehr konkret. Zuvor hatte Christian Hiß seinen Entwurf begründet: denn sein Betrieb hat sich in den letzen Jahren entgegen der die Landwirtschaft auseinander reißenden Arbeitsteilung entwickelt. Nach und nach integrierte sich die Wertschöpfungskette unter dem Dach der Gärtnerei: Verpachtung an einen Gemüsezüchter und eine Kräuteranbauerin, Bau und Verpachtung eines Kuhstalls, Vermarktung und Küche als Subunternehmen, Solarenergie als eigenes Unternehmen, die Gärtnerei hat sich sinnvoll diversifiziert. Nur die Rechtsform passt nicht mehr dazu. Die Kapitalverantwortung trägt die Unternehmerfamilie, Christian und Andrea Hiß, alle anderen sind nur über Verpachtung oder Verträge eingebunden, obwohl sie eigentlich Mitunternehmer sind. Und der Gärtnermeister will nicht allein entscheiden, sondern sucht den Diskurs: Auch die Kunden sollen kund tun, was für eine Art Landwirtschaft sie wollen, die Betroffenen sollen sich beteiligen können. Bürgernetze für die Landwirtschaft, diese Idee soll hier ins Leben kommen.

Die Ausgabe von Beteiligungen in Form von Aktien würde einen Trend umkehren und mehr Menschen in die Landwirtschaft einbeziehen. Nebeneffekte der Bewirtschaftung wie Erhaltung der Kulturlandschaft, durch Wiesennutzung, Ermöglichen von Ausbildung oder Züchtung würden nicht allein mit dem Gemüsekauf artikuliert, sondern durch die Aktie als unternehmerischer Auftrag angelegt: Landwirtschaft als Dienstleistung. Die AG übernähme zudem Grund und Boden, so dass alle Betriebe und Unternehmer gleichberechtigt wären, die Verantwortung für´s Ganze von der Familie auf die Unternehmergruppe überginge. Und, Christian, Andrea und ihre drei Söhne gewännen ein Stück Freiheit dazu: sie müssen dann nicht, sie können gärtnern. Oder was anderes tun.
 

Abstand nehmen und das Eigene finden

Landwirtschaft als öffentliche Angelegenheit: Christian Hiß diskutiert mit Kunden und Gästen sein Konzept
Landwirtschaft als öffentliche Angelegenheit: Christian Hiß diskutiert mit Kunden und Gästen sein Konzept
Freiheit ist ein wesentliches Bestimmungsmoment für Christian Hiß. "Warum bin ich bloß in die Landwirtschaft hineingeboren" - das war die Leidenserfahrung als Jugendlicher vor den Toren der Stadt Freiburg. Die Eltern hatten, angeregt durch Vorträge von Oswald Hitschfeld die Gärtnerei am Kaiserstuhl vor 50 Jahren auf biologisch-dynamisch umgestellt, in Eichstetten waren es gleich mehrere Begeisterte. Wie seine beiden Brüder Karl und Alfred war Christian früh in den Betrieb - Gemüse, Obst, Vieh, eingebunden, lernte ein Jahr beim Vater Karl und zwei Jahre konventionell. Doch erst die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden, nach der Distanz, die er in bewegten Jugendjahren gewann, "zurückzukehren", ließ es zu, dass er in die Landwirtschaft einstieg. Es brauchte den Bruch mit der Tradition, hier schon biologisch-dynamisch-anthroposophisch, um den eigenen Lebensentwurf zu finden und nicht "nur" eine Nachfolge anzutreten.

Frei-lassend waren auch die Eltern: 1982 übernahm Christian einen Teil des Betriebes in eigener Verantwortung - Gemüsebau, die Schwerpunkte Obst und Vieh blieben bei den Eltern. Sein ältester Bruder Karl und seine Frau bauten einen eigenen Betrieb auf, Christian wohnte nach der Heirat mit Andrea auf der Hofstelle mit den Eltern und machte das Abitur nach: Erst jetzt, 1986, hatte er wirklich die Wahl: und entschied sich für Gärtnerei und Meisterschule. Harte Jahre für Andrea, die nicht aus der Landwirtschaft stammt, folgten: der Mann wochenweise in Heidelberg, der Betrieb musste laufen, die Schwiegereltern hatten Hilfe im Stall nötig, 1988 der erste Sohn, David.
 

