Biodynamisch

Biodynamik als soziales Phänomen

Interview mit Dr. Stephanie Majerus

Fragen: Michael OLBRICH-MAJER

Für ihre Dissertation tauchte die luxemburgische Kulturwissenschaftlerin und Journalistin in die biodynamische Bewegung im deutschsprachigen Raum ein – mit der Methode ethno­grafischer Feldforschung.

Du hast Religionswissenschaften studiert: Wie kamst Du auf das Thema, die Biodynamiker zu untersuchen?

In der Sekundarschule diskutierte ich bereits mit einem Mitschüler, der den Hof seines Onkels auf Demeter-Landbau umzustellen plante, über Saatgutqualität und den Ablauf einer Hofübernahme. Die Gespräche waren allerdings sozusagen anthroposophiefrei. Später kam ich beruflich durch eine Nichtregierungsorganisation, die sich unter anderem für Ökolandbau und Zugang zu Land einsetzt, mit Biodynamikern in Kontakt. Ich wollte von ihnen wissen, was die Biodynamik ausmacht. Dabei erzählten sie mir von ihren kosmologischen Ansichten. So kam ich auf das Thema.

 

Du hast Dich für zahlreiche Interviews, Tagungen, Bauerntreffen unters biodynamische Volk gemischt: Wie hast Du Dich gefühlt, menschlich wie mit den Themen? Gefremdelt? Willkommen?

Es ist unterschiedlich. Viele sind sehr nett, gehen reflektiert mit der Entwicklung der Bewegung um und sind ehrlich bemüht, Landwirtschaft und Umweltschutz zusammenzubringen. Das unterscheidet die Biodynamik von anderen Landwirtschaftsverbänden. Die Verbände der intensiven Landwirtschaft fungieren häufig als reine Interessenverbände. Manche Biodynamiker möchten sich jedoch in eine Aura von höherem Wissen hüllen oder sind sehr steinergläubig. Das finde ich anstrengend.

 

Deine Forschungsarbeit ist im Ergebnis wohlwollend kritisch: Hat etwas, was die Biodynamiker sind oder tun, besonderen Eindruck auf Dich gemacht?

Ja, beeindruckt hat mich die Ausdauer, mit der viele Biodynamiker an ihre Arbeit herangehen, oft unter schwierigen Bedingungen – im Winter um sechs Uhr aufzustehen und bei Minusgraden in den Stall zu gehen. Auch finanziell sind Berufe in der Landwirtschaft nicht immer dankbar. Bemerkenswert ist, wie der Demeter-Landbau versucht, Wege zu finden, um damit umzugehen: SoLaWi-Strukturen aufzubauen, Genossenschaftsbetriebe zu gründen, sich als Gemeinschaft gegenseitig zu unterstützen. Beeindruckt hat mich bei einigen auch die hohe Sensibilität für Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Menschen – und das Beachten der jahreszeitlichen Stimmungen. Manche Biodynamiker haben zudem einen Sinn für Metaphern, das Sprechen und Denken in Bildern, sozusagen einen poetischen Blick auf „das Lebendige“.

 

Was siehst Du kritisch in der biodynamischen Bewegung?

Das Sprechen und Denken in Bildern kann eine persönliche Ressource sein. Aber bei manchen wird dies als unumstößliche Wahrheit interpretiert, was ich schwierig finde. Kürzlich habe ich außerdem einen Biodynamiker getroffen, der sich von übersinnlichen Kräften bedroht fühlte. Abends habe ich dann einen Podcast mit dem Waldorf- und Goethekenner Jost Schieren und dem Psychiater Thomas Fuchs gehört, in dem über Embodiment diskutiert wurde. Das Gespräch war sehr anregend. Es kommt also vor, dass ich an ein und demselben Tag von Anthroposophen sowohl inspiriert als auch – im negativen Sinne – irritiert bin.

 

Aus Sicht der Erkenntnisgewinnung und Wissenschaft verortest Du die Biodynamiker in einer erkenntnistheoretischen Blase – kannst Du das erklären bzw. begründen?

