Ernährung

Zur Bestimmung der Weizen-Backqualität

Bio-Weizen muss nach anderen Kriterien beurteilt werden. Gängige Messverfahren stufen die Backfähigkeit von Bioweizen in der Regel als mäßig ein. Warum das nur bedingt zutrifft, diskutiert der folgende Beitrag und zeigt Alternativen auf.

Von Dr. Ludger Linnemann

 

Jeder landwirtschaftliche Betrieb kann hochwertigen Backweizen anbauen. Diese Tatsache steht und fällt jedoch mit der Art des Backtests, den Untersuchungsmethoden (Kleber, Protein) und den Anforderungen an die Weizenqualität. Zu diesem Ergebnis kommt eine mehrjährige wissenschaftliche Studie im Auftrag des Bundesprogramm Ökologischer Landbau (Linnemann 2010).

Gibt es objektive Kriterien für die Bewertung von Backweizen bzw. der Mehlqualität?

Ein kurzer Blick auf die Realität zeigt, dass die Anforderungen an die Weizenqualität oft so hoch liegen, dass Landwirte ihren Weizen nicht als Qualitätsweizen verkaufen können. Der Grund hierfür ist in der Bewertungsgrundlage zu sehen, für welche es einen rationalen Maßstab gibt. Die Bundesforschungsanstalt für Getreideforschung in Detmold (MRI) hat bereits vor 1978 und erneut 2007 nachfolgende Bewertung der Mehlqualität auf Basis eines Backtests definiert (AGF 2007):

Anhand dieser Bewertung wurden sortenreine Bio-Backweizenmehle beispielsweise im Rahmen der Sortenzulassung höchstens als befriedigend eingestuft. Eine Orientierung an diesen Werten hatte zur Folge, dass Verarbeiter Aufmischweizen oder Kleber zukauften und der regionale Bio-Weizen als minderwertig erschien.

Backweizen und Handelsmehle

Aufmischweizen bzw. ausländische Qualitätsweizen

Backverhalten

unter 600

unter 660

nicht befriedigend

601 bis 630

661 bis 700

befriedigend

631 bis 660

701 bis 740

gut

über 660

über 740

sehr gut

Tabelle 1: Objektive Kriterien zur Bewertung verschiedener Mehlqualitäten auf Basis der Volumenausbeute [ml/100g Mehl] im Rapid-Mix-Test (RMT)

Backweizen und Handelsmehle

Öko-Weizen Handelsmehle

Konventioneller Weizen Handelsmehle

Protein ICC 167 (%, TS)

11,8

13,7

Schrotkleber (%)

24,0

28,9

RMT (ml/100 g Mehl)

611

668

ml Volumen je %Protein

51,8

48,8

Tabelle 2: Mittlere Weizenmehl-Qualität (2006 bis 2010) von Handelsmehlen (MRI 2010)

Welche Qualitäten brauchen Bäcker?

Selbstverständlich kann die Frage nicht allgemeingültig beantwortet werden. Allerdings lassen Untersuchungen an Handelsmehlen gewisse Rückschlüsse zu. Es ist insbesondere aufschlussreich, zu wissen, welche Mehlqualitäten von Mühlen an Bäcker verkauft werden, wie in Tabelle 2 dargestellt. Bei den Mühlenmustern handelte es sich um Mehlmischungen unbekannter Zusammensetzung, bei denen E-Sorten, also Weizen mit höchster Qualitätseinstufung. in der Regel mit B-Sorten, d. h. weniger hochwertigen Sorten gemischt werden (E>A>B>C). Im konventionellen Bereich beträgt der Anteil der E-Sorten in etwa 15 %. Die Verhältnisse im Bereich der Öko-Handelsmehle sind nicht bekannt. Das Institut für Sicherheit und Qualität bei Getreide, Detmold, hat 2010 einen Bericht zur „Qualität der Deutschen Brotgetreideernte“ herausgegeben, welcher Untersuchungsergebnisse von etwa 50 Mühlenproben zusammenfasst. Den Ergebnissen kann entnommen werden, welche Qualitäten vermarktet werden. Nicht erfasst werden selbstverständlich Mehle, bei denen Verarbeiter die Anforderungen selber definieren. Insofern handelt es sich um Handelsmehle.

