Darf man Impfen selbst entscheiden?

Landwirte erringen Erfolg gegen Impfzwang bei Rindern

 

Was würde Sie sagen, wenn man sie und ihre Familie von Staats wegen verpflichten würde, sich gegen Schweingrippe zu impfen? Und ansonsten mit einem fünfstelliges Bußgeld oder gar der Polizei droht. Würden sie sich freuen, weil Sie privilegiert an Impfstoff erhielten? Oder kämen Sie sich bevormundet, vielleicht sogar gefährdet vor, angesichts der aktuellen Debatte über Für und Wider?

 

Dass Sinn und Pflicht einer Impfung diskutiert werden, gilt nicht nur für die Humanmedizin. Die aktuelle Aufregung um die Impfung gegen Schweinegrippe hat eine Parallele in der Landwirtschaft: die Blauzungenkrankheit. Verunsicherung über den Wirkstoff hier, heftige Nebenwirkungen bei Tieren dort, aber: Die Grippeimpfung ist freiwillig, die gegen den Blauzungenvirus der Wiederkäuer ist Pflicht. Wer nicht mitmacht, wird gerichtlich belangt, in der Schweiz wurde ein Demeter-Schäfer sogar vorübergehend enteignet. Seine Tiere wurden zwangsgeimpft.

 

Es ist nun nicht so, dass Impfen in der Viehhaltung die Ausnahme ist. Im Gegenteil, die meisten Nutztiere haben mehrere Impfungen hinter sich, vor allem Schweine und Geflügel. Bauern müssen gegen Seuchen vorsorgen, sonst ist der Hof schnell am Ende oder sie gefährden Verbraucher. Für Seuchenschäden gibt es zwar eine Art Versicherung. Doch im Sinne aller Beteiligten wird europa- oder bundesweit festgelegt, was verbeugend zu tun ist, eben auch Impfen bei bestimmten Krankheiten. Die von einer kleinen Mücke übertragene Blauzungenkrankeit nun ist neu nördlich der Alpen, ein Profiteur des Klimawandels. Von Anfang an aber gibt es berechtigte Zweifel am Nutzen eben dieser seit zwei Jahren möglichen und sogleich angeordneten Impfung. Zu variabel die Erregerstämme, zu viele Ausnahmen, zu viele und gravierende Nebenwirkungen, ein wenig geprüfter Impfstoff mit Wirkverstärkern, unzureichende Qualitätssicherung, und insgesamt zu wenig tote Tiere, um von einer wirklich gefährlichen Seuche zu sprechen. Erinnert das nicht an die Umstände bei der Schweinegrippe?

 

Jedenfalls formierte sich bei den Bauern Widerstand, denn bei zahlreichen traten Nebenwirkungen im Stall auf, die keine Kasse bezahlt. Und wer nicht impfte, wurde kriminalisiert. Eine Interessengemeinschaft gegen die Impfpflicht gründete sich, Schweizer Bioverbände sprachen sich dagegen aus, Österreich schaffte den Zwang ab, die Niederlande kennt keinen. Inzwischen haben es engagierte Bauern und ihre Verbände, darunter Demeter, geschafft, auch die deutsche Politik zum Nachdenken zu bewegen. Ende Oktober empfahlen die Fachleute der Länder dem Bundesrat, die Impfpflicht für 2010 aufzuheben.

 

Ein Erfolg, doch gehören das landwirtschaftliche Impfwesen und bestimmte agroindustrielle Praktiken insgesamt auf den Prüfstand. Was wurde Panik gemacht vor wilden Enten und Schwänen wegen der angeblich so gefährlichen Vogelgrippe. Die brach regelmäßig in extremen Massentierhaltungen aus. Gleiche Ursachen vermutet man für die Schweingrippe. Auch bei Blauzunge deutet sich an, dass vielleicht ganz Anderes hilft. Demeter-Landwirte und Tierärzte kurierten Kühe mit Homöopathie, eine Landwirtschaftskammer stellte fest, dass bei viel Weide und wenig Kraftfutter die Anfälligkeit geringer sei, Schweizer Alphirten machten ähnliche Erfahrungen.

 

In der Tierhaltung geht es beim Impfen weniger um das Leid der Tiere, wie viele Tierschützer glauben, sondern darum, Leistungseinbrüche bei Eiern, Fleisch, Milch zu verhindern und Exportfähigkeit sicher zu stellen. Damit letztere während der Maul- und Klauenseuche für Großbritannien erhalten werden konnte, wurden 2001 dort Millionen Tiere gekeult. Auch diese Krankheit ist nicht so gefährlich, wie sie klingt. Ein zu hoher Grad an nicht geimpften Tieren ist regelmäßig ein nationales Handelshemmnis. Aus Impfkampagnen, die den Tierhalter vor existenziellen Verlusten schützen, sind so Zwangsmaßnahmen zum Vorteil weniger Exporteure geworden. Das muss neu diskutiert werden.