Landwirtschaft als Lebensform?

Im Jahr darauf war Christian wieder ganz im Betrieb, nicht ohne Fragen. Eine Exkursion in die Niederlande 1990 machte ihm die Schwellensituation der Landwirtschaft klar: Was er da sah, erdelose Kulturen, HighTech-Gartenbau, aber keine glücklicheren Gärtner berührte den Ökogärtner tief: War das der Fortschritt? Der Kampf gegen die Natur ausgetauscht gegen ein Geflecht von anderen Abhängigkeiten von Saatgut, Dünger bis zu Wissensautoritäten? Und was für ein Begriff von Fortschritt steht dahinter? Hiß wurde zum Autoren (u.a. Der GENaue Blick, Grüne Gentechnik auf dem Prüfstand, Ökom Verlag 2003; BSE - hat der Wahn einen Sinn, Menon Verlag, 2001), mit dem Freiburger Literaturwissenschaftler Uwe Pörksen und Gunhild Pörksen begann er die Reihe "Kultur im Gewächshaus", Ort für eine Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft. Auch die Ökobewegung nahm er kritisch unter die Lupe: Der Mensch als Feind der Natur, mit diesem Bild kann er sich nicht anfreunden und warnt davor, dass das in durchindustrialisierter Landwirtschaft endet. Computergesteuert und erdelos erzeugtes Gemüse und Präzisionslandwirtschaft können auch an Umweltgrenzwerten ausgelegt werden: Natur gerettet, Mensch verloren. Schon heute definieren zunehmend auch Technokraten und Bürokraten, was Ökolandbau ist. Für Christian Hiß geht es aber um Kultur: Landwirtschaft ist für ihn nicht nur eine Produktionsweise, sondern eine Lebensform. Folglich spricht er auch von Kulturkost, nicht von Naturkost.
 

Schritt für Schritt

Querbeet
Querbeet
Der Betrieb beginnt, Saatgut selbst zu vermehren, Hiß will nicht mehr am seidenen Faden der Saatgutindustrie hängen, die Anfang der 90er Jahre, zu Zeiten des ersten Golfkrieges, einen Großteil in Saudi-Arabien vermehrt.1994 ist er Mitgründer des Initiativkreises für biologisch-dynamisches Gemüsesaatgut. Der Gärtner ist aber auch fasziniert von den neuen Techniken - so lernt er den Genforscher Michel Haring kennen, heute Professor in Amsterdam und bringt ihn mit in die Arbeitsgruppe Gentechnik des Forschungsrings. Wo ist bei der labortechnischen Vorgehensweise das Lebendige? Und letztlich - wo bleibt der Mensch?

Der muss lernen können, wie es anders geht, Hiß nimmt seit 1995 Lehrlinge auf: Die Gärtnerei wächst und 1996 wird mit dem Bau einer neuen Gärtnerei begonnen, ausgelagert aus dem Ort, direkt an den Flächen. 1997 stirbt der Vater und die Frage steht im Raum: wie weiter mit dem Vieh? Bisher gab es eine Futter-Mist-Kooperation; wenn es nicht gelingt, die zu erhalten, verliert der Betrieb seine Unabhängigkeit bei der Düngung. Die Frage bleibt ein paar Jahre offen. Im Folgejahr gliedert sich ein weiterer Betriebszweig an: Wolfgang Morof eröffnet eine Küche mit Catering und Partyservice zum Verwerten der Sommerüberschüsse.
 

An Ideen dranbleiben und sie klären

Die Eindrücke des Hightechgemüsebaus in Holland, später auch in USA lassen Hiß nicht los. Er sucht das Gespräch außerhalb der Landwirtschaft, will bewusst werden und bewusst machen, beginnt zu schreiben und Vorträge zu halten. Und leiert Projekte an. Zur erdelosen Kultur forscht er mit Markus Buchmann: sie finden u.a. heraus, dass die Saatgutqualität sich verändert. 2001 beginnt nach langem Vorlauf die Stiftung Kaiserstuhler Gärten mit der Erhaltung und Demonstration von regionalem Saatgut, der Eichstetter Bürgermeister war Hißs bester Mitstreiter für diese Kultureinrichtung. Im September wird dort jetzt eine Ländliche Akademie gegründet. Die Beschäftigung mit BSE und Gentechnik mündet in zwei Buchprojekten*.