 

Man kann leicht erkennen, dass die Mehlqualität des Ökoweizens hochwertiger sein muss, da je Prozent Protein 51,8 ml Volumen gebildet wurde. Auf Basis dieser Protein-Qualität hätte der konventionelle Weizen rechnerisch eine Volumenausbeute von 710 ml bzw. eine gute Aufmischqualität aufweisen müssen. Tatsächlich dürfte die relativ geringere Volumenausbeute je % Protein auf einen hohen Anteil an A- und/oder B-Weizen zurückzuführen sein.

 

Wiederum zeigt sich, dass Öko-Weizen-Handelsmehle trotz höherer Kleberqualität nur befriedigende Mehlqualitätenaufweisen und hierfür offensichtlich mit dem Rapid Mix Test (RMT) 11,8 % Rohprotein benötigt wurden. Dem gegenüber wurden konventionelle Weizen Handelsmehle mit sehr guter Mehlqualität und 13,7 % Rohprotein angeboten. Auf Basis der vorgestellten Werte wird deutlich, dass unter den Bedingungen des Öko-Landbaus so definierte sehr gute Mehlqualitäten kaum zu erreichen sind. Für eine nachhaltige Landwirtschaft mit hohen Erlösen für hohe Qualitäten stellen die Werte eine sehr schlechte Ausgangsbasis dar.

 

Wie wir gleich sehen werden, ist dies in Wirklichkeit nicht die richtige Basis, auch wenn die bisher gängigen Mindestanforderungen an die Mehlqualität für Öko-Weizen sich in den Ergebnissen von Tabelle 2 widerspiegeln.

Wird die Backeignung von Backweizen richtig bestimmt?

Die entscheidende Frage lautet nicht: Wie können Öko-Bauern sehr gute Mehlqualitäten erreichen? Vielmehr muss zuerst geklärt werden, in wieweit die Bewertungsgrundlagen richtig sind, besonders, wenn die verwendeten Methoden wie im vorliegenden Fall wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Messwerte liefern. Tatsächlich ist aus der internationalen Literatur bekannt, dass mit 11,8 % Rohprotein Volumenausbeuten von etwa 700 bis 840 ml erreicht werden, was zum einen mit dem Backtest und zum andern mit der Kleberqualität zu tun haben kann. Allerdings besteht völlige Klarheit darüber, dass von der Rohprotein-Konzentration nicht auf die Volumenausbeute geschlossen werden kann (Linnemann 2010). Zudem sind zahlreiche Versuche gescheitert, im Ökolandbau über Düngung, weite Reihe etc. höhere Volumenausbeuten und damit höhere Erlöse zu erzielen. Der Grund hierfür liegt nicht in der geringen Mehlqualität, sondern im Backtest. Dieser standardisierte Backtest wurde lediglich als Schnelltest zur Einstufung von Sorten im Rahmen der Sortenzulassung entwickelt, aber nicht optimiert. Zudem ist der Rapid Mix Test dafür bekannt, aus Sicht von Bäckern keine praxisrelevanten Ergebnisse zu liefern, aber insgesamt vorrteilhaft zu sein, da die Mehle insgesamt besser sind (Abb. 1).

 

Ein weiterer Fehler in der Bewertung liegt darin, dass in Deutschland die Höhe der Volumenausbeute mit der Höhe der Rohprotein-Konzentration im Mehl gleichgesetzt wird. Da Rohprotein und Kleber ebenfalls eine enge Beziehung aufweisen (Kleber = Protein) und die Kleberbestimmung relativ einfach ist, haben sich Rohprotein und vor allem Kleber als Bewertungsparameter allgemein durchgesetzt. Dem heutigen Gerechtigkeitsempfinden nach wirken die genannten Details nachteilig für die Erzeuger. Somit lagen ausreichend Gründe zur Entwicklung eines optimierten Backtest vor, der als Basis für eine praxisnahe und qualitätsrelevante Bewertung der Mehlqualität und ihrer Parameter fungieren kann.