Biodynamiker sagen oft, nur wer selbst mit den Präparaten gearbeitet hat, könne über sie sprechen. Dadurch bleiben andere Stimmen und Argumente, die nicht aus dem Milieu stammen, außen vor. Dies geschieht weniger aus Absicht, sondern vielmehr aus der Tatsache, dass letztlich nur Personen mitdiskutieren, die Teil der biodynamischen Bewegung sind. Konkurrierende Argumente werden dadurch zunehmend als irrelevant angesehen.

 

Bezüglich der Biodynamischen Forschung kommst Du zum Bild einer anthroposophischen Parallelwissenschaft. So pauschal geäußert, würde ich Dir widersprechen, denn i.d. R. sind es natur­wissenschaftliche Methodiken, die genutzt werden, Unterschiede herausgearbeitet haben, allein zwischen 2008 und 2021 21 peer reviewte Arbeiten. Wie begründest Du Deinen Eindruck?

Es gibt rigoros durchgeführte Studien, etwa am FiBL oder an der Universität Straßburg, die zeigen, dass der pH-Wert und die mikrobielle Konsistenz auf biodynamisch bewirtschafteten Parzellen besser ausfallen. Häufig weisen diese auch einen höheren Gehalt an antioxidativen und antimykotischen Sekundärmetaboliten auf. Allerdings konnten die FiBL-Forscher ihre Ergebnisse nicht als Langzeittrends bestätigen. Ob diese Wirkungen überhaupt auf die Präparate zurückzuführen sind, bleibt ebenfalls ungewiss. Positive Resultate könnten auch auf eine konsequentere Mistbearbeitung, Fruchtfolge und eine allgemein schonendere Bodenbearbeitung zurückzuführen sein, die unter anderem zu einer höheren Wurmdichte führt. Doch dies ist eine allgemeine Herausforderung der Agrarwissenschaften: Es ist schwierig, die vielen Variablen zu isolieren, die die Beschaffenheit von Felderzeugnissen mitbestimmen – Witterungsbedingungen, Geografie, genetische Eigenschaften der Samen, Bodenqualität – all dies spielt eine Rolle.

Hinzu kommt, dass einige anthroposophisch orientierte Forscher anthroposophisch inspirierte Forschungsmethoden anwenden, die versuchen, die in den Naturwissenschaften übliche strikte Subjekt-Objekt-Trennung aufzuweichen. Aus anthroposophischer Sicht, die mit dem philosophischen Idealismus verwoben ist, ergibt dies für diese Forscher Sinn, weil das Denken und der Geist ein Subjekt zum Teil des Universums und der Wirklichkeit machen. Kritiker argumentieren jedoch, dass sich diese Methoden für naturwissenschaftliche Settings nicht bewährt haben. Einige Biodynamiker, darunter der Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum, meinen, die Frage nach einem naturwissenschaftlichen Nachweis sei nicht so wichtig; es käme vor allem auf die inneren Erlebnisse bei den Präparaten an. Für andere ist der evidenzbasierte Nachweis hingegen von Bedeutung, vielleicht auch, weil Rudolf Steiner sagte, Anthroposophen sollten sich an den Naturwissenschaften orientieren.

 

Du hast Dich im Schwerpunkt mit dem Verhältnis und Verständnis der Demeter-Landwirt:nnen zum Tier beschäftigt – wie kam es dazu? Was ist Dein Fazit?

Das Thema drängt sich auf. Einmal haben wir auf einem Hof morgens Kühe gestriegelt. Ein Stierkalb war so zahm, dass man es kraulen konnte und am Strick mit ihm spazieren gehen konnte. Vor einem Jahr war ich in einem 1000-Kuh-Stall, dort wurden die Tiere nach Alterskategorie getrennt. Es kam den Betreibern nicht in den Sinn, dass die Rinder so ihr Sozialleben in der Herde nicht ausleben können. Die Industrialisierung kann in manchen Bereichen durch Skalierungseffekte effizient sein. In der Tierhaltung degradiert sie Tiere zu Objekten. Im Gegensatz dazu versuchen Biodynamiker in der Regel, ihre Rinder als Subjekte zu erleben – mit den Ambivalenzen, die dies im Hinblick auf die Frage nach der Tierschlachtung hervorbringt.