Und die Pädagogik hält Einzug: für den Stallbau planen Schüler an sieben Schulen in 28 Projekten, koordiniert von der Projektgesellschaft des Waldorflehrers Rüdiger Iwan. Einweihung von Stall und Käserei ist im Sommer 2002. Aktuell schließt der Gärtner gerade eine Untersuchung zu Betriebsformen in der Landwirtschaft ab, ein Projekt zusammen mit der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und dem anthroposophischen Hardenberg Institut. Und sein ältester Sohn David wird im Rahmen von "Jugend forscht" an der Modellpflanze der Gentechniker, Arabidopsis, untersuchen, ob sich Umwelteinflüsse im Genom niederschlagen. Jetzt im Sommer liefert Hiß probehalber Schulmöhren als Pausensnack an drei Schulen, die von den Kollegen biologisch-dynamisch gezüchtete Sorte "Milan".
 

Leiden oder denken

Hiß hat einen wachen Sinn dafür entwickelt, was gestaltet werden will und setzt sich sehr ernsthaft damit auseinander. Woher nimmt er die Kraft und die Anregungen? "Leiden oder denken" ist seine Devise, sein Büro ist eher ein Studierzimmer, Buchhaltung macht eine Angestellte. Sicherheit gewinnt er aus der Philosophie, ob von Nietzsche oder Heraklit. Von letzterem hat er die Erkenntnis, dass Problem und Lösung dieselbe Wurzel haben. Von Platon hat er gelernt, die Ideenwelt für sich zu eröffnen. Mit seiner regen Gelassenheit ist Hiß offen für stete Metamorphose, denkt in Lebensabschnittsentscheidungen. Dabei hilft ihm der nüchterne Blick und die selbst erarbeitete Perspektive: "Du musst für dich klären , was Du willst, wo Du konkret stehst und was die Bedingungen sind". Er bleibt dabei lokal verwurzelt, die globalen Trends im Focus.
 

Begegnungen leben

Und wie lebt sich mit der steten Bereitschaft zur Veränderung? "Die innere Haltung ist wichtig, Krisensituationen sind immer nur punktuell. Jeder hat seinen Schicksalsweg" meint er "Aber es kommt darauf an, aufmerksam zu sein: wann, wie habe ich Begegnungen, und vor allem: Was mache ich daraus?" Überflüssige Gepräche oder Ablenkungen lässt er weg, stößt immer fragend-bedacht zum Kern und zur Handlung vor. Hiß ist keiner, der Hektik verbreitet - dennoch hat seine Andrea manchmal das Gefühl: " Er macht Dauerlauf und ich hechte hinterher". Entwicklung heißt manchmal auch: Ungleichzeitigkeit. Jedenfalls, die Familie lässt nichts auf ihn kommen. Sowohl die drei Söhne als auch seine Frau legen Wert auf die Feststellung, dass Hiß als Papa und Ehemann stets präsent ist: eher macht er Abstriche am Betriebsgeschehen als an der Familie. Unruhig wird er nur bei Gewitter und Hagelgefahr, wie heute. Das hat man nicht in der Hand.
 

Wandlungsfähig bleiben

Hiss vermarktet Möhren als Pausensnack für Kinder
Hiss vermarktet Möhren als Pausensnack für Kinder
Seine Kraft nimmt er dabei aus der Umwandlung ins Konkrete. Im Gespräch sucht er Intensität, will seine Ideen im Diskurs prüfen und prüfen lassen. Kraft kommt von "sich trauen", sagt er mit seinem vom alemannischen Dialekt geprägten harten "ch". So ist er auch weniger in der regionalen biodynamischen Arbeitsgemeinschaft tätig, ihn zieht es in die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Zur Zeit hat er in der Werkstatt für Unternehmensentwicklung "seine Gruppe" gefunden. Mit der Umwandlung der Gärtnerei in eine Aktiengesellschaft würde er ein weiteres Mal einem Grundsatz folgen, den er vom Philosophen Heinz von Foerster hat: " Handle so, dass die Zahl deiner Möglichkeiten steigt".