ABC der Weizenqualität

Bei Weichweizen für Backzwecke werden in Deutschland vom Bundessortenamt verschiedene Qualitätsstufen unterschieden. Grundlage sind Untersuchungen aus den (bislang konventionellen) Landessortenversuchen. Wichtige Parameter zur Einstufung sind die Volumenausbeute im Rapid-Mix-Test (RMT, ein standardisierter Backversuch), Rohproteingehalt, Fallzahl, Sementationswert, Teigbeschaffenheit, Mehlausbeute und Wasseraufnahme. Die Einteilung des Bundessortenamtes umfasst vier Stufen:

• E-Weizen (Eliteweizen),

• A-Weizen (Qualitätsweizen, Aufmischweizen),

• B-Weizen (Brotweizen) und

• C-Weizen (sonstiger Weizen)

Abb. 1: Der optimierte Backtest kommt zu einer besseren Bewertung­ von Ökoweizen als der Rapid Mix Test: fast alle Proben erreichten „gut“.

Methodenvergleich bei Feuchtkleber (zwei Labore) und Brotvolumen (zwei Methoden­) von Winterweizensorten an Proben aus dem Sorten­versuch Kirchberg­, 2007

(aus Linnemann 2010).

Backtestvergleich und Kleberbestimmung

Überwiegend an Weizenproben mit hoher Kleberqualität der Ernte 2007 wurde zunächst eine optimierte Verarbeitung geprüft. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Volumenausbeuten im Mittel gegenüber den Ergebnissen des RMT um mehr als 30% höher lagen (Abb. 1).

 

Die mit dem RMT untersuchten Sorten wiesen im Mittel 544 ml Volumenausbeute auf, die als nicht befriedigend bewertet werden. Der optimierte Backtest hingegen belegte im Mittel der Sorten 740 ml und damit sehr hohe Volumenausbeuten (> 660 ml). Dabei fiel auf, dass die Volumenausbeute der Probe von Naturastar (A-Sorte) gegenüber allen Sorten klar abfiel, während die Volumenausbeute der Probe von Aszita als B-Sorte sehr hoch bewertet wurde. Das Ergebnis ist nicht verwunderlich, da der Backtest auf Kleberqualität optimiert wurde und Protein sowie Kleber als Konzentrationsangaben keine Auskunft zur Kleberqualität geben. Zudem zeigten zwei unabhängig voneinander durchgeführte Feuchtklebermessungen an der gleichen Probe sehr hohe Abweichungen (bis maximal 27 %). In wiederholter Prüfung stellten wir immer wieder fest, dass die Methode der Kleberauswaschung sehr anfällig und nicht reproduzierbar ist. Sobald Kleber etwas weicher werden, steigt deren Auswaschbarkeit. Tatsächlich weisen jedoch mehr als 90% aller Kleber harte Strukturen auf. Ferner kann man an den Sorten Pollux und Clivio erkennen, dass es offensichtlich keine Übereinstimmung zwischen Volumenausbeute und Kleber (%, FM) gibt. Daran änderte auch der Bezug auf Trockenkleber nichts. Die Methode der Kleberbestimmung ist also ungeeignet, um eine Aussage über die potenzielle Volumenausbeute bzw. Mehlqualität zu machen. Dies würde einen engen Bezug zur Volumenausbeute voraussetzen, der nachweislich nicht vorhanden ist (Abbildung 2).

Der optimierte Backtest

Eine optimale Verarbeitung von Teig zu hefegelockertem Gebäck erfordert vollständig entwickelte Klebernetzwerke, die eine der Kleberqualität entsprechende Fähigkeit haben, Gärgase zu halten. Manche Kleber sind elastischer als andere und verlangen eine längere Knetzeit, um voll entwickelt zu sein. Unterschiede in der Kleberelastizität gehen auf den variablen Kleberaufbau aus Gliadinen und Gluteninen zurück. Im voll entwickelten Zustand weist jeder Teig den messbar höchsten Teigwiderstand auf. Beim optimierten Backtest wird im Unterschied zu dem bisher verwendeten Standard-Backtest (RMT: 1 min. Knetzeit bei 1400 Umdrehungen) die probenspezifisch optimale Knetintensität (Knet­zeit zum Erreichen des maximalen Teigwiderstandes) in einem Messkneter bei 63 Umdrehungen der Knetwerkzeuge erfasst und ermöglicht darüber eine optimierte und schonende Verarbeitung (vgl. Linnemann 2010). 50 Gramm helles Mehl werden lediglich zur besseren Reproduzierbarkeit verwendet und stellen keine Empfehlung dar. Ein helles Mehl mit guter Verarbeitbarkeit (Volumen) wird auch ein gutes Vollkornmehl sein. Die dargestellten Größe ist das erzielte Brotvolumen in ml/100g Mehl der Type 550. Das Volumen jedes Brötchens wird über ein sehr genaues, geeichtes Volumeter mit Glaskugeln ermittelt.

Indirekte Parameter zur Vorhersage der Mehlqualität

Im Fall von Kleber und Rohprotein wurde bisher davon ausgegangen, dass beide in direktem Bezug zur Volumenausbeute stehen. Wissenschaftliche Studien belegen aber, dass dieser Bezug im Wesentlichen nicht sehr eng sein kann, da die Kleberqualität nicht berücksichtigt wird (Seling 2010). Eine mehrjährige Ermittlung der Stärke des Zusammenhanges zwischen Kleber- bzw. Rohprotein-Konzentration und der Volumenausbeute ergab zudem, dass lediglich 17 % bzw. 36 % der Variation in der Volumenausbeute anhand von Untersuchungen der Mehle auf Kleber- bzw. Protein-Konzentrationen erklärt werden konnten (Abbildung 2).

 

Dabei wurde auch sichtbar, dass bei hoher Kleberqualität zum Erreichen von sehr hohen Volumenausbeuten > 660 ml nur etwa 9 % Rohprotein im Mehl bzw. 9,8 % im Korn notwendig waren. Gleichzeitig zeigte jedoch z. B. die Futter-Sorte Certo mit etwa 9 % Rohprotein eine vergleichsweise geringe Volumenausbeute von 540 ml, was die geringe Eignung von Rohprotein zur Bestimmung der Mehlqualität belegt. Auch im Bereich > 12 % Rohprotein wurden sowohl Aufmischqualitäten > 740 ml als auch sehr gute Qualitäten > 660 ml festgestellt. Die beobachteten Schwankungen hängen mit der Kleberstruktur zusammen. Je mehr Protein ins Mehl eingelagert wird, desto weicher wird der Kleber, was eine Auswirkung auf die Volumenhöhe hat.

 

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die von uns untersuchten biodynamisch gezüchteten Sorten sehr hohe Kleberqualitäten aufwiesen, die ab 9,8% Rohprotein im Korn zu Volumenausbeuten > 660 ml führten. Rohproteinmessungen dürfen nur bei bekannten Sorten eingesetzt werden, deren Kleberqualität durch den optimierten-Backtest bestätigt wurde. Die Messungen haben dann keinen verbindlichen Charakter!

Abb. 2: Schwacher Zusammenhang zwischen Kleber bzw. Rohprotein und dem Brot­volumen. R2=0,36 bedeutet: 36% des Volumens kann auf Rohprotein zurückgeführt werden­ (aus Linnemann 2010).

 

Ausblick: Abstimmung nötig

Die Untersuchungen zeigten eine höchst ambivalente Situation auf, die für Anbauer, Händler und Verarbeiter eine Herausforderung darstellt. Alle gängigen Methoden sind ungeeignet zur korrekten Bestimmung der Mehlqualität im Hinblick auf Backwaren.Wer Weizen kauft, ist für die Qualität gegenüber den Verarbeitern verantwortlich. Aufgrund des starken Einflusses der Kleberqualität und der ertragsorientierten konventionellen Züchtung sind unserer Erfahrung nach nicht alle E-Sorten für den Anbau im Öko-Landbau geeignet.

 

Aufgrund der neuen Erkenntnisse sollten sich alle Akteure in dieser Situation zu gemeinsamen Verhandlungen treffen. Wir können Sortenempfehlungen, Mischungen und Erfahrungen beisteuern, während die Erzeuger sich auf eine einheitliche Qualitätsstruktur einlassen sollten, die probeweise bestimmte Sorten als verbindlich vorschreibt. Aufkäufer wiederum sollten die Konsequenzen aus einer verbindlicheren Qualitätsstruktur zu ihrem eigenen Vorteil annehmen, insbesondere, um Vertrauen und Qualitäts-Stabilität zu schaffen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, das jede Art von Spekula­tion für alle Beteiligten von Nachteil war. Eine gemeinsam abgestimmte Vorgehensweise auf Basis von Qualitätsvereinbarungen könnte ein Ausgangspunkt für eine Neuordnung in diesem Bereich sein.

Dr. Ludger Linnemann ist Wissenschaftler im Forschungsring für Biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Darmstadt

Verwendete Literatur