Da in der neuen Rechtsform jeder Betrieb von der AG pachtet, sind die Söhne David, Michael und Benjamin in ihrer Lebensplanung frei - sie müssen nicht in den Betrieb einsteigen - aber sie können! Für Andrea, die zur Zeit auf ihre Weise über die Grenzen der Gärtnerei hinaus schaut, wird so vielleicht eine veränderte oder ganz neue Tätigkeit realisierbar. Obwohl sie sagt: "Gärtnern ist für mich wie Medizin - aber dosiert halt." Und Christian muss nicht weiter machen, sondern könnte sich anderen Dingen widmen: Wie schreibt er im Blick auf 2024 in unserer Zeitschrift: sein nächstes Buch schreiben, Manager zum Gemüsejäten anleiten, den Kindern der Hofkunden Märchen vorlesen... Und neue Existenzgründer könnten einfacher an den Betrieb ankoppeln. Zum Beispiel jemand neues mit Küche und Catering, nachdem Morof sich auf Kindergärten spezialisiert hat, die naturgemäß wenig Gemüse abnehmen.
 

Einen neuen Landwirtschaftsbegriff leben

Denn das vor allem ist die Gärtnerei über die Jahre geworden: Kristallisationspunkt für das gesellschaftliche Gespräch über Landwirtschaft und Andockpunkt für Menschen mit Ideen und Initative, von der Züchtung bis zum Stall. Hiß ist ein gefragter Geprächspartner und Autor von Format - geht raus in die Welt und bleibt trotzdem da: Statt, wie viele Landwirte, auch ökologische, nur "Mengenanpasser" der ökonomischen Theorie folgend zu sein, verwirklicht er mit seinem erweitertem Landwirtschaftsbegriff, der Öffnung der landwirtschaftlichen Debatte für Nichtlandwirte mehr Freiheit für die Landwirtschaft und eben auch seine Gärtnerei. So entwickelt er gerade den Begriff einer vierten Form der Landwirtschaft, nach der traditionellen, der konventionellen und der ökologischen. Denn das Potenzial der biologisch-dynamischen und anthroposophischen Ideen scheint ihm bei weitem noch nicht verwirklicht. Die Anwesenden am schwülen Juniabend geben ihm recht: Auf die Frage, wer das Vorgestellte als Modell für die Gärtnerei sinnvoll findet, gruppieren sich die meisten im positiven Bereich, auch beim Geld: die Mehrheit würde Aktien kaufen.
 

Partnerbetriebe

  • Stall und Milchwirtschaft: Anke Piroth, Sebastian Groos, 1 Kind. Kuhstall für 30 Kühe, aktuell 20 mit Nachzucht , Milchverarbeitung Hart und Weichkäse, ca. 30 ha, Futter-Mist-Kooperation mit Gärtnerei, Auennutzung (Landschaftspflege)
  • Küche/Catering: bis Ende Juli noch Wolfgang Morof
  • Wochenmarkt-Marktstand: Alfred Vogelmann
  • Kräuteranbau 30 Arten 20 ar, 50% AK, gepachtet von Anette Tillmanns
  • Photovoltaik (Investitionsgemeinschaft, Stalldach vermietet an 10 Einzelunternehmer)
  • Gemüsezüchtung auf Pachtfläche: Thomas Heinze und Christine Nagel
  • Perpetuum novile Schulprojekt gGmbH, Geschäftsführer Rüdiger Iwan
 
 
Betriebsspiegel

  • Fläche: 18 ha Gärtnerei, davon 10 ha Gemüse, 5 ha Kleegras, je 1,5 Getreide bzw. Kartoffeln. Unterglas: 2000qm, Folienhäuser 500qm
  • Ca. 60 Gemüsesorten, 50 in Demeter-Saatgut, 14 Sorten in Vermehrung, Pflanzgut, Kräuter
  • Ca. 8 AK (3 Lehrlinge, 3 Mitarbeite, 3 Praktikanten, Angestellte für Büro, Aushilfen)
  • Vermarktung: 3 Märkte, Hofladen, Abokisten, Alnatura, Reste an GH, Marktstandunternehmer, probeweise Belieferung der Uniklinik mit Möhren im Herbst, Start mit Schulmöhren als Pausensnack, Saatgut über Bingenheimer Saatgut AG
  • Betriebsleitung CH, Abokisten Hofladen: Andrea Hiß, Verpachtung von Flächen an Partnerbetriebe: Vermarktung Abo, Organisation: Markus Tschorn
Gärtnerei Querbeet
Christian und Andrea Hiß
Hauptstr. 140
7663 Eichstetten am Kaiserstuhl
www.demeterhof.de